Sehr cooler Faden!
D. H. Lawrence: Lady Chatterley's Lover (UK 1928, Dt. 1930 als Lady Chatterley).
Sowohl ein Skandalwerk wie auch ein Bestseller. Problematisch war nicht nur die recht offen erzählte Sexualität / Begehren, sondern auch, dass eine Dame der Oberklasse ihren - dazu noch durch eine Versehrtheit wortwörtlich 'entmannten' - Gatten mit einem Arbeiter (einem Förster / Landarbeiter) hintergeht. Der Roman wartet mit einigen echt harten Klischees auf - vergeistigte Intellektuelle = kein Verständnis von Sex vs. Proletarier = grob und brutal, aber sexy und körperbewusst -, aber kann ebenfalls als emanzipatorisches Werk verstanden werden. Er ist zwar voller Klischees, aber diese sind teils oder insgesamt bewusst eingesetzt; das Ganze ist nicht unbedingt kitschig.
Matthew Lewis: The Monk (UK, 1776, publ. 1795/96). Das Frühwerk - der Autor war Anfang zwanzig - war einer der genre-definierenden Erzählungen der Gothic Novel und kostete ihn eine vielversprechende Laufbahn in der Politik. Lewis hatte die heftigen Reaktionen nicht vorausgesehen, sondern war wohl etwas zu optimistisch, was die Fortschrittlichkeit seiner Gesellschaft betraf. Das Buch wäre durchaus als Bestseller einzuordnen und ist 1990 mit dem wunderbaren Paul McGann verfilmt worden.
Steine des Anstoßes waren damals: Antikatholizismus / Bloßstellung moralischer Bigotterie, Inzest bzw. inzestuöse Vergewaltigung, Mord, Kirchendiener & Sexualität, keine durchgehende 'Moral von der Geschicht'.
Der sehr freche, im positiven Sinne temporeiche Roman wirkt stark von Marquis de Sades Fiktionen inspiriert, wurde aber vor deren Veröffentlichungen verfasst und es war sogar umgekehrt de Sade, der Lewis rezipierte bzw. lobte. The Monk ist - anders als die romantischen Schinken der Schnarchnase Ann Radcliffe - exzellent gealtert; ein wilder Ritt voller augenzwinkernder Ironie und vorzeitiger Punk Rock!-Attitüde.
Kathy Acker: Blood & Guts in High School (USA 1978, publ. 1984)
Surrealistische, achronologische und stark assoziative Metafiktion der feministischen Essayistin / Theoretikerin, die darin Charles Dickens' Great Expectations neu erzählte. Referenzen gibt es auch zu Nathaniel Hawthornes The Scarlet Letter.
Ob das Buch auch im englischsprachigen Raum ein Skandal war, kann ich nicht sagen, aber die Deutschen sahen das nicht so locker: Harte Mädchen weinen nicht kam 1985 auf den Index und konnte selbst von Erwachsenen nicht legal erworben werden (ich hatte es - gerade 18 geworden - damals selbst erfolglos versucht und dann einfach 1989 den wunderschönen Picador-Band von meinem Schottland-Urlaub mitgebracht). Es wurde auf Deutsch 1991 gekürzt neu aufgelegt. Ich denke vom Reinlesen eh, dass das Buch unübesetzbar ist, oder jedenfalls fürchterlich ins Deutsche übertragen wurde, jedenfalls klingt die deutsche Fassung einfach nur dumm und prollig, während das Original stilistisch echt Pfiff hat.
Ich kann die Aufregung darum nicht verstehen. Ja, es gibt reichlich expliziten Sex und Gewalt (aus Sicht der weiblichen Erzählerin und auch teils mit ihr als Täterin), aber die Erzählung ist derart offensichtliches Kunstprodukt, offensichtlich aus dem radikalfeministischen und Punk-Kontext entstanden und sich auch ebenso an dieses Publikum wendend. Es geht um Transgression und daher ist das Buch nötigenfalls selbst transgressiv. Acker bricht nicht nur Tabus, sondern auch die Grenzen der Sprache, der Identität und auch des Copyrights (Autor als Inhaber geistigen Eigentums).
That said: Ich war zum Zeitpunkt meiner Lektüre selbst feministische GothPunk und bereits pansexuell, zudem an Sprachexperimenten und dem Surrealismus in der Kunst interessiert - selbstverständlich fand ich das hochspannend. Wesentlich besser allerdings gefiel und gefällt mir Ackers Nachfolgewerk, das formell etwas konventioneller aufgezogene Empire of the Senseless, das ähnliche Themen mit einem Hauch ironischer Fantasy / Abenteuer (Piraten, Großstadtnomaden, Dystopie) behandelt und insgesamt lesbarer ist - zudem nicht so extrem 'in your face'.
