Literaturcafé: Tom über "Selfpublishing"

  • Hallo Tom,


    ein brillanter Beitrag, den hoffentlich sehr viele lesen, die sich vom Self-Pub. den Durchbruch erhoffen. Einerseits.


    Leider werden ihn gerade die nicht beherzigen, für die er am treffendsten wäre. Weil sie nämlich vom andererseits träumen. Und das gibt es ja tatsächlich. Nika Lubitsch oder Amanda Hocking sind ja nur die Spitze eines Eisbergs. Es ist lächerlich damit plötzlich reich werden zu wollen. Aber es gibt etliche Selbstverleger, die monatlich einen vierstelligen Betrag bei KDP und Co. verdienen. Also ein hübsches Zubrot. Und viel mehr hat der durchschnittliche Verlagsautor auch nicht, zumindest die allermeisten.


    Ich finde wir sollten aufhören, die sogenannten Indies als eine irgendwie homogene Gruppe zu betrachten. Da gibt es natürlich die Leute, die ihre in schlechtem Deutsch zusammengeschusterten Banalitäten anbieten und keinen bis gar keinen Erfolg damit haben. In einem der KDP-Foren schrieb neulich jemand, dass man den Fetisch mit der Lektorierung vergessen sollte. Denn bei den meisten solchen Titeln hilft ein Lektorat nichts, die müssten schlichtweg neu geschrieben werden. Und das sind wahrscheinlich 95 % aller E-Books, eher mehr. Auch in einem dieser Foren schrieb jemand, ob man nicht irgendwo einstellen kann, dass Amazon immer eine Benachrichtigungs-Mail schickt, wenn ein Titel verkauft ist. Daraus kann man schließen, wie viele er verkauft.


    Aber es gibt eben auch den Rest. Und es gibt Chancen für E-Books, die zu kurz für ein Buch wären, die als Fachbücher zu teuer in der Herstellung kämen. Es gibt dort meiner Erfahrung nach immer noch Nischen zu besetzen, mit denen man ganz passabel nebenbei verdienen kann. Gerade für Sachbücher ist das Self-Pub. eine große Chance, eben weil vielen Lesern der Autor erstmal egal ist.

  • @ Tom Obiges Zitat fand ich eingangs eines Kommentares auf literaturcafe.de zu Deinem Beitrag. Es trifft auch mein Bauchgefühl bei dieser Angelegenheit. Du hast Dir sehr viel Mühe mit Deinem Artikel gegeben, vertrittst mit ihm aber eine mir ganz konträre Position. So fällt es mir nicht ganz leicht, "mal eben so" hierzu adäquat Stellung zu beziehen. Beginnen möchte ich mit Deinem Fazit:


    "Macht es nicht zum Lottospiel, mit Eurer guten Arbeit erfolgreich zu werden. Sondern überlasst das Verkaufen jenen, die es können. Und vergesst nicht: Es mag (derzeit noch) pro Halbjahr ein, zwei Selbstveröffentlichungs-Erfolgsgeschichten geben (wie das auch in den Anfangszeiten von »BoD« der Fall war), aber zugleich Dutzende Debüts bei richtigen Verlagen – mit deutlich nachhaltigerer Wirkung."


    Meine bescheidene Meinung tendiert da eher in Richtung des von Dir erwähnten Wolfgang Tischer:


    "Den Anfang in der Referentenriege macht Wolfgang Tischer vom literaturcafe.de. Er zeigt, wie sich das Selbstverlegen in den letzten beiden Jahren entwickelt und verändert hat und welche unterschiedlichen Motivationen Selfpublisher antreiben. Selbstverleger sind zu einer Konkurrenz für Verlage geworden und sollten nicht länger belächelt werden. Leider haben dies noch immer nicht alle Verlage bemerkt. Tischer zeigt, was Verlage tun können, um den Konkurrenzkampf aufzunehmen. Das Beharren auf dem Credo »Verlag steht für Qualität« wird da bei weitem nicht ausreichen." (aus literaturcafe.de "In eigener Sache")


