Schöner lästern über Handke


  • Ich weiß was Du meinst. Das ist wie das Computerspiel Doom aus dem Jahr 1993. In der Ferne ist alles Pixelbrei, aber dann kommen die Pixel auf einen zu und na hoppla...stellt es sich als Monster raus. Aber manchmal muss man sich den Monstern auch stellen (zumindest solange, wie man Munition hat). ^^

    Nein, das meine ich nicht. Das Monster ist nicht Handke sondern das, was auf dem Balken in den 1990er Jahren passiert ist. Da sind schreckliche Dinge vorgefallen (in Srebrenica und an anderen Orten), die es nicht zu vergessen und schon gar nicht zu verleugnen gilt. Aber ich habe das Gefühl, das auch noch nicht alles geklärt ist. Beispiel: Milosevic ist gestorben, bevor er verurteilt wurde. Es hieß damals, die Beweise hätten gereicht. Dann wurde Jahre später endlich Karadcic verurteilt und in diesem Zusammenhang wurde gesagt: Aber die Beweise gegen Milosevic hätte nicht für eine Verurteilung gereicht. Ja was denn nun? Die Faktenlage ist für mich nicht so klar und vor allem auch für mich nicht so einsehbar, dass ich das beurteilen könnte. Halte ich mich besser mit dem Urteil zurück, auch mit den indirekten.


    Das, was auf dem Balkan passiert ist, geschieht jetzt in Syrien. Das hat mit Computerspiel nichts zu tun und schon gar nichts mit dem "sich stellen".

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hi Tom,


    Konstantin Wecker lässt seinen "Sturmbannführer Meier" lallen, als er seine aktuellen Chancen auslotet: "Uns hilft die Zeit und der Zeitgeist, Freunde, und die historische Wahrheit."


    Ich bezweifle, dass die Wahrheit, die ihm als historisch gilt, der Historie gerecht wird. Ach was: Ich bestreite das entschieden. So betrachte ich jedoch nicht jede historische Wahrheit.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Historische Wahrheit? Gibt es so etwas überhaupt? Was ist überhaupt Wahrheit?

    Ich weiß nur, das erste Opfer jedes Kriegs ist die Wahrheit. Das gilt für den Balkankrieg ebenso wie für den gegenwärtigen Raubzug Erdogans. Die Sieger und Eroberer schreiben die Geschichte. So entsteht historische Wahrheit.

  • Ich möchte betonen, dass ich mit meinen Anmerkungen zu historischen Wahrheiten und zu Handkes vermeintlicher Position nicht das gemeint habe, was das ostelbsiebenische Verschwörungsgehusche hier zum Ausdruck zu bringen versucht. 8)

  • Es ist ja auch in Ordnung, sich auf eine historische Betrachtung zu einigen, oder jedenfalls halbwegs oder wenigstens regional oder je nach politischer Ausrichtung. Es ging mir eher um die kategorische Schuldzuweisung. Aber jut.


    Machen wir halt mit dem Handke-Bashing weiter. Ich bin gespannt, wie lange das Thema noch von Interesse ist. Handke ist derzeit sozusagen das SUV unter den Autoren. Was mich ja auch freut, weil ich wenigstens vorübergehend nicht mehr andauernd meine Karre rechtfertigen muss. :pop2

  • Nun hat sich auch das Nobelpreiskomitee geäußert und eine Stellungnahme zu ihrer Entscheidung abgegeben. Der vollständige Text ist hier nachzulesen. Er bestätigt mich hinsichtlich meiner Zweifel, das Handke nie den Genozid befürwortet hat. Für keine dieser Behauptungen wurden bisher echte Beweise gebracht sondern immer nur Links zu journalistischen Artikeln die wiederum nur Behauptungen enthielten. Und Aussagen wie "Kuscheln mit dem Monster" werden durchlässig, wenn man sich näher mit der Thematik beschäftigt. Keine Frage ist, das sich Handke denkbar ungeschickt und vielleicht auch bewusst provaktiv (falsch) ausgedrückt hat. Auch dies wird angemerkt:


    Zitat

    In der Balkanfrage vollführte Handke eine Art politisches Kamikazemanöver, vermutlich in vollem Bewusstsein über die Risiken. Seine Grundthese war, in der deutschen und österreichischen Berichterstattung über die Jugoslawienkriege komme die serbische Seite nicht zu Wort. Die Art und Weise, wie Handke seine Kritik artikulierte, war prekär, plump und führte bisweilen zu regelrecht widersinnigen Vergleichen.


    Aber rechtfertigt dies das Bashing, das derzeit überall und auch hier im Forum gegen Handke betrieben wird?


    Ein weiteres Zitat zu einem Vorfall, der gern vergessen oder unterschlagen wird:


    Zitat

    2007 gewann Handke eine Klage gegen die französische Zeitung Le Nouvel Observateur, die ihm nach seinem Besuch der Trauerfeier für Slobodan Miloevi die Billigung ("approuver") eines Genozids unterstellt hatte.

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  • Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen. Wir mögen dieses Haudrauf sehr gerne, je plakativer, umso besser, und uns geht jede Toleranz abhanden, oder die Fähigkeit zur Ambivalenz. Alles muss in Gänze gut oder schlecht sein, schwarz oder weiß, und wenn es schwarz (im moralischen Sinn) ist, dann hauen wir eben drauf, so kräftig es geht, während wir die Stulle mit Massentierhaltungswurst futtern und den Kakao saufen, der von kleinen Kindern abgebaut wurde. Weil dann nämlich auch noch Selbstgerechtigkeit hinzukommt.

