Mephistos Faust

  • Huh ... laaaaange nichts mehr geschrieben bei euch, ich bin grad am Roman (immernoch) und an einer harten Nuss, bei der ihr mir vielleicht helfen könnt.


    Ich hab mich vor ner Woche ungefähr am Faust I festgebissen und komm nicht mehr so recht weiter. Soweit ich kapiert habe, sucht Faust die echte, tiefe Erkenntnis, oder - besser - das erhabene Gefühl, das er als Gelehrter immer angestrebt und doch nie erreicht hat. Es tritt dazu Mephisto auf, der mit ihm eben jenen Faustischen Pakt schließt und verspricht ihm zu dienen. Wenn es ihm gelingt, Faust dieses Gefühl zu verschaffen, soll Faust wiederum Mephisto im Jenseits dienen. Soweit, so gut.


    Das Gretchen hab ich schon hinter mir, die Verjüngung Fausts auch. Doch jetzt hänge ich fest.


    Der Auftritt in "Wald und Höhle" ist ziemlich irritierend. Faust bedankt sich plötzlich bei einem erhabenen Geist, der ihm die Natur und ihre Lebendigkeit so unmittelbar offenbart hat und legt sich mich Mephisto an. Zuerst einmal verstehe ich nicht, weshalb er nicht Mephisto dankbar ist, weil das Teufelchen diese Wallung doch ganz klar zu verantworten hat, dann verstehe ich nicht, ob Faust nun gefunden hat, was er sucht, oder nicht - zuletzt verstehe ich nicht, was es nun mit Gretchen und ihm auf sich hat.


    Die Stelle: 3215-3274 (ich schätze, das ist die Zeilenangabe.)
    In meinem Exemplar auf Seite 97.


    Vielen Dank und Gruß ...


    Jo

  • Hallo Jo,


    nein, das Gretchen hast du noch nicht hinter dir.


    Wenn du in der Szene Wald und Höhle angelangt bist, dann lebt Gretchen noch, Faust hat noch nicht mit ihr geschlafen, Gretchen hat noch nicht ihre Mutter umgebracht und Mephisto hat noch nicht Gretchens Bruder erstochen. Und noch hat Gretchen kein Kind bekommen, noch hat sie es nicht ermordet, noch ist sie dafür nicht zum Tode verurteilt worden.


    Du siehst also - das Beste kommt noch.


    Und die Riesenschweinerei der Walpurgisnacht, in der sich Goethe Verse von solcher pornografischer Anzüglichkeit einfallen hat lassen, dass sie bis heute nur als Leerstellen (.....) in den meisten Ausgaben auftauchen (ich weiß natürlich, was da stehen soll 8)) liegt auch noch vor dir.


    Du solltest also auf jeden Fall bis zum Ende weiter lesen. Faust I ist eines der großen Erlebnisse der Weltliteratur. Faust II ist ganz anders und viel langweiliger, obwol die Verse selbst in Faust II oft von einer geradezu überirdischen Schönheit sind.


    Welche Ausgabe hast du denn? Wirklich empfehlenswert und auch sehr schön ist die Hamburger Ausgabe. Diese Ausgabe hat einen umfangreichen Kommentar, der bei der Lektüre hilft. Diese Ausgabe kostet nicht mehr als mich drei Tankfüllungen kosten; und das für einen recht vollständigen Goethe - fast geschenkt, oder?


    ASIN/ISBN: 3406084958


  • Faust hat noch lange nicht gefunden, was er sucht. Findet Faust, was er sucht (die Erkenntnis der Welt) - dann ist er so gut wie tot. Das stipuliert der Pakt vom Anfang. Faust stirbt übrigens erst in Vers 11585 in Faust II - du hast also noch einiges vor dir.


