Bücher machen Menschen

  • Wer kennt nicht die wunderbare Erfahrung, nach der Lektüre eines Buches die Welt "mit anderen Augen" zu sehen? Ich hoffe, niemand. ;)


    Ich meine nicht einfach den Genuss eines lehrreichen / spannenden Textes, sondern die Erfahrung, wenn man nach dem Lesen die eigene "Welt" anders sieht und auch nicht mehr hinter diesen Punkt zurück kann. Man ist wie elektrisiert. Ein Gedanke jagt den nächsten. Vollrausch ohne Drogen. Das Bewusstsein hat sich innerhalb weniger Stunden verändert. Alles kann neu durchdacht werden. Kennt ihr das?


    Bei welchen Büchern / AutorInnen ist euch das passiert? Gibt es vielleicht eine Altersgrenze, nach deren Überschreiten solche Erlebnisse nicht mehr möglich sind? Es scheint eine Häufung während der Pubertät zu geben, oder?


    Grüße eines Weihnachtsgeschädigten :high

  • Bei mir war es nach der Pubertät (zumindest glaube ich das), als ich im Alter von 20 Jahren Hesses Demian las. Nachdem ich den kürzlich wiedergehört habe konnte ich das nicht mehr so wirklich nachvollziehen, obwohl mich das Buch (auch in der Hörspielfassung) nach wie vor fasziniert. Ich werde es demnächst noch einmal lesen.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Kristov,


    ich glaube, dass Literatur das kann.
    Was in die eine Richtung geht, geht auch in die andere.
    Es gibt sicher haufenweise Literatur, die die Menschen verdirbt.
    Darunter auch solche, die in genau dieser Absicht gedruckt wird.


    Viele Bücher haben mir früher Welten eröffnet.


    Rot und Schwarz
    Das Herz ist ein einsamer Jäger
    Wahlverwandtschaften
    ---Eine Kurzgeschichte, deren Titel und Autor ich leider vergessen habe. Die ich immer noch suche----
    Die Judenbuche (unsere Deutschlehrerin hat uns damit gequält)
    10 Jahre später hab ich den Text wieder gelesen - und es hat richtig geknallt
    Die Briefe Vincent van Goghs



    Heute ist das Gefühl auch ab und an noch da, aber nicht mehr so spektakulär.


    Grüße
    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

    2 Mal editiert, zuletzt von Topi ()

  • Zitat

    Original von Topi

    ---Eine Kurzgeschichte, deren Titel und Autor ich leider vergessen habe. Die ich immer noch suche----

    Topi


    Erzähl mal was davon, vielleicht kennt die ja jemand hier

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ein Sommertag.
    Der Erzähler schaut einer Sportveranstaltung zu.
    Er sitzt auf einem Grashügel. Unten ihm spielen zwei Mannschaften ein Ballspiel... (Ich glaube, er guckt zwei Frauenteams zu)


    Der Erzähler steht auf, steigt den Hügel hoch, entfernt sich vom Lärm.
    In den Zweigen der Bäume hänge Sensen.


    Mich schauderte beim Lesen.


    Ich glaube, ich habe diese Geschichte in einer Zeitung gefunden. Ein US-amerikanischer Autor hat den Text geschrieben.


    Vage Erinnerungen- starker Eindruck.


    Grüße
    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

  • Die Nebel von Avalon - weibliche Stärke, eine wundervolle Protagonistin, die geschickt die Fäden im Hintergrund zieht, und dazu so geschrieben, dass man ganz in diese Welt eintauchen kann. ich habe das Buch mit 15 zum ersten Mal gelesen, innerhalb von drei Tagen evrschlungen, trifft es eher. Und mein Wunsch, Autorin zu werden, wurde damit noch viel größer. :)

  • Ein Beispiel:
    obwohl schon damals längst postpupertär, wollte ich U N B E D I N G T nach Neufundland auswandern, nach
    - Schiffsmeldungen - von Anni Proulx.
    Auch ich hätte in einem renovierungsbedürftigen Haus am Meer gewohnt und auch ich hätte ziemlich sicher das falsche Boot gekauft und irgendwann hätte ich natürlich Quoyle und seine Familie kennen gelernt .
    Wie ganz und gar wunderbar sie das alles hin gekriegt haben, hätte ich ihnen gesagt und dass das ja sehr, sehr selten ist , dass jemand trotz allem, so selbstmitleidlos wachsen und wahrnehmen kann und dass ich das auch gerne können würde und nun deshalb hier wäre.
    Dann hätte ich ihnen meine Freundschaft und von meinem selbst importierten Barolo angeboten.
    Ja, das hätte ich getan.
    Und ich würd`s immer noch tun.
    Weil wir nämlich von meiner Seite aus immer Freunde sein werden.
    Immer und immer.
    Echt wahr.

  • Und ob ich das kenne...nicht nur bei Büchern...auch nach manchen Filmen geht es mir so...


    meine bahnbrechenden Bücher waren mit zwanzig:
    Die essbare Frau von Margaret Atwood,
    mit siebenundzwanzig:
    Die Luftgängerin von Robert Schneider
    später dann:
    Der Besucher von E.E. Schmitt
    Maria Magdalena von Marianne Frederickson...
    "Wir töten Stella" und "Die Wand" von Marlen Haushofer
    diverse Märchen von Rafik Schami gehen in meinem Hirn ebenfalls wie Hefe auf und machen satt und hungrig zugleich...du hättest nicht fragen sollen, lieber Kristov...solch eine Liste kann lang werden bei mir...Frankenstein fällt mir noch ein...stilistisch und inhaltlich eine Offenbarung für mich...
    Es sind auch immer wieder und besonders Sachbücher, die mir Türen öffnen:
    Nach dem ersten Kind, mit 28:
    Unter Müttern - Eine Schmähschrift von Barbara Dieckmann
    zuletzt
    Schwanitzens "Romantik -eine deutsche Affäre" (wobei Kapitel-Durchblättern schon für so manchen Brainfuck ausreichte...damit bin ich längst nicht durch.)
    und Prechts
    "Liebe - ein unordentliches Gefühl" das las sich zwar locker weg...aber dafür brachte es mich nachhaltig zum Überdenken...


