Ein Beitrag zur »Neger«-Diskussion

  • Harper Lee wurde mit einem einzigen Roman berühmt: »Wer die Nachtigall stört«. Nun hat man einen weiteren Roman entdeckt, der nun auch in deutscher Übersetzung erschienen ist:


    [buch]3421047197[/buch]


    Die Süddeutsche Zeitung bringt daraus heute (11. Juli 2015, Nr. 157, S.18) das erste Kapitel. Ein Satz ist der SZ eine Fußnote wert:


    Zitat


    Sie grinste, als sie die erste Fernsehantenne auf einem ungestrichenen Negerhaus* entdeckte; je mehr es wurden, desto froher wurde ihr ums Herz.

    * Editorische Notiz:
    Der von Harper Lee, geboren 1926 in Monroeville/Alabama, verwendete Begriff "negro" wurde in diesem Roman originalgetreu mit "Neger" übersetzt, da es der üblichen Verwendung zum Zeitpunkt der Entstehung des Manuskripts entspricht, auch wenn der Begriff heute als abwertend gilt

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Aus meiner Sicht hat Lenny Bruce zu diesem Thema das ultimative Statement abgegeben:


    "Niggerniggerniggerniggerniggerniggernigger!" und "Are there any niggers here tonight? "


    Es sind nur Worte, und wir messen ihnen Bedeutung bei. Die Szene stammt aus der Verfilmung von Lenny Bruces Leben mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle. Es gibt noch ein Originalvideo mit Bruces Stimme, aber ich finde Hoffmans Englisch besser zu verstehen.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Was die Diskussion um den Roman wirklich antreibt, vor allem in den USA, scheint die Mutation des Atticus Finch zu sein:


    Zitat

    „Dir ist klar, dass unsere Negerbevölkerung rückständig ist, nicht wahr?“ – „Willst du scharenweise Neger in unseren Schulen und Kirchen und Theatern? Willst du sie in unserer Welt?“

    Zitat

    Atticus Finch, glänzendes Vorbild, ins nationale Gedächtnis gebrannt auch durch die grandiose Darstellung Gregory Pecks in der Verfilmung aus dem Jahr 1962, Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit – dieser Atticus Finch ist in dem neuen Buch ein Mann, der Schwarzen abspricht, gleichwertigen Anteil an der Gesellschaft zu haben.


    Und der Mann besucht auch Sitzungen des Ku-Klux-Klan .

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich hab den Vorabdruck in der SZ gelesen und werde mir das Buch sicher nicht kaufen. Fand den Text nicht besonders interessant - im Gegensatz zu "Wer die Nachtigall stört".

  • Wir hatten in diesem Forum schon eine Diskussion zum "neuen" Buch von Harper Lee, gleich nachdem bekannt wurde, dass angeblich eine uraltes Manuskript von ihr aufgetaucht wäre. Ich weiß nicht mehr wo der Thread zu finden ist, aber auf mich wirkt die ganze Entstehungsgeschichte des neuen Romans unglaubwürdig. Es hieß immer, Harper Lee wäre damals mit einer Kurzgeschichtensammlung bei einem Verlag vorstellig geworden und man hätte ihr empfohlen, daraus einen Roman zu machen. Dabei war ihr zweifellos Truman Capote behilflich, wie sie selbst zugibt. Als Gegenleistung half sie ihm bei den Recherchen zu "In cold blood". Wieviel oder wie wenig tatsächlich von ihm stammt, wird wohl nie bekannt werden. Die Dame hat danach nie wieder etwas veröffentlicht, von ein oder zwei Aufsätzen abgesehen und auch niemals in irgendeiner Form erwähnt, dass es ein früheres, unveröffentlichtes Romanmanuskript gäbe.
    Und jetzt ist ein "verschollenes" Manuskript aufgetaucht, das 20 oder 30 Jahre später spielt, quasi eine Fortsetzung des ersten Bandes darstellt!!, Scouts Bruder Jem wäre allerdings schon tot und der gute Atticus hätte sich zum Rassisten gewandelt.
    Sorry, aber ich glaube das nicht. Ich halte es für einen Marketing-Schmäh. Wer weiß, vielleicht taucht ja noch ein dritter Band auf dem Dachboden auf, der dann 20 Jahre nach dem zweiten Band spielt. 8-)


    Anbei, ich liebe "To kill a Mockingbird".