    Ich für meinen Teil hoffe, das Ende der ganzen Verlags(selbst)herrlichkeit noch miterleben zu dürfen. Hierzu dürften die veränderten Kommunikationsstrukturen (wie eben SP) sukzessive beitragen. In einer anderen Darstellung gehe ich mit Dir ganz konform und finde sie sehr gelungen:


    "Den meisten Lesern sind die Geschehnisse und Neuentwicklungen auf dem Buchmarkt völlig egal. Sie kaufen ein Buch, konsumieren es, stellen es ins Regal, und zwei Monate später kaufen sie das nächste. Sie wissen nicht, dass es da draußen selbsternannte »Indie-Autoren« gibt oder Zuschussverlage, Book on demand, KDP, geklaute E-Books und weiß der Geier was noch. Für sie sind Bücher alltägliche Unterhaltungsprodukte, denen sie kaum mehr Aufmerksamkeit schenken als irgendeiner Fernsehserie oder einem Theaterbesuch, der beim nächsten längst vergessen ist. Sie nehmen den Buchmarkt nicht so wichtig wie wir. Ganz im Gegenteil: Er hat für sie fast überhaupt keine Bedeutung. Das gilt generell für das menschliche Konsumverhalten. Wir kaufen, konsumieren und kompostieren. Davor und danach gibt es in aller Regel nicht viel."


    Dies entspricht nun der von mir seit über vierzig Jahren geteilten Zivilisationskritik. Allerdings ziehe ich nun hieraus eine ebenfalls konträre Schlußfolgerung: Wenn nun "das Buch" zum derart kurzlebigen "Unterhaltungsprodukt" abgesunken ist, dann handelt es sich für mich um keine Literatur mehr und die Produzenten desselben sind für mich keine Autoren, sondern "Zeilen-Schmiergeld-Empfänger". Ich halte es mit meiner menschlichen Würde nicht vertretbar, als Vorgaukler zu fungieren. In einer weniger arbeitsteiligen Gesellschaft nannte man diese Funktion den "Narren".


    Schon bei den Alten Griechen findet sich eine garantiert noch weitaus ältere Weisheit eingangs der Aphorismen des Hippokrates von Kos:


    ΤΜΗΜΑ ΠΡΩΤΟΝ


    Ὁ βίος βραχὺς, ἡ δὲ τέχνη μακρὴ, ὁ δὲ καιρὸς ὀξὺς, ἡ δὲ πεῖρα σφαλερὴ, ἡ δὲ κρίσις χαλεπή. Δεῖ δὲ οὐ μόνον ἑωυτὸν παρέχειν τὰ δέοντα ποιεῦντα, ἀλλὰ καὶ τὸν νοσέοντα, καὶ τοὺς παρεόντας, καὶ τὰ ἔξωθεν.


    Weit bekannter dürfte sie in der lateinischen Fassung "Vita brevis, ars longa" = "Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang" aus Senecas "Über die Kürze des Lebens" sein. Schon Goethe hatte diese Weiseit nicht unberechtigt an den Anfang des "Lehrbriefes" aus "Wilhelm Meisters Wanderjahren" gesetzt (Siebentes Buch, Neuntes Kapitel). Hieran anknüpfend ist es eindeutig nicht meine Vorstellung von Kunst, was derzeit im Buchhandel im Wesentlichen vor sich geht. Ich hatte in meiner Jugend deswegen auch eine Buchhändlerlehre nicht beendet, weil mir schon damals diese Entwicklung hin zu Altpapier gegen den Strich ging - obwohl ich aus einer alten Buchhändler-, Blbliothekars- und Antiquariatsfamilie stamme. Die buchähnlichen Eintagsfliegen von heute stehen meiner Literaturauffassung erst recht diametral gegenüber. Eine grundsätzliche Entwicklung hin zu "print on demand" würde hier wenigstens die schwerwiegendsten ökologischen Fehler der derzeit noch vorherrschenden Buchhandelsform abdämpfen, wobei ein solches Vertriebsverfahren sich hervorragend für die Eigenregie - sprich Selfpublishing - eignet. Noch besser ist natürlich die Entwicklung hin zu den ebooks -hier entfällt Druck, Transport und Entsorgung ("Kompostieren") des "Lesefutters". Viel mehr als eine virtuelle Existenz - wie beispielsweise bei Rundfunk und Fernsehen oder Games schon längst der Fall - sollte den Produkten einer krebsgeschwürartig wachsenden Unterhaltungsindustrie dauerhaft auch nicht zukommen. Sollte eine solche Entwicklung tatsächlich eintreten, wäre dann eventuell wieder Raum für eine Rückbesinnung auf hochwertige, langlebige, bibliophile und handwerklich gediegene Produkte, welche den Namen Buchkunst auch wieder verdienen.