    Gib es zu, Kristov, du feierst nicht Sylvester und wolltest dir genügend Lesestoff sichern, damit dir nicht langweilig wird, die nächsten zwei Tage...unsere Listen wirste nicht so schnell durch bekommen =)

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

    Einmal editiert, zuletzt von lametta ()

  • Zitat

    Original von Ulli
    Wenn ich dazu antworte, bringt mich H-D um oder guckt mich zumindest nie wieder an.


    Glaube ich nicht, es sei denn es ist "Mein Kampf" oder etwas ähnliches.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • und:
    Ganz, ganz wichtig, weil: ultrabeeinflussend, weil: der beste Plot des Jahrhunderts, weil: Auslöser für neues Licht auf die ganze neuere und vielleicht sogar ältere Weltgeschichte:


    DER NAME DER ROSE
    vom wunderbaren Umberto Ecco

  • Zitat

    Original von lametta
    "Wir töten Stella" und "Die Wand" von Marlen Haushofer


    Hallo Lametta,
    die Wand ist mir gerade heiß empfohlen worden. Jetzt bin ich neugierig


    Topi

    Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
    wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.


    Mark Twain

  • Zitat

    Original von Ulli


    "Das Lächeln der Fortuna" von Rebecca Gable.


    Also, geht doch :)


    Das ich die Bücher von R.G. für mich aussortiert habe, heißt doch nicht, dass sie anderen nicht gefallen können (oder gar dürfen)


    tolerante Grüße


    Horst-Dieter

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann



  • *schweißabwisch* - da bin ich aber erleichtert.
    Für mich war das Buch eine Initialzündung. SO wollte ich auch schreiben können.
    Nach einigen Versuchen und Jahren ist mir klar, dass ich SO nicht schreiben kann, sondern nur so, wie ich schreibe.

  • Lieber Kristov,


    ich verstehe dich so, dass du Bücher meinst, die zumindest nahe daran reichen, das Leben eines Menschen zu verändern:


    Zitat

    Ich meine nicht einfach den Genuss eines lehrreichen / spannenden Textes, sondern die Erfahrung, wenn man nach dem Lesen die eigene "Welt" anders sieht und auch nicht mehr hinter diesen Punkt zurück kann. Man ist wie elektrisiert. Ein Gedanke jagt den nächsten. Vollrausch ohne Drogen. Das Bewusstsein hat sich innerhalb weniger Stunden verändert. Alles kann neu durchdacht werden. Kennt ihr das?


    Deine Einschränkung in Bezug auf die Pubertät finde ich goldrichtig. Da ist man leicht zu beeinflussen und möchte bei jedem dritten Roman sein Weltbild umstürzen.


    Mit 19 Jahren las ich viel zu früh Sloterdijks "Kritik der zynischen Vernunft". Das Werk blies mich komplett weg, aber ich war einfach noch ein Bengel.


    Vor drei Jahren las ich "Extrem laut und unglaublich nah" von Foer. Ich glaube, das war das erste Mal seit meiner Schulzeit, dass mir ein Buch Elektroschocks versetzte. Es ist der kreativste Roman, den ich kenne. "Tiere essen" ist ein formidables Sachbuch von Foer, und "Alles ist erleuchtet" ist großartig - aber über "Extrem laut ..." würde ich am liebsten einen eigenen Fred aufmachen und Foer heilig sprechen lassen.


    Warum? Oskar Schell, ein 8jähriger Junge, hat seinen Vater verloren, der am 11. September 2001 in den Twin Towers war. Oskar Schell ist teilweise angelehnt an Oskar Matzerath aus der "Blechtrommel". Er rennt mit seinem Tambourin durch New York und sucht nach seinem Vater, von dem er glaubt, das der noch lebe.
    Der Roman ist durchzogen von unterschiedlichen Schriftbildern -größen und -farben, mit Bildern und Fotos, mit einem Daumenkino von einem Menschen, der sich aus dem World Trade Center stürzt, mit Seiten, auf denen nur ein Satz steht ...
    Parallel erzählen Oskars Großmutter und Großvater unabhängig voneinander von der Jugend in Dresden, von ihrer - mit Verlaub - hammermäßig abgefahrenen Beziehung, von ihrer Trennung und von Oskar.
    Was in diesem Roman alles passiert - es ist viel zu viel, um es in einer Zusammenfassung aufzuzählen. Und jede einzelne Szene ist essentiell. Eine Szene zu streichen, würde den ganzen Roman töten.


    Aber mir geht es nicht darum, dass ich "Extrem laut ..." für besser halte als "Der Prozess" und "Der Mann ohne Eigenschaften" zusammen - mir geht es darum, dass dieser Roman mein Leben verändert hat. Ich habe wiederentdeckt, wie es ist, zu staunen, sich zu wundern, nicht alles als selbstverständlich hinzunehmen. Ich habe das Gefühl wieder gespürt, wie es ist, wenn hinter jeder Ecke und in jeder Zeile ein neues Geheimnis lauert. Ich kann wieder Menschen beobachten und mir ihr Geheimnis ausmalen.


    Klingt das eitel? Wahrscheinlich. Aber das Buch ist super-duper affengeil!


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)