Der Anschlag auf Charlie Hebdo ...

  • Man muss sich mal die Weltkarte mit der Verbreitung des Islam anschauen. Dann bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, in welchen Verhältnissen die Mehrheit der Bevölkerung dort lebt.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Es sind, wie der Kabarettist Dietmar Wischmeyer heute irgendwo richtig angedeutet hat, keine Mormonen oder Buddhisten oder FSMler (Ergänzung von mir), die da metzeln und morden, sondern nahezu ausschließlich Leute, die sich auf den Islam beziehen. Das bedeutet zwar keineswegs, dass diese Religion generell zu verurteilen wäre, jedenfalls nicht über das hinaus, was man an allen Religionen verurteilen könnte


    Was kann man denn an allen Religionen verurteilen? Dasselbe, was man an allen politischen Parteien verurteilen kann?

    Περὶ θεῶν λέγε, ὡς εἰσἰν. Von den Göttern sage: sie sind. (Bias von Priene)
    [buch]3939459801[/buch]

  • Dass sie der Suche nach Antworten kindische Mythen entgegensetzen.


    Da fällt mir mehr als ein Gegenbeispiel zu ein und eins reicht, um eine Allaussage zu falsifizieren. Das ist kein Mythos sondern Mathe 9. Klasse.


    Das Problem ist, daß der Durchschnittsbürger genau eine Religion, nämlich das Christentum kennt, ob er nun dafür oder dagegen oder indifferent gegenüber ist. Nun ist die Form, nach der das Christentum gestrickt ist, zu großen Teilen identisch mit der der beiden anderen abrahamitischen Monotheismen, und die beiden großen davon sind global statisch relevant. D.h., gute und schlechte Erfahrungen an der hiesigen Standardreligion (Staatsreligion haben wir ja offiziell nicht) kann man im Islam leicht wiederfinden. "Allgemeine" Schlüsse daraus auch auf Buddhismus, Pantheismus u.a. zu beziehen, ist nicht besonders schlau. Das beste Beispiel dazu ist, daß sog. "Glaube" fester oder konstierender oder überhaupt Bestandteil jeder Religion sei. Das kam erst durch besagte Monotheismen in die theologische Ideenwelt. Bevor und woanders interessierte das wenig bis gar nicht.

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  • Hallo, Alexander.


    Obwohl die Hintergründe des Anschlags längst nicht feststehen, deuten alle bekannten Informationen darauf hin, dass die Täter zumindest von sich meinten, religiöse Motive zu haben. Wie bei den unfassbar zahlreichen Anschlägen, die es in den letzten Jahren weltweit gegeben hat, wobei vermutlich - so behaupten jedenfalls einige Politiker - noch eine erkleckliche Anzahl verhindert wurde, entsprangen diese religiösen Motive einem ganz bestimmten Hintergrund. So verhält es sich - leider - auch, was die kriegerischen Auseinandersetzungen anbetrifft, die derzeit auf dem Planeten stattfinden (einzige Ausnahme: Ukraine). Es sind, wie der Kabarettist Dietmar Wischmeyer heute irgendwo richtig angedeutet hat, keine Mormonen oder Buddhisten oder FSMler (Ergänzung von mir), die da metzeln und morden, sondern nahezu ausschließlich Leute, die sich auf den Islam beziehen.…


    Ich halte es für einen »Mythos«, das ausschließlich die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine heute NICHT religös motiviert ist.


    Die Liste der andauernden Kriege kann man hier einsehen.

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    Emanuel von Bodmann


  • Ich habe heute Morgen diesen Artikel aus dem Spiegel verlinkt: Muslime integrieren sich, Deutsche schotten sich ab . Mit dem Kommentar: "Dann reden wir doch über die Integration von Moslems und die Einstellung ihnen gegenüber. Aber bitte mit Zahlen. Und nicht mit diffusen Gefühlen und Unterstellungen." Das halte ich für hilfreicher, als wie Tom zu schreiben: "dass die meisten Gewalttaten bestimmter Kategorien einen bestimmten Hintergrund haben." Wer mag, kann über die Bertelsmann-Studie auch auf der Seite der Tagesschau nachlesen: Mehrheit fühlt sich vom Islam bedroht und Muslime in Deutschland mit Staat und Gesellschaft eng verbunden .

