Visage zeigen?

  • Zitat

    Und das hat jetzt alles etwas mit dieser Diskussion zu tun?


    Gute Frage.


    Nächste Frage.


    Vor ein paar Jahren haben die ersten Medien damit angefangen, bei ihren online verfügbaren Beiträgen Kommentare zuzulassen, überwiegend unmoderiert - was angemerkt wurde, wurde auch sofort veröffentlicht. Wie anfangs bei den Amazon-Laienrezensionen funktionierte das gut gemeinte System zuerst wirklich ganz gut: Wer tatsächlich meinte, etwas zum Thema beitragen zu können, verfasste einen Kommentar. Und wie auch bei den Amazon-Laienrezensionen wurde die Systematik alsbald von Leuten entdeckt, die solche Funktionalitäten in erster Linie als Instrumente verstehen, die zum Missbrauch und zur Selbstdarstellung geeignet sind. Im Ergebnis sind beide Systematiken nahezu wertlos geworden.


    Dem steht die Behauptung gegenüber, es hätten sich wertvolle Ventile entwickelt, die es jenen, die - ganz wertfrei - anderer Meinung sind, endlich ein Forum bieten würden, wodurch man im Endeffekt dem Volk aufs Maul oder sogar in die Köpfe schauen könnte. Endlich, endlich konnte jedermann an halbwegs prominenter Stelle seine Meinung kundtun, direkt an der Quelle quasi, wodurch es Erkenntnisgewinn und sogar mehr Demokratie (insofern Demokratie quantitativ zu bewerten ist) geben würde. Aber - ist das wirklich so?


    Nee, isses natürlich nicht. Der österreichische "Standard", immerhin eines der wichtigsten Qualitätsmedien der Alpenrepublik, lässt zwar nur angemeldete "Benutzer" als Kommentatoren zu, aber die Anmeldung erfolgt überwiegend anonym und ohne jede Verifikation. Die Anzahl der "Postings", also der Kommentare zum fraglichen Artikel, befindet sich an prominenter Stelle direkt unter dem Beitragstitel oder, bei älteren, sogar daneben. Nutzer können nicht nur kommentieren, sondern auch noch die Kommentare bewerten (und wiederum kommentieren). Man sieht eine Art Bewertungsgrafik bei jedem "Posting", und wenn man darauf klickt, die Namen der Kommentatoren, die den Kommentar bewertet haben. Das Online-Angebot will ganz soziales Netz sein, der Beitrag selbst verkommt aus diesem Blickwinkel zum Aufhänger, zum Anlass. Die Diskussionen allerdings gleichen sich, die Protagonistenschar ist letztlich überschaubar, und all das ist sowieso leidlich uninteressant, weil das Online-Angebot des "Standard" aussieht, als wäre es Ende der Neunziger begraben und kürzlich exhumiert worden. Wer sich das Vergnügen gönnt, die Kommentare zu beliebigen Beiträgen zu durchstöbern, kann nur zu der Feststellung gelangen, dass hier bei vielen offensichtlich Hirntoten lediglich vergessen wurde, den Stecker zu ziehen. Einen Wert hat all das nicht, es ergibt sich auch kein Bild, und erst recht kein repräsentatives. Das ist nur Blödsinn, Herumgeulke, vermischt mit wenigen ernsthaften (dann aber überwiegend extremen) Standpunkten und mehr weniger subtilen Beleidigungen, meistens der Kommentatoren untereinander. Wer noch alle Latten am Zaun hat, gibt sich das nicht, weder aktiv, noch passiv. Wozu auch? Für den Anbieter kann es nur einen einzigen Wert haben: Diese Leute generieren Zugriffe und verbessern die Reichweitenstatistik. Also zahlen die Online-Werbekunden (mehr). Das ist der ganze Nutzen. Deshalb und nur deshalb tun die Medien das.


    "Der Standard" hat im Vergleich zum "Spiegel" eine nur geringe Reichweite. Folgerichtig hat dort fast jeder halbwegs brisante Beitrag - und brisant können sogar Reiseberichte sein, wenn man nur Brisanz hineinliest - schon am Veröffentlichungstag mehrere Seiten "Forenbeiträge". Auch hier gibt es einen Kern, der einander zu kennen scheint und vorwiegend aufeinander reagiert. Unter den restlichen Kommentaren wird man bei energischer Suche zwei oder drei finden, die etwas enthalten, das nicht sofort Zehennägelfäule auslöst. Eine kritische, bemerkenswerte Ergänzung. Eine Relativierung, die vielleicht sogar den Autor des Ursprungsbeitrags interessieren könnte. Und der Rest? Müll, Sondermüll, Atommüll. Ich könnte das begeisterte Eintreten für diese Systeme ja verstehen, gäbe es diesen unterstellten Nutzen, würde da wirklich etwas geschehen, aus dem sich Erkenntnisse destillieren ließen. Aber das ist ganz einfach nicht der Fall. Die Leute, die solche Möglichkeiten nutzen, tun das aus anderen Gründen. Ja, es mag hin und wieder Entrüstungsstürme geben, die halbwegs fundiert sind. Aber in den meisten, in fast allen anderen Fällen geschieht dort nichts, von ambulanter IQ-Pulverisierung abgesehen. Und, ja, einige Gruppen nutzen diese Instrumente, um gezielt für die eigene Überzeugung bzw. Ideologie zu werben. Da geht es dann überhaupt nicht mehr, nicht einmal mehr marginal um die Beiträge, sondern wirklich nur noch um Meinungsmache. Um das Lauterschreien. Um das Häufigerschreien. Was laut und häufig zu hören ist, das muss ja irgendwie wichtig sein. Dieses Phänomen nennt man Populismus.


    Wer einen Beitrag kennt, zu dem es überwiegend bemerkenswerte Kommentare gab, die tatsächlich geeignet waren, das Thema zu erhellen, mag bitte Beispiele nennen. Ich kenne ausschließlich Gegenbeispiele.

  • Zitat

    Ja. Mit den Unterstellungen, Juristen seien Paragraphenreiter. Juristen lernen im Gegenteil an der Uni (und im Leben), das Recht im Zusammenhang zu betrachten.


    Aus ihrer Sicht. Im übrigen zeigst du wieder blendend, wie du selbst der eigentlichen Debatte ausweichst.


    Wieso du dazu kommst, anderen etwas vorschreiben zu wollen, zu sagen, was sie sollen oder nicht sollen, hast du schlüssig noch nicht erläutert.

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    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • @ HD: Wenn Du Sätze nicht verstehst wie „Es geht nicht um eine "herrische Maßgabe", sondern um Zweckmäßigkeit.“ und „Und wenn ich unzufrieden mit Politik bin, dann lasse ich meinen Ärger nicht an Medien ab, deren Aufgabe es gerade u. a. ist, kritisch über Politik zu berichten.“, dann tut es mir leid. Wenn Du Herleitungen für Kinder mit wackelnden Tischen und den Verantwortlichen dafür nicht begreifst, kann ich daran nichts ändern. Wenn es über Deinen Horizont geht, dass Online-Medien nicht der richtige Adressat sind für eine vorgebliche allgemeine Unzufriedenheit mit „der Politik“, wenn Du nicht kapierst, dass jeder Bürger sich stattdessen offen und frei in Parteien engagieren kann, demonstrieren oder Petitionen schreiben, seinen Abgeordneten kontaktieren … tja, sorry, dann funktioniert kein Gespräch.


    Ein inzwischen ausgeschiedenes Vereinsmitglied hat sinngemäß einmal zu einem historischen Thema geschrieben: „Ich soll nicht versuchen, Fachgespräche mit Laien zu führen!“ Recht hatte sie. Ich erzähle einem Schreiner nicht, wie er seinen Schrank zu bauen hat, und einem Chirurgen nicht, wie er operieren soll. Du, HD, und Didi kommen hier aber allen Ernstes an und wollen mir erzählen, was Meinungsfreiheit sei und wie sie sich zu artikulieren habe. Und ziehen dann noch über die ach so doofe Juristen her. Wie soll ich denn bitteschön Äußerungen ernst nehmen, wonach Online-Medien demokratisch legitimiert seien, weil sie Grundrechtsträger sind? Das ist schlicht falsch. Wie soll ich mich auf Augenhöhe mit Dir unterhalten, HD, wenn Du nicht verstehst, was das 10jährige Kind hier im Haus verstehen würde (s. o.)?


    Hier ein kurzer Exkurs zu Meinungsfreiheit und Grundrechten und ihrem Zusammenhang mit Philosophie, Geschichte und Soziologie. Bringt wohl ohnehin nichts, aber ich bin noch nicht ganz so desillusioniert wie das ausgeschiedene Mitglied. Es geht also um den „Geist der Gesetze“ (Montesquieu). Da stehen nicht nur einfach Buchstaben. Das was Menschen wie Voltaire, Rousseau, Montesquieu, Kant und andere entwickelt haben, ist noch heute Grundlage unseres Staatsverständnisses. Kants praktischer Imperativ und seine Subjekt-Objekt-Formel stehen noch heute in den Kommentaren zu Art. 1 Grundgesetz als einzig praktikable ex-negativo-Definition.


    Der Absolutismus brachte auch Gedanken hervor, dass der Mensch in der Lage sein muss, sich durch justiziable Grundrechte gegen einen übermächtigen Staat wehren zu können. Gegen den Staat. Dieses liberale Grundrechtsverständnis prägt die Rechtsprechung bis heute. Die Menschen sind nicht auf die Barrikaden gegangen in Revolutionen, um sich später einmal Dünnpfiff in irgendwelchen privaten Zeitungen absondern zu können, sondern damit es ihnen prinzipiell staatlich erlaubt sein soll, das zu tun. Wenn man Grundrechte justiziabel anders begreift denn als Abwehrrechte gegen den Staat (mit wenigen Ausnahmen), dann bricht alles zusammen. Dann kann man die Gesellschaft in die Tonne treten. Das führt jetzt aber zu weit.


    Wenn ich schreibe, dass es zwar auch eine mittelbare Drittwirkung von Grundwirkung gibt (gegenüber Privaten), dann kann der Interessierte z. B. das Stichwort „Blinkfüer-Entscheidung“ googeln. Das Laien genauer zu erklären, wird aber in so einem Thread schwierig. Jedenfalls spielt diese Ausnahme für Kommentare in Online-Medien keine Rolle. Die Medien sind zwar Träger von Meinungs- und Pressefreiheit, aber sie sind nicht „Verpflichtete“.


    Und das ist auch nicht so schwierig zu verstehen. Wenn Empörte dann von „staatlicher Verfolgung“ oder „Zensur“ schreiben, dann haben sie keine Ahnung. Wenn man fordert, Leute müssten einen wie auch immer gearteten Frust wegen der „Meinungsfreiheit“ entladen dürfen, indem sie Artikel bei „Spiegel“ oder „Focus“ nur als Anregung für Quatsch mit Soße begreifen – dann haben sie Meinungsfreiheit und anderes Grundlegendes nicht verstanden

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • @ HD: Wenn Du Sätze nicht verstehst wie „Es geht nicht um eine "herrische Maßgabe", sondern um Zweckmäßigkeit.“ und „Und wenn ich unzufrieden mit Politik bin, dann lasse ich meinen Ärger nicht an Medien ab, deren Aufgabe es gerade u. a. ist, kritisch über Politik zu berichten.“, dann tut es mir leid. Wenn Du Herleitungen für Kinder mit wackelnden Tischen und den Verantwortlichen dafür nicht begreifst, kann ich daran nichts ändern. Wenn es über Deinen Horizont geht, dass Online-Medien nicht der richtige Adressat sind für eine vorgebliche allgemeine Unzufriedenheit mit „der Politik“, wenn Du nicht kapierst, dass jeder Bürger sich stattdessen offen und frei in Parteien engagieren kann, demonstrieren oder Petitionen schreiben, seinen Abgeordneten kontaktieren … tja, sorry, dann funktioniert kein Gespräch.



    Nun ja, die Sache mit dem Kapieren ist so eine Sache. Und die Sache mit dem Horizont auch. Wenn man lediglich den eigenen Horizont als Maßgabe für alles und alle anderen ansieht, dann ist ein Gespräch wirklich schwierig. Da passt dann auch deine Art Zitatclustering zu betreiben und damit Bedeutungen zu generieren, die in den Ausgangspostings gar nicht vorhanden waren.


    Es geht darum, dass DU behauptest, was richtig und was falsch ist, was man tun und was man lassen soll und dass dann auch noch mit Gesetzauszügen begründest. Nichts gegen das Grundgesetzt (und die von dir zitierten Paragraphen, die ich als richtig und wichtig anerkenne. Ich erkenne aber nicht an, dass Du die Regeln für richtig und falsch setzt.

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  • Hallo HD und alle,


    wir haben gestern hier auch noch weiter über das Thema gesprochen, unter anderem deshalb, weil ich ja wie Didi der Meinung bin, mit Ignorieren unliebsamer Ansichten käme man nicht weit.


    Alexanders Gegenargument, das man auch nicht von der Hand weisen kann, war, dass viele dieser Frust-Postings vermutlich nicht viel mit wirklicher Unzufriedenheit zu tun hätten, sondern dass sich dahinter in erster Linie "Internet-Randalierer" oder eben Trolle verbergen würden, die einfach nur provozieren wollen um der Provokation willen.


    Insofern wäre es wahrscheinlich interessant zu erfahren, was passiert, wenn man Kommentare nur noch mit vollem Namen veröffentlichen kann. Dann trennen sich da wahrscheinlich die einen, die tatsächlich ihren Unmut auf denkbar primitive Weise äußern wollen, von denen, die nur irgendwelchen Müll absondern, weil es einfach "Spaß macht" zu provozieren.


    Meinungsäußerung, wenn auch eine auf Stammtisch-Niveau, ist das eine, das Internet mit Müll füllen, etwas anderes.


  • Alexanders Gegenargument, das man auch nicht von der Hand weisen kann, war, dass viele dieser Frust-Postings vermutlich nicht viel mit wirklicher Unzufriedenheit zu tun hätten, sondern dass sich dahinter in erster Linie "Internet-Randalierer" oder eben Trolle verbergen würden, die einfach nur provozieren wollen um der Provokation willen.


    Das schätze ich ähnlich ein, und deswegen halte ich es für legitim, wenn Betreiber der Seiten anonyme Postings nicht mehr zuzulassen.


    Zitat

    Meinungsäußerung, wenn auch eine auf Stammtisch-Niveau, ist das eine, das Internet mit Müll füllen, etwas anderes.


    Das ist dann schon wieder eine andere Angelegenheit. Schon bei der Definition dessen, was Müll ist, scheiden sich die Geister. Wir können uns eine saubere Umwelt (und ein sauberes Internet) wünschen, solange aber die Voraussetzungen für Müll gegeben sind, muss man akzeptieren, dass er anfällt. Müllvermeidung findet nicht einfach nur durch Verhaltensvorgaben statt.

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  • Unter "Müll" verstehe ich hier Beiträge unter Pseudonym, die geschrieben werden, weil sich so etwas eben schnell schreiben lässt, wenn man seine Identität nicht preisgeben muss. Eben genau das, was vermutlich wegfällt, wenn sich die Schreiber zu erkennen geben müssen.

  • Hallo, Anja.


    Zitat

    Insofern wäre es wahrscheinlich interessant zu erfahren, was passiert, wenn man Kommentare nur noch mit vollem Namen veröffentlichen kann.


    Nun, das hinge davon ab, wie die Verifikationsmechanismen gestaltet werden. Üblich ist in ähnlichen Fällen die Registrierung über Mailadressen, an die Bestätigungslinks versandt werden, über die man die Konten dann aktivieren kann. Eine Legitimation wird in aller Regel nicht angefordert. Im Ergebnis benötigt man lediglich irgendeinen Mailaccount, und ob der Name stimmt, weiß nicht einmal der Geier. Amazon versucht schon seit Jahren (allerdings eher halbherzig), Betrügereien mit Rezensionen wenigstens einzudämmen, aber unterm Strich wird es täglich immer schlimmer. Sich mehrere Accounts zu bauen, ist völlig problemlos, und sogar die Hürde, dass man mindestens eine Bestellung ausgelöst und erhalten haben muss, um rezensieren zu dürfen, lässt sich sehr leicht umgehen. Nicht wenige Firmen leben davon, gefälschte Rezensionen herzustellen, die bei Amazon veröffentlicht werden.


    Erhöhte man die Hürden, etwa über die eID-Funktion des neueren deutschen Personalausweises, woraufhin man tatsächlich nur noch Kommentatoren hätte, die tatsächlich existierenden Personen entsprechen, würde man die Anzahl der Teilnehmer in kurzer Frist auf einen kleinen Bruchteil reduzieren. Damit hätte man aber sehr wahrscheinlich ausgerechnet jene nicht mehr an Bord, denen hier unterstellt wird, sie wären geeignet, ein Stimmungsbild zu zeichnen. Und die von jenen, die blieben, würden sich vermutlich ganz anders verhalten. Das Posten von extremen Meinungen und Beleidigungen und ähnlichem Kokolores funktioniert ja nur, weil es anonym geht. Wer will schon Strafverfahren oder unliebsame Google-Treffer riskieren?

  • Hallo Tom,


    Du hast sicher Recht, dass sich durch so eine Art der "Legitimierung" die Zahl der Schreiber, der Beiträge und auch deren Inhalt deutlich reduziert.


    Allerdings stellt sich dann natürlich noch mehr die Frage, inwieweit das, was hinter der Maske der Anonymität geschrieben wird, tatsächlich "Volkes Stimme" ist. Oder einfach nur Motzenwollen, weil man gerade mal schlechte Laune hat und die irgendwo hin muss. Oder weil es Spaß macht. Oder ... So ganz klar ist mir die Motivation dieser Schreiber gar nicht.


    Vielleicht geht es ja auch nur darum, endlich auch mal "was sagen zu wollen". Weil einem eben in der Kneipe immer nur dieselben Typen zuhören und auch die wahrscheinlich schon nicht mehr richtig.


    Ich verstehe den Mechanismus nicht immer.


    Was treibt Menschen, ihre Zeit mit dem Schreiben von Polemik unterhalb des Kneipenniveaus zu verbringen? Langeweile? Wollen sie aufmischen? Wollen sie Beachtung.


    Vielleicht machen sie das auch einfach nur, weil es möglich ist. So ganz simpel, ohne tiefergehende Begründung. Ich weiß es nicht.

  • Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Soeben googelte ich nach "Monitor im Kreuzfeuer + Klaus Bednarz" und stieß auf den 42er Thread "Dampfgeplauder ", den Tom im Juli 2011 eröffnete. Aus seinem Eröffnungsbeitrag:


    Zitat

    Fast alle Medien, die im Netz vertreten sind, vom "Spiegel" bis zum örtlichen Käseblatt, erlauben es, Beiträge zu kommentieren. Vorhin habe ich einen guten Artikel über die exzellente Fernsehserie "In Treatment" (3Sat) bei "Spiegel online" gelesen: http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,774235,00.html Als ich das Ende des Textes erreichte, sprangen mir die Kommentare entgegen. Das hat mich etwas fassungslos gemacht. Mal davon abgesehen, dass Leute kommentierten, die eigentlich bei Paul Weston aufs Sofa gehörten (oder in geschlossene Anstalten), vernichtete diese unfreiwillige Zurkenntnisnahme von Äußerungen zu einer Äußerung den positiven Eindruck des Textes fast völlig. Eben noch erfreut über den guten Beitrag, war ich Sekunden später wütend - vor allem darüber, dass der "Spiegel" selbst dafür sorgt (gezwungermaßen, wie ich annehme), dass hochwertige journalistische Arbeit praktisch in Augenhöhe mit dem Blödgequassel irgendwelcher Doofbrote steht, die sich vermutlich einen darauf abhobeln, bei Spon mal einem Redakteur Pfeffer gegeben zu haben (liest man weiter, stellt man fest, dass man einen offenbar gut organisierten Sumpf betritt, dessen krötenartige Bewohner einander gut kennen).


    Zu "Monitor im Kreuzfeuer", einer frühen Form des "interaktiven Fernsehens" (ab 1974), habe ich dann später noch etwas geschrieben. An diesem Beispiel kann man sehen, dass die Beschimpfungen der Zuschauer zwar nicht solche Dimensionen erreichten wie bei anonymen Internet-Kommentaren, dass das intellektuelle Niveau der Kommentare zu "Monitor" (besonders zu Bednarz' Schlussglosse) aber auch nicht gerade das Gelbe vom Ei war. Die namentliche Nennung macht die Menschen also natürlich nicht schlauer, aber sie beugt den schlimmsten Entgleisungen vor.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • HD schreib: "Diese anonymen »Hasspostings«, auf die Alexander aufmerksam machen will,
    kommen nicht nur in Sachen Ausländer, drücken nicht nur extreme
    Fremdenfeindlichkeit aus, sondern kommen zu allem möglichen. Es gibt
    nichts, wozu nicht irgendwer einen dummen, oft schlimmen, nicht selten
    gefährlichen Kommentar abgibt."


    Komischerweise reagieren die öffentlichen Reflexe meistens genau dann, wenn sich jemand gegen die inflationäre Entwertung seiner Arbeitskraft durch die Globalisierung verbal zu wehren versucht. Damit sind wir bei der Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Ahndung von Meinungsäußerungen derzeit bereits unter den Stand der Situation in der DDR der 80er Jahre gesunken. Und das treibt auch die Leute in Dresden und Leipzig etc. "auf die Palme", die ja einen direkten Vergleich erlebt haben (Stichwort "Lügenpresse").


    MfG Walter Hilton



    STOPPT WERBUNG! Schont die Umwelt.


  • Komischerweise reagieren die öffentlichen Reflexe meistens genau dann, wenn sich jemand gegen die inflationäre Entwertung seiner Arbeitskraft durch die Globalisierung verbal zu wehren versucht. Damit sind wir bei der Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Ahndung von Meinungsäußerungen derzeit bereits unter den Stand der Situation in der DDR der 80er Jahre gesunken. Und das treibt auch die Leute in Dresden und Leipzig etc. "auf die Palme", die ja einen direkten Vergleich erlebt haben (Stichwort "Lügenpresse").


    MfG Walter Hilton


    Öffentliche Reflexe dieser Art kommen immer dann, wenn sich irgend jemand in seiner Befindlichkeit gestört fühlt. Das hat nichts mit Ausbeutung von Arbeitskraft oder ähnlichem zu tun. Rechtfertigungsversuche durch Ideolosierung sind destruktiv und nützen der Meinungsfreiheit kein bisschen. Pegida ist keine Reaktion auf Unterdrückung der Meinungsfreiheit sondern ein Zeichen für Intoleranz.

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  • @ HD Dann mach ich hier mal den Walter Matthau (Du hättest ja gern den Jack - bitte schön :) ). Pegida ist nur die Spitze eines Riesen-Eisberges, der dieselbe Meinung hegt und pflegt - egal ob jetzt in Dresden oder Berlin (und ich leb[t]e in beiden Städten etliche Jahre, aber wohl nicht mehr lange, wenn das so weitergeht). Die von Alexander R. verlinkte Meinung eines Berliners gehört dort zum normalen Umgangston - und in Dresden ist man auch nicht mehr weit davon entfernt(weswegen ich in absehbarer Zeit weit entfernt von solchen Orten sein werde). Der verurteilte Berliner ist mit einem solchen Umfeld groß geworden und empfindet diese Meinung deswegen als normal - in Dresden "kommt man gerade auf den Trichter":


