"AMERIKANISCHE FIKTION" (Prime Video)
Der seit seinem Erscheinen im Jahr 2023 mehrfach preisgekrönte Film mit dem etwas holprigen Titel basiert auf dem Roman „Erasure“ von Percival Everett, der bereits 2001 entstand und hierzulande als „Ausradiert“ bei einem sehr kleinen Frankfurter Verlag publiziert wurde, den es allerdings nicht mehr gibt (weshalb auch das Buch vergriffen ist). „Amerikanische Fiktion“ erzählt von der Bigotterie des ach so diversen und politisch korrekten amerikanischen Kulturbetriebs, von der allgegenwärtigen Heuchelei und von den in der Kunst unaufhörlich kolportierten Klischees über schwarze Amerikaner, die auch von schwarzen Amerikanern selbst verstärkt werden. Er erzählt außerdem von einer ziemlich durchschnittlichen Mittelklassefamilie, die man der „WASP“-Schicht zuordnen würde, wäre sie nicht afroamerikanisch.
Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Thelonious „Monk“ Ellison, der ein paar kluge Romane veröffentlicht hat, die in den Buchhandlungen aber kaum zu finden sind – und wenn, dann im Regal für „Afroamerikanische Kulturgeschichte“, und zwar nur, weil der Autor eben schwarz ist. Monk doziert zum Zweck des Gelderwerbs an einer Uni in L.A., wo er allerdings ständig aneckt, etwa, wenn sich seine überwiegend weißen und durch die Bank woken Mittelschichtstudenten damit unwohl fühlen, das N-Wort (auch noch in der I-Doppel-G-Version) an der Tafel zu lesen, weil es im Titel eines alten Buchs vorkommt. Mit dieser Szene beginnt der Film, aber es geht in „Amerikanische Fiktion“ nicht um Provokation oder Haudraufhumor auf Farrelly-Brothers-Niveau – der Film ist eher leise, sehr menschlich, oft amüsant und ziemlich differenziert. Anyway, anschließend fährt Ellison nach Boston, wo seine Familie lebt und er an einem Literaturfestival teilnehmen soll, das aber schlecht besucht ist, weil alle bei einer Buchpräsentation der jungen Sintara Golden sind, die mit ihrem „authentischen“ und „erfrischend realen“, allerdings, wie Ellison findet, sehr schlecht geschriebenen Roman über klischeehafte schwarze Randgruppenkultur gerade alles abräumt, was es abzuräumen gibt. Aus Ulk und um seinen Agenten zu ärgern, verfasst Monk mal eben so einen ganz ähnlichen Roman, und dann kommt es, wie es kommen muss: Der Ulk wird veröffentlicht und bricht sämtliche Verkaufsrekorde, während Ellison, der unerkannt bleiben will, die von ihm selbst erfundene Rolle des Ghettokindes spielen muss, das im Knast zu sich selbst und zur Literatur als Ausdrucksform gefunden hat. Durch die Maskerade entstehen aber im privaten Bereich immer mehr Konflikte, denn auch dort weiß keiner, dass Monk hinter dem Bucherfolg steckt.
Der Film hat u.a. einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewonnen und auch sonst viele Preise abgeräumt, aber er lief in nur wenigen amerikanischen Kinos – und hierzulande in fast keinem. Der Streaminganbieter „Prime Video“ hat ihn allerdings im Programm. Vorangestellt gibt es eine halbe Bildschirmseite mit (durch die Bank unzutreffenden) Triggerwarnungen und einer Altersempfehlung ab 18 Jahren, was die Lächerlichkeit der konfliktmeidenden Unterhaltungskultur, mit der sich der Streifen auch auseinandersetzt, noch einmal auf die Spitze treibt, denn wenn dieser Film ab 18 ist, müsste „Die Biene Maja“ auf dem Index stehen.
Wirklich, wirklich sehenswert, ein schöner Beitrag zu unserer Debattenkultur und zum Umgang mit Kunst, und neben einem ohnehin sehr feinen Ensemble ist der großartige Sterling K. Brown („Randall“ aus „This Is Us“) in einer hinreißenden Nebenrolle zu bewundern. Anschauen!
(Der Trailer ist auf Englisch, der Film ist aber in deutsch synchronisierter Fassung verfügbar)