Der Roman ist tot (jetzt aber wirklich)

  • Ein sehr schöner Artikel, allerdings mit anderer Aussage, als du, Alexander, diese Diskussion übertitelt hast. Der Autor sagt nicht, der Roman ist tot, sondern der anspruchsvolle Roman ist tot.


    Sehr schön auch:


    Zitat


    Zum Glück gibt es bereits Institutionen, die sich um uns kümmern. Die Studiengänge des kreativen Schreibens, die an allen unseren Universitäten blühen und gedeihen, tun genau das. Sie sind ein sich selbst erhaltender literarischer Stilllegungsplan, speziell dafür konzipiert, Schriftsteller unterzubringen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. In diesen Pflegeheimen führen einstige Schriftsteller jüngere Autoren auf ihre rückbezüglichen Karrierepfade, um auch aus ihnen Schriftsteller zu machen, die von ihrer Arbeit nicht leben können und kreatives Schreiben unterrichten.


    Bei uns sind das weniger die Universitäten, die derartige Kurse und Studiengänge anbieten (es gibt ein paar, aber man muss sie suchen) sondern die diversen Schreibschulen und Institutionen, von denen es einige gute und viele weniger gute gibt. Selfpublishing scheint ein Ausweg aus diesem Dilemma zu sein, liest man den Artikel von Will Self genauer, dann erfährt man, dass dies auch nur eine vorübergehende Erscheinung sein wird:


    Zitat


    Ich habe keinen Zweifel daran, dass für digitalisierte Sachtexte ein Ertragsstrom geschaffen werden wird: Informationen in dieser Form sind einfach zu nützlich, um keinen Geldwert zugewiesen zu bekommen. Es sind die Romane, die dem Verlust des effektiven Urheberrechts zum Opfer fallen werden. Romane und die Menschen, die sie schreiben.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Der Titel dieses Threads entspricht dem Titel des Artikels in der "Welt".


    Du schreibst aber außerdem:


    Zitat


    das sagt der (Roman-)Autor


    Und der sagt eben nicht, was die Welt und du übertitelst.


    :D

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    Emanuel von Bodmann


  • Ich liebe Will Self, und dieser Text ist einfach großartig. Habe mir gleich ein Zitat daraus für meinen aktuellen Roman geschnappt. ;)

  • Wird doch nicht das Zitat von Yeats sein: <Dichtung ist der soziale Akt des einsamen Mannes.>
    Oder doch? Schade, dass mir so etwas nicht einfaellt. Aber ich hätte statt MANNES, MENSCHEN geschrieben.

  • Ja, es geht um den anspruchsvollen Roman.


    Was ich nicht verstehe, ist diese Passage:


    Es gibt nur eine einzige Frage, die man sich stellen muss, um zu klären,
    ob der anspruchsvolle Roman in zwanzig Jahren noch immer eine
    kulturelle Vorrangstellung und zentrale Bedeutung haben wird. Die Frage
    ist die: Wenn Sie akzeptieren, dass bis dahin der Großteil aller Texte
    digital auf Geräten gelesen werden wird, die mit dem Internet verbunden
    sind, glauben Sie auch, dass die Leser sich freiwillig dafür entscheiden
    werden, dieses Verbundensein außer Kraft zu setzen? Sollte Ihre Antwort
    Nein lauten, dann hat Ihr eigener Mund den Tod des Romans besiegelt.



    ... und die darin implizierte Aussage, dass anspruchsvolle Texte notwendig auf Papier stehen müssen. Oder hab ich da was übersehen? Bitte um Hinweise ...

  • Ich verstehe diesen Abschnitt so, dass er meint, dass der "digitale Mensch" die Denkanstrengung, die ein anspruchsvoller Roman erfordert, nicht mehr erbringen kann. Nur der, der sich aus der "Verbindung" mit dem Internet auch heraus lösen kann, ist in der Lage, noch eigenständig zu denken.
    Diese These kann ich nachvollziehen, wenn ich an mir selber merke, dass ich so leicht ergoogeln kann, was ich mit ein paar Überlegungen selbst vertiefen könnte. So bin ich z.B. zum begeisterten Vorab-Rezensionen-Leser in Sachen Film geworden und freue mich, wenn ich mit diesem "Vorwissen" vermeintlich! noch tiefer in den Film schauen kann...Selbstbetrug, wie ich kürzlich feststellen musste.

