Kritik am Text und am Menschen

  • Mir ist neulich was aufgefallen.


    War auf einer großen Tagung. Unserer Tagung. Wir (als RepräsentantInnen unseres Vereins) standen sehr im Mittelpunkt, haben Workshops durchgeführt usw. Am Ende der ganzen Geschichte wurden die Rückmeldebögen gelesen, und zu meinem Workshop hatte jemand einen negativen, genau genommen persönlichen und unangemessenen Kommentar geschrieben.


    Ich konnte das nicht so richtig wegtun. Hab das als persönlichen Angriff interpretiert (was es wohl auch war, irgendwie) und mich davon runterziehen lassen. Umso mehr, weil mir das schon mal passiert ist, allerdings bisher immer in meinem beruflichen Rahmen.


    Nun seh ich es so, dass man vom "Leben" manchmal mit der Nase auf potentielle Lernfelder gestoßen wird. So interpretiere ich Erfahrungen, die ich erstmal als unangenehm erlebe, und finde einen konstruktiven Umgang damit. Auf dies bezogen war meine Überlegung: Oh verdammt, warum bin ich so empfindlich, warum kann ich das so schlecht verpacken? Und wie geh ich eigentlich mit harscher, womöglich persönlich werdender, übler Kritik um, falls ich unter musikalischen und/oder literarischen Aspekten etwas mehr ins Licht der Öffentlichkeit rücken sollte? Gehört es nicht dazu, damit umgehen zu können?


    Das hat mich gegruselt. Ich möchte nämlich durchaus auch zunehmend in der Öffentlichkeit Musik machen und Texte in die Welt bringen. Ich kann mich aber gegen persönliche Gemeinheiten nur bedingt abgrenzen. Auf der Verhaltensebene schon, aber emotional trifft es mich, beschäftigt es mich. Mehr als es mir lieb ist.


    Frage: Wie geh ich damit um? Und - falls ihr was drüber sagen wollt - wie geht ihr damit um? Welche Erfahrungen habt ihr da? Ich weiß, das ist schon recht persönlich, aber ich find das spannend. :lupe:D

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Hallo Berit,


    ich kann mir gut vorstellen, dass man da erst mal trocken schluckt. Fachlich eine Kritik wegzustecken ist immer leichter als wenn es persönlich wird.


    Ich kann dir nur einen Tipp nennen. Wäge die Kritik ab. Hat sie irgendeine Berechtigung? Bist du jemand auf den Schlips getreten? Oder, kamst du bei der Person einfach nicht gut an? Solltest du jemandem zu Nahe getreten sein, dann steck die Kritik weg, denn daran kannst du gar nichts ändern. Ich falle öfter mal aus der Reihe, weil ich unbequem direkt werden kann. Wenn mich was stört, dann sag ich das laut und nicht hintenrum, wie es oftmals passiert. Das kommt nicht immer gut an, doch weiß man bei mir immer, woran man ist.


    Es wird selten passieren, dass ein Mensch von allen ins Herz geschlossen wrid. Bei einem Workshop noch weniger. Man stellt unbequeme Fragen, oder gibt Antworten, die dem einen oder anderen Teilnehmer nicht schmecken. Mach dir nichts draus. Du musst nicht von allen geliebt werden. Wenn die Mehrheit gut über den Workshop geurteilt hat, dann nimm das, und nicht die einzelne persönliche Kritik. Natürlich sollte man über die Kritik nachdenken und abwägen, warum sie kam. Doch meist kommt man trotz der anonymen Fragebögen recht schnell auf den Teilnehmer, von dem es kam.


    Ich muss sagen, ich habe gelernt mit den dummen Sprüchen zu leben. Es belastet mich auch nicht. Ich schaue mir die Kritik an, wäge ab, wenn sie berechtigt ist (übellaunig im Workshop), dann versuche ich so etwas nicht mehr vorkommen zu lassen. Wenn aber nur die Chemie nicht stimmt, oder etwas im Workshop vorfiel, was nicht zu vermeiden war (Diskussion- vielleicht auch heftig), dann hake es einfach als gegeben ab.


    Je mehr Gegenwind und „dumme“ Sprüche über deine Person fallen, desto schneller wirst du selbst merken, wie du das am Besten wegsteckst. Entweder du willst es ändern, oder eben nicht. Du bist, wie du bist und manches muss man nicht ändern.


