Frank Schulz: Onno Viets und der Irre vom Kiez

  • Nur Schulz.



    Sollte man ein Organigramm der "jüngeren" deutschsprachigen Literatur (jünger = Autor ist unter achtzig) anfertigen, gäbe es irgendwo ganz unten die ChickLit- und Comedyautoren, gefolgt von den Fantasy-Epigonen, darüber dann jene, die sich redlich bemühen, Themen auch - wenigstens marginal - intellektuell zu besetzen (Haas, Steinfest), ein, zwei Stufen höher energische und wortgewandte Rebellen wie Duve, Zeh und Özdogan, schließlich die Bauchmenschen mit viel Kopf, als da wären: Glavinic, Stavaric, Herrndorf, Berger und so weiter. All dem folgte eine Weile nichts, und während man sich noch umschaute, begegnete man plötzlich und nahezu unerwartet: Frank Schulz. Der Mann mit dem simpelsten Echt- und zugleich Künstlernamen markiert einen Punkt auf der Literaturlandkarte, von und zu dem es keine Verbindung gibt, denn nur Schulz schreibt wie Schulz. Er stellt eine eigene Qualität dar, eine Kategorie. Deshalb ist es natürlich äußerst subjektiv, ihn über alle anderen zu stellen, und ich bin für Argumente hiergegen jederzeit offen. Allein, gehört habe ich bisher noch keines. Ob die überbordende "Hagener Trilogie" rund um den Verweigerer Bodo "Mufti" Morten oder zuletzt die hinreißende Anthologie "Mehr Liebe" - es gibt deutsche Autoren und es gibt Frank Schulz. Punkt.


    Onno Viets ist Anfang fünfzig und besitzt Superkräfte. Er kann beispielsweise endlos sitzen, ohne dabei zu ermüden, und er verfügt über jene Form von Charme, die vor allem nicht so blitzgescheite Gestalten schnell für ihn einnimmt - beides gestählt im "Plemplem", der Kneipe, die eines von Viets' Pleite-Projekten war. Onno ist nämlich meistens arbeitslos und das Faktotum der montäglichen Ältere-Herren-Tischtennisrunde, die er mit seinem originellen Spielstil und den irgendwie auch mit Superkräften spät errungenen Gewinnen beherrscht, ohne das je zu thematisieren - denn derlei ist Onnos Sache nicht. Durchaus aber Edda, die hinreißende, ihm seit Jahren zugewandte Ehefrau, die er oft notbelügt, wohl wissend, dass sie ihn immer durchschaut. Viets hat eine Hühnerkopfphobie und eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe - kurzum, er ist ein netter Verlierer, weshalb ihn ein Kumpel aus der TT-Runde, seines Zeichens Rechtsanwalt, nämlich Dr. jur. Christopher Dannewitz, Ich-Erzähler des Romans, auch seit Jahren über Wasser hält, und ihm, als Onno jetzt auf die Idee kommt, Privatdetektiv zu werden, einen Job zuschanzt. Der prollige Musiktitan Nick Dolan a.k.a. Harald Herbert Queckenborn meint, von der temporären Geliebten, einer mental schallgedämpften, aber äußerst sehenswerten "Burlesque-Tänzerin" namens Fiona Popo betrogen zu werden, und engagiert Viets indirekt, diese zu beschatten. Das macht Onno auch. Der Auftrag führt ihn zunächst nach St. Pauli und kurz darauf nach Mallorca. Viets trifft Fiona Popo und tatsächlich auch ihren Geliebten, aber dann kommt alles ganz anders. Onno fliegt zwar nicht auf, wird aber von "Wie süß ist das denn"-Fiona und ihrem bulligen Lover, Tibor "Händchen" Tetropov, kurzerhand vereinnahmt, in die Residenz Dolans, die als Liebesnest dient, eingeladen und - den Superkräften sei Dank - zum Vertrauten, gar Freund auserkoren. "Händchen" Tetropov, schlagkräftige, bauernschlaue und ghettogestählte rechte Hand des Hamburger Kiez-Oligarchen, schließt Viets ins Herz und weiht diesen in intimste Geheimnisse ein. Aber Onno sitzt das Finanzamt im Nacken, also schießt er doch noch, obwohl er das Zusammensein mit dem merkwürdigen Paar genießt, das entscheidende Beweisfoto und händigt es später dem Auftraggeber aus. Vom daraus entstehenden, schmerzhaft amüsanten Gewaltchaos erzählt Schulz zeitversetzt in einer Parallelhandlung.