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

    Einmal editiert, zuletzt von Stefanie J. ()

  • So bin ich z.B. zum begeisterten Vorab-Rezensionen-Leser in Sachen Film geworden und freue mich, wenn ich einen Film schon mit diesem "Vorwissen" vermeintlich! noch tiefer in den Film schauen kann...Selbstbetrug, wie ich kürzlich feststellen musste.


    Liebe Stefanie, dazu passt genau das Buch "Nextopia", das ich eben im Forum vorgestellt habe


    Danke für die Info, jetzt ist mir das auch klar. Ja, ich glaube, dass er da recht hat. Meine Vermutung ist z.B. auch, dass der viel beklagte Rückgang bei der Schreibkompetenz heutiger Studierender durch den Umgang mit dem Internet kommt. Schreiben als Gedankenbildung und Wissenserarbeitung wird nicht mehr eingeübt, da im Web alles Wissen bereits verfügbar ist.

  • Christiane: "... Schreiben als Gedankenbildung und Wissenserarbeitung wird nicht mehr eingeübt, da im Web alles Wissen bereits verfügbar ist." Richtig: Das Wissen scheint vorhanden zu sein, aber der bewertende Umgang damit wird immer schwächer. Das ist zumindest meine Erfahrung, z. B. bei "wissensvollbepackten" Referaten bei Schülern. Nach einfachen Rückfragen zum Verständnis des Ganzen, fällt alles zusammen.

    Später Zeiten Traum
    [buch]3844295968[/buch]
    ISBN: 978-3-8442-9596-2
    .......................................
    Von Rosen und Menschen
    [buch]3737530947[/buch]
    ISBN: 978-3-7375-3094-1
    .......................................
    Warst Du der Wind
    [buch]3741835544[/buch]
    ISBN: 978-3-7418-3554-4
    ....................................
    "... es gibt nur ein Begegnen: im Gedichte
    die Dinge mystisch bannen durch das Wort."
    (Gottfried Benn, Statische Gedichte, "Gedichte")

  • Das Wissen scheint vorhanden zu sein, aber der bewertende Umgang damit wird immer schwächer.

    Ja, denn zum Bewerten von Webtexten bräuchte es mehr Souveränität im Umgang mit komplexeren Texten überhaupt. Und die fehlt, weil vermutlich nicht genug eigenständig geschrieben wird. An der Uni zeigt sich dann, dass viele Studis nicht mehr paraphrasieren können und stattdessen die Texte nur wild farbig unterstreichen. Die Dozenten klagen ja vielerorts über mangelnde Schreibkompetenzen.

  • Christiane: „…weil vermutlich nicht genug eigenständig geschrieben wird.“


    Ja, ich muss Dir da leider wieder recht geben. War ein Leben lang an einem Gymnasium (kein Germanist) und konnte die massiven Veränderungen im Arbeitsverhalten der Schüler noch zum Ende meines Schuldienstes in die „digitale Zeit“ (besser „digitale Dominanz“) hinein beobachten. Leider wurde die schnelle und unreflektierte Verfügbarkeit von Wissen gleichermaßen zu einem „geheimen Verführer“, dem die Pädagogik nur allzu leicht gefolgt ist. Beispiel: Viele Referate werden erst am Abend zuvor mittels Internet erstellt und in ein Powerpoint-Management transferiert. Das Fatale daran ist, dass die Hälfte der Bewertung des Referats durch die Präsentation belegt wird. Arbeitet der Schüler mit einem minimalistischen Ziel, kann er es sich leisten, die eigentlichen Inhalte (ihre Reflektion und eigenständige Verarbeitung) zu vernachlässigen.


    „…Die Dozenten klagen ja vielerorts über mangelnde Schreibkompetenzen.“
    Es kommt noch schlimmer: … Mittlerweile sind aus Studenten Lehrer geworden. Ein Schulleiter beklagte kürzlich, dass selbst bei manchen angehenden Germanistik-Lehrern die Schreibkompetenzen im Sinkflug sind.


