Es ist kurz nach halb zwölf, als ich in der Kneipe ankomme. Eigentlich will ich ein paar Seiten schreiben, weil sich die Ideen im Kopf stauen und früher oder später eine Explosion ansteht, wenn sie nicht endlich ventiliert werden. Aber am Tresen sitzt der liebe Daniel, der mich strahlend begrüßt und dem es erfreulich gut zu gehen scheint mit dem kürzlich angetretenen BER-Job. Und Zirni, der ebenfalls glücklich vor sich hin lächelt, weil er morgen (heute) die Lieferung eines neuen alten Flügels für den "Froschkönig" erwartet, einen Steinway aus dem Jahr 1860, also vermutlich einer der ersten drei- oder vierhundert, die die Firma gebaut hat. Wir plaudern beim Bierchen und ich vergesse wahrscheinlich ein paar Ideen, um die es dann auch nicht schade ist. Ich nehme wahr, wie eine Frau die Kneipe betritt, sich auf die Weise umschaut, wie das Leute tun, die zum ersten Mal allein eine Kneipe entern, in der sie noch nie waren. Sie setzt sich, trennt sich erst dann von Anorak und Strickmütze. Und dann legt sie ein Buch auf den Tresen. Sie schaut in unsere Richtung und ich sage zu Zirni: "Das Buch kenne ich", aber ich sage es offensichtlich so laut, dass sie es hört. Dann steht sie neben mir. Sie heißt Katarina und wollte eigentlich am U-Bahnhof Hermannplatz aussteigen, aber weil sie die letzten Seiten der Lektüre so gefesselt haben, ist sie aus Versehen bis Hermannstraße gefahren. Und weil das just der Moment war, in dem sie bei den Danksagungen angekommen ist, hat sie sich gedacht, gehe ich doch einfach mal in die Kneipe, die da erwähnt wird, und schaue sie mir an. Sie ist auf rührende Weise ungeheuer aufgeregt, kann es überhaupt nicht glauben, dass da der Typ neben ihr sitzt, der dieses Buch geschrieben hat, das sie enorm begeistert hat, das sie, wie sie sagt, sogar liebt. Es ist ein bisschen geknüllt und zerdrückt und es gab wohl auch einen kleinen Unfall mit Bananenmilch, unter dem es gelitten hat. Es ist ein Buch, dem man ansieht, dass es einen kurzen Lebensabschnitt eines Menschen auf intensive Weise begleitet hat. Und es ist übersät mit markierten Zeilen und Abschnitten. Ich finde kaum Platz für die Widmung, bin übrigens auch aufgeregt, weil das nicht der Normalfall ist, dass man seine Leser mehr oder weniger zufällig trifft, vor allem solche, die noch direkt unter dem Einfluss der soeben beendeten Lektüre stehen. Es ist ein schöner Moment, und während wir über Uwe Fiedler reden und über diesen anmaßenden Begriff "Inklusion" und darüber, wie sie mit der Gruppe behinderter Menschen, die sie betreut, in einer Kaufland-Filiale war, wobei sie eben das Buch entdeckt hat, während die Betreuten den Zeitschriftenstand ausgeweidet haben, denke ich, dass solche Begegnungen viel, viel mehr wert sind als die Tantiemenschecks und die Besprechungen in der Presse und die Lesungsanfragen und all dieses Zeug, aber es gibt sie leider sehr selten, und sie werden nicht einmal wahrscheinlicher, wenn man hunderttausend Exemplare vertickt hat und ständig durch die Medien gereicht wird.
Es ist halb zwei, wir sind dann die letzten Gäste, Dustin kassiert und Katarina streift Anorak und Strickmütze wieder über. Sie ist immer noch aufgeregt, und ich hoffe, der Zauber dieses Abends hält noch eine Weile an, jedenfalls wird er das bei mir tun.
Ich wünsche allen Menschen, die Bücher schreiben, dass ihnen so etwas auch mal passiert.
(Foto: Markierte Seiten aus Katarinas "Nachttankstelle"-Exemplar)