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Das ist bestimmt der genau richtige Weg, Alexander: Immer wieder und weiter differenzieren...ohne Wenn und Aber. Da gehe ich mit. Und bin überzeugt, dass das schlussendlich immer zu einerAuseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Einstellungen und Befürchtungen werden wird und das auch muss.


    Schluss mit dem pauschalisierenden und ausweichenden "ABER", meint auch Deniz Yücel heute in der taz:
    http://www.taz.de/Kommentar-Je-suis-Charlie-Hebdo/!152463/


    Ich gehe da mit und werde auf meine Abers in Zukunft noch genauer achten.

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    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Liebe Stefanie,


    Mann, bin ich tolerant! Ich habe mal wieder einen taz-Artikel gelesen.   ;)


    Das schreit nach Ausgleich durch die FAZ. !;-)!! Genug der Ironie. In der FAZ steht in der Tat ein (angenehm kurzer) Artikel mit dem Titel: Der Koran - eine Tötungslizenz ? Darin geht es auch um die bereits von Tom angeführten Suren 9:5 :

    Zitat

    „Sind die heiligen Monate abgelaufen, dann tötet die Beigeseller \[Götzendiener\], wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie, und lauert ihnen auf aus jedem Hinterhalt.“ Wenig später heißt es in Sure 9:29: „Kämpft gegen die, die nicht an Gott glauben und auch nicht an den Jüngsten Tag (...), bis sie erniedrigt den Tribut aus der Hand entrichten.“


    und 5:32

    Zitat

    „Wenn jemand einen Menschen tötet, der keinen anderen getötet, auch sonst kein Unheil auf Erden gestiftet hat, so ist‘s, als töte er die Menschen allesamt.“


    - mit dem Ergebnis: alles Hermeneutik. Liebe Manuela: Da kann man seine Nase so oft in den Koran stecken wie man will - wer will, wird auch in der Bibel genug Tötungslizenzen entdecken.

    Und das liegt nicht daran, dass es um religiöse Texte geht. Das Bürgerliche Gesetzbuch war im Kern identisch und rechtsverbindlich in: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR (bis 1975) und Bundesrepublik. Die hatten alle im Wesentlichen denselben Text, haben ihn aber - leicht - unterschiedlich aufgefasst. Das bedeutet nicht, dass ich Hermeneutik für beliebig halte. Ganz im Gegenteil! Aber es macht einen Unterschied, ob man ein Gesetz vor dem Hintergrund von Grundrechten auslegt oder ... anders.


    Herzliche Grüße,


    Alexander

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Hey, das ehrt dich. Ich les übrigens immer quer durch mehrere taz, WAZ, Zeit, und noch andere. Gibt dann sogar manchmal ein rundes Bild. ;)


    Überraschend ähnlich in ihrer Aussage oder? Aber der Schreibstil in der taz gefällt mir besser! :)

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  • Hallo, Alexander.


    Zitat

    Und das liegt nicht daran, dass es um religiöse Texte geht.


    Das stimmt sogar. Wenigstens teilweise.


    Im Detail ist Dein Vergleich nicht ganz richtig. Die rechtlichen Grundlagen waren zu allen genannten Zeiten vergleichsweise eindeutig, aber sie wurden gebrochen, ignoriert, durch über ihnen stehende Regelungen ersetzt und, klar, in vielen Fällen auch einfach absichtlich fehlinterpretiert (obwohl sie keinen oder wenig Interpretationsspielraum enthielten). Menschen machen Gesetze, andere Menschen treten diese mit Füßen.


    Aber entscheidender ist der paradigmatische Unterschied.


    Wenn sich eine Gesellschaft eine Gesetzgebung gibt, die zu einem Gutteil auch Ausdruck moralischer Ansprüche ist (über die allgemeine Festlegung, dass die Tötung von Menschen nicht hinzunehmen ist, lässt sich tatsächlich streiten - das dazugehörige Gesetz formuliert einen ethischen Konsens), dann tut sie das, um als Gesellschaft überhaupt funktionieren zu können. Wie die (z.B. gewählten) Repräsentanten dieser Gesellschaft das dann wahrnehmen und/oder umsetzen, hängt auch davon ab, wie die zugleich etablierten Kontrollinstanzen funktionieren. Menschen mit viel Macht neigen häufig dazu, diese zu missbrauchen. Das ändert nichts daran, dass Gesellschaften Gesetze benötigen.