    Was wurde ich verspottet, als ich mich in der Rep. Dom selbständig machte… und erst, als ich mit hängenden Ohren wieder in das Kaff zurückzog, aus dem ich kam. Hey, ich muss mich aber mit 80 nicht fragen, was wäre gewesen, wenn…. Nunja, die nächsten Spötter kamen keine 8 Wochen später, als ich meine Fühler nach Mallorca ausstreckte… mal sehen, wie lange sie diesmal wegbleibt etc.pp Die 4 Jahre sind um, und spotten traut sich keiner mehr. (zumindest nicht darüber)


    Aufmunternde Grüße :blume
    zorrita

  • Hi zorrita :)


    Danke für deine Rückmeldung. Ja, das Abwägen ist natürlich der zentrale Punkt. Ich weiß, was du meinst, an der Stelle, die du ansprichst, geht es um Verortung der Kritik und um die Frage, ob man was draus lernen kann/will ( :D) oder nicht. Es ist ja auch nicht so, dass für mich das Thema Kritik Neuland ist. Ich habe schon ein paar Jahrzehnte Übung auf diesem Gebiet. ;) Und wer everybody's darling sein möchte, hat es sowieso ziemlich schwer im Leben.


    Mir geht es hier an dieser Stelle um die Momente, in denen Menschen durch ihre öffentliche Position quasi zur Zielscheibe für bestimmte Mitmenschen werden, die ihren Neid, ihre Unzufriedenheit, weiß der Geier was irgendwie nicht anders verarbeiten können. Es geht mir um die Momente, in denen Menschen die exponierte Position anderer Menschen ausnutzen, um die Messer zu wetzen und auf deren Kosten mal so richtig vom Leder zu ziehen. Sei es in Form von Rezensionen, Konzert- oder Theaterbesprechungen oder in Foren oder was weiß ich. Das läuft ja manchmal sehr gezielt ab, und ich finde die Psychodynamik dahinter recht schaurig.


    Ich finde das dann besonders unangenehm, wenn es aus heiterem Himmel kommt. Was macht man, wenn die Kritik nicht sachlich ist, auch nichts Konkretes benennt, sondern unangemessen und persönlich ist? Wenn ich das nicht einordnen kann, nicht weiß, wer das geschrieben hat und warum - und wenn ich so gar nichts daraus lernen kann ... dann weiß ich irgendwie nicht weiter.


    Nochmal bezogen auf die Situation neulich: Man muss dazu sagen, dass der gesamte Rückmeldebogen unter aller Kanone war. :evil Meine KollegInnen haben das genau so gesehen, das konnte man auch nicht anders sehen. Und gerade deshalb verwirrt mich ja auch, dass ich das nicht mal so eben mit einem Schulterzucken abtun konnte. Denn es war offensichtlich, dass die rückmeldende Person nicht ganz schussecht war. :frust

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Hi Berit,


    Zitat

    Mir geht es hier an dieser Stelle um die Momente, in denen Menschen durch ihre öffentliche Position quasi zur Zielscheibe für bestimmte Mitmenschen werden, die ihren Neid, ihre Unzufriedenheit, weiß der Geier was irgendwie nicht anders verarbeiten können. Es geht mir um die Momente, in denen Menschen die exponierte Position anderer Menschen ausnutzen, um die Messer zu wetzen und auf deren Kosten mal so richtig vom Leder zu ziehen. Sei es in Form von Rezensionen, Konzert- oder Theaterbesprechungen oder in Foren oder was weiß ich. Das läuft ja manchmal sehr gezielt ab, und ich finde die Psychodynamik dahinter recht schaurig.


    Ich finde das dann besonders unangenehm, wenn es aus heiterem Himmel kommt. Was macht man, wenn die Kritik nicht sachlich ist, auch nichts Konkretes benennt, sondern unangemessen und persönlich ist? Wenn ich das nicht einordnen kann, nicht weiß, wer das geschrieben hat und warum - und wenn ich so gar nichts daraus lernen kann ... dann weiß ich irgendwie nicht weiter.


    Hier gibst du dir selbst die Antwort. Neider, Gelangweilte, Schnarchnasen, Nichtskönner aber Alleswisser einfach ignorieren. Auf die wirst du immer treffen, und es wird auch immer wieder Leute geben, denen du mit deinem Erfolg aufzeigst, was sie selbst nicht auf die Reihe bekommen, sei es aus Faulheit, Angst oder einfach Unvermögen. Lass dich von denen nicht beeinflussen.


