Wörter, gut gemeint, schlecht gedacht

  • Das könnte ja auch ein eigenes Unterforum werden ...


    Also, worum geht es mir? Um Wörter, die gut zu klingen scheinen, unterschwellig aber noch ganz anderes mittransportieren. Da gibt es sicher eine ganze Menge. Ich mache mal den Anfang.


    Missbrauch
    als Umschreibung von "sexualisierter Gewalt", was zugegebenermaßen ja auch ein ziemliches Mundvoll ist.
    Klar, nicht alles in dieser Hinsicht ist eine Vergewaltigung - was macht eine solche überhaupt aus?Gehört erzwungene Penetration zwingend dazu? -. Da ist doch Missbrauch nicht nur neutraler, sondern auch schnell diagnostiziert und schnell gesagt. Es ist noch nicht einmal kompliziert zu schreiben, schon gar nicht nach den neuen Regeln.


    Und warum ist "Missbrauch" als Formulierung in dem oben beschriebenen Zusammenhang für mich nun so problematisch?


    Ganz einfach: Wo es einen Missbrauch gibt, gibt es auch einen "richtigen" Gebrauch - im Sinne von Benutzung. Korrekte Benutzung von Menschen? Mich schaudert es. Klar, da bin ich viiieeel zu empfindlich. Ist doch alles lieb und nett und gewaltfrei gemeint. Gut gemeint ist aber noch lange nicht gut getan. Und oft ist es noch nicht einmal gut gedacht.


    Was käme für Euch auf eine Liste "Wörter, gut gemeint, schlecht gedacht"?

  • Hallo, Blaustrumpf.


    "Missbrauch" steht (eigentlich fälschlicherweise - s.u.), obwohl ich Dir ansonsten zuzustimmen geneigt bin, nicht nur für "sexualisierte Gewalt", sondern auch für andere Formen von - auch psychischer - Gewalt, die z.B. gegenüber Schutzbefohlenen und Schutzlosen ausgeübt wird. Und es steht nicht alleine dafür. Der Begriff hat einen Kontext - und hier liegt das Problem. Missbraucht wird eigentlich nicht die Person, gegen die sich der Missbrauch richtet, sondern die Position, in der sich der missbrauchende befindet. Diese Position (z.B. die des Vaters) kann auch "gebraucht" werden, also im gedachten Sinne genutzt. Hier hat sich eine Sinnverschiebung eingestellt, wobei viele Benutzer der Termini die Ursprünge nicht zu kennen scheinen (vorausgesetzt, ich liege nicht völlig falsch, was ich allerdings nicht annehme). Der Begriff ist eigentlich ein beschönigender, denn missbrauchen kann man alles mögliche, angeblich sogar Alkohol.

  • Genau, Tom, das Wissen oder wenigstens ein Gefühl, dass der Missbrauch nicht die Person trifft, ist im aktuellen Sprachgebrauch weitestgehend abhanden gekommen. Und, natürlich, dass der/die Missbrauchende eine gewisse Objektivierung (also auch Verdinglichung) des Gegenübers billigt (oder sogar als notwendige Voraussetzung für den eigentlichen Missbrauch in Worten und Werken benötigen).


    Und ja, "Missbrauch" ist eine Beschönigung. Sollte das Bewusstsein für die Sinnverschiebung sich tatsächlich doch noch irgendwann mal wieder gesellschaftlich regen: Was meinst Du, welches Wort als noch beschönigenderer Ersatz gefunden werden wird? Ich glaube, "Gewalt" kommt nicht aufs Siegertreppchen. Das ist zu roh. Eindeutig. Und - noch - zu eindeutig ist es auch.