    Die offenbarten, monotheistischen, abrahamitischen Weltreligionen - Judentum, Christentum, Islam - basieren auf der Idee, dass es einen allmächtigen und allwissenden Schöpfergott gibt, der sich hin und wieder offenbart (hat), wobei es ihm gefiel, im Rahmen dieser vielen Offenbarungen in sich widersprüchliche und älteren Offenbarungen widersprechende Texte zu diktieren. Diese Texte wurden dann, zuweilen Jahrzehnte nach der Offenbarung (Mohammed) aus dem Gedächtnis aufgeschrieben (bzw. wiederum anderen diktiert), oder über Jahrhunderte hinweg überliefert, kanonisiert, bereinigt und sehr wahrscheinlich auch adaptiert. Das ist letztlich unerheblich, weil sich schon die Frage, ob es die Offenbarungen überhaupt gab, mit einem schlichten Nein beantworten lässt, aber darüber muss man an dieser Stelle nicht streiten.


    Entstanden sind "heilige" Schriften, die viele Geschichten, konkrete wie eher abstrakte Handlungsanweisungen und ein Füllhorn von Regeln enthalten, was alles durch die Bank als gesetzgleiches Werk aufgefasst werden müsste, weil es ja schließlich der allmächtige und allwissende, sich gerne selbst widersprechende Gott war, der da gesprochen hat. So weit, so gut.


    Nun hat sich dieser Gott um alles mögliche bemüht (z.B. im Alten Testament um Dutzende haarkleiner Anweisungen für die Landwirtschaft), nur nicht um Klarheit. Die plakativ zitierten Suren, die für ähnliche Situationen unterschiedliche Handlungsanweisungen anbieten, sind ja nur die Spitze eines mächtigen Eisbergs. Koran wie Bibel enthalten nicht nur alle möglichen Rechtfertigungen für jedes denkbare Verhalten, sondern bieten auch, vorsichtig ausgedrückt, gewaltigen Interpretationsspielraum. Nicht zuletzt deshalb gibt es unter denjenigen, die diese Schriften für tatsächlich heilig und elementare Lebensgrundlagen halten, hunderte von Strömungen, die die Schriften mal so und mal so auslegen. Oder sich nur auf einen Teil hiervon beziehen. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die Leute, die sich diese Text ausgedacht haben, im Traum nicht damit gerechnet haben, dass es Jahrhunderte, Jahrtausende später noch Milliarden Menschen geben wird, die an diese Texte glauben und versuchen, ihr Leben an ihnen auszurichten. Sie sind aber (und auch deshalb) keine klaren Gesetzestexte, sondern einfach irgendwelche Geschichtchen, die sich - im Fall der Bibel - viele Dutzend Autoren aus dem Hirn gewrungen haben, und es ist anzunehmen, dass die meisten von ihnen keine Juristen waren.


    Lange Rede. Vermutlich - sehr, sehr wahrscheinlich - gab es bei der Konzeption (und späteren Adaption und Kanonisierung) der "heiligen Schriften" einen ähnlichen Ansatz wie bei der früheren und auch späteren Konzeption von Gesetzbüchern: Es ging darum, Regeln zu formulieren, die der jeweiligen Gesellschaft das Zusammenleben vereinfachen sollten. Um das dem Volk schmackhaft zu machen, hat man Autoren gesucht, die über jeden Zweifel erhaben waren (Götter) und die Gesetzbücher mit kleinen, lustigen Geschichten gespickt, die die moralische Grundlagen verdeutlichen sollten. Bildhafte Anekdoten, die zeigen sollten, wie gottgefällig das Handeln nach diesen Gesetzen wäre. Diese Ansätze konkurrierten zu ihren Zeiten mit vielen ähnlichen, haben sich aber durchgesetzt. Die Anerkennung der "Gesetzbücher" ging mit der Anerkennung ihrer behaupteten Grundlagen einher, bedingten sie notwendigerweise: Man musste schon erstens an die Offenbarung und zweitens an den sich offenbarenden Gott glauben, um sich ihnen unterordnen zu können. Das würde übrigens hier und da auch gerne mit etwas Gewalt durchgesetzt.


