Mal was Psychologisches

  • Ich mal wieder...


    Nein, ich habe kein neues Projekt gestartet, ist immer noch das Alte 8-). Ich befinde mich mit meinen Vorbereitungen auf der Zielgeraden. Und in diesem Zusammenhang würde ich gerne eure Meinung zu einer Theorie hören, die ich habe und in meiner Geschichte umsetzen möchte.


    Ich glaube, dass die klassischen Monster der Literatur entstanden sind, damit die Menschen gewisse Urängste verarbeiten konnten. Beispiele:


    Der Vampir ist für mich eine Gestalt, die eine dunkle Verführung darstellt, der man mehr oder minder hilflos ausgeliefert ist.


    Ein Geist repräsentiert für mich jemanden, der nicht loslassen konnte und auf der Suche nach Erlösung/dem Wissen nach Erlösung ist.


    Der Werwolf steht für unsere Angst, dass das Animalische in uns durchbrechen könnte, dass wir die Kontrolle über uns verlieren...


    Wie seht ihr das? Es ist mir, ehrlich gesagt, herzlich egal, welche konkreten Ursprünge die Sage von dieser oder jener Gestalt hat. Ich betrachte sie eher als, naja, vielleicht Archetypen.


    Liebe Grüße
    Achim

  • Zitat

    Original von AchimW


    Der Vampir ist für mich eine Gestalt, die eine dunkle Verführung darstellt, der man mehr oder minder hilflos ausgeliefert ist.


    Das mit der Verführung ist ja wohl eher neueren Datums :) Ursprünglich waren Vampire eher Wesen, die jenseits von Verführung (und Erotik) einfach ihr Opfer suchten und benutzten (als Nahrungsqsuelle). Ich empfehle dir den ausführlichen Artikel in der Wikipedia, in der der Ursprung eher anders gedeutet wird: »Dabei ist der wissenschaftlich belegte Vampirglaube in erster Linie als sozialanthropologisches Phänomen zu verstehen, bei dem für die Schädigung Einzelner oder der Dorfgemeinschaft durch Krankheiten, Missernten oder Ähnliches ein Verantwortlicher gesucht wird.« Vampir ist also eher ein »Sündenbockphänomen«. Die Verführung als Motiv kam wohl erst dann, als die romantische Literatur im 18./19. Jahrhundert die Vampire aufgegriffen hat.


    Zitat


    Ein Geist repräsentiert für mich jemanden, der nicht loslassen konnte und auf der Suche nach Erlösung/dem Wissen nach Erlösung ist.


    Der Begriff Geist ist ja mehrdeutig. Du meinst jetzt die Deutung als Spuk oder Gespenst, nicht wahr? So wie du das deutest, ist es ja häufig in der Literatur und in den Sagen und Märchen zu finden. Ob da die tieferen Motive der "Gespenster/Geistdeutung" liegen ist noch eine andere Frage. Meines Erachtens auch in dem Versuch, unerklärbares zu erklären und eigene (meist innere) Motive umzudeuten.


    Zitat


    Der Werwolf steht für unsere Angst, dass das Animalische in uns durchbrechen könnte, dass wir die Kontrolle über uns verlieren...


    Das widerum finde ich von dir treffend gedeutet.


    Zitat


    Wie seht ihr das? Es ist mir, ehrlich gesagt, herzlich egal, welche konkreten Ursprünge die Sage von dieser oder jener Gestalt hat. Ich betrachte sie eher als, naja, vielleicht Archetypen.


    Liebe Grüße
    Achim


    Vielleicht nicht unbedingt alles über die von dir genannten Schablonen der Horrorliteratur, aber zu den Archetypen generell erfährst du bei C.G.Jung, der diesen Begriff in die moderne Psychologie eingebracht hat.