  • es gibt das wort missbrauch in allen erdenklichen zusammenhängen. missbrauch sagt aus, dass es sich um falsches nutzen, bzw. falschen einsatz von irgendetwas handelt. und der sexuelle missbrauch (missbrauch von sexualität) sagt nichts anderes als verfremdeteter, falscher "einsatz" der sexualität. ich finde das relativ neutral formuliert. und es impliziert nicht einen unmissbrauch von sexueller gewalt. da finde ich viel zu viel reindramatisiert. sexueller missbrauch ist schlimm. aber das falsche auslegen von sexuellem nicht-missbrauch finde ich der "sache" nicht angemessen.


    bürger mit migrantem hintergrund" ist für mich auch so ein scheiß wort. man will nicht negativ wirken, tut es aber mit dieser formulierung sehr wohl.

  • Zitat

    Original von Niko
    (...) der sexuelle missbrauch (missbrauch von sexualität) sagt nichts anderes als verfremdeteter, falscher "einsatz" der sexualität (...)



    Es sagt - meiner Meinung nach - sehr wohl anderes. Du hörst/verstehst nur vielleicht nichts anderes als genau das. Aber das heißt ja nicht, dass andere auch genau nur das hören/verstehen. Und bevor Missverständnisse entstehen: Ich erwarte nicht, dass alle die gleichen Misstöne hören, die ich wahrnehme.


    :)

  • liebe blaustrumpf, du sprichst mir da aus der Seele...erst kürzlich habe ich mich darüber ebenfalls aufgeregt...
    Egal ob aus der Richtung Täter oder Opfer gemeint: Dinge gebraucht man...nichts sonst...finde es müsste dafür einen viel differenzierteren Ausdruck geben, der den Unterschied deutlich macht. Ich finde z.B. Missachtung da viel treffender...komischer weise nutzt man diesen Begriff mehr für die STVO als für das Grundgesetz....was mich wiederum aufregt...vor Gesetzen soll man Achtung haben...Menschenwürde aber richtig gebrauchen...*arghlgrmpf*


    Kann deiner Liste noch etwas beisteuern: Arbeitnehmer und Arbeitgeber-
    Die Machtverhältnisse liegen in diesen beiden Begriffen klar auf der Hand, oder?
    Als Arbeitnehmer habe ich den Status eines mit Arbeit beschenkten, eines die Arbeit, den Arbeitsplatz empfangenden...und das, obwohl ich meine Arbeit gebe, meinen Einsatz? Und der Arbeitgeber benötigt keine Arbeitskräfte, die ihm helfen seine Firma voran zu bringen...nein er verteilt, die Arbeit an die vielen, die darauf hoffen...
    Fatale Umkehrung finde ich das...Auch in der Sprache scheint das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu gelten. Obwohl...
    In Großbritannien ist ein "Employee" von der Bedeutung des Wortes her engagiert, beschäftigt, anwendend oder angewendet...nicht arbeitsnehmend...
    Und da gab es schon höhere Arbeitslosenquoten als in Deutschland...

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Sammelbegriffe sind immer kritisch, vor allem dann, wenn sie zugleich politisch korrekt sein sollen. Dieser Anspruch scheint nahezu täglich zu wachsen; die Amis wissen inzwischen weder ein noch aus, wenn es darum geht, wie sie schwarze Amis nennen sollen. Dass das Problem darin besteht, überhaupt zu versuchen (wofür?), Menschen anhand ihrer Hautfarbe zu unterscheiden, scheint nach wie vor nicht in die Köpfe zu wollen. Allerdings offenbar auch nicht in die Köpfe der Schwarzen. Yo, Bruder. 8-)


    In Vergessenheit ist dabei geraten, dass "Deutsche/Bürger/Menschen mit Migrationshintergrund" ein erst in den Neunzigern geschaffener Terminus für "eingebürgerte Deutsche" ist. Ein-Bürgerung steht für "aus einem Menschen, der vorher kein (deutscher) Bürger war, einen machen". Der Begriff "Migration" stammt aus der Soziologie und steht relativ simpel für "langfristigen Wohnortwechsel" (aus der Sicht des neuen Wohnortes). Immigration ist die Migration her, Emigration die Migration hin. Es ist einfach der Präfix weggefallen. Die phonetische Ähnlichkeit lässt Menschen das immer wieder mit "Integration" verwechseln - großer Fehler. Außerdem sind Emi- und Immigration politisch besetzt und werden so gut wie immer mit Flucht, Vertreibung und Exil verbunden. Was eine falsche Nutzung des Begriffes darstellt, wenn man ihn ausschließlich so versteht. Auswanderer sind Immigranten. Einwanderer Emigranten.