    Aber wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter oder sogar Jahrhunderte davor. Der Glauben daran, dass es Götter gab, die sich über diese Schriften offenbart haben, hat sich verblüffenderweise gehalten, jedenfalls teilweise, wofür es eine Vielzahl schlüssiger Erklärungen gibt, die wir hier aber auch nicht diskutieren müssen. Nahezu unbestreitbare Tatsache ist aber, dass sich die Strukturen geändert haben, die Schriften aber nicht, was ja auch unter anderem zur Folge hat, dass weltweit viele tausend Menschen ausschließlich damit beschäftigt sind, diese Schriften zu studieren und zu interpretieren. Eine Tätigkeit, über die die damaligen Autoren wahrscheinlich laut lachen würden. Damals gab es keine intellektuellen Instanzen, die es sich erlauben konnten, mit diesen Werken kritisch umzugehen. Und es gab immer und zu fast jeder Zeit absolute Herrscher, die sich die Schriften zunutze gemacht haben, also nach Gusto und von Fall zu Fall entscheiden konnten - und wahrscheinlich auch wollten -, welche Regelung aktuell gültig war. Schließlich gab und gibt es für alle erdenklichen Situationen unterschiedliche Regeln, und gerade das machte aus Herrschersicht den Reiz dieser Schriften aus, nehme ich an. Leider kann man Kaiser Konstantin nicht mehr befragen. Und seine Nachfolger und Konkurrenten.


    Und jetzt der Schlenker zurück zum Thema. Der Entscheidung, sich einer dieser Religionen anzuschließen, folgt die komplexere Entscheidung, wie deren Gesetzestexte zu verstehen sind. Eigentlich sind sie das überhaupt nicht, weil sie nicht für das einundzwanzigste Jahrhundert gemacht wurden. Die Entscheidung für eine Nationalität und Nation ist in diesem Zusammenhang um ein Vielfaches einfacher. Der neue Glaubende hat je nach Religion, Konfession, ethnischer Gruppierung, Sekte usw. usf. eine ganze Palette von Interpretationen und stärker oder weniger stark zu verinnerlichenden Schriftenabschnitten zur Verfügung. Unterm Strich bleibt da wenig, woran man faktisch glauben kann, die Schriften selbst anbetreffend. Statt die bessere Lösung zu wählen, nämlich einfach an irgendeinen Gott zu glauben und dieses ganze uralte Geschreibsel gepflegt zu ignorieren, konzentriert man sich auf jene, die genau das tun oder noch ein paar Schritte weiter gehen, nämlich verneinen, dass es Götter gibt, die z.B. diese Schriften vor Jahrhunderten mitten in der Wüste einem Kaufmann diktiert haben, der des Schreibens nicht mächtig war. Ganz egal, wie man mit den heiligen Büchern umzugehen hat - diese Vorgehensweise ist auf jeden Fall die falsche. Da liegt es nahe, aktiv zu werden, statt zu hinterfragen.


    Die Entscheidung, einen Glauben anzunehmen, hat in vielen Fällen etwas mit Unsicherheit und nachvollziehbaren Ängsten zu tun. Nicht in allen, aber in vielen. Damit aus diesem Glauben Gewissheit wird, ist es unbedingt erforderlich, dass man sich gegen andere Glaubensrichtungen abgrenzt und den Absolutheitsanspruch verinnerlicht. Nur so können diese Gebäude weiter funktionieren. Und spätestens an dieser Stelle werden sie, um es vorsichtig auszudrücken, äußerst problematisch.

  • Hallo Tom,

    Damit aus diesem Glauben Gewissheit wird, ist es unbedingt erforderlich, dass man sich gegen andere Glaubensrichtungen abgrenzt und den Absolutheitsanspruch verinnerlicht. Nur so können diese Gebäude weiter funktionieren.


    Das stimmt so auch nur zum Teil. Viele Religionsgemeinschaften bestätigen sich natürlich wirklich gegenseitig in ihrem Glauben. Aber es gibt noch ein weiteres Phänomen, das zur "Glaubenssicherheit" führt, und das ist ein Berufungserlebnis. Wer so etwas erlebt hat, für den dürfte es eine sehr prägende Erfahrung sein, die nachher nicht unbedingt einer Abgrenzung nach außen bedarf.


    Aber es stimmt natürlich, Gläubige bestätigen sich gegenseitig, nur muss das eben nicht zwangsläufig zur Radikalisierung mit allen kriminellen Konsequenzen führen. Ich würde sogar meinen, dass es das nur in den allerseltensten Fällen tut.


