Weltbildstörung

  • Gerade frisch aus dem Ticker (MZ von heute, 18 Uhr 23):


    http://www.mz-web.de/wirtschaf…rf,20642182,31452064.html


    Die sehr vorhersehbare Entwicklung: selbst vom verbliebenen Kern werden mehr Mitarbeiter entlassen, als noch verbleiben, der Rest soll mit Einkommen "fast auf dem Niveau von Arbeitslosengeld" abgefrühstückt werden. Ein Strohmann wurde installiert, um überflüssige Filialen ohne Sozialplan auflösen zu können. Der "Investor" ("Milliardär) wälzt die katholische Pleite auf die Sozialversicherung und den Steuerzahler ab. "Volks"-Kirche und Kapital mal wieder in trauter Eintracht. Wenigstens ein Trost bleibt: die Kirchenaustritte verbleiben auf Rekordniveau. Da sollten sie auch bleiben angesichts der Verlogenheit des "größten Konzerns Deutschlands".


    MfG Walter Hilton




    STOPPT WERBUNG! Schont die Umwelt.

  • Um jetzt nichts Unbelegtes zu verbreiten: 2014 verlor die katholische Kirche 217 716 Mitglieder durch Austritt, das sind noch rund 25.000 mehr wie 1992, als Ostdeutschland den Ausgang fand, oder rund 35.000 bis 40.000 mehr als in den Skandaljahren 2010 resp. 2013.


    MfG Walter Hilton






    STOPPT WERBUNG! Schont die Umwelt.

  • Zitat

    "Droege habe nicht einmal versucht, die Defizite in Augsburg über Kurzarbeit in den Griff zu bekommen, sondern kurzfristig den Geldhahn zugedreht, kritisierten Betriebsrat und Verdi. „Droege wälzt alles auf den Steuerzahler ab – Insolvenzgeld, Arbeitslosengeld, Sozialversicherung“, wettert Verdi-Sekretär Thomas Gürlebeck.


    Bei Weltbild selbst will Droege weitere 50 Stellen streichen. Dazu hat die eingerichtete Einigungsstelle ein von Droeges Managern abgesegnetes Konzept erstellt, das ohne Kündigung ausgekommen wäre. Das hat Droege ohne Begründung abgelehnt."


    Mitteldeutsche Zeitung - 12.08.2015 18:23 Uhr

    Ich muss mich bei jeder dieser Meldungen immer wieder über die Naivität der Beteiligten wundern.
    Wer wirklich noch an "die Hilfe von da oben" glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.

    Arno Grohs: Juliane


    [buch]B012O8E5GK[/buch]
    Genre: Belletristik (Entwicklungs-, Gesellschafts-, Frauenroman mit Spannungselementen)

  • Die Geschehnisse um Weltbild, incl. Logistik, sind tragisch. Sie zu populistischen Angriffen zu nutzen, ist zwar wohlfeil, aber unoriginell und schlicht falsch. Die verlinkten Nachrichten der Mitteldeutschen Zeitung sind auch nicht brandneu. Die Augsburger Allgemeine fragte vor zehn Tagen: Hat Weltbild eine Zukunft? und bezog sich bei der Analyse auf dieselben Informationen. Auf Seite 2 findet sich dabei auch das Zitat:


    Zitat

    Im Gegensatz zum Schutzschirm der Kirche erlebe man nun „Turbo-Kapitalismus am eigenen Leib und in seiner extremsten Form“.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • "Schutzschirm der Kirche"? Nunwohl. Es ist und war schon immer ein Schutzschirm der Steuerzahler.


    Kirchensteuer ist (in Deutschland) von der Steuer absetzbar, so widersinnig das auch klingen mag. Den entstehenden Fehlbetrag gleichen alle Steuerzahler aus, also auch solche, die keine Kirchensteuer zahlen. Im Schnitt macht das pro Jahr ungefähr 6 Milliarden Euro aus. Im Ergebnis zahlt jeder Kirchensteuer. Auch ich.


    Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nahezu sämtliche Kirchenunternehmen, vor allem aber solche im sozialen Bereich, sind überwiegend öffentlich finanziert, zuweilen zu mehr als 90 Prozent. Aber die Gewinne fließen tutti kompletti in die Kassen der Religionsgemeinschaften. Die, je nach Struktur und Organisation der Unternehmungen, dafür natürlich keine Steuern zahlen.


