Zwei Dinge sprechen für Wolfenbüttel: Erstens ist es relativ günstig, 195.- Euro für zwei Übernachtungen, Essen, eine öffentliche Lesung und das Seminar, der Kulturförderung sei Dank. Zweitens ist das Niveau hoch, sowohl auf der Referentenseite, als auch unter den Teilnehmern. Es war kein wirklich schlechter Text dabei, die Diskussion war fachkundig, sachlich, unaufgeregt. Sehr angenehm. Ich bin interessanten, klugen Menschen begegnet.
In meinem Seminar ging es um die Überarbeitung von eigenen Texten, und zwar im Detail, also nicht um Plot, Struktur oder Figuren. Welche Kriterien sind für die Durchsicht sinnvoll? Das gilt es zu wissen und in jedem einzelnen Satz anzuwenden. Die Sprachlupe wurde ausgepackt, am einzelnen Wort überprüft, ob es notwendig, genau richtig ist und dem kritischen, geschulten Auge standhält. Burkhard Spinnen hat uns an einem riesigen Fundus von Wissen teilhaben lassen, als Autor, als Literaturwissenschaftler und als Bewerter von Literatur, er war ja lange Jahre Juryvorsitzender in Klagenfurt.
Einiges war mir vertraut, anderes nicht, ich fasse mal kurz die für mich interessanten Punkte zusammen.
Was Dialoge schaffen, braucht man nicht mehr sonst wie zu erzählen. Je besser der Dialog, desto unnötiger das Beiwerk.
Nichts taugt zum Ausdruck, was ihn garantiert (von Lessing oder so). Heißt: Wenn man sich als Hexe verkleiden will und macht das mit Hakennase und Hexenhut, na gut, erkennt zwar jeder, ist aber wenig spannend. Findet man aber eine neue Form von Hexe, dann kann das faszinierend oder bedrohlich werden. Fand ich sehr interessant. Deshalb nennt Bibi Bloxberg ihren Besen wohl Kartoffelbrei.
Zur Überarbeitung unbedingt den Text laut lesen und auf die Stolperer, die Stellen mit Anstrengung usw. achten, und dann nicht etwa üben, auch das gut laut lesen zu können, sondern unbedingt diese Stellen im Text ändern. Denn beim Leiselesen entsteht auch eine Stimme im Kopf, eine sehr spezifische zu jedem Buch, diese Stimme erinnern wir oft auch Jahre später. Entsprechend stolpert auch der Leiseleser bei den entsprechenden holprigen Stellen. Das stimmt, wenn ich es mir überlege, und es war mir bisher nicht bewusst.
Metaphern brauchen einen Hof, sie brauchen Platz, um zu wirken. Sonst brechen sie sich gegenseitig, das nennt man Kathachrese und ist nicht gut. Deshalb nicht zu viele Metaphern nebeneinander verwenden.
Nach langen Sätzen ist die Inquit-Formel "sagte er/sie" sinnlos und störend. wenn dann muss sie zwischenrein.
Bei Ich-Erzählungen sind changierende Stimmen vom Ich als Figur und vom Erzähler durchaus erlaubt.
Bei bestimmten Wörtern ist ihre starke und bekannte Aura zu berücksichtigen. Beim Thema "Schrebergarten" muss der Schrebergarten nicht vollkommen auserzählt werden, der Leser kennt die Aura, den Hof des Wortes. Eher die Abweichungen erzählen.
Anspielungen auf kulturelle Traditionen/ Vorgänger usw. können reines Angebertum sein, oder aber der verwendete Einfall ist tatsächlich fruchtbar für die Geschichte, und die Geschichte funktioniert auch ohne dass man die Anspielung unbedingt kennt und versteht.
Insgesamt wurde in diesem Seminar die Fahne für die anspruchsvolle Literatur hochgehalten, ich möchte sagen radikal geschwenkt, und jegliches Schreiben auf eine Veröffentlichung hin, für eine Zielgruppe (außer Kinder und Jugend) oder auch nur auf einen Abgabetermin zu, das ist alles NICHTS GUTES. Schreiben hat frei zu sein, ein Prozess, in dem Entwicklung erst stattfindet und nicht etwa schon in einem Vertrag festgelegt ist. Wie sollte man ein Happy End für eine Geschichte vereinbaren, wenn sie noch gar nicht geschrieben ist? Undenkbar.
Tut auch mal gut, das zu hören. Und Herr Spinnen schreibt ja durchaus nicht für seine Schublade.
Er nimmt Literatur und jeden einzelnen Text sehr ernst.
Einziges Manko: Er hat viel zu sagen und tut das auch. Herr Spinnen nimmt sich Zeit, kostet seine Anliegen, seine Einschätzungen, die wichtigen Punkte und Tipps voll aus. Dadurch blieb die Gruppe manchmal etwas still, und die Konzentration zu halten, war nicht immer einfach. Das hatte über weite Strecken das Niveau und die Komplexität eines literaturwissenschaftlichen Seminars. Vorteil: So wurde dann auch mit dem eigenen Text umgegangen.
Und es irgendwem einfach zu machen, dazu hat Burkhard Spinnen einfach keine Lust, glaube ich.