Kafka, der Humorist

  • Ich habe gerade diesen interessanten Artikel über eine andere Lesart der Arbeit Franz Kafkas entdeckt. Seit mir unser Professor damals an der Uni erzählt hat, dass Kafka bei Lesungen teilweise unterbrechen musste, weil er von Lachkrämpfen geschüttelt wurde, habe ich seine Werke anteilig auch immer auf eine absurd-humoristische Weise gelesen, oder zumindest den Humor in seinen Texten gesucht. Diese Lesart scheint sich zu verbreiten. Ich habe jetzt Lust erneut in sein Werk einzutauchen und den Witz in den Texten zu suchen.


    Franz Kafka war ein großer Lacher.

    Es ist wieder höchste Zeit für mich, auf See zu gehen…

    Einmal editiert, zuletzt von Shoogar ()

  • Shoogar

    Hat den Titel des Themas von „Kafka der Humorist“ zu „Kafka, der Humorist“ geändert.
  • Mmh. Seit seinem Tod spekulieren die Leute in unterschiedlichen Lesarten und unter Nutzung unterschiedlicher Quellen und Indizien (zuweilen auch derselben) über Kafkas psychischen Zustand, weil sie sich erhoffen, dadurch die "richtige" Perspektive auf sein Werk zu finden. Ich finde das eigenartig. Und ich frage mich, ob das wichtig ist, ob Kafka nun wirklich der Depressiv-Insichgekehrte war, als der er uns generationenlang verkauft wurde, oder ob er (auch) geulkt hat und das reine, freie Glück wenigstens zeitweise kannte. Ich habe "Der Prozess" in der elften Klasse lesen müssen und hatte da wenig Ahnung, hatte von Kafka kaum gehört, und ich empfand den Text (wir haben nur ein paar Kapitel gelesen, wenn ich mich recht erinnere) als mäßig bedrohlich und etwas verwirrend, aber auch als sehr trocken und irgendwie ... bürokratisch. Ich weiß tatsächlich noch, dass es darum ging, dass die Hauptfigur (K.?) sonntags zu seltsamen Verhören gehen sollte - ein Gedanke, der mich seinerzeit dazu gebracht hat, den ganzen Text abzulehnen. ;) Irgendwo in den Regalen steht die bei "Zweitausendeins" gekaufte Gesamtausgabe, und vielleicht versuche ich mich nochmal ausgerechnet an diesem Roman, aber was ich eigentlich sagen will: Ich frage mich, wozu das gut sein soll, wenn aus der Biografie des Schriftstellers eine Anleitung dafür abzuleiten versucht wird, wie sein Zeug zu verstehen und aufzufassen ist. Und die Art der Indiziensuche ist auch ein wenig befremdlich. Jeder Mensch hat seine Momente, in denen er Gemütszustände fast aller Art durchlebt, und nur der Hinweis darauf, dass es dieses und jenes zeitweise gegeben haben mag oder dass Kafka trotz der vermuteten schwierigen häuslichen Verhältnisse lange "freiwillig" bei seinem Vater gelebt hat, reicht zumindest mir nicht für ein psychologisches Gutachten. Mit dem ich auch nichts anzufangen wüsste. :achsel

  • Ach, wie es dem guten Franz wohl psychisch gegangen sein mag, halte ich auch für unerheblich. Ich finde nur, dass seine Texte vielschichtiger werden, wenn man ihnen auch Humor zugesteht. So gibt es zum Beispiel im Prozess eine Szene, in der die beiden, die K. zu Beginn des Buches verhaftet haben, bestraft werden. Und ich finde, die liest sich sehr viel schlüssiger, wenn man sie als humorvolle Szene liest, statt als bedrückend oder bedrohlich. Und es geht ja auch weniger darum eine Lesart vorzuschreiben, als andere Lesarten zuzulassen. Ich erzähle ja nichts Neues, wenn ich sage, dass Humor sehr individuell ist. Was ich an dieser Szene unterhaltsam finde, findet jemand anderes vielleicht verstörend und ein Dritter widerum einfach langweilig. Uns wurde damals in der Schule nur von der düsteren Lesart Kafkas erzählt und damit wird sein Werk meiner Meinung nach vielen Facetten beraubt.