    Aber, wie gesagt, ich möchte keine Glaubensdiskussion hervorrufen, die führt erfahrungsgemäß zu gar nichts. Der beste Weg ist meiner Erfahrung nach immer der, dass man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Ich erinnere da mal ganz nebenbei, weil wir ja immerhin in einem Literaturforum sind, an Lessings "Ringparabel" aus dem "Nathan". Für mich ist das einer der wertvollsten und besten Texte zur religiösen Toleranz.


    Liebe Grüße


    Anja

  • Im Detail ist Dein Vergleich nicht ganz richtig. Die rechtlichen Grundlagen waren zu allen genannten Zeiten vergleichsweise eindeutig, aber sie wurden gebrochen, ignoriert, durch über ihnen stehende Regelungen ersetzt und, klar, in vielen Fällen auch einfach absichtlich fehlinterpretiert (obwohl sie keinen oder wenig Interpretationsspielraum enthielten). Menschen machen Gesetze, andere Menschen treten diese mit Füßen.

    Lieber Tom,


    ich erlaube mir, Deine Steilvorlage im Kasten zu versenken. 8-)


    Vorab ein paar Literaturempfehlungen von einem Mann , der eine der wenigen Vorlesungen gehalten hat, an die ich mich heute noch mit Wonne erinnere:


    [buch]3161520580[/buch]



    [buch]3423046309[/buch]


    "Carl Schmitt im Dritten Reich: Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung"
    [buch]3406347010[/buch]


    "Wir denken die Rechtsbegriffe um"
    [buch]3720151999[/buch]


    Mein Vergleich ist richtig, jedenfalls soweit das bei Vergleichen möglich ist. Dein Verständnis von "zu allen Zeiten vergleichsweise eindeutigen Rechtsgrundlagen" ist falsch. Sorry. Es gab mal eine Zeit, vor über zweihundert Jahren, da wollte man unter dem Einfluss der Aufklärung den Richter als Subsumtionsautomaten verstehen: Der Gesetzgeber verabschiedet ein Gesetz, und der Richter braucht bloß reinzugucken und es auf den konkreten Fall anzuwenden. Heraus kam dann etwa das Allgemeine Preußische Landrecht mit über 19.000 Vorschriften, die jeden Fall im Leben exakt regeln sollten.


    So funktioniert Jura nicht. Geht nicht. Das Leben ist zu vielgestaltig. Darum gibt es etwa Generalklauseln wie im Bürgerlichen Recht "Treu und Glauben" oder "gute Sitten". Und exakt solche Generalklauseln waren das Haupteinfallstor, um aus ein und demselben BGB z. B. in der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und der DDR völlig verschiedene Vorgaben zu machen. Andere Beispiele sind etwa, dass die Nazi-Juristen Juden nicht als natürliche Personen i. S. V. § 1 BGB verstanden und dass die Jurisdiktion der DDR Eigentum gem. § 903 BGB als Staatseigentum definierte.


    Laut Bundesverfassungsgericht ist das Ziel der Rechtsanwendung eine widerspuchsfreie Rechtsordnung. Das ist aber nicht ganz einfach. Denn im Recht widersprechen sich andauernd Normen. Ebenso wie in religiösen Schriften. Das bekannteste Beispiel sind Vorschriften, die der Verfassung widersprechen. Dazu gibt es eine Rangordnung der Normen, verfassungskonforme Auslegung, teleologische Reduktionen usw. Führt zu weit.


    Gesetzen geht es also in vieler Hinsicht wie religiösen Schriften. Da haben sie keinen Bonus, so leid mir das auch als Juristen tut.


    Im übrigen ist auch Anjas Verweis auf die Ringparabel treffend. (Mir persönlich leuchtet zwar nicht ein, warum Lessing sie so gestaltet hat, dass es einen ursprünglichen, wahren Ring gibt, der nur nicht zu erkennen ist, weil die anderen beiden perfekte Kopien sind. Aber es ist der Gedanke, der zählt.) Man kann sonst auch das indische Gleichnis mit dem Elefantenführer und den Blinden nehmen, die einen Elefanten ertasten. Oder Goethes "west-östlichen Divan". Man braucht sich nicht an die Gurgel zu gehen, weil man unterschiedlichen Religionen anhängt. Im Gegenteil.