    Das ist, vor allem natürlich aus der Sicht der Mitarbeiter und Zulieferer, ungeheuer tragisch, was da mit Weltbild geschieht und bereits geschehen ist. Gut möglich auch, dass derzeit echte Sauereien veranstaltet werden - es klingt jedenfalls danach. Aber die Ursachen liegen woanders. Aus dem ursprünglich sozialen Engagement ist eine unüberschaubare Finanzierungsstruktur geworden, die sich sehr weltlicher Mittel bedient. Mehr als 1,3 Millionen Menschen in Deutschland sind direkt oder indirekt Arbeitnehmer der Amtskirchen, womit sie zu den größten Arbeitgebern der Republik gehören. Der Spagat zwischen theologischem Anspruch und wirtschaftlichem Erfolg gelingt dabei vor allem deshalb, weil er überhaupt nicht versucht wird. Am Anfang der Weltbild-Krise stand ja unter anderem die wirklich überraschende Feststellung, dass das Weltbild-Sortiment überwiegend nicht nur sehr unreligiöse, sondern durchaus auch äußerst religionskritische Bestandteile hatte. Während das alle Kunden und Mitarbeiter natürlich längst wussten, weil es schlicht zum Geschäftsmodell gehörte, hatten sich die Gewandträger in den Chefetagen offenbar nie mit diesem Aspekt beschäftigt. Der Ansatz, Weltbild zu veräußern, fußte zu einem Gutteil auf dieser merkwürdig späten Erkenntnis. Sie steht exemplarisch für das gesamte Konstrukt. Das wiederum nur möglich war und ist, weil die Kirchen hierzulande immer noch eine Sonderstellung einnehmen dürfen. Die man wirklich endlich mal zur Disposition stellen sollte.

  • (...) weil die Kirchen hierzulande immer noch eine Sonderstellung einnehmen dürfen. Die man wirklich endlich mal zur Disposition stellen sollte.

    Was wohl - wenigstens mit einiger Aussicht auf Erfolg - zu meinen Lebzeiten nicht mehr geschehen wird. Leider.

  • Erstens: Weltbild und die Kirche haben schon sehr lange nicht mehr zusammengepasst, davor wurden nur die Augen verschlossen. Weltbild ist ein Buchhändler wie andere auch und liefert alles, was lieferbar ist, also auch Titel, die inhaltlich nicht zur Kirche passen. Das konnte auch jeder wissen, es wurde nur nie laut gesagt, bis irgendwelche Rechtskatholen aus eigenen Gründen rechtskatholische Medien darauf hetzten. Dann musste die Kirche reagieren. Wie sie das getan hat, steht auf einem anderen Blatt.


    Zweitens: Die Weltbildkrise - oder der Untergang - sind nicht nur die Folge des oben Geschilderten. Man hat ja immer wieder Klagen über mangelhaften Service etc. gehört.


    Da kommen also mehrere Sachen zusammen.

  • Da kommen also mehrere Sachen zusammen.


    Amen.


    Ein Sündenbock macht Erklärungen bequem, egal wie unkonkret die Vorwürfe sind und wie wenig sie mit der Sache zu tun haben. Weltbild ist in den zwei Jahrzehnten vor der Insolvenz massiv gewachsen und hat seine Umsätze verzehnfacht. Führung und Eigentümerstruktur blieben aber gleich und passten nicht mehr zum big Business. Die Gesellschafter (vor allem die Bistümer) waren zerstritten und im Clinch mit der Geschäftsführung. Weltbild trieb zuerst die Zahl der Filiale in die Höhe und reduzierte sie dann wieder – verfolgte also keine dauerhafte Strategie. Usw. usf.


    Ich finde es für die Mitarbeiter bei Weltbild sehr bedauerlich, wenn ihre Lage noch durch monokausale Pseudo-Erklärungen instrumentalisiert wird, die in einfach strukturierte – pardon – Weltbilder passen.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • (...) wenn ihre Lage noch durch monokausale Pseudo-Erklärungen instrumentalisiert wird, die in einfach strukturierte – pardon – Weltbilder passen.


    Wer macht das denn - und wessen "Weltbilder" sind gemeint?