Ulrike Renk: Die Australierin

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    Ulrike Renk: Die Australierin, Berlin 2014, Aufbau Verlag, ISBN 978-3-7466-3002-1, Softcover, 539 Seiten, Format: 20,4 x 13,2 x 3,8 cm, Buch: EUR 12,99, Kindle Edition: EUR 7,99.


    Manchmal ist es bereits abenteuerlich, wie ein Autor sein Roman-Thema findet. Oder das Thema die Autorin, wie in diesem Fall. Zwei historische Romane über die Krefelder Familie te Kloot hatte Ulrike Renk bereits veröffentlicht (DIE FRAU DES SEIDENWEBERS, DIE SEIDENMAGD), als sie eine Nachricht aus Australien bekam. Eine dort lebende Nachfahrin der Familie bat um Hintergrundinformationen zu den Büchern. Man kam ins Gespräch, und es stellte sich bald heraus, dass die Auswanderergeschichte der Familien te Kloot und Lessing das Zeug zu einem packenden historischen Roman hatte. Die Autorin recherchierte, die Dame in Australien versorgte sie mit Briefen, Fotos und Urkunden – und heraus kam die spannende Geschichte einer Auswanderung, die auf wahren Begebenheiten beruht.


    Hamburg, Mitte des 19. Jahrhunderts: Mit der behüteten Kindheit auf einem Landgut in Othmarschen ist es für die achtjährige Emilia Bregartner schlagartig vorbei, als ihre Eltern mit dem jüngeren Bruder nach England ziehen um dort die Geschäfte der Familie voranzutreiben. Bregartners sind Schiffsbauer. Emilia bleibt bei Onkel und Tante in Hamburg zurück, sie muss ja zur Schule. Aus dem geplanten Zwei-Jahres-Aufenthalt in England wird eine Dauerlösung und Emilia wartet immer darauf, dass die Eltern sie nach England nachholen. Doch das geschieht nie. Die Eltern schicken nur nichtssagende Briefe und verschwinden mehr und mehr aus Emilias Leben.


    Onkel und Tante meinen es sicher nicht böse, aber besonders liebevoll gehen sie nicht mit ihrer Nichte um. Für sie ist das Mädchen eine Art Handelsware: Sie investieren in Emilias Bildung und Erziehung, damit sie eine möglichst vorteilhafte Partie macht. Vorteilhaft für die Firma, wohlgemerkt. Dass die heiratsfähige Emilia gar nicht daran denkt, sich derart verschachern zu lassen, damit hat die Familie nicht gerechnet. Sie will keinen der langweiligen „Pfeffersäcke“ ehelichen, sondern verschenkt ihr Herz an den nahezu mittellosen Kapitän Carl Gotthold Lessing, einen Großneffen des Dichters Gotthold Ephraim Lessing. Da können die Verwandten brüllen und drohen, dem Mädchen den Geldhahn zudrehen und dem Paar den Segen verweigern: Emilia und Carl heiraten trotzdem und sie geht als Kapitänsfrau mit ihm auf große Fahrt.


    Das ist ein großer Schritt ins Ungewisse. Emilia ist eine höhere Tochter, ausgebildet, um einen Haushalt mit einem Geschwader von Dienstboten zu führen, Bälle zu geben und zu repräsentieren. Auf das spartanische Leben an Bord eines Segelschiffs hat sie niemand vorbereitet. Sie muss sich erst einmal neue Kleider anfertigen lassen, die sie überhaupt ohne Hilfe einer Zofe anziehen kann. Hätte sie nicht hie und da von den Bediensteten ein paar Kenntnisse aufgeschnappt, wäre sie ein hauswirtschaftlicher Totalausfall. Und dieses weltfremde Stadtpflänzchen segelt nun mit ihrem Gatten nach Südamerika und geht das Risiko ein, unterwegs schwanger zu werden und ohne die Hilfe einer Hebamme ein Kind auf die Welt bringen zu müssen? Doch Emilia ist zäher als man denkt. Und es bleibt ihr ja auch nichts anderes übrig – sie hat ihren Weg gewählt, und es gibt kein Zurück mehr.


    Es bleibt nicht bei der einen Südamerika-Fahrt. Sie ist im Lauf der Jahre mit ihrem Mann in fast allen Gewässern der Erde unterwegs. Vier ihrer neun Kinder kommen an Bord eines Schiffes zur Welt. Und als Carl seine Zukunft in Australien sieht, zögert sie keine Sekunde, mit ihm dorthin auszuwandern.


    Gerade weil Emilia ohne Mutterliebe aufwachsen musste, hat sich geschworen, immer für ihre Kinder da zu sein. Als Tochter Minnie sich ausgerechnet in Rudolph te Kloot verliebt, den jüngeren Bruder eines verhassten Geschäftsmannes, droht sich die Geschichte zu wiederholen. Carl will partout nicht, dass seine Tochter diesen Mann heiratet. Die Familie passt ihm nicht und Rudolphs berufliche Pläne hält er für Hirngespinste. Kann Emilia vermitteln? Und ist das überhaupt eine gute Idee?