    Faust ist Mephisto überhaupt nie dankbar, weil er Mephisto seine Seele verpfändet hat, was er auf der einen Seite gar nicht wollte, auf der anderen Seite weiß er aber, dass er ohne Mepthisto und den Pakt keinen Schritt mehr weiter gekommen wäre. Denk daran: Faust wollte am Anfang von Faust I (Studierstube) Selbstmord begehen - weil ihm das Leben schal geworden war und er an seiner Fähigkeit zweifelte, überhaupt irgendwas zu erkennen.


    Die Gretchen-Episode ist nur eine Station (wenn auch eine sehr wichtige) auf der langen Reise, die Faust und Mepthisto gemeinsam unternehmen. In Faust II wird Faust noch die schöne Helena (bekannt aus dem Film Troy mit Brad Pitt) treffen und mit ihr ein Kind zeugen.

  • Hi TWJ ...


    ... dank dir für die kleine Anleitung - vielleicht verstehe ich die Stelle auch sprachlich einfach nicht, oder es ist der Entwicklungssprung der Figuren. Keinen Blassen ... es kam alles ziemlich plötzlich.


    Ich mach grad ne Pause mit dem Faust, lese aber später sicher weiter.


    Das mit dem Gretchen war ein Versprecher - ich meinte, den Erstkontakt zwischen Gretchen und Faust hab ich bereits hinter mir.


    Welche Ausgabe ich habe? Ich hab beide Teile als Taschenbuch, von dtv.


    Zum Stil: Ich bin ohnehin kein schneller Leser, aber der Faust gehört später sicher zu den Texten, die ich am langsamsten gelesen haben werde - ich hab enorme Schwierigkeiten, durch die Reimstruktur an den Sinn des gesagten zu kommen. Jedenfalls fordert es ne ziemlich hohe Konzentration. Blickt man, wenn man das Stück im Theater sieht, überhaupt durch, falls man davor das Buch nicht gelesen hat?


    Gruß ...


    Jo

  • Hallo Jo,


    Zitat

    Original von jessiter
    Blickt man, wenn man das Stück im Theater sieht, überhaupt durch, falls man davor das Buch nicht gelesen hat?


    Nun, es gehört quasi zur Aufgabe des Theaters, schwierige Inhalte so zu bringen, dass man sie versteht. Faust ist also tendeziell schwerer zu lesen als im Theater zu begreifen, denn schließlich hörst du die Texte und siehst die Handlungen und Emotionen der Figuren. Es gibt übrigens eine recht gute neuere Inszenierung auf Video, von Dieter Dorn. Wer sich richtig quälen will, greift aber zu Peter Steins ungekürzter Fassung von der EXPO 2000. Das sind schlappe 13 Stunden Spielzeit (für beide Teile ;)). Am besten sieht man sich aber den Klassiker schlechthin an, nämlich Gustaf Gründgens und Will Quadflieg und die Flickenschild als Marthe Schwertlein.
    Vielleicht können dir ja Helmut Griem, Buno Ganz oder eben Will Quadflieg den Sinn Goethscher Verse näher bringen.
    Dann quäl dich mal schön weiter mit deutschem Bildungsgut =)
    Ingrid

  • Hi Jo,


    Zitat

    Original von jessiter
    Zum Stil: Ich bin ohnehin kein schneller Leser, aber der Faust gehört später sicher zu den Texten, die ich am langsamsten gelesen haben werde - ich hab enorme Schwierigkeiten, durch die Reimstruktur an den Sinn des gesagten zu kommen. Jedenfalls fordert es ne ziemlich hohe Konzentration. Blickt man, wenn man das Stück im Theater sieht, überhaupt durch, falls man davor das Buch nicht gelesen hat?


    Kleiner Tipp für dramatische Texte: laut lesen. Kein Scheiß, das hilft enorm. Ich weiß ja nicht, wie deine Wohnsituation ist, aber wenn du nicht von MitbewohnerInnen deswegen Platzverbot bekommst, solltest du das mal probieren. Der "Kapierfaktor" steigt dadurch enorm.


