Engagierte Literatur - zeitgemäß oder verstaubt?

  • Hallo liebe 42er!
    Gibt es unter Euch Interessenten für ein spannendes Seminar über das Schreiben politisch engagierter Literatur? In Schloss Aspenstein im wunderschönen Kochel am See im Voralpenland, vom 2.11. - 4.11.2018
    Hier der Info Link:
    https://www.baysem.de/bildungs…aubt%3F/seminar/1149.html
    Ich werde daran teilnehmen und freue mich auf zwei profilierte Autoren, Norbert Niemann und Leo Seidl, als Seminarleiter und ebensolche als Teilnehmer.
    Vielleicht mag ja jemand von Euch dazukommen?


    In einer Zeit politisch höchst brisanter Vorgänge im Land und ringsherum wird es ja durchaus wieder interessant, diese Entwicklung auch in unserem literarischen Schaffen zu reflektieren. Mein neuestes Projekt ist jedenfalls ein Roman über politische Themen.
    Herzlich, Eure Elisa

  • Hallo Elisa,


    das Anliegen dieses Seminars hört sich ... seltsam ... an.
    Wenn man ein politisches Anliegen hat und dazu eine Geschichte schreiben möchte, dann schreibt man sie. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, was man dazu lernen muss :)


    Für politische Romane gelten doch dieselben Grundsätze wie für alle anderen Romane auch. Und Genreregeln muss man dabei ja nicht unbedingt beachten :)
    Tut mir leid, wenn mich das etwas amüsiert, aber ich stelle mir gerade vor, Grass und Böll hätten sich mal zusammengesetzt und darüber nachgedacht, wie sie die Politik in ihre Romane bringen könnten :)


    Trotzdem, und das wirklich ohne jede Ironie, wünsche ich Dir viel Spaß und ebenso viele Anregungen bei dem Seminar.

  • Ich schließe mich meiner charmanten Vorrednerin an und zitiere einen gewissen Herrn Panter: "Wenn Upton Sinclair nun auch noch ein guter Schriftsteller wäre, dann wäre unsrer Sache sehr gedient. Wenn die pazifistischen Theaterstücke nun auch noch prägnant geschrieben wären, dass sich die Sätze einhämmern, dann hätte unsre Sache den Vorteil davon." Mir fehlt ein Wort

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich finde das keineswegs uninteressant oder abwegig. Wenn man unterhaltende Literatur mit Botschaft schreiben will, wenn man als Autor und nicht (nur) als Figur eines Romans Stellung beziehen will, dann gibt es einige Fallstricke zu beachten, dann gibt es einiges an Strategien und Techniken, um das hinzukriegen. "Wenn man ... will, dann schreibt man eben ..." ist ein Totschlagargument gegen jedwede Form von Austausch, Fortbildung, Entwicklung und gegenseitiger Unterstützung. Viele versuchen ja, etwas Bestimmtes zu erreichen, zu vermitteln, mitzuteilen, und scheitern, weil sie es einfach tun, aber nicht bedacht haben, dass einfaches Tun nicht immer der Weg der Wahl ist, um etwas zu erreichen. Ich kann mich an zwei hier nicht ganz unbekannte Autoren erinnern, die sich sehr wissenschaftlich mit dem Phänomen "Chicklit" auseinandergesetzt haben, bevor sie selbst versucht haben, das Genre zu bedienen. ;)

  • Hallo Tom,


    die Chicklit ist inzwischen ein Genre geworden, dessen Regeln man beherrschen muss, wenn man sie anbieten möchte.
    Bei der politischen Literatur würde ich das nicht so sehen. Einzige Ausnahme: Man sollte vielleicht von allzu langen politischen Pamphleten innerhalb des Romans absehen, das langweilt die meisten Leser.


    Ich habe wirklich nichts gegen den Austausch untereinander :) Ich habe ja selber schon TAWs besucht. Aber das hier scheint mir einfach ein bisschen weit hergeholt. Vielleicht sollte man aber vorher mal definieren, was man unter "politischer" Literatur genau versteht. Ich dachte jetzt zuerst mal an Romane wie die "Blechtrommel".