    Lieber Tom, es ist doch so: Du bist Atheist, ich Christ. Du hältst Religion allgemein für falsch und schädlich, ich nicht. Bei so unterschiedlichen Axiomen werden wir in diesem Punkt niemals zusammenfinden, never ever. Das ist ja aber auch kein Problem. Es tut mir leid, wenn ich auf Deinen langen Beitrag sonst nicht weiter eingehe, versichere Dir aber, dass ich ihn aufmerksam gelesen habe. Jedenfalls möchte ich noch auf Steffis Zitat von oben hinweisen:

    Zitat

    "Die Analyse der Religion darf nicht dabei stehenbleiben, dass sie die psychologischen Prozesse im Menschen aufdeckt, die seiner religiösen Erfahrung zugrunde liegen. (...) Was die Menschen denken und fühlen, hat seine Wurzeln in ihrer Charakterstruktur, und dieser Charakter wird geprägt durch die gesamte Struktur ihrer Lebenspraxis – genauer gesagt, durch die sozio-ökonomische und politische Struktur ihrer Gesellschaft. In Gesellschaftsformen, wo eine Minorität die Macht in Händen und die Massen in Unterwerfung hält, wird das Individuum so von Furcht erfüllt sein, so unfähig, sich stark und unabhängig zu fühlen, dass seine religiöse Erfahrung autoritärer Natur sein wird. (...) Wo sich hingegen das Individuum frei und für sein eigenes Schicksal verantwortlich fühlt oder innerhalb einer Minorität für Freiheit und Unabhängigkeit kämpft, entwickelt sich eine religiöse Erfahrung humanistischer Art." ― (1950a: Psychoanalyse und Religion, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe (GA) Band VI, S. 256f.)

    Oder, anders ausgedrückt: Alles eine Frage der Hermeneutik (i. S. meines letzten Beitrags).


    Herzliche Grüße,


    Alexander

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

    2 Mal editiert, zuletzt von Alexander R. ()

  • Man braucht sich nicht an die Gurgel zu gehen, weil man unterschiedlichen Religionen anhängt. Im Gegenteil.


    Vor allem, was macht man, wenn man mehr als einer Religion anhängt? Notgedrungen sich selbst erwürgen?

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  • Da ich den "Nathan" schon ins Gespräch gebracht habe, jetzt doch noch ein bisschen ausführlicher und mit Zitaten. Es geht ja um die Frage, welche der drei Religionen, Judentum, Christentum oder Islam, die richtige sei. Im Bild der Parabel sind es drei Ringe, nur einer ist echt, die beiden anderen sind falsch. Um herauszufinden, welches der echte ist, bemühen die drei Brüder nun einen Richter.


    Aber es gibt, so die Vermutung des Richters, nicht ein Original und zwei "Nachfertigungen". Es gibt nur drei "Nachfertigungen". Man kann die Authentizität des echten Ringes allerdings an dessen Auswirkung auf den Träger erkennen:


    "Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
    Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
    Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
    Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
    Doch das nicht können!


    (...)


    Diese Wirkung aber könne der Richter bei keinem der drei Brüder feststellen. Über Echt und Falsch könne er deshalb nicht entscheiden, er könne nur einen Rat geben:




    Wohlan!
    Es eifre jeder seiner unbestochnen
    Von Vorurteilen freien Liebe nach!
    Es strebe von euch um die Wette,
    Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
    Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut
    Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
    Mit innigster Ergebenheit in Gott
    Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
    Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
    So lad' ich über tausend tausend Jahre
    Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
    Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
    Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der
    Bescheidne Richter.


    So sollte man "seine" Religion verstehen. Das wäre dann das Gegenteil des Fanatismus, den wir momentan erleben und den wir in der Geschichte schon oft erlebt haben.


    Liebe Grüße


    Anja

  • danke dir herzlich für diese Zitate. Gehen ganz tief und ich merke, dass ich für die Lektüre damals noch zu jung oder doof war. Werde es gleich noch mal auf meinen Nachttisch legen.
    Liebe Grüße zu euch!