    Zitat

    Nochmal bezogen auf die Situation neulich: Man muss dazu sagen, dass der gesamte Rückmeldebogen unter aller Kanone war. :evil Meine KollegInnen haben das genau so gesehen, das konnte man auch nicht anders sehen. Und gerade deshalb verwirrt mich ja auch, dass ich das nicht mal so eben mit einem Schulterzucken abtun konnte. Denn es war offensichtlich, dass die rückmeldende Person nicht ganz schussecht war. :frust


    Da nichts Konkretes kritisiert war, war es klar gegen deine Person gerichtet. Lass dem/derjenigen doch das Vergnügen und ignorier es einfach. Damit machst du dem Nörgler seinen einzigen vermeindlichen "Erfolg" kaputt, den er sich dadurch erwartet. Nämlich dir den Tag zu versauen und sich selbst besser zu fühlen. Das ist einfach nur arm....

  • Der Punkt ist doch der:


    jeder Mensch fühlt sich besser, wenn er gebauchpinselt wird. Da ergeht es Dir nicht anders als mir.


    Beispiel: Bei den wirklich guten Rezensionen, die ich bei amazon erhalten habe (und die NICHT von mir angefordert wurden...) war eine dabei, die echt mies war. Während ich die Rezension las, wurde mir klar: Die Tusse hat das falsche Buch gekauft und sich hinterher maßlos geärgert. (Was ihr ja auch zusteht, nur gilt gerade beim Buchkauf: Lesen und das Gelesene verstehen gehen Hand in Hand)
    Es war also niemand Schuld, wie man so schön sagt. Nur eine unglückliche "Verkettung" von Umständen, die die Käuferin dazu veranlasst haben, mein Buch runter zu machen. *hrmpf* wie man so schön sagt.
    Was hab ich mich über dieses dusselige Weib (Anm.d.Rd.:Ich könnte es auch höflicher, tue ich aber nicht, weil sie war wirklich dusselig) geärgert. Bis mir jemand sagte: Die hatten nen schlechten Tag und hat das an dir ausgelassen. Es hat etwas gedauert..., bis ich das begriffen habe. Aber ich habe.


    Kritik: Schön und gut, aber auch fachliche Kritik kratzt am Ego des Autors und das nicht zu Unrecht. Selbst wenn ich mich freiwillig dieser Kritik stelle: Was fällt dem Dahergelaufenen ein, sich über MEIN Werk, von dem ich überzeugt bin und in das ich mein Herzblut gesteckt habe, überhaupt irgendwas zu kritisieren...
    Kommt Dir bekannt vor...gell? :strauss


    Nächstes Beispiel: Ab und an leite ich mal Abende bei der örtlichen VHS und bekomme dort echte "Sauerländer Heimatkunst" zu lesen. Ein Genre, um das ich sicherlich nicht gekämpft habe, mit dem ich aber arbeiten kann.
    Nun hatte ich letztens einen älteren Herrn, der seine Bildbände (über BoD, weil nur für die Verwandschaft) mit kleinen Gedichten versah. Heimatkunst und Gedichte, :bonk sind für mich echt schwer zu verarbeiten und ich muss mich wahrlich anstrengen, die Sache positiv zu sehen. Mit Gedichten kann ich gar nicht, egal ob Freestyle oder gereimt... Aber die Leute, die da hinkommen, sind so liebenswert und engagiert, dass mir wirklich das Herz aufgeht, wenn ich sehe, mit welcher Begeisterung sie über ihre Heimat schreiben.


    Jetzt erwartete dieser ältere Herr von mir, dass ich sein "Gedicht" zerpflücke... möglichst höflich, möglichst fair.
    Ich hab ihn mir nach diesem Abend an die Hand genommen und ihm meine Zwickmühle versucht zu erklären.
    Gedichte sind nicht meine Welt, ich lese sie zwar ab und an gerne, werde mich aber hüten irgendwas dazu zu sagen, weil ich mich mit diesem Bereich nicht beschäftige und es nur in die Hose gehen kann, wenn ich anfange etwas dazu zu sagen.
    Jetzt musste ich diesem Herrn also verklickern, dass er am "Thema" vorbei geschrieben hatte (weil wir an diesem Abend Texte bearbeitet haben, die mit Gedichten nichts zu tun hatten, sondern eher mit Kurzgeschichten) und ich außerdem zu seinen Gedichten nix sagen werde, weil ich nicht dafür prädestiniert bin, ihm dazu etwas zu sagen. Eine äußerst dankbare Aufgabe.... :bonk


    Allein, dass ich nichts zu seinem Gedicht sagen wollte und konnte, hat dieser Herr als harsche Kritik aufgefasst und ward seitdem nie wieder an einem dieser Abende gesehen. (Schade, weil seine Bilder wirklich toll waren)


    Es ist egal, wie oder was, oder in welcher Form Dein Werk begutachtet wird. Du musst also immer davon ausgehen, dass der Andere halt nen schlechten Tag hatte oder mit dem, was Du bietest nichts anfangen kann.
    Das man in diesem Fall besonders heftig schlucken muss ist klar, aber eines darfst Du nicht tun: Die Sache an Dich heran lassen. DU kannst es niemandem recht machen...geht einfach nicht.