    Ich stoße mich ja gerne an manch einem Neologismus, der weniger über sein Objekt, als vielmehr etwas über die Hilflosigkeit der wortschöpfenden oder -nutzenden Gruppe aussagt. "Bürger mit Migrationshintergrund" ist allerdings kein solcher Terminus - er wird nur falsch benutzt, weil viele Leute zu glauben scheinen, dass damit schlicht alle Ausländer gemeint sind, die hier - auch vorübergehend - leben. Und, vor allem, die "problematischen" (Verwechslung mit "Integration").


    Fehlgeschlagene Versuche, Dinge, Tätigkeiten und Gruppen umzutaufen, um sie aufzuwerten oder sich nicht der Gefahr auszusetzen, sie versehentlich verbal abzuwerten, gibt es viele. Etwa der Begriff "Flugbegleiter" für die Kellner und Kellnerinnen* im Flugzeug (analog: Zugbegleiter für die Schaffner). Eine reichhaltige Sammlung gibt es hier:


    http://www.wortwarte.de/


    * Das Innen-Problem ist ein ganz anderes, aber auch ein wichtiges. Und lustiges.

  • mir fallen noch ein:
    mutmaßliche islamisten
    und in den harz IV statuten ist man ein bedürftiger einer bedarfsgemeinschaft. wenn man "nur" arbeitslos ist, liest sich das alles etwas respektvoller.

  • Hallo, fictionmaster,


    Wörter mit vielfacher Bedeutung gibt es ja jede Menge. Die Wörter, die ich mit meinem Eingangsbeitrag meinte, sind allerdings nicht solche, bei denen die verschiedenen Bedeutungen klar und alltäglich im Sprachgebrauch sind, sondern solche, die etwas die sagen scheinen, etwas ganz anderes jedoch unterschwellig mitschwingt.


    ;)

  • Ich möchte noch einmal zum Ausgangswort zurückkommen.


    Interessant fand ich die verschiedenen, im Wortklang mitschwingenden und von Niko, Tom und Blaustrumpf getrennt beleuchteten "Definitionen", die - zumindest 2 davon - eigentlich nicht angewandt werden können.


    1. Der Missbrauchende missbraucht seine Machtposition.


    2. Die Sexualität wird in einer inakzeptablen Weise missbraucht.


    3. Das Opfer wird vom Subjekt zum Objekt und wird nicht "naturgemäß gebraucht", sondern eben missbraucht.


    Und das Schlimme dabei ist, dass ich glaube, diejenigen, die dieses Wort für diesen Tatbestand "eingeführt" haben, hatten die Definition Nr. 3 im Sinn.


    Oder hat da jemand eine andere Meinung dazu?


    Habibi

  • Zitat

    Original von habibi
    (...) 3. Das Opfer wird vom Subjekt zum Objekt und wird nicht "naturgemäß gebraucht", sondern eben missbraucht(...)


    Tja. Tenor meines Eingangspostings war (oder sollte wenigstens sein), dass auch der "naturgemäße" Gebrauch eben eine Verdinglichung darstellt, wenn er Gebrauch ist und nicht ein Brauchen im Sinne von Benötigen. Nur mal so angemerkt.