    ASIN/ISBN: 3423351756

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Achim,


    Ich denke, dass bei "Geist" auch noch eine (nicht unbedingt nur religiöse) Verbindung zu den Toten hinzukommt. Eine Mittelsfigur, die eine Kommunikation über den Tod hinaus schafft. Das Bedürfnis nicht los zu lassen, eine Verbindung zu halten, sehe ich daher auf beiden Seiten und die Motivation dürfte neben Wissen/Erlösung, was Du angesprochen hast, auch Trauerarbeit, Verlust- und Vergangenheitsbewältigung, Sinngebung im Hier sein, ebenso wie das Auflehnen des Menschen gegen seine eigene Sterblichkeit, gegen sein Ende ohne weitere Einflussnahme.


    Lieben Gruß
    Cordula

  • Zitat

    Original von AchimW
    Ich glaube, dass die klassischen Monster der Literatur entstanden sind, damit die Menschen gewisse Urängste verarbeiten konnten.


    Schon möglich, dass das einst so gewesen ist, aber bedenke, wie sehr sich die (Unterhaltungs-)Literatur verändert hat. Du kannst den Vampir, den Geist, usw. von vor 100 oder mehr Jahren nicht mit jenen paranormalen Wesen vergleichen, die durch aktuell erscheinende Titel geistern.
    Und selbst da gibt es bei den verschiedenen Genre noch gewaltige Unterschiede. Bei reinen Horror-Romanen sind die Vampire ganz anders beschrieben als in den Vampir-Romances.


    Zitat

    Der Vampir ist für mich eine Gestalt, die eine dunkle Verführung darstellt, der man mehr oder minder hilflos ausgeliefert ist.


    Nein, das ist er nicht, bzw. hat sich das als Sub-Genre entwickelt und zwar bei den Romances. Guckst Du in dark Fantasy oder Horror, ist der Vampir dort nach wie vor klassisch.


    Archetypen sind die verschiedenen Wesen auch nicht, man klassifiziert da die Charakterbeschreibung der Figur, ungeachtet dessen, ob sie nun menschlich oder paranormal ist. Auf Deutsch kenn ich es nicht, in amerikanischen Schreibratgebern, Foren, usw. werden die Helden-Typen folgendermaßen unterschieden:
    http://www.likesbooks.com/eight.html


    Zu den Alpha-Heros noch was: In den älteren Büchern (über 20 Jahre) waren die Helden fast immer Alphas, ganz gleich, in welches Genre man geschaut hat. Andere Typen waren da seltene Ausnahmen. Da spielten zwar andere Heldentypen mit rein (der Bad Boy kann auch ein Alpha sein), aber sie hatten die klaren Eigenschaften.

  • Hallo Achim,
    das Thema "Archetypen" ist für Schriftsteller sowieso superspannend. Die Phänomene, die C.G Jung beschrieben hat, sind zwar nicht wirklich Wissenschaft im engeren Sinne, aber einleuchtend erscheinen die meisten seiner Erklärungsversuche dennoch.
    Zumal für <hust> Künstler :D.
    Das hat vermutlich damit zu tun, dass er so schöne Begrifflichkeiten gewählt hat wie "großer Vater", "Held", "Persona", "Seelenkern" usw.


    Ich bin beileibe kein Spezialist in Archetypenlehre, würde aber bei den von dir angesprochenen Typen am ehesten an den Schatten denken. In dem Wikipedia-Artikel, den ich da verlinkt habe wird als Beispiel Mr. Hyde aus der Erzählung von Stevenson genannt.
    Auf jeden Fall ein Thema, das sich zu recherchieren lohnt.
    Gruß


    PS Und falls du nach Büchern zum Thema suchst, kann ich

    ASIN/ISBN: 3491401518


    empfehlen, weil es schön allgemeinverständlich die wichtigsten Konzepte erläutert. Und natürlich den Klassiker:


    ASIN/ISBN: 3491421357

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

    Einmal editiert, zuletzt von Marvin ()


  • Das Schattenthema hat wenig mit den Horrortypologien wie Vampir, Werwolf oder Gespenst zu tun. Dabei handelt es sich eher um das Doppelgängerthema. Das war vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts (aber nicht nur) verbreitet. Stevenson ist schon genannt, aber auch bei Dostojewski


    ASIN/ISBN: 345834585X


    bei Storm


    ASIN/ISBN: 3150060826


    Mörike verarbeitet das Thema in seiner Novelle Maler Nolten


    ASIN/ISBN: 3458321047


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hier sind schon so viele gute Antworten gegeben worden - trotzdem noch mein Senf dazu.