    Auch wenn ich jetzt einen Sturm im Forumswasserglas entfache: Auch fachliche Kritik solltest Du mit Vorsicht genießen. Es steht immer eine gewisse Persönlichkeit hinter dieser Kritik. Jeder geht mit der gegebenen Problematik anders um und würde diese auch anders angehen. Auch das ist ein Punkt, den man immer im Hinterkopf haben sollte.


    lg
    scribbler

  • Ich kann da dem Punkt "Abwägen" nur zustimmen. Wenn die Kritik stimmt, kann man versuchen, daran zu arbeiten. Und daraus lernen. Und es beim nächsten Mal besser machen.


    Aber abgesehen davon gibt es immer Leute, die einem zwischen die Beine treten oder einen zum Stolpern bringen wollen. Teils aus Neid, teils auch, weil sie es einfach nicht besser wissen. Anstatt sich über so jemanden zu ärgern sollte man sich lieber über die anderen guten Kritiken freuen...


    Ich habe in meinem Leben schon so viel Kritik einstecken müssen, wenn ich sie mir jedes Mal zu Herzen genommen hätte, hätte ich längst mit dem Schreiben aufgehört und würde irgendwo auf der Alm leben...

  • Hallo, Berit.


    Zitat

    Gehört es nicht dazu, damit umgehen zu können?


    Als Künstler wird man zu einer öffentlichen Person. Menschen versuchen, sich ein Bild von demjenigen zu machen, dessen Bücher sie lesen, dessen Musik sie hören, dessen Gemälde sie betrachten. Kunst und Künstler werden als Einheit verstanden, es findet im Prinzip das Gegenteil von dem statt, worum wir uns hier im Rahmen der Textbesprechung so energisch bemühen. Dieser Prozess wird auch von nicht wenigen Künstlern forciert; viele von ihnen sind überdurchschnittlich eitel und sehr sendungsbewusst. Die regelmäßigen Stellungnahmen von Leuten, deren Meinung genaugenommen auch nicht viel mehr wert ist als irgendeine Äußerung am Kneipenstammtisch, sind Indizien dafür. Knapp gesagt: Wenn jemand Willens ist, mir zuzuhören, dann sage ich halt auch etwas. Nicht wenige Künstler betrachten das sogar als willkommenen Bestandteil ihrer Selbstdarstellung. Mehr noch, sie arbeiten exakt darauf hin. Es geht einigen m.M.n. wesentlich mehr um die vermeintliche Prominenz (s.u.), als um das eigene Werk, das dann auch irgendwann zu einem recht austauschbaren Transportmittel wird.


    Diese "Sonderstellung" hat das Publikum auch akzeptiert und verinnerlicht. Auch wenn Autoren nur in Ausnahmefällen gut genug für Klatschpresse und Talkshows sind (einfach, weil man ihre Gesichter i.d.R. nicht kennt), betrachtet sie das Publikum doch - irgendwie - automatisch als ebensolche Kunstfiguren (im Sinn des Wortes), wie das viele Musiker sind, bei denen die Selbstdarstellung wesentlich immanenter in Bezug auf das jeweilige Produkt ist - Musiker und Musik sind untrennbarer als Autor und Buch, aus Sicht der Konsumenten. Diese Unterscheidung nimmt das Publikum aber kaum vor. Wer auf dem Markt präsent ist, gilt in gewisser Weise ebenso als Produkt wie sein eigentliches Werk.