    Liebe Grüße
    Anja

  • Ich finde die Idee auch nicht abwegig. Viele haben das Bedürfnis, sich politisch zu äußern oder Politisches in Kurzgeschichten oder Romane einfließen zu lassen. Damit daraus kein langweiliges oder übermoralisches Pamphlet wird, braucht's Fingerspitzengefühl. Außerdem ist die Gefahr, sich mit Politischem in ein Fettnäpfchen zu setzen, ziemlich groß. Das Gefühl für das richtige Maß hat bestimmt nicht jeder oder jede von Haus aus. Es schadet nicht, sich vorher zu informieren, wie's funktionieren könnte.


    Ich bin jedenfalls gespannt auf deinen Erfahrungsbericht, Elisa.

  • Ich mach's mal wie die Soziologen und definiere zuerst die Begriffe ;) : "Politische Literatur" oder "politisch engagierte Literatur" ist nach meinem Verständnis solche, bei der die politische Aussage die Raison d’Être des Werks ist. Nimmt man nach diesem Verständnis also die politische Aussage weg, bleibt nichts Entscheidendes übrig.


    Und damit bin ich bei Upton Sinclair aus meinem Tucholsky / Panter - Zitat. Sinclairs Hauptwerk ist der "Dschungel", in dem eine litauische Familie Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA emigriert und in den Chicagoer Schlachthöfen arbeitet. Unter schlimmen Bedingungen. Jeder Depp kapiert die rote Lampe: Ausbeutung! Proletariat! Und so. Das schildert Sinclair in der Geschichte der Familie.
    Aber ihm reicht das nicht. Der Held findet am Schluss die Erlösung in der sozialistischen Partei. Das ist keine Geschichte mehr, das ist ein Pamphlet.


    Fallada macht Ähnliches in "Kleiner Mann, was nun", aber ohne dem Leser das Denken abzunehmen und ihm eine Aussage aufzuzwingen.


    In Anjas und meinem Krimi sagt ein Ermittler irgendwann etwas von "Rechtem Quatsch". Das ist auch ein politische Aussage, aber das prägt nicht den Krimi als Ganzen. Friedrich Schiller etwa etwa ist ohne zahlreiche politische Aussagen nicht Schiller, aber sein Werk ist eben auch viel mehr als Politik. Wenn Politik die Literatur gemäß meiner Definition oben bestimmt, dann dominiert nicht mehr die Geschichte. Dann kann man auch Sachbücher schreiben. Meine ich.


    Um Himmels willen, weder Anja noch ich möchten Dir, Elisa, ein gutes Seminar abspenstig machen. Viel Spaß! Ist bestimmt spannend. :)

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich würde den politischen Roman weniger als Roman-Genre definieren denn als Erscheinungsform der politischen Literatur generell. Und die beginnt ja schon in der frühgriechischen Lyrik (Tyrtaios ua). Die Staatsutopien der Renaissance, die oft monströsen barocken Staatsromane und viele, oft satirische Romane nach 1848 gehören auch dazu. Im 20. Jh. dann auch als neue Spielart die Agitprop-Literatur.
    Einige Romane von Hermann Kant z. B. sind, abseits jeder parteipolitischen Brille, erst mal aus ihrer Zeit heraus verstehbare politische Äußerungen, die eigenen poetologischen Gesetzen gehorchen. "Die Aula" ist besser als ihr im Westen schlechtgemachter Ruf und eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit den Gründerjahren der DDR.
    Ich würde auch Timur Vermes' Hitler-Redivivus-Roman als Spielart des politischen Romans ansehen: eher satirisch entlarvend als konstruktiv diskutierend. Why not?
    Und Norbert Niemann hat mit "Schule der Gewalt" einen auch politischen Roman im Gewand des (selten gewordenen?) Schulromans geschrieben, nicht parteipolitisch, sondern eher allgemeinpolitisch, an der Grenze zum Zeitroman.
    Ich stelle mir dieses Seminar sehr interessant vor. Viel Spaß dabei! Bin auf deine Erfahrungen gespannt. :dafuer

    Non quia difficilia sunt, multa non audemus, sed quia non audemus, multa difficilia sunt. Seneca
    [Nicht weil es schwierig ist, wagen wir vieles nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist vieles schwierig.]