    Und nächste Woche das nächste Thema.

    :uebel

  • Nun hat sich auch das Nobelpreiskomitee geäußert und eine Stellungnahme zu ihrer Entscheidung abgegeben.

    Dies ist keine Äußerung des Komitees. Herr Petersen schreibt: "Der Deutlichkeit halber: Ich tue dies in meiner Funktion als einzelnes Mitglied des externen Nobelkomitees und nicht als offizieller Sprecher der Schwedischen Akademie."

    Er bestätigt mich hinsichtlich meiner Zweifel, das Handke nie den Genozid befürwortet hat.

    Das hat auch niemand behauptet.


    Ich hatte die Stellungnahme schon heute Vormittag gelesen und hatte noch keine Zeit, darauf einzugehen. Herr Petersen spricht eine ganze Reihe von Punkten an, etwa die Position der Mütter von Srebrenica. Du zitierst da selektiv, HD.

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  • Ich möchte noch anmerken, dass ich Petersens Stellungnahme deutlich, aber auch ausgewogen finde. Allerdings, wie SPON am Schluss schreibt: "In einer früheren Fassung wurde Henrik Petersen als Mitglied der Schwedischen Akademie eingeführt. Er gehört dem Nobelpreiskomitee für Literatur aber als externer Experte an." Welche Stoßrichtung soll seine Stellungnahme also sonst haben?

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  • Du zitierst da selektiv, H

    Aber ja, den ganzen Artikel zu zitieren geht ja nicht. Und es geht mir besonders auch um diesen Vorwurf, der immer wieder geäußert und nie wirklich belegt wird, nämlich das Handke den Genozid und die Massaker verleugnet oder verharmlost hätte.


    Was selektives Zitieren anbelangt, das kannst du ja ebenfalls ganz gut

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  • Ich bin auf einen Artikel in der NZZ gestoßen, der mich beeindruckt hat. Und nachdenklich gemacht hat. Geschrieben ist er vom serbischen Schriftsteller Bora Ćosić, der in den neunziger und nuller Jahren zu den maßgeblichen Kritikern von Handkes einseitiger Parteinahme für das nationalistische Serbien gehörte.


    Er schreibt mit anderen Worten: Wer Peter Handke sagt, muss auch Knut Hamsun sagen, muss auch Ezra Pound sagen: Absolution für Knut Hamsun.


    Und das meint er im wahren Sinne einer Absolution, für literarische Ästhetik, für einen Dichter von großem Format.


    Über Hamsun schreibt er: "Er stand auf der Seite eines verbrecherischen Staates, vergötterte seinen Führer, vertrat dessen Ideen. Er nahm nicht an kriminellen Handlungen teil, führte keine Menschen in Gaswagen, hängte sie nicht auf und metzelte sie nicht ab. Er zog angesichts dieser Ereignisse lediglich den Kopf ein, weil er sie für gerecht hielt."


    Parrallel nimmt er Handke wahr: "Ein halbes Jahrhundert nach Hamsun stand er auf der Seite eines verbrecherischen Staates, vergötterte seinen Führer, eignete sich dessen Ideen an. Er nahm nicht an kriminellen Handlungen teil, schoss nicht aus Kanonen auf Sarajevo, prahlte nicht mit dem abgeschnittenen Ohr eines Kroaten. Er zog angesichts dieser Ereignisse lediglich den Kopf ein, weil er sie für gerecht hielt."


    Schließlich widmet Ćosić sich der Frage, die auch hier schon auftauchte: Was ist Wahrheit? Er zitiert Mark Antons Verteidigungsrede: Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann.


    Ein beachtlicher Kommentar. Den muss ich ein wenig sacken lassen. Und demnächst will ich ein Buch von Ćosić lesen.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ob man diese Filme gut findet, ist wieder was anderes.

    Jedenfalls fand ich die literarische Vorlage zum Film Szabós, Mephisto, großartig. Der gleichnamige Roman von Klaus Mann, (mehrfach gelesen) der leider viel zu früh und unglücklich aus dem Leben schied. Der Film gefiel mir etwas weniger gut, was vermutlich an meiner Abneigung gegen Klaus Maria Brandauers Stimme liegt.

  • In der Wochenendausgabe der SZ im Feuilleton auf Seite 15 eine Artikel "Gespenster", der sich mit der Debatte um Peter Handke beschäftigt. Sehr ausgewogen, nimmt Handke gegen die zahlreichen Falschaussagen in Schutz, spricht ihn aber nicht gänzlich frei. Insbesondere der Vorwurf, Handke sei ein Völkermord-Apologet, wird bestritten. "Weder bezweifelt er in seinen Schriften über Jugoslawien die Existenz der Massaker, noch befürwortet er sie. Oder den Krieg." Und genau darum geht es (mir): Diese unlautere Bashing, diese "Alternativen Fakten", die man generiert und die gerne von diversen Gerechtigkeitsfanatikern weitergegeben und weitergepostet werden, sind unlauter und mindest so verwerflich wie das, was man Handke vorzuwerfen glaubt berechtigt zu sein.

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