    An dieser Stelle meinen dann auch viele, sich jedweder Selbstbeschränkung, die sie ansonsten im Umgang mit anderen Menschen pflegen, entledigen zu dürfen. Das geschieht meiner (auch indirekten) Erfahrung nach zwar nicht in der Härte, wie es bei medial omnipräsenten Figuren aus der Kategorie Bohlen-Gottschalk-Silbereisen passiert, bei denen die öffentliche Schmähung im Prinzip zum guten Ton gehört, aber Autoren dürfen gerne auch als Deppen, Idioten, Nichtskönner, Plagiatoren, Arschlöcher usw. bezeichnet werden. Die vermeintliche Prominenz geht hier mit einer schleichenden Verletzung der Persönlicheitsrechte einher, die tatsächlich in gewisser Weise - jedenfalls, was die Berichterstattung anbetrifft - eingeschränkt sind, wenn man eine "öffentliche Person" ist. Die Latte hierfür ist in den letzten Jahren drastisch gesunken (weshalb Begriffe wie "C-Prominenz" die Runde machen), und das Publikum ist dazu übergegangen, einfach überhaupt keinen Unterschied mehr zu machen.


    Will sagen: Ja, man muss wohl damit leben, dass die eigene Person ins Schussfeld gerät, wenn man sich als Künstler ver-öffentlicht. Es sind nicht nur die vermeintlichen Neider, die dann aus vollen Rohren schießen - teilweise hat das sogar die Qualität eines Volkssports angenommen. Da spielen viele Aspekte hinein, auch der inzwischen wieder populäre "Sozialneid" spielt eine Rolle, weil viele immer noch zu glauben scheinen, man wäre sowieso automatisch Millionär, wenn man ein Buch veröffentlicht hat (schön wär's). Im Ergebnis muss man in Rezensionen und Kritiken Schmähungen zur Kenntnis nehmen, die weit über Kritik am eigentlichen Werk hinausgehen, diffamierende Leserbriefe entgegennehmen, oder sich sogar vorwerfen lassen, man wäre an diesem und jenem Missstand wenigstens mittelbar mitschuld. Anteilig hält sich das in den meisten Fällen sehr in Grenzen, aber auch wenn man zehnmal am Tag hört, wie toll man aussieht - der eine, der dann sagt: "Großer Gott, bist Du unter einen Laster gekommen?" ruiniert alles.


    Zum Trost sei gesagt, dass man sich - meistens jedenfalls, nach meiner Kenntnis - irgendwann daran gewöhnt und es weitgehend an sich abperlen lässt. Die Schmerzschwelle steigt. Aber jemand, der wirklich bösartig zuschlägt, kann auch nach Jahren der Präsenz auf dem Markt immer noch sehr, sehr verletzen. Vor allem, wenn er einen empfindlichen Bereich trifft. Da muss man durch; es gibt nur eine Alternative, und die lautet: Es nicht zu tun. Das mit dem Ver-öffentlichen.

  • hallo berit,


    zorritas stichwort "abwägen" trifft es sicher sehr gut, wobei man es um ein "einordnen" bzw. "attribuieren" (psychologensprache) ergänzen könnte.


    ich nehme kritik auch erstmal gefühlsmäßig persönlich, versuche sie dann aber rational abzuklopfen auf dinge, die evtl. a) objektiv zutreffen oder b) mich an einem wunden punkt treffen (je mehr man sich derer bewusst wird, desto weniger empfindlich ist man).


    und dann sollte man versuchen, am kontext den kritisierenden zu verstehen bzw. einordnen zu können. wenn der kontext (wie in deinem fall, berit) die person eindeutig disqualifiziert, dann sollte man von dieser person besser kritisiert als gelobt werden.


    bei der kritik an künstlern kommt noch dazu, wie tom sagt, dass der künstler sich durch sein werk exponiert, damit eine fallhöhe hat, die bei vielen bauchreaktionen wie "das könnte ich aber auch" hervorruft. wo promis sich selbst in den fokus der aufmerksamkeit drängen, zurecht kritisiert werden, wenn sie dummes oder unreflektiertes kundtun, drängen künstler ihr werk in die öffentlichkeit.


    bin gespannt, wie ich selbst damit umgehen könnte, wenn ich ein vielverkauftes werk hätte und verrisse lesen müsste.


    herzliche grüße,
    michael

  • Ob wir hier nicht Kritik mit bashing verwechseln? Eine Kritik hat für mich das wesentliche Merkmal der Distanz und Sachlichkeit, was eine gewisse Beschäftigung mit den Dingen voraussetzt, die man kritisiert. Und ich spreche nicht von Tischmanieren, die Kritik kann und muss manchmal auch hart sein.


    Wenn sich aber jemand auskotzen und einen anpissen will, ist das doch ganz was anderes, und ich behaupte mal, dass man genau das merkt, wenn man sich persönlich angegriffen fühlt.
    Was hast du dir also anhören dürfen, Berit? Kritik oder eitles Gelaber?