    LG


    Susanne

  • Zitat

    Original von Ingrid
    Nun, es gehört quasi zur Aufgabe des Theaters, schwierige Inhalte so zu bringen, dass man sie versteht.
    Ingrid


    Tatsächlich?


    Ich habe nämlich seit geraumer Zeit den Eindruck, dass es die Aufgabe des deutschen, und insbesondere des deutschen Regietheaters ist, vollkommen klare und eindeutige Aussagen so auf die Bühne zu bringen, dass sie schließlich keiner mehr versteht.


    Diese Praxis ist insbesondere an staatlich und städtisch subventionierten Bühnen (und welche Bühne in Deutschland ist eigentlich nicht subventioniert?) eine der Hauptaufgaben der Indendanten und Dramaturgen. Gäbe es keine Subventionen mehr, dann wäre es mit dem Regietheater ganz schnell vorbei. Das will nämlich keiner sehen.


    Also irgendwie ist das mit den Subventionen fast wie mit Hartz IV. Gäb's keine Kohle mehr vom Staat ... ja ... dann ... müßten die Arbeitslosen und die Sozialhilfeempfänger plötzlich ... ja ... also ... ahm ... horribile dictu ... jeden Morgen aufstehen, Zähne putzen, ein frisches Hemd anziehen und ... ;(ARBEITEN. So eine Gemeinheit aber auch!

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson


    Also irgendwie ist das mit den Subventionen fast wie mit Hartz IV. Gäb's keine Kohle mehr vom Staat ... ja ... dann ... müßten die Arbeitslosen und die Sozialhilfeempfänger plötzlich ... ja ... also ... ahm ... horribile dictu ... jeden Morgen aufstehen, Zähne putzen, ein frisches Hemd anziehen und ... ;(ARBEITEN. So eine Gemeinheit aber auch!


    Lieber Thomas,


    wenn die Welt so einfach wäre. Der Spruch "Alle Arbeitslosen sind faule Hunde" ist etwas altbacken und völlig an der Realität vorbei, auch wenn es genügend Individuen gibt, auf die das zutrifft.


    Aber es ist natürlich einfacher, alles immer über einen Kamm zu scheren, als differenzierter hinzusehen.


    Trotzdem sonnige Grüße


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Susanne: Ich geb zu, einige Passagen laut gelesen zu haben, weil sie mir einfach gefallen haben - was so ein Text alles anrichtet. Auf diese Art komme ich aber gar nicht an den Sinn, weil zu viel Konzentration für den Rhythmus draufgeht :tot


    Ingrid: Mit dem Theater kann ich ohnehin nicht besonders viel anfangen, weshalb ich mich wahrscheinlich nie in den Faust oder so verirren werde ... aber falls es mal soweit ist, werde ich auf diese Info von dir zurückgreifen.


    TWJ: Demnach ruiniert der Staat das Theater? ;) Das Dumme bei der Sache mit dem Ethos von der Heiligkeit der Arbeit - es gibt einfach nicht mehr genug davon. Ich würde sie ja mit allen Mitteln außer Krieg gegen China in der EU erhalten, aber die pol. bzw. gesellschaftlichen Eliten kratzt der stete Verlust offenbar nicht sonderlich ... ich glaube, Arbeitslose mit Hartz IV zu versorgen ist viel einfacher, als den Allzu-Global-Playern EU-Schutzzölle oder sowas aufzuerlegen. Hm - hier muss sich doch irgendwo ein Faustischer Pakt unterbringen lassen ;)


    Gruß ...


    Jo

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson



    Tatsächlich?



    Tja, mein lieber Jefferson, jetzt lernst Du auch mal was.


    Übrigens gebe ich Dir ganz recht. Zu was für wunderbaren Schattengeschäften das Fehlen eines sozialen Netzes führen kann - man schaue nur nach Asien. Massagen aller Art in der Gasse hinterm Tempel...kein Wunder dass Du Dir sowas wünschst, das würde ja endlich Inspiration praktisch vor der Haustür bedeuten. Um wieviel schneller und zeitgeistnäher könntest Du dann Deine Stücke schreiben.