    Mich interessiert die psychologische Seite an den Figuren immer sehr.
    Damit meine ich nicht: In der Kindheit gehänselt worden, darum später ein Mörder....


    Mich interessiert wie die Figuren im aktuellen Leben miteinander umgehen. Welche Reaktionen ihr Handeln auslöst usw.


    Ich finde spannend wenn Figuren nicht in ihr Schema passen.
    Das Gespenst von Canterville ist so eine Figur.
    Interview mit einem Vampir erzählt die Geschichte eines Vampirs, der keiner sein will. King Kong war eine entwurzelte Kreatur.
    Dr. Jekill und Mr. Hide - welcher Leser hat kein Mitleid mit dem Armen?


    Hat mal jemand untersucht, warum es in den 70ern eine ganze Serie von psychologisch flachen, bösen und hirnlosen Flmmonstern gegeben hat? (Der weiße Hai/Ben die Ratte/Körperfresser usw)


    ----Ich wage mal einen Tipp: Kalter Krieg. Gegen den bösen Feind ist jedes Mittel recht.


    Grüße
    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

    Einmal editiert, zuletzt von Topi ()

  • Oh, das ist superspannend. Wie Horst-Dieter schon schrieb, lassen sich natürlich bei der Bedeutung von Schauer- und Horror-Themen, Geschichten und Symbolen verschiedene historische Stationen ausmachen; ich persönlich finde dabei die Zeit ab ca. Anfang des 19. Jahrhunderts am spannendsten. (Nach meinem Studium wollte ich eigentlich eine ausführliche Analyse zur literarischen Darstellung des Bösen im 19. Jahrhundert schreiben; leider kam ich davon ab.)


    Wenn man aber beim Schreiben gezielt mit der Symbolik von "Monstern" arbeiten will, die *heute* den Nerv der LeserInnen trifft, kann man sich den historischen Hempel m.E. weitgehend sparen. :D Für heute finde ich deine ersten Ausführungen zu Vampir, Geist und Werwolf zutreffend, wenn auch unvollständig und eine weitere Ausdifferenzierung wert. (Ich kann mich aber aufgrund meiner Urlaubsvorbereitungen jetzt nicht daran beteiligen, schade eigentlich :bye)

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Zitat

    Original von Topi
    Hat mal jemand untersucht, warum es in den 70ern eine ganze Serie von psychologisch flachen, bösen und hirnlosen Flmmonstern gegeben hat? (Der weiße Hai/Ben die Ratte/Körperfresser usw)


    ----Ich wage mal einen Tipp: Kalter Krieg. Gegen den bösen Feind ist jedes Mittel recht.


    Och, es wurde bestimmt schon untersucht. Im Rahmen irgendwelcher universitären Arbeiten. Ich sehe da übrigens eher eine Parallele zur Technisierung des Lebens insgesamt.

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Zitat

    Original von Berit


    Och, es wurde bestimmt schon untersucht. Im Rahmen irgendwelcher universitären Arbeiten. Ich sehe da übrigens eher eine Parallele zur Technisierung des Lebens insgesamt.



    Kann sein, dass ich da als geborene West-Berlinerin eine eingeschränkte Wahrnehmung hatte.
    Als ein Freund von mir 1985 von Köln nach Berlin zog, wunderte er sich , dass sich in West-Berlin alles um den kalten Krieg drehte. Ich bekam dann auch eine andere Sicht. Er hatte recht. Wir hatten jeden jeden Tag die Mauer vor Augen, den RIAS Berlin am Ohr usw ...
    Urlaubstage in anderen Bundesländern waren auch immer Urlaub von Berlin (das ich sehr liebe)


    Grüße
    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

  • Zitat

    Kann sein, dass ich da als geborene West-Berlinerin eine eingeschränkte Wahrnehmung hatte.