    Wie ich damit umgehen würde - hm. Es käme auf die Menge an. Mit einem gewissen Arschloch-Prozentsatz muss man wohl rechnen, will man veröffentlichen. So es denn soweit kommt, dass ich mal was veröffentliche, würde ich diesen Prozentsatz vermutlich nicht in die Rolle der Kritiker erheben. Abwägen, verorten, hört sich nach guten Vorschlägen an.


    Wie das emotional packen? Mit einem Fred wie diesen zum Beispiel. Oder auch Freunde zu Rate ziehen.


    Grüße ...


    Jo

  • Hallo Berit,


    ich selber habe als Kritikerin wenig Lesermeinungen gehört und die wenigen waren auch nicht verletzend.


    Aber ich hatte viel mit Künstlern zu tun, Schauspielern und (klassischen) Sängern. Und ich kann Dir von denen versichern, dass auch ihnen verletzende Kritik zu schaffen macht. Aber sie müssen, anders als ein Schriftsteller, dessen Text immerhin nur ein Mal geschrieben wird, mit demselben Stück immer wieder auf die Bühne, und sie wissen, dass ein Teil des Publikums nur das an ihrem Spiel wahrnimmt, was in der Zeitung stand.


    Und auch bei ihnen habe ich die Ambivalenz bemerkt, von der Tom schreibt: Öffentlich wahrgenommen werden wollen, ja, aber polemische Kritik oder gar Diffarmierung, nein.


    Ich denke, es ist genau so, wie Tom es geschrieben hat: Man muss herausfinden, wie man damit fertig wird, eine "öffentliche" Person zu sein. Aber ich denke, jeder kennt den Wechsel zwischen Euphorie (denn auch diese Seite gibts dabei schließlich) und dem Gefühl, sich am liebsten verkriechen zu wollen.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Ich unterscheide dadurch, ob ich die Person kenne oder nicht. Kenne ich sie nicht und sie mich somit auch nicht und sie ohrfeigt mich persönlich und nicht mein Werk, hat sie vielleicht einen schlecdhten Tag aber zumindest einen Schaden.
    Es trifft trotzdem irgendwie, ja. Das versuche ich abprallen zu lassen.


    Kenne ich die Person, frage ich mich, was los ist. Oder kann es abhaken. Alles was von der Seite meines Exmannes und seiner Sippe kommt, schmeiße ich in den Müll, quasi ungelesen.


    Bei Amazon hatte ich mal zehn bitterböse, sehr persönliche und nicht am Werk orientierte Rezis. Die habe ich stickum löschen lassen.
    Fertig.


    Ist nicht immer einfach, zumal da so eine Ratte um mich schleicht, die tatsächlich Stalkermentalität entwickelt. Aber das kenn ich. Die macht mich nicht klein. Die nicht.


    Lass du dich auch nicht klein machen. Klingt leicht, ist es nicht.


    Weiß


    Ulli

  • Hallo Berit


    Eigentlich kann ich meinen Vorrednern nicht viel hinzufügen, nur eine ganz aktuelle persönliche Erfahrung.


    Ich war gerade dienstlich in St. Petersburg, wo wir vier Konferenzen innerhalb einer Woche organisiert hatten, unter anderem eine für die beiderseitigen Ministerien (also viel Stress und Anspannung).


    Ich bin letzten Sonntag hingeflogen zusammen mit einem Pärchen, dessen männlicher Part sehr nett und umgänglich, dessen weiblicher Part allerdings extrem nörgelnd war. Bei letzterem fing es an mit dem Fön, der im Internet vom Hotel versprochen wurde, allerdings nur mit "bösem Gesichtsausdruck" an der Rezeption zu erhalten war (ich bin sicher, dass sie den super hinbekommen hat), über die Glühbirne, die von Anfang an und auch nach wiederholten (und ich bin sicher, mindestens zweimal pro Tag wiederholter) Anmerkung auch bis zum Schluss nicht repariert wurde. Das waren quasi die harmlosen Anmerkungen. Weitere bezogen sich darauf, dass man die Metro nicht finden würde und die Petersburger wohl daher nicht daran interessiert seien, dass Touristen kommen würden (ich habe nur gedacht, dass sie 1. auf Touristen dieser Art sicher gut verzichten können und 2. die Touristen eh kommen, weil die Stadt so schön ist). Jedenfalls war bei der Dame exakt jeder dritte Satz eine Nörgelei, die ich anfangs ob meines Amtes als quasi Reiseleiterin und Gutwettermacherin immer versucht habe zu entkräften. Nach zwei Tagen fiel mir dann auf, dass besagte Dame als Anhängsel eines eingeladenen Wissenschaftlers (sie ist selbst Wissenschaftlerin in dem Bereich, aber war eben nicht eingeladen, sondern nur auf seinen Wunsch hatte sie ein Visum bekommen) freundlicherweise unsererseits da war - da habe ich - endlich - gedacht, sie kann mich mal. Trotzdem musste ich lernen, ihre Nörgeleien (ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, mehrmals mit ihr am Frühstückstisch - unter dem schweren Mitleid meiner Kollegen) zu sitzen - so was am frühen Morgen nach z.T. durchzechter Nacht kann einfach zu viel sein!!! - einfach an mir abprallen zu lassen.


