Vorweg: Es ist natürlich ein Ammenmärchen, unser lieber Konjunktiv stürbe aus. Oder sterbe? Sei, wäre ausgestorben? Würde aussterben, ausgestorben sein? Wenn wir unsicher sind, welches nun der richtige Konjunktiv ist, dann zeigt sich daran erstmal nur, dass es nicht an unserem Verstand liegt, sondern am Sprachsystem selbst; denn das Sprachsystem ist autonom und selbstbezüglich und regelt unser Sprechen und Schreiben, ohne dass wir den Verstand brauchen. So weit ich das verstehe, überlagern sich bei der Frage des Konjunktivs zwei Prozesse:
Erstens ist es der Prozess der Vereinfachung und Präzisierung unserer Sprache, der zur Ausbreitung der analytischen zuungunsten der synthetischen Formen führt. Dem „ich ging“ (Präteritum) wird gerne das „ich bin gegangen“ (Perfekt) vorgezogen und dem „ich flöge, führe, schwämme“ (Konjunktiv 2) das „ich würde fliegen, fahren, schwimmen“. Das Schwinden der synthetischen Konjunktiv-2-Formen liegt also nicht am Konjunktivmodus, sondern an der wachsenden Unbeliebtheit der synthetischen Formen allgemein.
Zweitens scheint es so zu sein, dass es keinen feststellbaren inhaltlichen Unterschied zwischen „er sterbe“ (Konjunktiv 1) und „er stürbe“ (Konjunktiv 2) gibt. Es lassen sich jedenfalls beim tatsächlichen Sprechen keine Regelmäßigkeiten erkennen. Einige Grammatiker sagen, der einzige Sinn des Konjunktiv 2 bestünde darin, gelehrter zu klingen. Scholten dagegen stellt in seinen Konjunktiv-Tutorialseine wirklich schöne Regel auf: Konjunktiv 1 („Hans sagt, er gehe auf der Straße“) steht für die indirekte Rede und der Konjunktiv 2 nur für den Irrealis („Hans sagt, er ginge auf dem Mond“). Aber: an diese Regel scheint sich keiner zu halten, sie ist kein Teil unseres Sprachsystems, sondern müsste vom Verstand als Norm erst durchgesetzt werden, was nun nicht Aufgabe der Sprachwissenschaft und von uns Autoren sein kann.
Über das Unterscheidungsproblem hinaus ist aber doch zu beobachten, dass der Konjunktiv weiter munter genutzt wird (vielleicht auch gerade wegen der Ausweitung der Schreibpraxis auf Internet und soziale Medien), vor allem in der analytischen „würde“-Form, aber auch Old School: bei einigen Verben („wäre, hätte, gäbe, wüsste“) und besonders bei den Modalverben („müsste, könnte, dürfte, bräuchte, sollte, wollte“).
Das heißt für uns Autoren: Wir haben alle Freiheiten, können ohne schlechtes Gewissen die
jeweils schönste Konjunktivform auswählen und unseren Verstand auf wichtige
Sachen richten.