Die "Tugenden" eines Autors

  • Hallo alle,


    Zeit, um mal wieder ein Gespräch anzustoßen :)


    Ich habe in der Überschrift bewusst diesen altmodischen Ausdruck "Tugend" verwendet, denn mir fällt derzeit einfach kein Synonym ein, das dasselbe ausdrückt.


    Meine Frage an Euch:


    Welche Voraussetzungen muss man mitbringen (außer Talent natürlich), um als Autor zu arbeiten? Egal, ob Sachbuch oder Belletristik, wobei für Belletristik wahrscheinlich noch mal andere Fertigkeiten gefragt sind als für Sachbücher.


    Und ich mache mal den Anfang:


    Für mich ist es ganz einfach die regelmäßige Arbeit an einem Text. Noch ein altmodisches Wort (auf das mein Sohn normalerweise mit "oh Mann, Mamaaa" reagiert :) ): Arbeitsdisziplin. Nicht nur zu schreiben, wenn man gerade in Stimmung ist und Lust dazu hat. Erstens würde ich mit so einer Haltung nie fertig werden mit einem Text. Und zweitens würde sich dann meine jeweilige Stimmung in dem Abschnitt finden, den ich gerade schreibe. Die Figuren und die Handlung wären damit Spielball meiner eigenen Stimmung.
    Wie viel man pro Tag schafft, hängt dabei natürlich von der sonstigen Auslastung ab. Aber wenn man ein Buch anfängt, sollte man meiner Ansicht nach versuchen, ein vorhab festgelegtes Pensum (Zeit, Seiten oder Wörter, je nachdem, was man sich da aussucht) zu schreiben. Oder man nimmt sich ein Buch als Projekt für einen bestimmten Zeitraum vor (etwa für einen Zeitraum, von dem man weiß, dass man da beruflich nicht so eingespannt ist). Hauptsache, man arbeitet kontinuierlich daran und nicht nur dann, wenn man gerade mal Zeit und Lust hat.
    Aber das ist, wie gesagt, meine ganz persönliche Erfahrung und insofern auch mein ganz persönlicher Favorit bei den Vorausssetzungen.

  • Gegenrede. ;)


    Ich hab's nicht so mit der Kontinuität, ich arbeite lieber für kurze Zeit wie ein komplett Irrer und dann eine Weile überhaupt nicht oder nur auf dem Notizenlevel. Ich gehe allerdings auch in Schreibklausur, um erste Romanhälften zu schreiben, da bin ich dann eine Woche lang extrem diszipliniert. Aber davor und danach wieder nicht mehr. Ich lasse mich gerne ablenken, ich warte gerne Fristen bis fast zum Ende ab, aber das mache ich nicht aus Faulheit. Es muss in mir wirklich schon fast überreif sein, so richtig gären und rauswollen, dann geht die Post ab. Würde ich mich zwingen, täglich x Seiten zu schreiben, käme da vermutlich auch was bei raus, aber es wäre nicht dasselbe. Wahrscheinlich wäre es ein bisschen langweiliger. Uninspirierter. Ich hole mir das Leiden, das Künstler angeblich empfinden müssen, über diesen Druck. Oder über die Unaufgeräumtheit um mich herum. Je lauter und verrauchter und unbequemer, umso besser. Bei Sonnenschein auf der Terrasse schreibe ich Sonnenscheinterrassengeschichten. Und ich hasse Sonnenscheinterrassengeschichten.


    Ich habe selten das Problem, dass sich meine Stimmung auf meine Figuren überträgt. Es ist eher umgekehrt.


    Ansonsten gibt es meines Erachtens nur eine einzige Tugend, über die ein guter Autor verfügen muss: Gute Geschichten gut erzählen zu können.

  • Hallo Tom,


    das ist ja auch MEINE Priorität :).
    Ich bin neugierig zu erfahren, ob andere Autoren andere Fertigkeiten für wichtiger halten.


    Und ich bin eine extreme In-letzter-Minute-Arbeiterin, schon immer gewesen. Mein Studium habe ich von den Lehrveranstaltungen mal abgesehen ab 22.00 Uhr gemacht :). Ich kann leider nur unter Zeitdruck arbeiten, sonst plätschert das so vor sich hin. Ist bei meinem Mitautor nicht immer so gefragt, diese (Un)Tugend ")" Das heißt, ich setze mich erst dann an die Arbeit, wenn der Abgabetermin in sichtbare Nähe rückt. Dann aber sehr diszipliniert.

  • Ja und nein.
    Man findet nur schwer Menschen für eine Zusammenarbeit, die das mitmachen :)
    Eigentlich trickst man sich damit selber aus. Denn unter Zeitdruck kann man das, was man verfertigt hat, nicht mehr lange hinterfragen. Es hat also alles auch seine psychologischen Ursachen :).
    Und: Wer erst in letzter Minute anfängt, hat vorher lange getrödelt ")" . Zeitmanagement? Hm. Über meines gibt es geteilte Meinungen. Ich finde es gar nicht so schlecht =)


    Aber es soll ja gar nicht um die Frage gehen, ob und wie man diszipliniert arbeiten kann, sondern darum, was Ihr für die wichtigsten Voraussetzungen haltet, um als Autor zu arbeiten.

