Verwendung von Adjektiven

  • Weiß jemand, seit wann die Adjektive so in Ungnade gefallen sind? Ich höre gerade das Hörbuch zu 'Ein Mann will nach oben' von Hans Fallada - übrigens super gelesen von Ulrich Nöthen - und der verwendet sehr häufig Adjektive. Das Buch ist allerdings bereits 1953 veröffentlich worden.

    "Die Welt ist groß, und sie hat Raum für jedes erdenkliche Ende und für jede Menge Anfänge"
    aus: Eureka Street, Belfast von Robert McLiam Wilson

  • Habe mal schnell bei Ludwig Reiners geguckt. Der spricht in seiner Stilkunst von der "Schlingpflanze Adjektiv", 1943. ;)


    Das Kapitel beginnt mit dem Voltaire-Zitat "Das Beiwort ist der Feind des Hauptwortes", Voltaire ist 1778 gestorben.


    Das Schlingpflanzen-Kapitel vom Ludwig ist aber dann doch recht differenziert, den überflogenen Text würde ich so zusammenfassen: Benutze ein Adjektiv nur dann, wenn es ein besonderes ist und das Bezugswort nicht aufweicht.

  • Ich weiß nicht, wie man diese Entwicklung zeitlich eingrenzen kann - jedenfalls ist die generelle Adjektivablehnung noch nicht so alt. Der oftmals geradezu zum Sprachguru stilisierte Wolf Schneider hat in einem Artikel für ZEIT online 2012 dazu einen Artikel geschrieben. Was er da zu tautologischen und hohlen Adjektiven sagt, ist alles richtig. Leider aber gerieren sich viele selbsternannte Literaturexperten (auch einer im Literaturcafé, der sich sogar als "Adjektivhasser" vorstellen lässt) in den letzten Jahren zunehmend als Totengräber des Adjektivs - und scheinen sich bei diesem Schwachsinn auch noch wohl zu fühlen.


    Der Verzicht auf überflüssige Adjektive, vor allem diejenigen, die den Text überborden lassen, ist erste Pflicht des Schreibers. Eine Entkleidung der Erzählung aber von jeglichen Adjektiven lähmt die Erzählung, nimmt ihr den sprachlichen Glanz, ist schlicht eine manierierte Marotte. Aber gerade am Umgang mit diesen Eigenschaftswörtern zeigt sich die Kunst eines Erzählers. Oder sein Versagen.

  • @Didi
    Das haste aber mal wieder schön gesagt. Nichts hinzuzufügen. Was ist los mit dir? Trägst du neuerdings ein Peace-Zeichen im Ohr und Blumen im Haar? ")" Sorry, das gehört nicht hierher...

  • @Didi
    Das haste aber mal wieder schön gesagt. Nichts hinzuzufügen. Was ist los mit dir? Trägst du neuerdings ein Peace-Zeichen im Ohr und Blumen im Haar? ")" Sorry, das gehört nicht hierher...


    Schwer vorstellbar, aber wenn es für einen Moment gelingt: Ein schönes Bild :D

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ja, ich überlege mir bei jedem Adjektiv auch immer mehrfach, ob es denn wirklich nötig ist, dennoch scheint diese Regel nicht zwingend eingehalten werden zu müssen, um erfolgreiche Bücher zu schreiben. Rowlings Harry Potter beispielsweise ist mit Adjektiven vollgestopft, bis unters Dach - hat aber scheinbar niemanden gestört. ;)
    Letzten Endes wird es wohl die Story sein, die das Adjektiv trägt, umgekehrt mag das etwas schwieriger sein.