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Tja. Tenor meines Eingangspostings war (oder sollte wenigstens sein), dass auch der "naturgemäße" Gebrauch eben eine Verdinglichung darstellt, wenn er Gebrauch ist und nicht ein Brauchen im Sinne von Benötigen. Nur mal so angemerkt.


    Hatte ich schon verstanden und daraus ja auch meinen Punkt 3 abgeleitet.


    Habibi

  • "missbrauch" wird auch anderweitig falsch gebraucht, nämlich z.b. als "alkoholmissbrauch", um übermäßigen konsum zu bezeichnen. dabei ist gemäß den international gebräuchlichen diagnosesystemen für krankheiten ICD und DSM gemeint, dass jemand sich oder andere durch alkoholkonsum in gefahr bringt, sei es ärger mit der polizei bekommt oder betrunken autofährt. nur so am rande, weil mir das in den nachrichten oft aufstößt.

  • Wie ich just las (wenn auch bei der guten alten Tante Wikipedia), ist die Mehrschichtigkeit des Begriffs "Missbrauch" bereits seit langem zumindest lexikalisch aktenkundig:

    Zitat

    Das Substantiv Missbrauch ist (in der Schreibweise Mißbrauch) im Deutschen seit dem 16. Jahrhundert belegt. Das zugrundeliegende Verb mit der Bedeutung „falsch oder böse gebrauchen“ findet sich bereits im Althochdeutschen.[1]
    Die Oeconomische Encyclopädie (1773-1858) lemmatisiert Mißbrauch und differenziert zwischen (1.) einem nur unpassenden und (2.) einem „tadelhaften oder schädlichen Gebrauch“:
    „1. der Gebrauch, d. i. die Anwendung einer Sache auf eine ihrem Zwecke und ihrer Bestimmung zuwider laufende Art, im Gegensatze des rechtmäßigen Gebrauches; [...]. Z. B. einen Mißbrauch von seinem Vermögen, von seinem Ansehn machen. 2. Ein tadelhafter oder schädlicher Gebrauch, oder durch mehrmahlige Wiederhohlung zu einer Gewohnheit gewordene willkührliche Handlung. [...]


    Tja. Hilft mir aber auch nicht weiter bei dem Problem, dass auch der "ordnungsgemäße" Gebrauch immer noch ein Gebrauch bleibt.

  • Vielleicht passen sie nicht 100%ig in diesen Fred, aber die folgenden Euphemismen für hirntotes Humanoidmaterial gehen mir persönlich extrem gegen den Strich:


    Schaulustige (die keineswegs lustig sind, sondern lediglich strunzdämlich und mit ihrer Sensationsgeilheit Menschenleben gefährden)


    Demonstranten, die Autos abfackeln (weil es sich bei dieser Spezies definitiv nicht um Menschen handelt, die demonstrieren - also auf etwas hinweisen -, sondern um Mörder und bestenfalls Totschläger). Begründung für Letzteres: Wenn jemand einen Pflasterstein auf einen Menschen wirft, beabsichtigt er, diesen zu töten. Wer dies für übertrieben hält, möge sich mal ein Exemplar einfach nur auf den Fuß fallen lassen und sich anschließend die Wirkung vorstellen, die erzielt wird, wenn das Geschoß zudem noch mit Wurfkraft versehen wird und auf einen Kopf trifft.


    Hooligans im Zusammenhang mit Fußball. Hooligans sind intelligenzbefreite Lebewesen, die gerne Gewalt anwenden, jedoch zu feige sind, dies bei ihresgleichen mit ähnlicher Intention zu praktizieren. Daß diese Vollwemser sich gelegentlich in die Nähe von Fußballstadien verirren, liegt an ihrer hohlraumbedingten Orientierungslosigkeit und rechtfertigt keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang zu der genannten Ballsportart.

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    kaelo.de

    2 % aller Menschen besitzen einen IQ >130, die restlichen 98 % nicht. Das erklärt meine Skepsis gegenüber Mehrheitsmeinungen. (Kaelo)