    Kann ich nur bestätigen. Eine Kuh auf einer Weide zu sehen, bedeutete, man war schon in der "Zone", was wiederum hieß, es waren Ferien und verreiste gerade. Einzige Ausnahme: Grundschulklassenausflug nach Lübars. Dort gab es einen Musterbauerhof direkt an der Grenze, der den westberliner Kindern zeigen sollte, wie das Leben auf dem Land aussah =) . Hatte trotzdem große Ähnlichkeit mit dem Streichelzoo im Berliner Zoo.


    Tschuldigung für den OT, Achim :D

  • Liebe Leute,


    vielen, vielen Dank für eure ganzen Statements. Mal abgesehen davon, dass ich etwas tun muss, was ich bisher umgangen habe (Jung lesen: das mit dem Schatten-Archetypen ist mir vollkommen neu), bin ich aber noch gewillt, meine Auffassung über Vampire zu verteidigen.


    Den Wikipedia, lieber H-D, kenne ich. Darf ich mal daraus zitieren?

    Zitat

    Als wesentliches Merkmal wird dem Vampir Unsterblichkeit zugeschrieben, die – kombiniert mit seiner in der Regel übermenschlichen Körperkraft und dem Bluthunger – einen großen Teil des Schreckens des Vampirmythos ausmacht. Darüber hinaus wird Vampiren ein ausgeprägter Sexualtrieb zugesprochen. Vampire sollen eine starke Anziehungskraft auf das von ihnen gewählte Geschlecht ausüben und Verführungskünstler sein.


    Mir ist klar, dass das nicht entkräftet, was du gesagt hast, aber es geht mir in meiner Geschichte auch nicht so sehr um die tatsächliche Herkunft des Mythos, sondern eher versuche ich die einzelnen Gestalten - möglichst sinnvoll - mit gewissen Urängsten zu verknüpfen. Das mag vielleicht so noch nicht dagewesen sein... dann um so besser :D
    Und bei Vampir denke ich halt an Stokers alten Dracula oder auch Polidori und da sehe ich schon eine sehr starke Verführungskomponente. Jedenfalls glaube ich, dass ich die so verwenden könnte, ohne die klassische Vampirgestalt vollkommen zu verdrehen ;)


    Was Topi geschrieben hat, werde ich mir auf die Stirne tätowieren: Es ist sicherlich spannend, wenn man - ausgehend von einer klassischen Monstergestalt - jene weiterentwickelt, so dass sie nicht einfach der hundertste Aufguss ist, sondern ein wenig (!) aus dem Rahmen fällt.


    Maren, du sprichst die Entwicklung an, die jene Gestalten seit dem 19. Jahrhundert genommen haben. Das ist richtig. Aber ihr habt doch gerade bei Dark Vampire sehr schön bewiesen, dass deswegen die ursprünglichen Charakteristika in einem modernen Kontext unglaublich spannend sein können. Also muss ich sie doch nicht auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, oder? Ich persönlich denke, da steckt noch viel Potential hinter. Übrigens, danke für den Link zu den Heldentypen ;)


    Cordula: Ich glaube, du hast recht bezüglich der Geister (in meinem Sinne eher Spuk/Gespenst). Werde das bei meinem Spuki mal ins Auge fassen...


    Liebe Grüße
    Achim

  • Zitat

    Original von AchimW


    Was Topi geschrieben hat, werde ich mir auf die Stirne tätowieren: Es ist sicherlich spannend, wenn man - ausgehend von einer klassischen Monstergestalt - jene weiterentwickelt, so dass sie nicht einfach der hundertste Aufguss ist, sondern ein wenig (!) aus dem Rahmen fällt.


    Liebe Grüße
    Achim


    Stellst du ein Bild ein? :D


    Grüße
    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

  • Zitat

    Original von AchimW
    Meinst du die Frage wirklich ernst 8-)?



    Nur wenn deine Ankündigung wörtlich zu nehmen ist...


    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain