Beiträge von Jochen

    Das Buch liegt zwar schon seit VÖ auf einem meiner SUBs, aber jetzt, nach gewissenhafter Lektüre Deiner Rezension - und nach Betätigung des Hilfreich-Knopfes beim Bezos'schen Gemischtwarenladen - bewegt es mich doch (und ich hatte - um ehrlich zu sein - schon die letzten Tage damit geliebäugelt), es umgehend in den VIP-Stapel zu befördern, dem - aus langjährig gelebten Prinzip - nie mehr als drei Bücher angehören dürfen. Das Reich Gottes (das von Carrère wohlgemerkt) muss also noch ein paar Tage auf mich warten! :blume

    Die Beschreibung von "Ethno-Pluralismus" im Zitat widerspricht, grob gesagt, der Menschheitsgeschichte.


    So einen Murks kennt man aber auch aus kommunistischer Geschichtsschreibung. Die Stärke dieses "Denkens" ist auch ihre Schwäche - es ist rein ergebnisorientiert: "Wie verbräme ich ein verquastes Weltbild pseudo-wissenschaftlich?"

    genau so ist es.


    Einen kurzen Überblick findet man hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnopluralismus

    Hallo Tom,

    Über ihre Arbeitsweise weiß ich wenig; das ist spekulativ (...) Ungeplant kann ein Roman wie "Unterleuten" jedenfalls kaum entstanden sein.

    eigenen Aussagen zufolge sind Juli Zehs frühe Romane (u. a. Adler und Engel) tendenziell tatsächlich eher das, was man als "aus dem Bauch" geschrieben bezeichnen würde (vgl. auch ihre Vorlesungen "Aufgedrängte Bereicherung" und "Treideln"). Deshalb habe ich mich zuerst ein wenig an der Formulierung "Juli Zeh ist keine Schriftstellerin, sie ist eine Romanarchitektin" gestört; sie scheint aber in den letzten Jahren grundsätzlich etwas daran geändert zu haben, wie sie an Romane herangeht. Was "Unterleuten" angeht stimme ich Dir nämlich voll und ganz zu: das ist am Reißbrett konzipiert, muss am Reißbrett konzipiert worden sein - sofern man als Leser vom Endprodukt irgendwie auf die Produktionsweise schließen kann.


    Jochen

    (...) planen die so bezeichneten Kopfschreiber minutiös und einem präzisen Kalkül folgend jedes Kapitel, jede Szene, manchmal sogar jeden Absatz, bevor sie mit der eigentlichen Schreibarbeit beginnen. Es dürfte zulässig sein, Juli Zeh als die Kaiserin, vielleicht sogar die Göttin dieser Fraktion zu bezeichnen. Sehr wenige Autoren - nicht nur im deutschsprachigen Raum - dürften die Kopfschreiberei auf diese Weise auf die Spitze treiben: Juli Zeh ist keine Schriftstellerin, sie ist eine Romanarchitektin.

    Sollte das tatsächlich so sein, dann hat sie ihre Arbeitsweise in den letzten 10 Jahren radikal umgekrempelt. Siehe "Von der Heimlichkeit des Schreibens" in:


    [buch]3518123955[/buch]

    "Oft sind es gerade die sogenannten Schmutzränder, die einen Text auszeichnen. Etwas, über das der Leser vielleicht stolpert, das seine Wahrnehmung, seinen Blick auf die Welt ändern kann."



    Sie bringt das sehr gut auf den Punkt. Von "sogenannten Schmutzrändern" habe ich noch nie gehört, aber lange nach diesem Terminus gesucht.

    Noch sind einige Seiten zu haben, sprich: zu lesen, im "größten Hörspiel aller Zeiten". Und wer nicht lesen will, darf hören.


    Bald sind alle 1404 Seiten des Romans "Unendlicher Spaß" eingelesen. Etwa 70 Seiten stehen noch zur Verfügung. Andreas Ammer ("druckfrisch") und Andreas Gerth sind unermüdlich damit beschäftigt, die bisher eingelesenen Seiten mit den zahlreichen Fußnoten (gesprochen von Übersetzer Ulrich Blumenbach) und der Musik der "Goldenen Maschine" zu verbinden.


    Mehr als 26 Stunden sind bereits fertig und downloadbar. Soeben ist eine der berühmtesten Szenen des Romans fertig gestellt worden: Szene 74, in der das Eschaton-Spiel ausgefochten wird. In schätzungsweise vier Monaten wird das gesamte Hörspiel fertiggestellt sein.


    http://unendlichesspiel.de/


    [buch]349924957X[/buch]


    Edit/Ergänzung: Hier noch eine Besprechung von Tom zum Roman.

    Jochen, kannst Du ein paar Stichworte geben, wie Walser das macht mit dem Notieren und wie Du das folglich jetzt machst? Das Video dauert fast eine halbe Stunde, das ist mir momentan zu lang zum Anschauen.

    So etwa ab Minute 7 bringt er ja für ein paar Minuten ein schönes Beispiel. Für mich ist das eine Art "Snapshot" einer Stimmung, einer Situation, eines Moments, den ich nur zeitnah niederschreiben kann, wenn die Atmosphäre, die Stimmung noch auf das Geschriebene einwirkt und sich so entfaltet. Ich schreibe das "auf Halde" und baue das dann bei Bedarf - im Original oder abgewandelt - in Geschichten ein. Nicht alle Schnappschüsse werden allerdings verwendet, nur die, die auch nach Wochen, Monaten und Jahren noch Bestand haben. Es ist allerdings kein Tagebuch, sondern eher ein Sudel- oder Skizzenbuch, in dem man auch nach Jahren noch gerne blättert und sich manchmal über sich selbst wundert und über sich selbst lacht.


    Davon abgesehen muss das auch für mich analog laufen. Auf dem Handy geht das gar nicht.


    Und das analoge Indizieren ist in der Tat bemerkenswert, da kommt der literarische Arbeiter in ihm durch. Irgendwann muss ich mir das mal vor Ort anschauen ("verschtehsch du?"). Vielleicht fahre ich mal wieder an den Bodensee, oder nach Marbach.


    Jochen

    Und ich habe mir letzte Woche noch gedacht: Wenn Tom Liehr Unterleuten geschrieben hätte, hätte ich bestimmt nicht nach 300 Seiten aufgegeben, sondern das Ding mit Genuss zu Ende gelesen


    Glückwunsch!