    Mit freundlichen Grüßen


    Walter Hilton

  • Hallo, Walter Hilton.


    Nein, ich habe nicht die geringste Angst, dass mir irgendjemand die Butter vom Brot nimmt. Wer meine Rico Beutlich-Hintergründe kennt (bzw. die indirekte Mittäterschaft in dieser Sache), weiß, dass ich Brot ohne Butter drauf bevorzuge. ;)


    Ich werde innerhalb der nächsten zehn Tage ausführlich auf sämtliche Kommentare antworten, hierbei durchaus etwas auf die Tendenzbremse treten, denn der Beitrag war natürlich auch als Provokation gedacht, als Antwort auf die "Selfpublishing"-Abfeiere, bei der Gastgeber und Gäste eine Personalunion zu bilden scheinen.


    Relativ einfach gesagt und nur wenig vorwegnehmend: Schlechte und Unkenntnis entlarvende Argumente werden nicht besser dadurch, dass sie häufig wiederholt werden. Ich könnte das jetzt auch auf Altgriechisch oder Serbokroatisch wiederholen, aber so ist es einfacher. 8-)


  • (...) als Antwort auf die "Selfpublishing"-Abfeiere, bei der Gastgeber und Gäste eine Personalunion zu bilden scheinen. (...)


    :rofl


    PS: Altgriechisch kann doch jeder (außer mir) - Serbokroatisch hätte ich bemerkenswert gefunden ...

  • Hi, Tom,
    Der Artikel hat mir gefallen besonders der Aspekt,

    Zitat

    Den meisten Lesern sind die Geschehnisse und Neuentwicklungen auf dem Buchmarkt völlig egal.

    und auch die Sache mit der Wahrscheinlichkeitsquote...Es ist in anderen Bereichen ja auch so:


    Trotz aller Statistik, werden um die Neunzig Prozent der Eltern mehr in Angstschweiß baden, weil sie ihre Schützlinge schneller in den Händen eines Kinderschänders sehen, als unter den Autoreifen eines Falschabbiegers bei Grün. Menschen sind so unlogisch. Ich nehme mich da selbst nicht aus. Das Wissen bewirkt nicht soviel, wie die Hoffnung oder die Befürchtung. Es kann nur "mildern" ")"




    Zitat

    Ließe man all die Darsteller, die ihre Wochenenden mit Laienschauspielerei verbringen, auf ein großes Publikum los, würde etwa der Fernsehkonsum – endlich, es hätte also etwas Gutes – deutlich sinken. Wer mal im Laientheater war, wird das nur bestätigen können.


    Man lässt sie bereits los und das nicht erst seit gestern und: sie finden ihr Publikum. Ich kenne einige, die ohne sich dabei zu winden, "zugeben" Asi-oder Hartz-Vier- TV- Gucker zu sein, einfach nur um abzuhängen. Auch wenn´s billig gemacht ist. Oder gerade eben deshalb. Was in Zukunft daraus wird und ob das mit Büchern ähnlich wird? Schwer zu sagen das...(Yoda-Smili)


    Dorit

  • Lieber Tom,


    komisch, ich hatte gerade einen wohlwollenden Kommentar im Literaturcafé hinterlassen und der ist jetzt futsch :(


    Jedenfalls von meiner Seite aus an dieser Stelle ein großes Lob für den Artikel und Deine Antworten.
    Du hast Dich der Argumentation in allen Punkten gestellt und das gefällt mir.


    Es war spannend zu lesen, was für Kommentare es gab und wie emotional diese waren.


