Stewart O'Nan: Eine gute Ehefrau

  • Berührend und mit starkem Nachhall


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    Der im Jahr 2005 erstmals publizierte Roman heißt im Original „The Good Wife“, also „DIE gute Ehefrau“, und auch wenn der Titel irritierend, ratgebermäßig, ein wenig anachronistisch und abschreckend daherkommt, trifft er präzise den Kern.



    Die Geschichte beginnt in den Siebzigern in Owego, einer viertausend-Seelen-Gemeinde am Southern Tier Expressway im Staat New York, und sie endet fast dreißig Jahre später an derselben Stelle. Patty und Tommy, von denen man nie die unverniedlichten Fassungen ihrer Vornamen erfährt, haben sich ein kleines Glück aufgebaut. Die beiden Mittzwanziger wohnen in einem gemieteten Haus am Rand des Ortes, Patty ist schwanger, sie und er arbeiten zwar in Hilfsjobs, aber sie führen ein gutes Leben und lieben sich sehr. Was Patty nicht ahnt: Um an die Dinge zu kommen, die er besitzen möchte, sich aber nicht leisten kann, geht Tommy nachts auf Einbruchstour, zusammen mit seinem Kumpel Gary. In einer dieser Nächte, während Patty glaubt, die beiden würden in der Kneipe sein, treffen sie überraschend die alte Mrs Warner an, und die Frau wird Opfer dieses Vorfalls. Mit diesem Geschehen fängt der Roman an. Ein paar Wochen später wird Tommy zu lebenslanger Haft verurteilt.



    In der ihm eigenen, ungeheuer präzisen, fast puristischen, leicht distanzierten, aber eigentlich äußerst nahen, schnörkellosen und umso eindringlicheren und schöneren Erzählweise lässt uns der unglaubliche Stewart O’Nan am Schicksal dieser weißen Unterschichtler teilnehmen, die man in Amerika als „White Trash“ bezeichnet. Aus der Sicht von Patty, die mit der extremen Situation umgehen muss, aber nie ihre Treue Tommy gegenüber ernsthaft in Frage stellt, erleben wir einen eigentlich deprimierenden, anstrengenden, entbehrungsreichen, mit nur sehr kurzen und kleinen Glücksmomenten durchsetzten Alltag mit. Die Frau kämpft sich durch Geburt und Jobsuche und die Willkür der Behörden, sie setzt sich an jedem Wochenende der Qual eines Besuchs in einem Hochsicherheitsgefängnis aus, und sie hofft. Nein, sie glaubt. Dass sie das tun muss, und dass es irgendwann wieder gut wird.



    Wie immer bei O’Nan entwickelt man ein sehr starkes Gefühl der Verbundenheit zu seinen Figuren, aber auch eines des Miterlebens, der Authentizität, wenn er von Belanglosigkeiten erzählt, vom alltäglichen Kampf, vom persönlichen Schicksal. Kaum ein anderer zeitgenössischer Autor würde es schaffen, eine solche Geschichte, die wenige Höhepunkte hat, auf eine vereinnahmende Weise zu erzählen, also so, dass man sie gerne liest: Die Lebensgeschichte einer Frau am Rand der Gesellschaft, deren Mann wegen Totschlags im Gefängnis sitzt.



    „Eine gute Ehefrau“, wenn auch nicht eben glücklich (aber, wie erwähnt, zutreffend) betitelt, ist ein starker, fesselnder, tatsächlich auch spannender Roman, und unterm Strich eine Heldinnengeschichte. Berührend, ein bisschen optimistisch, und mit starkem Nachhall.


    ASIN/ISBN: 3499242788

  • Eine Ergänzung: Ich mag Stewart O'Nans Texte sehr, das dürfte jedem, der meine Rezensionen liest, inzwischen aufgegangen sein, und insbesondere mag ich seinen Stil, der sehr sachlich und präzise und irgendwie beiläufig ist, und gleichzeitig zwangsläufig. Aber aus irgendeinem Grund hat O'Nan irgendwann beschlossen, dass Kapitel immer und auf jeden Fall Überschriften haben müssen. Die Kapitelüberschriften in seinen Büchern aber wirken wie Wegweiser an einer Strecke, die überhaupt keine Abzweigungen hat. Sie sind vollkommen überflüssig und liefern keine ergänzende Information, sie sind nichts weiter als Namen für die folgenden Seiten. Tatsächlich nehme ich Kapitelüberschriften beim Lesen kaum wahr, aber durch diese absurde Überflüssigkeit zwingt mich ausgerechnet der Purist O'Nan, sie zu lesen. Als ich bei "Die gute Ehefrau" beim Kapitel "Danksagungen" angekommen war, war das die erste hilfreiche Überschrift. 8)

  • Wenn "Good Wife" im Englischen eine Doppelbedeutung hat, die im Deutschen so oder so nicht übersetzbar ist (nämlich in Richtung "weiblicher Haushaltsvorstand"/"Hausherrin"), ob nun mit einem bestimmten oder unbestimmten Artikel, hat sich der deutsche Verlag vielleicht deshalb so entschieden?

    Wie dem auch sei: Noch ein Buch auf meiner Leseliste :whistling:

  • Petra: "Die gute Ehefrau" klingt einfach noch mehr nach einem Berater aus den Fünfzigern als "Eine gute Ehefrau". Aber der Titel ist bei aller Krittelei passend, denn dieses Martyrium, das Patty durchlebt, hat - neben der Tatsache, dass sie Tommy liebt - auch nicht eben wenig mit dem Rollenverständnis zu tun.


    Es passt nicht ganz, und es hat nichts mit dem Roman zu tun, aber es ist fast schon ein Klassiker und immer wieder lustig - und es trainiert die Kopfschüttelmuskeln. (Das Zeug, das hier beworben wird, war übrigens nichts weiter als Schnaps):

  • Allerdings werden viele gute englische Titel (meiner Meinung nach) eher "ungünstig" ins Deutsche übersetzt.

    Das ist wohl wahr, obwohl international agierende Autoren heutzutage immer mehr in dieser Sache mitzureden versuchen. Aber "Eine gute Ehefrau" ist durchaus eine passable Übersetzung des Originals. Schon der Originaltitel ist einfach ein wenig irritierend.

  • Wenn ich im Buchladen nur den Titel gelesen hätte, wäre ich nicht auf die Idee gekommen mir das Buch genauer anzusehen und den Klappentext zu lesen. Sicherlich sind mir dadurch schon einige gute Bücher entgangen, aber nach irgendwelchen Kriterien muss ich mich ja entscheiden.

    Meist sind es also die Titel, die mir ins Auge fallen und bei Fantasyroman auch oftmals die Covergestaltung.

  • Am Rande: Aus der amerikanischen TV-Serie „The Good Wife“ (keine Verbindung zum Roman) hat man hier „Good Wife“ gemacht.

    Erstaunlich eigentlich, dass der Titel in Amerika dann wohl keine unerwünschten Assoziationen in Richtung 50-er-Jahre-Hausfrauenbild weckt.