Wie seht Ihr diese Aktion? Und, vor allem, die Reaktionen darauf?
Ich bin nicht der Meinung, die in diesen Videos kolportiert wurde, und ich würde vielem widersprechen, was der Regisseur Dietrich Brüggemann zur Aktion etwa in diesem Interview gesagt hat, aber nicht allem, und ich würde einigem zustimmen, vor allem an den Stellen, an denen es um den Diskurs geht.
Denn. Die - auch im Interview erwähnte - absolute Erbarmungslosigkeit, mit der inzwischen missliebigen, vermeintlich moralisch unterlegenen Meinung(säußerung)en begegnet wird, irritiert mich sehr. Sie ist nicht neu, sie ist hier nicht zum ersten Mal zu bemerken, aber ihre Gravität hat neue Züge angenommen. Die Ad Hominem-Attacke ist auch im öffentlichen Diskurs längst zum Normalfall geworden, zur üblichen, legitimen, einzigen Vorgehensweise. Nicht die Meinung selbst ist Gegenstand des Widerspruchs, sondern die Person, die sie geäußert hat - und ihre sonstigen Eigenschaften, die eigentlich nichts mit der Meinungsäußerung zu tun haben. Gleichzeitig wird mit der kategorischen Ablehnung von Standpunkten immer stärker fraktioniert, was auch die "Chance" bietet, immer mehr Menschen verbal zu radikalisieren - und sich selbst zu erhöhen.
Die Aktion selbst war höchstens aus der Sicht einiger weniger wirklich klug. Aber dass man sich genötigt sieht, sich von Personen zu distanzieren, dass nach Auftritts- und Spielverboten gerufen wird, dass das Karriereende von Liefers gefeiert wird - das sind Reaktionen, das ist eine Art des Umgangs, die mich in China nicht überraschen würde.
Um das auch noch einmal klarzustellen: Ich halte den Weg, der hierzulande im Umgang mit der Pandemie gegangen wird, für richtig. Ich bin bei jeder Maßnahme dabei, ich versuche, andere davon zu überzeugen, diszipliniert zu bleiben, ich diskutiere und disputiere unermüdlich. Ich habe fassungslos miterlebt, wie Menschen sterben und Freunde Verwandte verlieren mussten, obwohl das hätte verhindert werden können. Die utilitaristischen Konzepte zum Pandemieumgang machen mich wütend.
Aber meine Haltung zu Corona-Maßnahmen steht hier nicht zur Debatte (obwohl wir gerne darüber reden können). Es geht um den Umgang mit Meinungen und Meinungsäußerungen.