    Für mich ist das ein großartiger Beitrag über das Thema Selfpublishing.


    Gratuliere!


    Lieber Gruß


    DianaH :blume

  • Tom
    Alle Achtung! Die "Antwort auf die Antworten" ist besser als der Ursprungsartikel (und der war schon gut). Eigentlich müsste ich wegen der Länge ein bisschen sauer sein, weil die Lektüre mich doch länger von der Arbeit abgehalten hat, als ich mir eigentlich im Moment erlauben kann. Aber wie sagt ein mir bekannter Berliner Autor immer dazu? Scheiß drauf! Oder wenn er gnädiger gestimmt ist: Geschenkt!


    Das neue Bild vom »Selbstmörder im Wald« lohnt allein schon die Lektüre :D

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Tom: Jaaaaa. Du hast ja recht und wir sind uns vollkommen einig und ich bin mal wieder drauf reingefallen, dass du Widerspruch evozieren wolltest. Das gelingt dir auch nach X Jahren bei mir immer noch. :-)


    SEHR guter Artikel! Schade, dass wir den nicht so auf Qindie veröffentlichen können. (Wenn du mal Zeit hast ... Gastkolumne? Du bist herzlich eingeladen!)


    (Edit: Übrinx danke. *schnüff* Ich bin zu Tränen gerührt. Ohne Scheiß jetzt.)

  • Wenn ich über "Die" Self-Publisher-Szene eins drüberschreiben kann, dann ist es: Weinerlich und selbstverliebt. Und das (unter anderem) wird in dem Artikel sehr schön deutlich (bzw. in den Kommentaren und Toms Antworten darauf.)
    Das Problem ist die mangelnde Professionalität, mit der da gearbeitet wird. Und darin gebe ich Tom vollkommen recht: das lernste als Verlagsautor. Zwangsläufig.

  • Die sehr ausführlich geratene Antwort ist jetzt online:


    Selfpublishing: Suizid im Hirschkostüm und 57 Antworten von Tom Liehr


    Gütiger Himmel, was für ein unglaublicher Aufwand, den du hier auf dich nimmst, Tom! Hoffentlich macht´s dir wenigstens ein bisschen Spaß, dich da dermaßen ´reinzuhängen. Ich glaube nicht, dass dieses Thema in wirklich allen Facetten vorher je so intensiv behandelt wurde. Fast trau ich mich nicht zu fragen, ob das alles nun wirklich so bewegend ist, dass ein Schriftsteller von deinem Kaliber so viel wertvolle Zeit damit zubringt ... Ein bisschen kommt es mir vor, als versuchtest du, Menschen zwar leidenschaftlich, aber immer mit nachvollziehbaren Argumenten von einer Position abzubringen, die aufzugeben sie allerdings nimmermehr bereit wären. Denn das hieße für viele, dass sie sich der Realität stellen müssten, und das wiederum ist, wie alle Erfahrung lehrt, ein schier aussichtsloses Unterfangen bei Sektierern und Selbstbetrügern.


    Nun denn - ich weiß nun alles über dieses Thema, was ich wissen muss (und noch viel mehr, als mich je dazu interessiert hat). Danke! :)

  • Denn das hieße für viele, dass sie sich der Realität stellen müssten, und das wiederum ist, wie alle Erfahrung lehrt, ein schier aussichtsloses Unterfangen bei Sektierern und Selbstbetrügern.

    Dies geschieht, wie sicher alle wissen, in allen Bereichen des Lebens. Man möchte den gewählten Weg den man eingeschlagen hat und den man verteidigt hat, weiter gehen, auch wenn sich herausstellt, dies ist der falsche Weg, möglicherweise eine Sackgasse, ein Labyrinth ohne Ausweg. Zurückrudern, Einsichten zeigen, Irrtümer zu geben, Fehler einzugestehen, so werden wir auch oftmals nicht erzogen. Dies setzt man mit Schwäche gleich, obgleich manchmal dazu Stärke gehört. Hierzu habe ich mal ein interessantes Buch gelesen; Ich habe recht, auch wenn ich mich irre. Kognitive Dissonanz ist die Triebfeder