ZitatUnd das hat jetzt alles etwas mit dieser Diskussion zu tun?
Gute Frage.
Nächste Frage.
Vor ein paar Jahren haben die ersten Medien damit angefangen, bei ihren online verfügbaren Beiträgen Kommentare zuzulassen, überwiegend unmoderiert - was angemerkt wurde, wurde auch sofort veröffentlicht. Wie anfangs bei den Amazon-Laienrezensionen funktionierte das gut gemeinte System zuerst wirklich ganz gut: Wer tatsächlich meinte, etwas zum Thema beitragen zu können, verfasste einen Kommentar. Und wie auch bei den Amazon-Laienrezensionen wurde die Systematik alsbald von Leuten entdeckt, die solche Funktionalitäten in erster Linie als Instrumente verstehen, die zum Missbrauch und zur Selbstdarstellung geeignet sind. Im Ergebnis sind beide Systematiken nahezu wertlos geworden.
Dem steht die Behauptung gegenüber, es hätten sich wertvolle Ventile entwickelt, die es jenen, die - ganz wertfrei - anderer Meinung sind, endlich ein Forum bieten würden, wodurch man im Endeffekt dem Volk aufs Maul oder sogar in die Köpfe schauen könnte. Endlich, endlich konnte jedermann an halbwegs prominenter Stelle seine Meinung kundtun, direkt an der Quelle quasi, wodurch es Erkenntnisgewinn und sogar mehr Demokratie (insofern Demokratie quantitativ zu bewerten ist) geben würde. Aber - ist das wirklich so?
Nee, isses natürlich nicht. Der österreichische "Standard", immerhin eines der wichtigsten Qualitätsmedien der Alpenrepublik, lässt zwar nur angemeldete "Benutzer" als Kommentatoren zu, aber die Anmeldung erfolgt überwiegend anonym und ohne jede Verifikation. Die Anzahl der "Postings", also der Kommentare zum fraglichen Artikel, befindet sich an prominenter Stelle direkt unter dem Beitragstitel oder, bei älteren, sogar daneben. Nutzer können nicht nur kommentieren, sondern auch noch die Kommentare bewerten (und wiederum kommentieren). Man sieht eine Art Bewertungsgrafik bei jedem "Posting", und wenn man darauf klickt, die Namen der Kommentatoren, die den Kommentar bewertet haben. Das Online-Angebot will ganz soziales Netz sein, der Beitrag selbst verkommt aus diesem Blickwinkel zum Aufhänger, zum Anlass. Die Diskussionen allerdings gleichen sich, die Protagonistenschar ist letztlich überschaubar, und all das ist sowieso leidlich uninteressant, weil das Online-Angebot des "Standard" aussieht, als wäre es Ende der Neunziger begraben und kürzlich exhumiert worden. Wer sich das Vergnügen gönnt, die Kommentare zu beliebigen Beiträgen zu durchstöbern, kann nur zu der Feststellung gelangen, dass hier bei vielen offensichtlich Hirntoten lediglich vergessen wurde, den Stecker zu ziehen. Einen Wert hat all das nicht, es ergibt sich auch kein Bild, und erst recht kein repräsentatives. Das ist nur Blödsinn, Herumgeulke, vermischt mit wenigen ernsthaften (dann aber überwiegend extremen) Standpunkten und mehr weniger subtilen Beleidigungen, meistens der Kommentatoren untereinander. Wer noch alle Latten am Zaun hat, gibt sich das nicht, weder aktiv, noch passiv. Wozu auch? Für den Anbieter kann es nur einen einzigen Wert haben: Diese Leute generieren Zugriffe und verbessern die Reichweitenstatistik. Also zahlen die Online-Werbekunden (mehr). Das ist der ganze Nutzen. Deshalb und nur deshalb tun die Medien das.
"Der Standard" hat im Vergleich zum "Spiegel" eine nur geringe Reichweite. Folgerichtig hat dort fast jeder halbwegs brisante Beitrag - und brisant können sogar Reiseberichte sein, wenn man nur Brisanz hineinliest - schon am Veröffentlichungstag mehrere Seiten "Forenbeiträge". Auch hier gibt es einen Kern, der einander zu kennen scheint und vorwiegend aufeinander reagiert. Unter den restlichen Kommentaren wird man bei energischer Suche zwei oder drei finden, die etwas enthalten, das nicht sofort Zehennägelfäule auslöst. Eine kritische, bemerkenswerte Ergänzung. Eine Relativierung, die vielleicht sogar den Autor des Ursprungsbeitrags interessieren könnte. Und der Rest? Müll, Sondermüll, Atommüll. Ich könnte das begeisterte Eintreten für diese Systeme ja verstehen, gäbe es diesen unterstellten Nutzen, würde da wirklich etwas geschehen, aus dem sich Erkenntnisse destillieren ließen. Aber das ist ganz einfach nicht der Fall. Die Leute, die solche Möglichkeiten nutzen, tun das aus anderen Gründen. Ja, es mag hin und wieder Entrüstungsstürme geben, die halbwegs fundiert sind. Aber in den meisten, in fast allen anderen Fällen geschieht dort nichts, von ambulanter IQ-Pulverisierung abgesehen. Und, ja, einige Gruppen nutzen diese Instrumente, um gezielt für die eigene Überzeugung bzw. Ideologie zu werben. Da geht es dann überhaupt nicht mehr, nicht einmal mehr marginal um die Beiträge, sondern wirklich nur noch um Meinungsmache. Um das Lauterschreien. Um das Häufigerschreien. Was laut und häufig zu hören ist, das muss ja irgendwie wichtig sein. Dieses Phänomen nennt man Populismus.
Wer einen Beitrag kennt, zu dem es überwiegend bemerkenswerte Kommentare gab, die tatsächlich geeignet waren, das Thema zu erhellen, mag bitte Beispiele nennen. Ich kenne ausschließlich Gegenbeispiele.