Die letzten zwei Wochen habe ich in einem Garten in der Normandie zugebracht – was sich zunächst tatsächlich sehr idyllisch anhört. Vor allen Dingen lernt man dabei aber die unterschiedlichen Gerätschaften der Nachbarn kennen: Rasenmäher, Strauchscheren, Heckentrimmer, Laubsauger, Laubbläser, Kreissägen … An zwei Nachmittagen (einer hätte auch gereicht) habe ich diese Errungenschaften der modernen Gartenbewirtschaftung jedoch überhaupt nicht wahrgenommen, da habe ich
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gelesen.
Hanns-Josef Ortheil (der auch als Herausgeber der Reihe „Kreatives Schreiben“ fungiert) befasst sich in diesem Buch mit dem Notieren und Skizzieren. Es ist kein Schreibratgeber, kann aber durchaus sehr inspirierend wirken. Unterteilt in die Themen
- Elementares Notieren
- Bildliches Notieren
- Emotionen und Passionen notieren
- Klassisches Notieren
stellt Ortheil Schriftsteller aus den verschiedensten Bereichen vor, die nicht nur selbst rege und regelmäßig Notizen festhielten – einmal angefangen, oft lebenslang – sondern deren Notate selbst oft eigenständige Veröffentlichungen erfuhren; manchmal für sich allein bestehend, manchmal als Sekundärliteratur ihre Romane betreffend. Zitat: „… in den Produktionsphasen von Romanen und Erzählungen, aber auch von Gedichten und Dramen mit aufwendig angelegten Entwurfsskizzen und Notizsammlungen zu Personen, Orten, Szenen, Stoffen und Handlungen“. Notizen, die „den Werkprozess antrieben und die literarische Produktion in Gang hielten“. Begleitet werden diese Beschreibungen von Schreibaufgaben, z. B. um „die eigene Beobachtung zu schärfen und auf Details in der Umgebung aufmerksam zu werden“.
Der französische Schriftsteller Georges Perec z. B. begab sich an überschaubare Orte und hielt alle Details fest, die sich ihm zeigten. Aus der nüchternen Benennung quasi destillieren sollten sich „Details, die poetisch sind oder einen Anflug von Poesie vermitteln“. Das Ergebnis kann für sich stehen oder als Materialsammlung herhalten, aus der zu schöpfen ist.
Die Berliner Ausgabe der FAZ gab einmal eine Beilage heraus, die Berliner Seiten, dort war eine tägliche Kolumne von immer anderen Autoren zu finden, „Webcam“ genannt. In diesen Texten sollte nicht kommentiert werden, sondern nur beobachtet, registriert; sachlich und distanziert, Gegenwart sollte eingefangen werden. So entstanden z. B. Texte, die ohne ausdrückliche Innenbetrachtung trotzdem Blicke in das (vom Autor so erlebte, gedeutete) Innere der beobachteten Personen erlaubten, durch Hervorhebungen, Wertungen.
Weiterhin zu lesen ist von Peter K. Wehrlis „Katalog von Allem“, Émile Zolas Materialsammlung für seinen Roman „Der Bauch von Paris“, Tokutomi Rokas Naturbetrachtungen, von der „Meisterschaft“ von „Dingbeschreibungen“ und der „Genauigkeit des Blickes, dem die Genauigkeit des treffenden Worts entspricht“, den Formexperimenten von Akutagawa Ryunosuke (Geschichten, die aus Drehbuchnotaten entstehen), dem Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon, der Trauer von Roland Barthes über den Tod seiner Mutter, über Zuspitzen und Exzerpieren, über Sudelbücher, über Selbstanalysen mittels – täglichem – Notieren und und und.
Dieses kleinformatige, nicht sehr dicke Buch hat mich beeindruckt, inspiriert, mir neue Einblicke gegeben und wird mich sicherlich noch lange begleiten.