  • Schwere Frage: Leidenschaft, Beharrlichkeit und Loyalität zu sich und der eigenen Geschichte. Aber - Leben mit Kunst, mit Schreiben zu überleben, bedeutet ja dann auch ein Unmenge an Fleiß, Kleinkram, und heutzutage an Zeugs. Autoren müssen ja immer mehr leisten, was früher Verlage und Sender beibrachten. Das alles ist ohne Leidenschaft für das Schreiben und Beharrlichkeit nicht zu machen.

  • Meine Antwort weiter oben bezog sich (eher) auf die künstlerische Seite.


    Wenn man mit (großen) Verlagen zusammenarbeiten möchte, bedarf es tatsächlich einiger weiterer Tugenden - wobei sich die Liste mit steigenden Verkaufszahlen und/oder Literaturpreisen wieder verringert. Wenn man hier Termine vereinbart, müssen/sollten/könnten die eingehalten werden. Was man an den Verlag verkauft hat, sollte man auch halbwegs liefern, also nicht quasi unterwegs aus der Liebesgeschichte, die sich in Leseprobe und Exposé gefunden hat, eine Spaceopera machen (allerdings gibt es Autoren, die sogar so etwas durchsetzen können). Aus diesem Grund bleibe ich in meinen Exposés immer ziemlich vage. Ich habe zwar noch nie aus einer Familiensaga eine Pornostory gemacht, aber ich denke, ich habe meine Lektoren manchmal ganz schön überrascht (einmal auch die Ausstattungsabteilung, die bereits ziemlich plüschige Cover für einen Roman entworfen hatte, der dann nicht sonderlich plüschig wurde). Ich habe große Schwierigkeiten damit, mich bei Romanen an Pläne zu halten, ich schaffe es nicht einmal, vernünftige Pläne zu machen. Genau das wollen die aber, vor allem, wenn sie auf Basis sehr kurzer Leseproben und Fensterkreuz-mal-Pi-Beschreibungen einkaufen. An dieser Tugend arbeite ich noch. Nein, nicht wirklich. Ich arbeite daran, meine Verlagsleute zu erziehen.


    Bislang konnte ich jeden Termin einhalten. Auch Überarbeitungstermine. Weil ich das Überarbeiten hasse, klicke ich meistens sowieso nur auf "Alle Änderungen akzeptieren" - und lasse mich von den Belegexemplaren überraschen. =)

  • und ansonsten brauche ich den permanenten wechsel zwischen chaos und disziplin. Zu viel Planung zu Beginn macht mich tot. Da brauche ich. Viel Unordnung und viele weiße Blätter. in der endphase brauche ich structur. Außerdem entschuldige ich mich für das Chaos der Rechtschreibung und zeichensetzung und leite Kritiken gerne weiter an mein spracherkennungsprogramm.

  • Ansonsten gibt es meines Erachtens nur eine einzige Tugend, über die ein guter Autor verfügen muss: Gute Geschichten gut erzählen zu können.

    Ja, das ist eine Tugend, diese Geschichte erzählen, die nur Du/du erzählen kannst


    Hm. Eine gute Geschichte gut erzählen zu können oder eine Geschichte zu erzählen, die nur man selbst erzählen kann, ist nach meinem Begriff eine Fähigkeit.


    Die "Tugend" eines Autors ist nach meinem Verständnis eine Vorstufe hierzu. Das Google-Wörterbuch zeigt mir an:



    Anja hat die Tugend der Disziplin angesprochen. Sie kann dazu dienen, eine gute Geschichte gut zu erzählen. Ich möchte als ein weiteres Beispiel die Lernfähigkeit nennen - die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, sich zu verbessern und vor allem den Text zu verbessern.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich möchte als ein weiteres Beispiel die Lernfähigkeit nennen - die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, sich zu verbessern und vor allem den Text zu verbessern.


    Woran sich für meine Begriffe unmittelbar die Tugend der Geduld anschließt. Denn wie oft probieren wir was, verwerfen es, schreiben neu. Ohne Geduld läge so manche Autorenflinte längst im Kornfeld der guten Absichten.