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    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Ich halte die Ringparabel ja für kompletten Mumpitz. Sie ist das weinerliche Gejammer eines Christen, warum die anderen denn nicht so nächstenlieb sind wie man selbst. Hier werden propietär christliche Strukturen an die anderen beiden abrahamitischen Monotheismen herangetragen, die dort so gar nicht existieren. Eine Ausweitung auf andere nicht-monotheistische Religionen ist noch unsinniger, weil da das Pseudoargument, es gäbe doch sowie nur einen, wegfällt, bzw. man sich spätestens nach dem 2. Kompromiß nicht mehr darauf verständigen kann, was ein Gott überhaupt ist.
    Was die Gefahr von Gewalttaten wie dieser vermindern kann, ist eine Trennung von Staatsgewalt bzw. gesellschaftlichen Basisstrukturen und Religion. Das existiert in Deutschland (noch) nicht, und im Islam existiert das im Prinzip nicht. Die Umma, die gesellschaftliche Basisstruktur, ist fester Bestandteil des Glaubenssystem. Mit Religiösen, die bereit sind, ihre Religion unabhängig von staatlichen Strukturen zu leben, kann jeder zusammenleben. Mit den anderen, die schlußendlich einen totalitären Apparat zur Durchsetzung ihrer Weltanschauung wollen, nicht. Nun ist das Judentum sehr ethnozentriert, aber Christentum und Islam haben globale totalitäre Ansprüche, die in ihrem Glauben bereits formuliert sind, und deren Auswirkungen kann man in der Weltgeschichte sehen. Das reicht von der Machtergreifung im römischen Imperium über die Expansion des Islam im Frühmittelalter über die Kreuzzüge über den 30jährigen Krieg über die Endlösung der Gottesmörderfrage bis zum islamischen Terror heute. Die westliche Welt hat die Aufklärung hinter sich, da ist der totalitäre Anspruch des Christentums arg geschrumpft, auch wenn er bei Pfingstlern u.ä. wieder stark auf dem Vormarsch ist. Im Islam war der nie weg.

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  • Ich halte die Ringparabel ja für kompletten Mumpitz. Sie ist das weinerliche Gejammer eines Christen, warum die anderen denn nicht so nächstenlieb sind wie man selbst. Hier werden propietär christliche Strukturen an die anderen beiden abrahamitischen Monotheismen herangetragen, die dort so gar nicht existieren. (...)


    Nein, Nathan selbst erfindet die Parabel. Allerdings muss man die Situation berücksichtigen, in der er sie darstellt: Nathan befindet sich in der Gewalt des Sultan Saladin, der sich (bevor er ihn umbringen lässt) noch ein grausames Spiel erlaubt, indem er dem gelehrten Kaufmann eine scheinbar unlösbare Aufgabe stellt: Er soll ihm sagen, welche Religion die wahre sei. Würde Nathan sagen, dass dies der Islam sei, wäre er als Lügner entlarvt; würde er seine eigene Religion (das Judentum) favorisieren, hätte der Sultan die Handhabe, ihn als Verächter des wahren Glaubens zu bestrafen. In dieser Situation der höchsten Not und Lebensgefahr genau erfindet Nathan die "humane" Ringparabel, die es dem Sultan erlaubt, sich selbst zu schmeicheln, indem er Gutes tut, indem er den Juden lebend laufen lässt, nachdem er sich allerdings seinen gesamten Besitz unter den Nagel gerissen hat.
    Man sollte Lessing mal genau lesen. Dann wird man vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, dass am Ende in der Versöhnungsszene alle weinend in den Armen liegen, aber dass gemäß den Regieanweisungen gerade der Jude Nathan nicht von den Vertretern der beiden anderen Religionen berührt wird. Meine vielleicht etwas steile Interpretationshypothese dieser Szene: Christen und Muslime können sich miteinander versöhnen - aber eben auf Kosten der Juden. Ich sehe in Lessings "Nathan" vor allem eine Parabel auf den Judenhass.

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)

  • AnMa
    Jürgen B.
    Ich kann euch beiden nicht folgen. Mir drängt sich auf, dass ihr eine Beurteilung vornehmt ausschließlich aus eurer eigenen Position heraus. Lessing ging es m.E. nicht um die Versöhnung der Christen mit den Muslimen. Lessing vertrat die Meinung, dass sich die Vernunft über die göttliche Offenbarung, die er nicht anerkannte, in den Religionen durchsetzen müsse. Deshalb veröffentlichte er nach und nach Fragmente aus einem entsprechenden Papier von Reimarius, das in diese Richtung ging. Das führte zum »Fragmentenstreit« (insbesondere mit dem Pastor Goeze) und schließlich zum Verbot für Lessing, religionskritische Schriften zu veröffentlichen. Nathan ist die Antwort darauf.


    Vermutlich dreht sich Lessing gerade im Grabe herum, wie ihr beide ihn für eure eigenen ideologischen Zwecke instrumentalisiert.

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