    http://www.welt.de/vermischtes…ach-Facebook-Eintrag.html


    In Hannover stolperst Du schon beim Ausstieg auf dem Hauptbahnhof über dieses Problem, weswegen ich inzwischen lieber "im Dreieck springe (fliege)" (zB Dresden-Teneriffa-Hannover und wieder umgekehrt zurück). Ich könnte endlos weiteraufzählen, nur war ich gerade vor ein paar Tagen mal wieder dort und habe mich entsetzt über den Zustand von Raschplatz & Co. No comment.


    Vom Taubertal aus läßt sich das alles wunderschön reflektionieren. Ich suche mir auch noch ein schönes Tal, am besten eins, wo es keine Arbeit mehr gibt und demzufolge alles wegzieht oder von dort abgeschreckt wird.


    Und unsere Käpitäne meinen, sie könnten den Eisberg ignorieren, nur weil sie derzeit die Spitze künstlich kleinzuhalten vermögen. Und weitermachen mit diesem krebsartigen ständigen Wachstum in Form einer Geschwulst an der Erde. Keine Panik auf der Titanic - Wasser ist für alle da! Die Erde wird überleben, das Leben wird überleben...


    MfG Walter Hilton


    P.S. Mit den öffentlichen Reflexen meinte ich eigentlich die Reaktionen der "Öffentlichen Hand" (resp. des Staates und seiner Unterabteilungen).




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  • P.S. Mit den öffentlichen Reflexen meinte ich eigentlich die Reaktionen der "Öffentlichen Hand" (resp. des Staates und seiner Unterabteilungen).


    Dann habe ich dich missverstanden und unpassend reagiert. Andererseits fordert dein Posting auch zu diesem Missverständnis heraus. Deine neuen Auslassungen erhellen die Situation aber keineswegs weiter. Unterdrückung von Meinungsfreiheit? Wo? Die Situation in Hannover habe ich übrigens ebenfalls vor Augen, allerdings ist mein letzter Besuch dort schon ein Jahr her. Und ich habe mehrere Eindrücke mitgebracht, nicht nur die von dir erwähnten vom Hauptbahnhof. Und das Taubertal ist keines, wo die Leute wegziehen, sondern eher bleiben oder hinzuziehen. Außerdem ist es nicht außerhalb der Welt. Menschenverachtende Äußerungen sind auch hier zu hören und dürfen hier genausowenig überhört werden wie anderswo. Bei aller Kritik an »unseren Kapitänen« neige ich aber nicht dazu, jede hässliche Fratze, die sich zeigt, ihnen in die Schuhe zu schieben. Es ist schön bequem, die Schuldigen immer woanders zu suchen und zu verorten, möglichst noch vom meterhohen Podest aus, auf das man sich selbst gestellt hat.

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  • @ HD Mein Fehler - man kann immer älter werden, aber dennoch verstößt man immer wieder gegen die langgemachte Erfahrung: "Man sollte nicht von sich auf andere schließen". Wir verstehen unter "öffentlichen Reflexen" eben etwas diametral Verschiedenes, und ich war nicht praecise genug.


    Ich weiß, daß das Taubertal attraktiv ist - und genau deswegen suche ich mir lieber ein anderes (wo so langsam aber sicher die Lichter ausgehen, Grundstücke schon vom Bürgermeister verschenkt werden etc.). Wir müssen das "seltsame Paar" ja nicht auch noch rl spielen :) .