    Lieben Gruß,
    Rebecca

  • je mehr adjektive, desto fauler und phantasieloser ist der autor, finde ich. statt die protas sprechen und agieren zu lassen, eigene unverbrauchte bilder zu erfinden und dadurch die knöpfe zum kopfkino der leser zu drücken, verwendet der faule autor mal schnell irgendein adjektiv aus der kramkiste, das ihm passend erscheint. ergebnis ist in vielen fällen schlechter stil = texte, die stupide (achtung, adjektiv :evil ) am fließband montiert werden.


    andererseits können adjektive (und auch eigentlich überflüssige füllwörter) an die richtigen stellen gesetzt, den rhythmus eines textes optimieren, weil er dann einfach besser klingt. das kann man hören beim vorlesen.

  • Vielleicht sollten drei Ebenen auseinandergehalten werden:
    1. Die normative Stilkunde zum Beispiel eines Wolfgang Schneiders, die sich übrigens vornehmlich an Journalisten richtet und die Ratschläge für ein (angeblich) gutes Deutsch formuliert (dabei aber im Grunde nur Vieles von dem wiederholt, was andere Stilkunden auch verkünden, zum Beispiel die Einleitung "Vom deutschen Stil" in das Stilwörterbuch vom Großen Duden von 1934),
    2. der mündliche und schriftliche Sprachgebrauch in unserem Alltag, und
    3. die Sprache in der zeitgenössischen Literatur im weitesten Sinne.
    Zu 3. ist zu sagen, dass es in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wohl eine Entwicklung der literarischen Sprache hin zur Kürze, d.h. eben auch zu einer Adjektivdiät gegeben hat. Alfred Andersch beschreibt sehr eindringlich, welchen Einfluss vor allem die Lakonie eines Hemingway auf ihn gemacht hat. Hans Werner Richter schreibt über die erste Tagung der Gruppe 47:

    Zitat

    Jedes Wort wird gewogen, ob es noch verwendbar ist, oder vielleicht veraltet, verbraucht in den Jahren der Diktatur, der Zeit der großen Sprachabnutzung. Jeder Satz wird, wie man sagt, abgeklopft. Jeder unnötige Schnörkel wird gerügt. Verworfen werden die großen Worte, die nichts besagen (...) Was bei allen ebenfalls unbemerkt zum Ausdruck kommt, ist (...) die Reduzierung der Sprache. (Zit. n. H. Forster / P. Riegel: Deutsche Literaturgeschichte Bd. 11, München 1995, S. 41)


    Es scheint so zu sein, dass dieser "Kahlschlagsstil" sich in unserem heutigen Literaturgeschmack und unserer Lesegewohnheit durchgesetzt hat. Wir favorisieren eher einen lakonisch-reduzierten Stil, aber - dies im Unterschied zu der Zeit vor 1933 - im Rahmen eines stark subjektiven ("personalen") Erzählens.
    Hans Fallada ist aber ein Autor der Vorkriegszeit, der mit der Kahlschlag-Vorstellung wohl nicht viel anfangen konnte. Aber, das ist nun sehr interessant, ist er mit seinem Stil in den letzten Jahren auch wieder zum Bestseller-Autoren geworden. Dies zeigt wohl, wie vorsichtig man mit Stilkunden umgehen sollte.
    Viele Grüße
    Jürgen

  • Eine "Regel" dazu, möglichst wenige Adjektive zu verwenden, gibt es schlicht nicht. Es gibt unterschiedliche Schreibstile, die eben unterschiedlich klingen. Wenn jemand wenig Adjektive verwendet, tut er es halt, wenn er mehr verwendet, tut er eben das.


    Es ist übrigens auch ein Zeichen von Kunst, wenn der Autor je nach Anforderungen seines Textes - Stimmung, Charakter der Figuren etc. - derartige Stilmittel einsetzt (und nicht nach irgendwelchen nicht existierenden Regeln und Vorschriften).