    Fazit: Ich glaube, ich bin der Dame nicht nur dankbar, dass sie am Ende all dieser Ärgernisse den Bus vom Flughafen Hamburg nach Kiel für ca. 10 Minuten aufgrund irgendwelcher Nörgeleien aufgehalten hat, so dass ich ihn, obgleich mein Gepäck sehr spät kam, auch noch erreichte, sondern auch dafür, dass sie mir tatsächlich eine Lektion im Ich-Bin-Verdammt-Nochmal-Weder-Schuld-Noch-Verantwortlich-Erleben erteilt hat. War nicht leicht. Aber lehrsam.


    Vielleicht trifft das einen Teil der Empfindungen, die Du auch hattest.


    Gruß,
    Karen

    Fiction has to be realistic, unlike real life.
    Ian Rankin

  • Moin.
    [Achtung, es folgt ein Antwortbeitrag. Sieht länger aus, als er ist. ;)]


    Vielen Dank für eure netten Überlegungen und geteilten Erfahrungen. Gibt ein sehr differenziertes Bild ab, wieder mal. Wie schrieb Joachim:

    Zitat

    Wie das emotional packen? Mit einem Fred wie diesen zum Beispiel.


    :blume


    @scribbler

    Zitat

    Auch fachliche Kritik solltest Du mit Vorsicht genießen.


    Keine Frage. Ich nehme Kritik ja nicht automatisch an, nur weil sie nicht persönlich ist. 8-) Das heißt, es macht Sinn, JEDE Kritik wiederum daraufhin zu überprüfen, wie wahr sie für einen ist. Das muss ja jede/r selbst wissen.


    Tom

    Zitat

    Wer auf dem Markt präsent ist, gilt in gewisser Weise ebenso als Produkt wie sein eigentliches Werk. An dieser Stelle meinen dann auch viele, sich jedweder Selbstbeschränkung, die sie ansonsten im Umgang mit anderen Menschen pflegen, entledigen zu dürfen. ... Die vermeintliche Prominenz geht hier mit einer schleichenden Verletzung der Persönlicheitsrechte einher, die tatsächlich in gewisser Weise - jedenfalls, was die Berichterstattung anbetrifft - eingeschränkt sind, wenn man eine "öffentliche Person" ist. ... Will sagen: Ja, man muss wohl damit leben, dass die eigene Person ins Schussfeld gerät, wenn man sich als Künstler ver-öffentlicht.


    Wie schön präzise, danke. Das waren so die übergreifenden Punkte, die ich ursprünglich im Blick hatte. Und damit ist auch Joachims Frage beantwortet:


    Zitat

    Ob wir hier nicht Kritik mit bashing verwechseln?


    Wie man das auch definiert, es gibt genau diese beiden Aspekte. Und ich selbst habe hier v.a. Letzteres im Auge, da ich gerade besagte Erfahrung machen durfte. Von einer kritischen Distanz war bei dieser Rückmeldung jedenfalls nix zu spüren. :braue


    Michael

    Zitat

    (je mehr man sich derer bewusst wird, desto weniger empfindlich ist man)


    Stimme unbedingt zu! Selbstreflexion macht zwar nicht unverwundbar, aber es hilft doch ziemlich. ;)


    Anja

    Zitat

    ich denke, jeder kennt den Wechsel zwischen Euphorie ... und dem Gefühl, sich am liebsten verkriechen zu wollen.