    Mit leichter Hand wechselt der Autor von saukomischen Dialogen in - wie immer - perfekter, authentischer, zugleich äußerst origineller Diktion zu bitteren Erzählungen aus der Vergangenheit seiner Helden, zeichnet jede Figur in kristallklarer Schärfe, packt mit seinem unnachahmlichen Stil und einer fast schon überpräzisen Beobachtungsgabe. Die Handlung, zwar keineswegs nebensächlich, aber auch nicht zentrales Element der Erzählung, sackt zwar hin und wieder etwas durch, mündet dennoch schließlich in ein furioses Ende. Den eigentlichen Genuss macht jedoch, und so sollte es schließlich sein, das Wie aus.


    Da sind die anderen, dann ist da eine Weile nichts, und schließlich: Schulz. Nur Schulz.


    ASIN/ISBN: 3869710381

  • Der Roman ist der beste, den ich seit einiger Zeit gelesen habe. Ich musste ihn zweimal lesen, weil ich mich an Schulz' Stil gewöhnen musste. Aber ich müsste es sehr bereuen, wenn ich es kein zweites Mal getan hätte.


    Zu Toms Ausführungen kann man vielleicht noch ergänzen, wie souverän, klug und niveauvoll Schulz die ganze TV- und Promischeiße verarbeitet, um die es da auch geht. Dabei ist die eigentliche Geschichte eine ganz andere, nämlich die, ob man das Gute im Schlechten verraten sollte. Schulz' Wortwahl ist absolut brillant. Soviele, sämtlich gelungene Neologismen, das kann fast niemand sonst.


    P.S.: Auf der Leipziger Buchmesse hat Schulz verraten, dass er das Ding als Zweiteiler verkauft hat. Man darf sich also auf eine Fortsetzung freuen.

  • er ist wirklich so gut?
    Dann brauch ich ihn auch.


    Ich weiß nicht, Monika. Noch habe ich nichts von Schulz gelesen, aber ich überlege, ob ich ihm das nachsehe, dass der uns den "Onno" geklaut hat 8o

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich hab ihn gelesen....und wie sag ich es höflich und möglichst schmerzfrei?



    Ich hab selten eine solche geschwurbelte Psychoscheisse mit doppeltem Pseudoanspruch gelesen ...


    Gut: Die Geschmäcker sind verschieden...zum Glück... aber das Buch ist das Letzte.... Als Leser hab ich mich nicht mal bei dem Pseudo-SM-Scheiss der ehemaligen Klosterschülerinnen so verarscht gefühlt...und das will schon was heißen....


    Eines der wenigen Bücher, die ich kommentarlos dem Papiermüll übergeben habe...

  • Menschen lesen Bücher nun mal sehr verschieden. Kann mir gar nicht vorstellen, wie man so ein Buch "missverstehen" kann, aber wer weiß, welche Interpretationsmöglichkeiten es bietet. :achsel


    Ich werde das Buch erstmal nicht auf meine Liste setzen. Erstens ist mir das Teil derzeit VIEL zu teuer, und außerdem habe ich seinerzeit aufgrund vieler Lobeshymnen den Erzählband "Mehr Liebe" von Schulz gekauft und war gar nicht so begeistert. Zweifellos waren meine Erwartungen zu hoch, aber auch andernfalls hätte ich es weggelegt - gut geschrieben, aber inhaltlich für mich eine reine Enttäuschung. Wie auch immer, das gehört ja nicht hierher.


    Allerdings habe ich das arme Buch nicht verschrottet, sondern über Tauschticket weggegeben. Frau Klein, überleg dir das nochmal. ;)

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Hallo Tom und Michael K.,


    der Kolks ist notiert, werde ich als drittnächstes (nach "Abschied von der Weltformel" und "Wie Tote leben") lesen.


    Berit: "Mehr Liebe" ist komplett verschieden von "Onno". Die Stile sind so unterschiedlich, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass es vom selben Autor ist.


    Viele Grüße,
    Michael

  • OK, danke, Michael - dann les ich mal rein in der Buchhandlung meines Vertrauens. :)

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)