    *H*


    :kaffeepc

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Tatsächlich?


    Nun, ich sprach von der Aufgabe an sich, ob die auch so wahrgenommen und erfüllt wird, sei dahin gestellt. Wieso soll das Theater da anders sein als Unternehmen? Zu deren Aufgaben gehört es ja auch, Arbeitsplätze zu schaffen.


    Im Übrigen ist das kollektive Jammern über das Regietheater mindestens so alt wie das ewige Gejammere über die arbeitsscheuen Wesen am Arbeitsamt. Dadurch wird's aber nicht wahrer.

  • Liebe Freundinnen,


    Ingrid,


    du hast ja Recht - meine Lamentiererei ist weder besonders originell noch hilft sie was. Ich wollte Euch halt einfach mal ein bißchen was vorjammern, weil mir sonst keiner zuhört und ich als Berater mir ständig das Gejammere der Anderen anhören muss.


    Vielleicht ist das jedoch ein origineller Vorschlag, um die Misere der Regietheater und das Problem der Dauerarbeitslosigkeit auf einen Schlag zu lösen: Sämtliche Hartz IV-Empfänger müssen jeden zweiten Tag in subventionierte Stadttheater gehen - oder sie verlieren ihre Ansprüche. Dadurch wären die Theater voll und die Harz IV-Empfänger hätten nicht mehr das Gefühl, sie wären zu nichts nütze.


    @Graham,


    ich lerne doch täglich von dir - wirklich. Übrigens kenne ich sogar ein verträumtes kleines Städtchen, da gibt es die Massagen gleich im Tempel. 8) Die Abwesenheit eines allzu großzügigen sozialen Netzes unterstützt die Menschen bei Entscheidungen und setzt die besten, stammesgeschichtlich verankerten, Instinkte wieder in ihnen frei. Und die Kunst wird auch gefördert. Erinnerst du dich an das, was Harry Lime (Orson Welles) im Dritten Mann zu Holly Martins sagt:


    Im Italien unter den Borgias waren Mord, Totschlag und Raub an der Tagesordnung. Dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und Dante. In der Schweiz gab es 500 Jahre Frieden, Brüderlichkeit und Demokratie. Und was hat das hervorgebracht? Die Kuckucksuhren!

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Erinnerst du dich an das, was Harry Lime (Orson Welles) im Dritten Mann zu Holly Martins sagt:


    Im Italien unter den Borgias waren Mord, Totschlag und Raub an der Tagesordnung. Dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und Dante. In der Schweiz gab es 500 Jahre Frieden, Brüderlichkeit und Demokratie. Und was hat das hervorgebracht? Die Kuckucksuhren!


    My dearest,


    jetzt habe ich doch glatt nachschauen müssen, obwohl ich dafür eigentlich gar keine Zeit habe. Aber dabei habe ich noch was gefunden, was zum off-topic Thema passt:


    Martins: Have you ever seen any of your victims?
    Lime: You know, I never feel comfortable on these sort of things. Victims? Don't be melodramatic. Tell me. Would you really feel any pity if one of those dots stopped moving forever? If I offered you twenty thousand pounds for every dot that stopped, would you really, old man, tell me to keep my money, or would you calculate how many dots you could afford to spare? Free of income tax, old man. Free of income tax - the only way you can save money nowadays.

  • Am besten sieht man sich aber den Klassiker schlechthin an, nämlich Gustaf Gründgens und Will Quadflieg und die Flickenschild als Marthe Schwertlein.

  • hab wohl grad den falschen Knopf gedrückt.... wollte nur sagen, falls Thema noch aktuell: kann Gustav Gründgens nur empfehlen, hat mir auch super geholfen den Faust zu verstehen