Beiträge von Jürgen

    Der Trigger, dies unbedingt schreiben zu wollen, lag - natürlich - in meiner eigenen Biografie, der Erfahrung, mich nach dem Zusammenbruch einer Gesellschaft in einer neuen zurechtfinden zu müssen. Eine einschneidende Erfahrung,

    Die Frage ist doch nicht, ob Lebenserfahrungen transformiert werden; was denn sonst? Es kommt darauf an, dass etwas Existenzielles "transformiert" wird und nicht nur die Scheidung der Eltern oder ein besonders garstiger Schnupfen. Viele Geschichten leiden an einer Erlebnis-, Gedanken- und Ausdrucksarmut - für die die AutorInnen nichts können, da wir im Frieden etc. aufgewachsen sind. Mit Ausnahme vieler DDR-BürgerInnen, denen man ein Leben genommen hat.

    Ich sehe das ganz entspannt so: zumindestens und einzigste sind hyperbolische Übertreibungen ;), die einer Aussage durch mehr Silben- und Lautquantität Gewicht verleihen. Das hat nichts mit Blödheit, sondern ehrer ;) mit rhetorischer Raffinesse zu tun.:)

    Unser Deutsch wird nicht besser, wenn wir statt des (daktylischen!!!) "zumindestens" (das ich seit mindestens 50 Jahren in meiner Umgebung höre, wie lange soll seine Bewährungszeit noch dauern?) das schlichtere "zumindest" nutzen, sondern indem wir in seinen vorgegebenen Formen in ihrer Gesamtheit (was soll immer dieser bornierte Ausschluss von Alternativformen?) immer genauerer denken.

    Letzte Bemerkung: Weil unsere Sprache ein halbintentionales System ist, das im Ganzen noch gar nicht erforscht ist, wird sie sich auch in irgendeiner Form rächen, wenn man sie bewusst mit Halbwissen "verbessern" will. 😎

    Mir rutscht ein "ich fande" raus, nicht weil ich zu faul oder zu blöd bin, ein richtiges Deutsch zu sprechen, sondern weil ich damit unbewusst einer ehemaligen und vielleicht dereinst wieder aktuellen Grammatik folge. Dagegen wäre ein "ich fandst" oder "ich fanden" eine ungrammatische Äußerung, die selbst dem ungebildetsten Slangsprecher höchstens als Versprecher (wie jedem anderen auch) unterlaufen würde.


    Rührt "Das gildet nicht" auch aus früheren Jahrhunderten oder ist wenigstens das dann doch schlicht verkehrt?

    Man kann wohl davon ausgehen, dass alles, was sich in unserem Sprechen verfestigt hat, eigenen Regeln folgt, die uns nicht bewusst sind. Sprechen ist ein halbbewusster Vorgang und steht nicht in unserer vollen Verantwortung, wie auch unsere Nasenform, Hautfarbe etc. Im Grimmschen Wörterbuch lässt sich dieses zwischen Konjunktiv und Indikativ schwebende "gülden" zum Beispiel von Luther finden:

    Zitat

    so merkt auch Jona selbst, es gülde ihm alleine

    Sprache ist ein überindividuelles System, das unabhängig von den Intentionen des individuellen Sprachnutzers funktioniert. Das "fande" ist kein einfacher Regelbruch, sondern gehört zum System der deutschen Sprache und folgt somit einer historischen grammatischen Gesetzmäßigkeit, die heute wieder zu wirken beginnt. Das hat nichts mit bewusster Nostalgie zu tun. Außerdem gehören auch die Wörter zumindestens und ebend zum System der gesprochenen Sprache, das heißt, auch sie unterstehen einer (vielleicht erst noch zu entdeckenden) Grammatik.

    fande ist das mental simplifizierte Präteritum zu finde.

    Zitat

    "Da es taget / fuettert ich mich wieder mit Waitzen / begab mich zum naechsten auff Gelnhausen / und fande daselbst die Thor offen (...)"

    Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicissimus Teutsch, Erstes Buch, 19. Kapitel).

    "Fande" (3. Person Singular des Präteritums im Indikativ) war im 17. Jahrhundert bis in die Goethezeit ähnlich wie finge, sahe, sasse, triebe, empfande, kroche, begriffe, riete, liesse, schriebe, hielte, verbliebe, verwiese etc. (dies sind tatsächlich keine Konjunktivformen aus dem Simplicissimus) neben dem heute noch üblichen "fand" gebräuchlich. Die heutigen Sprecher aktualisieren damit also eine Form aus der Sprachgeschichte des Deutschen.

    8)

    Hallo,

    für mich scheint dies eine soziologische Fragestellung für ein ästhetisches Problem zu sein. Aus der soziologischen Tatsache, dass zum Beispiel Bert Brecht mit einem Semester Medizinstudium wohl kein Akademiker ist, kann doch nicht geschlossen werden, dass er sein Werk als NIcht-Akademiker, ohne Studium von Literatur, Kunst, Gesellschaft, Philosophie etc. etc. hätte schreiben können. Wenn man so will, ist er ein außeruniversitärer Akademiker, der in den Kaffeehäusern und Theatern in der Auseinandersetzung mit "richtigen" Akademikern (Korsch, Benjamin, etc etc) ein informelles Studium absolviert hat (wie es die Mann-Brüder und andere Literaten aus bildungsbürgerlichen Familien auch noch von zu Hause mitbekommen haben). Heutiges Beispiel: Dietmar Dath, der nach eigenen Angaben sein Studium in der Feuilleton-Redaktion der Faz nachgeholt hat. Gerade Nicht-Genre.Literatur, die Neues, neue Empfindungen und Gedanken, die bisher noch nicht verbalisiert wurden, ausdrücken will, muss doch, in welcher Form auch immer, die Geschichte von Literatur, Kunst, Philosophie, Gesellschaft etc. studieren, um neue Ausdrucksformen entwickeln zu können. Dies gilt aber auch für Genre-Autoren, die das Handwerk, also die Geschichte ihres Genres beherrschen sollten. Sollten, denn es zeigt sich ja, dass sich Genre-Romane mit groben handwerklichen Mängeln gut verkaufen. Dies liegt wohl unter anderem daran, dass sich die Leser an diesen Mängeln nicht stören, was zur Folge hat, dass Autoren auch ihr Handwerk nicht mehr studieren müssen.