    Nochmal kurz zu dem von Dir angesprochen Textausschnitt. Hier befürchtet der Autor wohl auch das sich zukünftig weiter negativ potenzierende Rezeptionsverhalten in den digitalen Medien. Die Güte von anspruchsvoller Literatur erscheint dann nicht mehr adäquat auslotbar.


    So, nun muss ich (Sportmuffel) auf den Heimtrainer, denn anschließend kommt Basketball.
    …Gedichteschreiben und Basketball … das isses … für mich halt …

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    die Dinge mystisch bannen durch das Wort."
    (Gottfried Benn, Statische Gedichte, "Gedichte")

    Einmal editiert, zuletzt von JoachimE ()

  • Ein wunderbarer Text (übrigens offensichtlich auch wunderbar übersetzt), den man in der "Welt" eher nicht vermutet hätte. Warum nur stimmt er mich so schwermütig ...

  • Ich habe den Artikel inzwischen zum zweiten Mal gelesen und bin immer noch nicht sicher, ob ich alles verstanden habe. Gut, das mag an mir liegen. Ich finde den Verlauf dieses Threads allerdings gerade im Hinblick auf Will Selfs Gedanken interessant. Mir liegt ausdrücklichst nicht daran, irgendjemanden zu kritisieren; ich möchte nur meine rein subjektiven Gedanken schildern:


    Ich habe diesen Artikel um 9.42 Uhr eingestellt. Um 10.02 Uhr war die erste Antwort da. Und dann folgten weitere Antworten, und die erste und alle weiteren Antworten waren klug und fundiert. Worauf ich hinaus möchte: Ich habe den Artikel mal in Normseiten umgerechnet. Es sind fast 15. 15 Normseiten mit wirklich anspruchsvollem Inhalt, wie ich finde. Ich für meinen Teil brauche mehrere Netto-Stunden, um darüber nachzudenken. Ein Internet-Forum scheint soviel Zeit nicht zu haben. Belegt eine schnelllebige Diskussion nicht Zitate wie dieses von Self?

    Zitat

    Mit dem Breitband wurde der Übergang nahtlos: In einem Moment rang man mit einem Satz, im nächsten kaufte man Ofenhandschuhe. Schlimmer noch,
    wenn man als Schriftsteller in einer Sackgasse gelandet war, in der es einem an der Vorstellung mangelte, wie etwas aussah oder klang, bot einem das Internet sofortigen Realismus: Die Arbeit der Fantasie, die notwendig schöpferisch sein muss, war mit wenigen Tastenanschlägen auf Faktualismus reduziert. Alle Meinungen und Konzepte der neuen Medien laufen auf nichts Bestimmtes hinaus, außer darauf, wie sie tatsächlich verwendet werden.

    Fehlt uns die Muße, uns in einen Text zu versenken, weil wir durch das Internet gelernt haben, uns rasch und effizient durchzuklicken? Ist das auch ein Problem des anspruchsvollen Roman, das Self anspricht? Erneut: Ich möchte hier absolut niemandem zu nahe treten. Ich schließe mich in diese Schnelllebigkeit ein und bin vielleicht auch einfach schwer von Begriff. Mich verwirrt der Artikel. Ich finde ihn vielfältig in seinen Aussagen, ohne einheitliche Stoßrichtung. Wenn man es gehässig ausdrücken wollte, könnte man schreiben, dass Self gern auch mal schwafelt.


    Eine der Stellen, über die ich gestolpert bin, ist diese:

    Zitat

    Was jedoch nicht herrschte (hier meint Self wohl die frühen 80er von 3 Absätzen vorher), war das gegenwärtige Glaubenssystem, in welchem derjenige, der die hohen Künste ablehnt, sich zu seiner Meinung nicht nur berechtigt, sondern vollkommen darin gerechtfertigt fühlt. Mehr noch: Das Markenzeichen unserer zeitgenössischen Kultur ist ein aktiver Widerstand gegen Schwierigkeit in all ihren ästhetischen Ausprägungen, gepaart mit einer Art von Groll, der sie mit politischem Elitedenken zusammenbringt.