    Es ist wieder höchste Zeit für mich, auf See zu gehen…

  • Ich habe gerade noch einmal das zweite Kapitel von "Der Prozess" gelesen und finde darin ziemlich viel Humor, und zwar sehr direkten. K. wird telefonisch darum gebeten, am Sonntag zum Verhör zu kommen (es ginge auch nachts, aber da wäre K. möglicherweise nicht "so frisch"), und kurz nach dem Anruf bittet ihn der Stellvertretende Direktor, am Sonntag zu einem Ausflug mitzukommen, was wichtig wäre, um die Situation in der Behörde zu entspannen, aber K. hat gerade zugesagt, sich verhören zu lassen, und dabei übrigens vergessen, nach der Uhrzeit zu fragen usw. usf. Da ist viel Komik drin, fast schon Slapstick. Okay, der gesamte Text ist nicht komisch, das Thema ist nicht komisch, die Situation, in der sich K. befindet, auch nicht, aber auch ohne biografische Hinweise finde ich das ... nunwohl, nicht zum Schreien, aber doch teilweise durchaus lakonisch und amüsant (nicht zuletzt natürlich auch wegen der maniriert erscheinenden Sprache).

  • Sich die Biografie eines Künstlers zu Gemüte zu führen ist ja auch nichts anderes als BILD-Zeitung lesen für Akademiker.


    Davon ab sind Verwandlung, Proceß und auch Der Verschollene durchaus voll von Slapstick (stummfilmartig), Komik und dergleichen, aber nur als Element möchte ich meinen, als Mittel, nicht als Grundton der Geschichten.

    Bei Verwandlung zeigt sich das schön: Samsa im Bett denkt als erstes daran, wie er den 5-Uhr-Zug noch erwischen könnte, das ist schon sehr komisch. Gleichzeitig ist es diese innere Ignoranz gegenüber der äußeren Katastrophe, aus der sich das Grauen und die Tragik speisen.


    Dennoch ein wichtiger Hinweis, allein schon weil es die Logik von Kafkas Leben = Kafkas Werk aufbricht.

  • Wenn ich an "Der Verschollene" denke, von Max Bros posthum unter dem Titel "Amerika" veröffentlicht, dann kann ich keinerlei Komik darin erkennen. Am ehesten muss ich meinen Leseeindruck als ärgerlich bezeichnen. Habe mich bereits nach den ersten Seiten über den Prot Karl zu ärgern begonnen, der wirklich dümmer ist, als es die Polizei erlaubt. Da er bereits auf dem Schiff als naiver Dummy profiliert wird, war alles weitere für mich relativ vorhersehbar.

    Sich später im Hotel - trotz besseren Wissens - erneut den beiden Strauchdieben auszuliefern, grenzt an Idiotie. Was an diesem Roman-Torso Weltliteratur sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Er ist mAn weder sprachlich noch inhaltlich herausragend.

    Kaum etwas wird gründlicher vorbereitet, als ein plötzlicher Kriegsausbruch!

    (Unbekannt)

  • Wie humorvoll man Kafka darstellen kann, hat der großartige Erzähler Peter Henisch mit seinem Roman "Vom Wunsch, Indianer zu werden" bewiesen. Damit greift er nicht nur auf ein kurzes Stück Prosa von Kafka zurück, sondern lässt auch denselben noch eine Überfahrt nach Amerika wagen. Auf dem Schiff trifft er dabei auf Karl May, der den jungen "Kollegen" schließlich überreden kann, gleich bei der Ankunft wieder auf die Rückfahrt zu gehen. Was Peter Henisch dabei Kafka mit Klara May im Beisein ihres Mannes treiben lässt, ist eine Klasse für sich.


    ASIN/ISBN: 3701715858

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Es gibt ja auch diese Art von Humor, bei dem man eigentlich eher schreien als lachen möchte (oder beides gleichzeitig), Antoine Volodine ist ein Meister darin.


    Mit Kafka bin ich nie warm geworden, ehrlich gesagt. Als großer Fan von David Tennants 10th Doctor hatte ich aber damals das Hörspiel Kafka, the Musical entdeckt und das ist - so schräg und unpassend die Kombi Kafka / Musical klingt - ganz wunderbar.


    Franz Kafka wird dort von seinem groben, grausam-oberflächlichen Vater in eine Musicalproduktion gedrängt, in dem Franz die Hauptrolle spielen soll - nämlich sich selbst. Das melancholisch- empathische, absurd-komische Stück hat größtenteils Hörspielform, aber eben auch Gesangseinlangen, die ganz erstaunlich gut passen.


    Murray Gold's new play starts from the suitably Kafkaesque premise that Franz Kafka finds he has to play himself in a musical about his own life. The play - or is it the musical? - introduces Kafka and the audience to some of the key characters in his life, Milena Jesenska, Dora Diamant and Felice Bauer.


    BBC 3

    Jeremy Mortimer & Murray Gold, 2011

    Dauer: 85'

    Link hier


    Erinnert mich stark an den Film Brazil, an wie gesagt Volodine oder auch Kharms / Vvedensky. Fette Empfehlung jedenfalls.