    (Natürlich ist mindestens ein Adjektiv vor jedem Substantiv oder gar doppelt gemoppelte schlechter Stil, aber darüber muss niemand diskutieren)

  • Noch ein Wort zu W. Schneider, B. Sicks und Co.
    Die "Stilkunden" werden heutzutage von sprachwissenschaftlichen Laien geschrieben, denn Sprachwissenschaftler schreiben so etwas nicht, weil sie deskriptiv ausgerichtet sind, d.h. sie beschreiben und analysieren unsere wirklich gesprochene und geschriebene Sprache, und stellen keine Normen auf, wie idealerweise gesprochen und geschrieben werden sollte (weil eben keiner in die Zukunft blicken und vorhersehen kann, wie sich der Sprachgebrauch ändern wird.) Deshalb sind solche Ratgeber von einem Dilettantismus gekennzeichnet, der sich häufig gegen die Intention der Verfasser richtet und zur Verkümmerung der Sprache führen würde, wenn man sich daran hielte.
    Beispiel: Schneider zieht gegen den "unlogischen" Gebrauch des Adjektivs zu Felde: z.B. der "vierstöckige Hausbesitzer" etc. Leider lässt er hier eine Bildungslücke erkennen, weil dieser Adjektivgebrauch eine lange rhetorische Tradition hat und Hypallage genannt wird. In festen Fügungen fällt uns dies gar nicht mehr auf: "bürgerliches Gesetzbuch". Wenn man sich also diese "unlogischen" Adjektive verböte, wäre unsere Sprache in der Tat ärmer.
    Viele Grüße
    Jürgen

  • Man sollte halt wissen, was ein Adjektiv für einen Text bedeutet und wann man sie am besten einsetzt. Das gilt auch für andere Worte. Ein Adjektiv kann Farbe hineinbringen und zur Stimmung beitragen. Allerdings macht es auch den Text langsamer.


    Verfolgungsszenen in Thriller werden vermutlich weniger Adjektive aufweisen als Landschaftsbeschreibungen in Liebesgeschichten.


    Bei generellen Sprachregeln werde ich immer misstrauisch, wer will die denn aufstellen?

  • Man sollte halt wissen, was ein Adjektiv für einen Text bedeutet und wann man sie am besten einsetzt. Das gilt auch für andere Worte. Ein Adjektiv kann Farbe hineinbringen und zur Stimmung beitragen. Allerdings macht es auch den Text langsamer.


    Verfolgungsszenen in Thriller werden vermutlich weniger Adjektive aufweisen als Landschaftsbeschreibungen in Liebesgeschichten.


    Bei generellen Sprachregeln werde ich immer misstrauisch, wer will die denn aufstellen?


    Dass Adjektive einen Text langsamer machen, ist nur ein Aspekt, vielleicht sogar ein Nebenaspekt, den keine Regel mehr erfasst. Alle Regeln sind "generell"; die Frage lautet dagegen: Welche Regel ist sinnvoll? Und die Erzähl-Regel, Adjektive dosiert zu verwenden, ist so gut, dass man sie sich ohne Gefahr ins Merkheft schreiben kann. Schließlich weiß schon das Sprichwort, dass zur Regel die Ausnahmen gehören.

  • Interessant, wie Ihr dass so alle seht. Ich habe das Hörbuch jetzt zur Hälfte durch. Es stimmt, die Adjektive machen den Text langsamer, aber zur Abwechslung finde ich das angenehm. Oftmals sind mir die aktuellen Texte zu hektisch. Trotzdem ist es ungewohnt, den Text so zu hören.


    Ich denke, es ist eine Gradwanderung, die jeder für sich selbst entscheiden muss. Genau wie der Perspektivwechsel. Da gibt es auch genügend Beispiele, in denen AutorInnen es wild treiben, was ich persönlich gut finde, wenn es zum Text passt. Auch wenn das, in deutschen Schreibratgebern, gerne an den Pranger gestellt wird.

    "Die Welt ist groß, und sie hat Raum für jedes erdenkliche Ende und für jede Menge Anfänge"
    aus: Eureka Street, Belfast von Robert McLiam Wilson

  • Das tägliche Leben ist hektischer geworden, entsprechend haben sich die Lesegewohnheiten geändert. Es gibt auch viel mehr Ablenkung, gegen die ein Text bestehen muss.