    Das trifft einen ganz wichtigen Punkt für mich. Und ich persönlich kann das auch nicht auflösen. Vor allem *vor* öffentlichen Auftritten geht es mir manchmal entsetzlich, fühle ich mich zu sichtbar, angreifbar, ganz schlimm. Und dasselbe Gefühl stellt sich bei unfairen Rückmeldungen aus dem Hinterhalt ein. Und da überlege ich schon manchmal, ob, wie fictionmaster schrieb,

    Zitat

    irgendwo auf der Alm leben...


    für mich nicht doch der bessere Weg wäre. Aber er wäre nicht besser. Nur einfacher.


    Ulli

    Zitat

    Klingt leicht, ist es nicht.


    Nee stimmt, klingt nach Arbeit, aber wenigstens nach sinnvoller. :D


    Karen

    Zitat

    War nicht leicht. Aber lehrsam.


    :dhoch Dank dir, ich fühl mich sehr erinnert.

    :sonne

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

    Einmal editiert, zuletzt von Berit ()

  • @Saskia: Manchmal habe ich, das muss ich zugeben, durchaus Schwierigkeiten, zu verstehen, was Deine Anmerkungen bedeuten, aber ich phantasiere mir dann immer einen Sinnzusammenhang herbei. Bei dem Verweis auf Forentrolle an Berit gelingt mir das aber nicht mehr.

  • Hallo, Saskia.


    Verstehe. Danke für die Aufklärung.


    Und es mag für Dich auch so sein, aber eigentlich ist ein Troll jemand, der provoziert und beliebige - nicht selten ziemlich sachfremde - Positionen einnimmt, um ein Forum aufzumischen. Jemand, der "unangemessen" kritisiert und/oder sehr persönlich wird, tut das zumeist aus anderen Gründen.

  • Hi Saskia,


    ja, doch. Ich verstehe. Da gibts schon ne Schnittmenge ...


    quote Wiki:

    Zitat

    Ziel eines Trolls ist es, Diskussionen auszulösen, nur um zu diskutieren, Menschen mit anderer Meinung zu diskreditieren oder eine Diskussion zu sabotieren, indem er eine unangenehme Atmosphäre schafft.


    In beiden Fällen ist es ja eine schräge, destruktive Form der Teilhabe. Man krallt sich ein Thema, aber nicht, um sich auszutauschen, sondern um zu stören, um ungute Gefühle auszulösen.


    (Ich denke gerade: Das hat was mit der Ausübung von Kontrolle zu tun. Das dahinter liegende Gefühl mag Trennung sein, Isolation, Ohnmacht, sonst ein unangenehmes Gefühl. Und die Betreffenden kriegen das nicht verpackt, sondern gehen zum Angriff über und versuchen die gleichen Gefühle auch bei anderen zu verursachen. Nur so ne Idee :braue)

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Zitat

    In beiden Fällen ist es ja eine schräge, destruktive Form der Teilhabe.


    Aber nicht unbedingt eine vergleichbare. Forentrolle verstecken sich hinter der Anonymität, provozieren, spielen gezielt Mitglieder gegeneinander aus, und sie genießen dann offenbar diese seltsame Form von Macht, die sie ausüben. Es sind Störenfriede im Wortsinn, und es geht ihnen häufig nur darum.


    Natürlich mag es auch bei den Menschen, die im Rahmen von Kritik sehr persönlich, abfällig und verletzend werden, ähnliche Motivationen geben, aber meiner Meinung nach nicht in der Hauptsache.

  • Zitat

    Original von Tom


    Aber nicht unbedingt eine vergleichbare.


    :kratz1
    *Klugscheißermodus ein* Tom, weil du sonst so genau mit Worten umgehst: Ein Vergleich setzt erstmal Verschiedenheit voraus. Zwei identische Dinge oder Sachverhalte vergleicht doch kein Mensch, das ist doch öde. ;) Daher kann man alles miteinander vergleichen - und dann zu den unterschiedlichsten Ergebnissen kommen. "Gleich" werden dadurch die verschiedene Sachverhalte noch lange nicht. *Klugscheißermodus aus*


    Es ist nicht das Gleiche, klar. Aber:


    Zitat

    Forentrolle verstecken sich hinter der Anonymität, provozieren, (...) und sie genießen dann offenbar diese seltsame Form von Macht, die sie ausüben.


    Der besagte Rückmeldebogen war auch anonym. Und Rezensionen bei amazon oder filmstarts.de oder sonstwo gehen ja auch oft in diese Richtung. Da entsteht häufig der Eindruck, dass sich jemand an durchweg positiven Rückmeldungen stört und die Plattform gezielt nutzt, um unerkannt Verrrisse und ggf. auch Schlimmeres abschießen zu können ...

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)