    Einmal editiert, zuletzt von Manuela ()

  • Ja, das mit dem "verschollenen" Manuskript hat mich auch irritiert. Die Dame lebt schließlich noch, wie kann da was "verschollen" sein? Verloren vielleicht, verlegt, aber ...

    Fiction has to be realistic, unlike real life.
    Ian Rankin

  • Hallo, Alexander.


    Zitat

    Es sind nur Worte, und wir messen ihnen Bedeutung bei.


    Nun, wir tun schon ein bisschen mehr als das - nicht zuletzt im Rahmen unserer Tätigkeit als Autoren. Die - auch historische - Bedeutung und Interpretation aller Termini, die wir verwenden, wird fortgetragen, zuweilen leicht umgedeutet, kontextuell verortet. Wären alle Begriffe an und für sich wertfrei, müssten all unsere Texte mindestens dreimal so lang sein. Durch ihre Verwendung bejahen wir zweifelsfrei auch ihre Entwicklung, ihren Ge- und Missbrauch. Es sind nicht einfach nur Worte. Damit macht man es sich zu leicht. Ein Begriff wie "Ausländer" beschreibt in direkter Lesart einen simplen Zustand, nämlich denjenigen eines Menschen, der sich aktuell nicht in seinem Heimatland aufhält. Er ist aber auch konnotiert, und ich fürchte, diese Konnotation übersteigt inzwischen sogar die direkte Bedeutung.


    Beim Wort "Neger" geht es noch um ein bisschen mehr, vorsichtig gesagt.


    Ich bin wahrlich kein Freund kultureller Flurbereinigung oder übertriebener politischer Korrektheit, die es ohnehin nicht gibt oder geben kann. Ich bin auch durchaus ein Freund davon, negativ konnotierte Begriffe absichtlich zu verwenden, und zwar in erkennbar wertfreier oder sogar positiver Konnotation, um eben darauf hinzuweisen, dass nicht der Begriff selbst schlecht ist, sondern das, wozu er ge- oder missbraucht wurde. Es ist aber meiner Meinung nach absolut so, dass Begriffe durch ihre Verwendung "schlecht" werden können. Sie dann ohne Erklärung zu verwenden, bedeutet, sich dieser Deutung anzuschließen.


    Unabhängig hiervon ist es natürlich völlig absurd, solche Erklärungen (Ausgangsposting) einzufügen oder historische Texte sogar zu ändern.

  • Hallo Tom,


    Wären alle Begriffe an und für sich wertfrei, müssten all unsere Texte mindestens dreimal so lang sein.

    Ich bin auch durchaus ein Freund davon, negativ konnotierte Begriffe absichtlich zu verwenden, und zwar in erkennbar wertfreier oder sogar positiver Konnotation, um eben darauf hinzuweisen, dass nicht der Begriff selbst schlecht ist, sondern das, wozu er ge- oder missbraucht wurde.


    unsere Auffassungen unterscheiden sich kaum, meine ich. Wörter an sich gibt es ja gar nicht, weil sie erst durch den Menschen entstehen. Und natürlich haben viele Wörter Konnotationen. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, in der "schwul" keineswegs neutral gemeint war. Die Lesben- und Schwulenbewegung hat Bezeichnungen mit negativem Beigeschmack dann auf ihr Panier gehoben und stolz vor sich her getragen. Falls man sich umgekehrt über seinen Steuerbescheid ärgert, bekommt ein neutraler Begriff eine ganz neue Bedeutung, wenn man am Telefon: "Sie ... Finanzbeamter!" sagt.