    Ich vermute, dass dieser Aspekt dazu führt, dass Texte ebenfalls hektischer und greller werden. Natürlich wäre auch der umgekehrte Weg denkbar: ein geruhsamer Text, um ein Gegengewicht zu setzen.

    Zitat


    Auch wenn das, in deutschen Schreibratgebern, gerne an den Pranger gestellt wird.

    Schreibratgeber sind ja keine Gesetzeswerke! Sie zeigen Methoden auf, die funktionieren. Ich bin ja ein Fan von Schreibhandwerk. Das schliesst aber nicht aus, mal eine Regel zu brechen. Allerdings sollte man wissen warum man das tut, und was man damit erreichen will.

  • Alles Käse und Gesülze, mit Verlaub. Adjektive sind weder schlecht, noch gut, sondern einfach nur: Adjektive. Eine Form, die nicht ganz grundlos zur Sprache gehört, weil ein roter/hölzerner/krummstehender Tisch nicht einfach nur ein Tisch ist. Man könnte anmerken, dass es möglicherweise nicht sehr sinnvoll ist, zu erwähnen, dass der Tisch rot angestrichen, aus Holz gefertigt oder nicht ganz korrekt hergestellt wurde, wenn das ansonsten keine Rolle spielt, aber diese Entscheidung haben nicht irgendwelche Künstlerkontrollinstanzen zu treffen, sondern sie obliegt jedem Künstler höchstselbst. Wenn ich erzählen will, dass sich eine Figur an einen roten, hölzernen, krummstehenden Tisch setzt, dann mache ich das einfach, Punkt, aus. Was zählt, was einzig zählt, ist das Ergebnis. Einige Autoren können mit stark reduziertem Wort- und Stilschatz vortrefflich erzählen, und bei anderen macht die Lektüre ganz enormen Spaß, gerade weil sie herumfabulieren. Niemand ist gezwungen, das eine oder andere zu lesen, aber wer Vorschriften zu formulieren versucht, sollte das erstens sehr, sehr gut begründen können und zweitens die Frage beantworten, mit welcher Berechtigung er das bitte macht. Anders gesagt: Lasst Euch da nicht reinreden. Findet Euren eigenen Stil.


    Versuchen kann man's natürlich trotzdem. Es gehört ja zum Arsenal der Schreib-Klippschulen, die Probanden ihre Beispieltexte um Adverbien und Adjektive bereinigen zu lassen. Da entstehen ganz erstaunliche Ergebnisse, und diese könnten zur Schlussfolgerung führen, dass man auf Adverbien und Adjektive möglichst verzichten sollte. Möglicherweise ist diese Schlussfolgerung aber nur im konkreten Fall gültig, weil der Beispieltext auch ohne Adverbien und Adjektive immer noch scheiße ist, aber nicht mehr ganz so scheiße wie vorher mit.


    Einen interessanten Ansatz haben vor einigen Jahren ein paar Autoren aus Hamburg kreiert, die sich "Hamburger Dogma" nannten. Zu denen gehörte auch Gunter Gerlach, der irgendwann in den frühen Nullerjahren auch mal Preisträger beim Vorläufer unseres Putlitzer Preises war. Was die genau wollten, ist hier sehr schön zusammengefasst:


    http://www.welt.de/print-welt/…einmal-Es-war-einmal.html


    Kann man machen. Aber man muss nicht. Man muss nichts. Nur gut schreiben.

  • Was zählt, was einzig zählt, ist das Ergebnis.


    Ganz genau. Das war, was ich sagen wollte, aber Du hast es mal wieder richtig auf den Punkt gebracht. :like


    Eine Anekdote zum Thema: Bei einem Textarbeitswochenende der 42er vor gefühlten 100 Jahren war eine Aufgabe, einen Text mit möglichst vielen Adjektiven und Adverbien zu schreiben, mindestens ein Adjektiv pro Substantiv... Dabei kam ein Text heraus, der einsame Spitze war und zwar genau so, wie er war. Unglaublich, aber wahr :D