    Zur Frage der Unterdrückung der Meinungsfreiheit: erstens ist die "Political Correctness" (so correcto? mein Denglisch ist nicht gut, ich hatte Russisch, Latein, Altgriechisch, Hebräisch...) derzeit schlimmer als nach meiner Erfahrung damals vor 30 Jahren in der DDR (wir nannten das "Selbstzensur" oder "Schere im Kopf"). Zweitens wurden damals Meinungsäußerungen nicht so massenhaft zensiert wie heutzutage - und das, obwohl die "Political Correctness" ja schon hervorragende Vorarbeit im Sinne des Profitsystems leistet. Drittens wurden in den 80ern in der DDR Verbalattacken auch nicht mehr so verbissen verfolgt und geahndet wie derzeit (und das schon einige Jahre vor Glasnost und Perestroika). In meinem derzeitigen Umfeld sagt kaum noch jemand seine Meinung öffentlich, die Leute sind mundtöter gemacht als vor 30 Jahren. Es gibt nur Vereinzelte, die dann aufbrechen und öffentlich auftreten - einer von Hundert oder so, aber selbst die fallen hier nun schon quantitativ so ins Gewicht, daß sie auch internationale Rezeption finden.


    Mit Hannover hast Du recht - wenn es da nicht auch noch die anderen "Eindrücke" gäbe, wäre das - obwohl ich auch schon Hannoveraner war - gar kein Ziel mehr für mich.




    MfG Walter Hilton




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  • Pegida ist keine Reaktion auf Unterdrückung der Meinungsfreiheit sondern ein Zeichen für Intoleranz.

    Vor allem ist es ein Zeichen von Blödheit.
    Es gibt - hierzulande und überall - eine große Anzahl von Dummen und Ungebildeten (was nicht dasselbe ist, aber in der Auswirkung vergleichbar katastrophal). Um sie zu bespaßen, wurden ganze Fernsehanstalten gegründet. Sie bedienen diese Zielgruppe - finanziert von denen, deren Hauptkunde sie ist -, damit auch ihr Abwechslung und Amüsement auf dem ihr angemessenen Niveau zuteil wird - ein substantiell unappetitlicher, zutiefst kapitalistischer, aber durchaus friedenstiftender Vorgang. Helmut Thoma, der 1984 RTL übernommen hat, sagte damals zum von ihm geplanten Programm: "Mach mer´s seicht - im Seichten kann man nicht ertrinken!" Die Leute haben das begeistert aufgenommen, haben sich den ganzen Mist angeschaut, ihre Chips dazu verspeist, ihr Bier getrunken, hielten Cindy aus Marzahn, Atze Schröder und Mario Barth für die Perlen der Hochkultur - und alles war gut.
    Dann kamen die social media, die Kommunikation auf niedrigstmöglichem Level auch ohne Sprachkenntnisse ermöglichen - und wurden folgerichtig auch von den Dschungelcamp-Idioten entdeckt. Seither überschwemmen sie die öffentlichen Netze mit ihren dumpf-dämlichen Auswürfen in exponentiell wachsender Zahl und rufen sogar bisweilen in schlichten Formulierungen ihresgleichen zu öffentlichen Zusammenrottungen auf, was wiederum populistische Schwätzer aller Couleur dazu veranlasst, all diese Leute zu "Wutbürgern" zu stilisieren, die man auch noch "ernst nehmen" müsse.


    Mir will das nicht gelingen. Oder genauer: Ich denke nicht daran!

  • @ H. Dieter: Du hast zu Pegida geschrieben: "Vor allem ist es ein Zeichen von Blödheit."


    Der einzige, der aus meinem Wohnumfeld mit "fliegenden Fahnen" regelmäßig zu Pegida fährt, besitzt einen hervorragenden Abschluß der Hochschule für Bildende Künste Dresden:


    https://de.wikipedia.org/wiki/…dende_K%C3%BCnste_Dresden


    Da ich ja nach Toms Einschätzung als "Doofbrot" nur "Blödgequassel" von mir geben kann, fühlte ich mich zu unterqualifiziert, der Einladung meines Nachbarn zu Pegida zu folgen, weil ich selbst diesen "schlichten Formulierungen ...auf niedrigstmöglichem Level auch ohne Sprachkenntnisse" (H. Dieter) nicht zu folgen vermag.


    MfG Walter Hilton




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