    Als guter Brite scheint Self sich mit diesem Kulturpessimismus nicht ganz ernst zu nehmen, wie man an anderen Stellen merkt. Ich halte insbesondere den ersten Satz für schlicht falsch. Es würde dem Artikel aber nicht gerecht, dieses Zitat herauszunehmen und es pars pro toto zu werten.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Was soll ich sagen: Nagel auf den Kopf getroffen, Alexander.
    Ich muss und will diesen Text ebenfalls noch öfter lesen.
    Die Kommentare hier sind natürlich auf einen ersten Eindruck bezogen.
    Dass dieser nicht allzu oberflächlich ist, verdanken wir alle hier wahrscheinlich der Tatsache, dass wir gewohnt sind mit Text umzugehen und effektiv zu verdauen, was wir lesen.
    Oder??

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  • (...)
    Eine der Stellen, über die ich gestolpert bin, ist diese:

    Als guter Brite scheint Self sich mit diesem Kulturpessimismus nicht ganz ernst zu nehmen, wie man an anderen Stellen merkt. Ich halte insbesondere den ersten Satz für schlicht falsch. Es würde dem Artikel aber nicht gerecht, dieses Zitat herauszunehmen und es pars pro toto zu werten.


    Hallo Alexander,
    dieses Glaubenssystem kommt mE zum Beispiel in der Aussage zum Ausdruck, dass es keinen qualitativen Unterschiede zwischen U- und E-Literatur gebe; dass es gleichgültig sei, ob man "Harry Potter" oder "How the Dead Live" (von W. Self) lese; Hauptsache man amüsiere sich - und wer behaupte, dass (E-) literarisches Lesen einen qualitativ anderen und "höheren" Bildungswert als zerstreuungsorientierentes Lesen (und zerstreuendes, würde Self vielleicht sagen) habe, der offenbare damit nur überhebliches Elitedenken.
    Viele Grüße
    Jürgen


  • Hallo Alexander,
    dieses Glaubenssystem kommt mE zum Beispiel in der Aussage zum Ausdruck, dass es keinen qualitativen Unterschiede zwischen U- und E-Literatur gebe; dass es gleichgültig sei, ob man "Harry Potter" oder "How the Dead Live" (von W. Self) lese; Hauptsache man amüsiere sich - und wer behaupte, dass (E-) literarisches Lesen einen qualitativ anderen und "höheren" Bildungswert als zerstreuungsorientierentes Lesen (und zerstreuendes, würde Self vielleicht sagen) habe, der offenbare damit nur überhebliches Elitedenken.
    Viele Grüße
    Jürgen

    Dieser Interpretation stimme ich zu, sie wird auch stark gestützt von dem Teil des Zitates, den ich rot geschrieben habe. Stark vereinfacht ließe sich die Aussage auf den Nenner bringen: Der Verlust des Niveaus und der Zug zur Banalität sind nicht mehr aufzuhalten. Und darin liegt ja auch die Begründung seiner düsteren Prognose für den anspruchsvollen Roman.

  • Ich hab mich von Self mitnehmen lassen zu Marshall McLuhan (bin angefixt) und muss nun annehmen, dass Self in seinem Artikel versucht, das umfangreiche Werk dieses visionären Medientheoretikers für den Ottonormalverbraucher verständlich herunterzubrechen. Deshalb vielleicht der collagenhafte Eindruck, den dieser Artikel macht.
    Self versucht eine Einordnung der Medien heute...ist sozusagen auf der Suche nach dem Wortlaut und Klang des Donners Nummer 11 aus Finnegans Wake und fragt nach der Mündigkeit der Menschen heute in Bezug auf die Technologie, die sie erschaffen haben. Sein Resümee, er wird nicht twittern oder Computerspiele entwickeln, sondern weiter die alte Kunst des Schriftstellers üben, ist erfrischend trotzig und hätte er sich und uns durchaus auch kürzer erarbeiten können.


    Ich werde wieder Neil Postman & Co lesen, damit ich mich nicht irgendwann "zu Tode amüsiere".

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