    Meines Wissens war "Nigger" ursprünglich ein in den Südstaaten gebräuchliches, mundartliches Wort für "Negro". Das "Wort an sich" war dabei kein Ausdruck der Diskriminierung. Das waren vielmehr Sklaverei, später getrennte Schulen, getrennte Sitzplätze in Bussen usw. Und darum scheint es auch Lenny Bruce zu gehen: Wenn Präsident Kennedy gesagt hätte: "Ich möchte Ihnen alle Nigger in meinem Kabinett vorstellen" - dann ist doch die Pointe aus Sicht der Sechziger Jahre gerade, dass es die nicht gab im Kabinett. Wenn heute aber völlig selbstverständlich und neutral von Obama als Nigger (so wie die Hip-Hopper es tun) gesprochen würde, dann wäre er eben trotzdem in der Hauptsache Präsident der USA und "mächtigster Mann der Welt". Darauf kommt es an.


    Es bringt einem "Zigeuner" gar nichts, wenn man ihn Rom (oder Sinto) nennt, ihn aber trotzdem nicht in der Salzburger Innenstadt sehen möchte, weil er dort die Festspiele und die Touristen stört.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich weiß nicht, was ihr habt, ich finde die Lösung gar nicht so schlecht.
    Wer sich beim Schreiben um politische Korrektheit bemüht, wird sich auch nach anderen Kriterien sozialer Erwünschtheit richten und keine besonders interessanten Texte hervorbringen. Wer aber in so einer neuen Auflage eines historischen Textes diesen dezenten Hinweis setzt, möchte vielleicht bloß niemanden unnötig und einfach so verletzen, der eh schon dauernd mit Diskriminierung, Klischees und üblen Beleidigungen wie "Nigger" gestraft ist. In Deutschland ist es ja mehr der "Bimbo". Die Rassendiskriminierung ist leider nicht historisch, auch wenn Obama Präsident ist. Ihr geht immer davon aus, dass das euer Problem ist, weil ihr es mit Auswüchsen politischer Korrektheit zu tun habt und euch das nervt. (Mich manchmal auch. Hier finde ich es eher wenig nervig.) Aber die haben das Problem, die nach wie vor mit rassistischen, sexistischen oder was auch immer Vorurteilen jeden Tag zu tun haben. Deren Empfindungen finde ich wichtiger als so eine Genervtheit von Schreibenden. Ich kenne diese Empfindungen von Afroamerikanern nicht, die so was lesen, aber sie kämpfen in den USA sehr für eine Sensibilität in der Sprache.
    Und dass diese Sprache dann auch der Verschleierung eigener Ressentiments dienen kann, ist auch klar.
    Ich finde das Beispiel mit dieser editorischen Notiz vollkommen harmlos.

  • Wer auf die Hautfarbe guckt, ist Rassist. Und wer mal nicht auf die Hautfarbe achtet, ist auch Rassist, weil er nicht anerkennt, daß Rassisten auf die Hautfarbe gucken. Und wenn jemand Späße über oder Werbung mit seiner Hautfarbe macht, dann ist der auch Rassist. Und jeder, der das lustig, kaufanreizend oder schrecklich findet, auch.


    Siehe auch: http://www.spiked-online.com/n…-became-a-microaggression

    Περὶ θεῶν λέγε, ὡς εἰσἰν. Von den Göttern sage: sie sind. (Bias von Priene)
    [buch]3939459801[/buch]

  • Ähm, AnMa, ich hoffe, du meinst das nicht ironisch, ich denke nämlich, dass du recht hast und dass sich Nachdenken in jedem Fall lohnt. Mir gefällt In dem Zusammenhang das Wort "fragwürdig" in einem absolut positiven Sinn. Alles ist fragwürdig.