  • Also, zur Tugend à la moralisch kann ich nichts beitragen.
    Ich glaube, man muss das sehr lieben, das Schreiben. Sonst hält man nicht durch.
    Einen Leser habe ich nicht vor Augen. Das würde mich so einschränken! Ich würde sofort beginnen zu zensieren und zu beschönigen. Der Leser kommt später ins Spiel, wenn ich überlege, ob das alles verständlich ist, ob man mitkommt, was ich tun muss, damit mir auch jemand folgen kann.
    Und dann ist es ein großer Unterschied, was für Texte eine Autorin, ein Autor produziert und produzieren will. Ich würde für mich persönlich der disziplinierten Haltung von Anja sehr widersprechen. Ich trage eine Szene oft lange mit mir herum. Denke nach. Wie mache ich das denn? Es entstehen im Kopf Formulierungen. Dadurch entwickelt sich ein Ton, ein Sound, eine Figur bekommt eine spezifische Stimme. Und irgendwann, wenn ich drei Stunden mindestens Zeit habe, da muss das raus, und dann geht das fast wie von selbst. Manchmal packt es mich so, dass ich sogar in meiner Mittagspause schreibe. Danach ist ein paar Tage lang wieder Ruhe. Eine kleine Geburt tatsächlich.
    Ich kann das nicht im Detail planen, den Plot komplett konstruieren. Ich könnte das, hab auch schon einen Krimi geschrieben, aber ich will es eigentlich nicht. Deshalb wahrscheinlich kein Krimi mehr.
    Eine wichtige Tugend ist für mich, sich der Geschichte und den Figuren und damit eigenen unbewußten Prozessen auch ein Stück zu überlassen. Kontrolle aufzugeben. Mutig zu sein, sich eigenen Gefühlen und Abgründen zu stellen, um Geschichten zu erfinden.
    Ich glaube, Dorit schrieb, dass manche Geschichten eräht werden MÜSSEN. Das werden oft die besten.
    An meinem Burnout-Buch habe ich allerdings sehr konzentriert und diszipliniert gearbeitet. Ich hatte einen Plan, und dann hat mich meine Wut getragen. Es ist ein unheimlich wütendes Buch geworden. Also selbst da spielte eine besondere Leidenschaft und damit auch der kontrollierte Kontrollverlust eine Rolle.

  • Hallo Heike,


    das funktioniert bei mir ganz anders :): Ich denke zwar auch "im Alltag" über meine Ideen und/oder Figuren nach. Aber ich muss mich hinsetzen und schreiben, damit daraus eine Geschichte wird. Wenn ich abwarte, bis die Geschichte fertig ausgereift ist, dann wird die nie fertig, dann bleibt die als eine Ansammlung von nicht miteinander verbundenen Gedankenfetzen dauerhaft in meinen Gedanken.


    Den Computer einschalten (obwohl ich mich jeden Tag neu frage, was ich bloß schreiben soll), das alte Textstück vom Vortag noch mal lesen. Und schreiben. So entsteht bei mir Text. Dann allerdings ganz automatisch, ich habe selten Phasen, wo ich ideenlos vor dem Monitor sitze. Allerdings weiß ich von mir, dass jeder noch so hingepfuschte Satz besser ist als keiner. Überarbeiten kann man immer. Und mache ich auch sehr eifrig. Deshalb auch dieses anachronistische Wort "Disziplin" für meine Arbeitstechnik :)


  • Welche Voraussetzungen muss man mitbringen (außer Talent natürlich), um als Autor zu arbeiten? Egal, ob Sachbuch oder Belletristik, wobei für Belletristik wahrscheinlich noch mal andere Fertigkeiten gefragt sind als für Sachbücher.


    Von müssen will ich nicht reden. Aber es schadet nichts,
    - diszipliniert genug zu sein, um das Ding zuende zu bringen
    - versponnen genug, um auf ungewöhnliche Wendungen zu kommen
    - realistisch genug, um es nicht allzu abgedreht werden zu lassen
    - kritisch genug und nicht allzu kritisch zu sein
    - ein dickes Fell zu haben
    - das Buch verkaufen zu können (jung und schön zu sein schadet an ziemlich wenigen Schaltstellen in der Welt)
    (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).


    Aber: Was heißt das schon, als Autor zu arbeiten? Wenn’s um das Produzieren lesbarer Texte geht (eine Fähigkeit, die auf keinen Fall zu unterschätzen ist!), reicht Routine wahrscheinlich irgendwann, wie in jedem Beruf. Man liest das, fühlt sich gut unterhalten – und vergisst das Buch auch schnell wieder. Nicht selten landen auch Bücher auf den Bestsellerlisten, die irgendwas richtig machen, aber am Text an sich kann’s irgendwie nicht liegen :evil Herzlichen Glückwunsch, es sei jedem gegönnt. Alles legitim.


    Wer allerdings einen Roman geschrieben hat, der Lesern mehr als nur Ablenkung vom Alltag (nochmal: das ist schon mal was!) bietet, dann muss da was anderes mit im Spiel gewesen sein. Man kann über ferne Länder schreiben, ohne je einen Fuß aus seinem Kaff gesetzt zu haben. Über Verluste, ohne selbst groß gelitten zu haben. Über sexuelle Ausschweifungen, High Society und weiß-der-Geier-was und brav am eigenen Herd Eintopf kochen. Aber wenn nicht irgendwas da ist, das denjenigen befähigt, über dieses Land, diese Idee, diese Ereignisse zu schreiben, dann wird das auch nix. In meiner Definition. So ein Romanautor braucht – neben den „bodenständigen“ Fähigkeiten, die jedem zweifellos helfen – noch etwas. Intelligenz? Jein. Intelligenz bewahrt nicht davor, staubtrocken oder verquast zu schreiben. Eher: Lebenserfahrung. Köpfchen. Die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Offenheit. Selbstironie. Witz schadet auch nie (oder selten). Auch so eine Art Charme, die Fähigkeit, andere für seinen Text einzunehmen. Mut. So ein Buch zu schreiben, ist nix für Feiglinge.