    Was Emilia Lessing zu ihrem großen Bedauern nicht verhindern kann: Dass eine ihrer Enkeltöchter im Alter von 8 Jahren zu einer kinderlosen Verwandten nach Deutschland geschickt wird. Auch nach all den Jahren hat Emilia nicht vergessen, was es bedeutet, von der Familie abgeschoben und abgeschrieben zu werden. Wird es der kleinen Carola besser ergehen als Emilia damals? Immerhin hat sie liebende Angehörige, wenn auch am anderen Ende der Welt.


    Und so schließt sich der Kreis. Die Geschichte endet, wie sie rund 50 Jahre davor begann: Mit einem kleinen Mädchen, das gegen seinen Willen aus seiner Umgebung gerissen wird und als Pflegekind in Hamburg landet.


    Emilia Lessing muss in der Tat eine starke und beeindruckende Frau gewesen sein. Dass sie es wagte, mit Konventionen zu brechen, eine komfortable und sichere Existenz zu verlassen und ihr Leben mehrfach radikal umzukrempeln, zeugt von beachtlichem Mut. Dass sie zu ihren Erziehungsberechtigten ein eher geschäftsmäßig-distanziertes Verhältnis hatte, machte ihr die Entscheidung, mit Carl durchzubrennen, vermutlich leichter. Hätte sie innig liebende Eltern enttäuschen müssen, wäre ihr der Entschluss sicher schwerer gefallen. So hatte sie außer der materiellen Sicherheit nichts zu verlieren.


    Ein Roman, bei dem das wahre Leben den Spannungsbogen vorgibt, unterscheidet sich doch ziemlich von einer komplett fiktionalen Geschichte. Eine rein literarische Figur kann die spektakulärsten Gefahrensituationen überleben und der Leser zuckt nicht mit der Wimper. Das hat sich der Autor ja schließlich nur ausgedacht. Hier stehen reale Menschen hinter der Geschichte, und man denkt beim Lesen ständig: „Das haben die überlebt? Wie, um Himmels Willen, sind die nur mit dieser Situation fertiggeworden?“


    Wenn die Realität Regie führt, gibt’s aber auch keine Gnade für Lieblingsfiguren. Sie treffen Fehlentscheidungen, erleiden Verluste, werden krank oder sterben und die Autorin hindert sie nicht daran. Auch wenn das Buch natürlich einen fiktionalen Anteil hat: die zentralen Ereignisse entsprechen den Tatsachen. Es gibt hier kein Vorausahnen der Handlung. Und so liest man wie besessen weiter, weil man unbedingt wissen will, wie das Leben den Lessings und te Kloots noch mitgespielt hat. Und wie sie damit zurechtgekommen sind.


    Es ist ein glücklicher Zufall, dass die Autorin diese faszinierende Geschichte entdeckt hat. Und dass wir Emilia Lessing und ihr außergewöhnliches Leben dank dieses Romans kennenlernen können.


    Die Autorin
    Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld.

  • Immerhin steht Dein Titel bei amazon auf Platz 25 bei den Historischen Romanen. Tendenz steigend, wie ich annehme?


    Nur mal nicht so bescheiden, Frau Renk ;)


    Edit: Sehe gerade, das betrifft das E-Book und das ist in den wenigen Minuten auf Rang 23 geklettert.
    Das Taschenbuch ist unter den Historischen Romanen nicht gelistet, dafür steht's bei den Reiseberichten auf Rang 2 :D

  • Das wecheselt doch jeden Tag (jaja, ich bin Novel Rank addicted). Kommt immer darauf an, on es jemand bei Amazon gekauft hat, oder nicht und wieviele Stunden dazwischen liegen.
    SO viele Bücher sind das bei Amazon noch nicht - ich wüsste lieber, wie es im Handel aussieht.
    Thalia Krefeld hat es ganz ungünstig plaziert - auf einem Tisch zwar (und nur mit meinen Büchern), aber halb unter einer Treppe.
    "Das verkauft sich nicht so gut, Frau Renk, weil da nichts von Krefeld draufsteht." ?!?:irre:weiss
    "Das nächste Buch hat dann aber wieder SEIDE im Titel?"


    Ja, vermutlich. Die Wanderseide oder so.

  • "Der Seidenkänguru ihre Omma" :rofl Ich schmeiß mich weg! Da hast du dann ja Titel bis Band 14 oder so: "Die Schwäächerin von der Seidenkänguru ihre Omma", "Der Seidenkänguru ihr Kuseng", "Die Nachbarin von der Seidenkänguru ihre Omma (also die links daneben)"