Abgesehen davon, dass ich gegen jede Zensur bin ( = Jugendschutz ja, Verbot für Erwachsene nein), muss ich über die Indizierung den Kopf schütteln. Wie bei ebenfalls indizierten Filmen wie Evil Dead / Tanz der Teufel oder Texas Chainsaw Massacre / Das Kettensägenmassaker geht es gerade um den Bruch mit traditionellen Rollenmodellen und einer Bedrohung, die auch von Frauen ausgeht oder zudem von Frauen erzählt wird. Hier mit einem Sexismusvorwurf Verbote zu begründen finde ich absolut zynisch und seinerseits frauenfeindlich.
In dieser Reihung ( Petra weil du nach Autorinnen fragtest) könnte man auch Lydia Lunch: Paradoxia. A Predator's Diary (USA 1999; dt. Paradoxie: Tagebuch eines Raubtiers, 2000 ) sehen, das sicherlich ein Skandalbuch gewesen wäre, wenn es bekannter wäre. Der autofiktionale Roman erzählt von einigen gewalttätigen Beziehungen (Gewalt, die beide in ähnlichem und auch physischen Rahmen ausüben) und dabei auch Sex sowie sexueller Gewalt. Das Buch ist schonungslos - auch die Haltung der Autorin sich selbst gegenüber, was ich erfrischend finde.
Bemerkung auf dem Vorblatt: "No names were changed to protect the innocent - they're all fucking guilty."
Lunch hat in den späten 2000ern irgendwie komplett die Seiten gewechselt, aber wurde berühmt/ berüchtigt durch ihre Drehbücher und Filmauftritte (Beth B.s Fingered, The Right Side of My Brain) sowie ihre post-punk Alben Queen of Siam und 13:13.
Falls das irgendwie ansatzweise deine kulturelle Richtung sein sollte oder Neugier da ist, kannst du dich da ja mal umschauen.
Dann fällt mir noch ein:
Georges Bataille: "Die Geschichte des Auges" (Histoire de l'œil, FR 1928) auf Deutsch in Das obszöne Werk (Dt. 1972). Klassischer Surrealismus, "blasphemisch", schräge Sexualität, sexuelle Gewalt u.a. gegen einen Priester. Ich war überzeugt, das müsste mir gefallen, fand es aber irgendwie sprachlich schwach, lasch konzipiert und wenig tabubrechend. Hatte sowas wie eine literarische Version des Ein andalusischer Hund erwartet, und das wohl irgendwie falsch eingeordnet. Habs im Laufe der Jahre drei Mal versucht (2x Englisch, 1x Deutsch) und werd damit nicht warm.
Octave Mirbeau: Le Jardin des supplices (FR 1899, Dt. Der Garten der Qualen, 1901 / Der Garten der Foltern, 1967). Ein sehr schräges, proto-surrealistisches Werk, das mehr durch die Atmosphäre und Implikationen bzw. eingestreute Visionen wirkt, und gar nicht so derart explizit ist wie sein Ruf. Nichtsdestotrotz - oder eher gerade deshalb - ein extrem verstörendes Werk. Ich habs auf Englisch als The Torture Garden gelesen (RE/Search Books).
Man kann sich leicht vertun, wenn man Romane, die man selbst nicht gelesen hat, nach ihrem Ruf beurteilt und demnach meidet: weil sie gewaltverherrlichend seien, zum Beispiel.
Absolut. Und solche Urteile sind extrem subjektiv, z. B. abhängig, was die jeweiligen Leser für - ich sag mal - Genrekompetenzen haben und darin Subtexte / Symboliken / Querverweise und Ironie etc. sehen könnten, die anderen möglicherweise verschlossen bleiben.
„American Psycho“ müsste ich noch irgendwo haben; demnächst mache ich vielleicht einen zweiten Anlauf, den Roman zu lesen. Und auch auf die anderen Werke bin ich zumindest neugierig geworden.
Das einzig wirklich Gewalttätige an American Psycho ist die tödliche Langeweile und das extrem selbstzentrierte, hohle Narzisstengeschwätz, das Ellis einem zumutet. Soweit ich mich richtig erinnere, wird Gewalt auf genau vier Seiten erzählt. Drei zu sexueller und eine gegen einen Obdachlosen (alles auch incl. Mord, das teils aber nur angedeutet bzw. im Off). Allerdings sind diese Szenen reine Phantasien des Erzählers und nix davon tatsächlich passiert. (Das wird explizit klargestellt, ist keine Interpretation.)
Das Buch war eine recht zynische Abrechnung mit den Yuppies, was heute in dem Sinne hinfällig geworden ist - daher mein Rat: Spar dir das Buch ... und auch sonst alles von Ellis.
Dann empfehle ich ausnahmsweise eher die Verfilmung: eine sehr schwarze Komödie, gut gespielt und echt peppig.