Bestimmt die Grammatik unser Denken?

  • Außerdem entspricht er nicht dem Stand der modernen Sprachwissenschaft. Sprache ist ein eigengesetzliches System, das - eben weil es ein geschlossenes System ist - sich folglich auch nicht von sozialen Rahmenbedingungen "beeinflussen" lässt. Umgekehrt. Gerade diese vulgärmarxistische Auffassung, dass sich Sprache irgendeiner ausgedachten und für gerecht gehaltenen Rahmenbedingung anpassen solle, scheint mir gerade der Subjekt-Objekt-Struktur der indogermanischen Grammatik geschuldet zu sein. Da verleitet das omnipotente Satzsubjekt den Sprachbenutzer dazu, selbstherrlich in das Sprachsystem hineinpfuschen und es verbessern zu wollen.

    Ich habe nicht gemeint, dass die Sprache willkürlich durch Eingriffe den sozialen Verhältnissen angepasst werden soll. Das passiert von allein. Deshalb finde, ich, dass Deine Einwände Schattenfechtereien sind. Ich berufe mich da weder auf Stalin noch sonst irgendeinen marxistischen Theoretiker.


    Deine eingangs geäußerte Behauptung, dass die Grammatik uns zu dem macht, was wir sind und wie wir sind, belegst du aber bislang nicht. Meinen Hinweis, dass es bei den Finnen und Ungarn, die mit ihrer Sprache nicht zur indogermanischen Sprachfamilie gehören, nicht anders aussieht als bei uns, hast du bislang völlig übergangen.


    Unsere Handlungsweisen, unser Verhalten und unsere grundsätzlichen Probleme resultieren aus dem Vor-sprachlichen. Wille entsteht nicht durch Sprache, sondern drückt sich durch diese aus. Keineswegs wird er von ihr manipuliert.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Es gibt unendliche viele Determinanten des Handelns. Hier wird eine hervorgehoben, die sich ergibt, wenn man voraussetzt, dass Sprache ein System ist. Diese Voraussetzung muss man nicht teilen, aber es ist nun mal eine Voraussetzung, auf die sich die sprachwissenschaftliche Community seit einigen Jahrzehnten geeinigt hat. Wer dies nicht denken will, bestätigt damit vielleicht das Wirken seines freien Willens durch die Sprache hindurch. Aber nicht unbedingt seine Klugheit. ;-)

    Wieso kann es aufschlussreich sein, auf die grammatischen Determinanten hinzuweisen? Weil sie im Verborgenen wirken, selbst wenn wir über sie reflektieren, entkommen wir ihnen nicht. Unsere Sätze werden nun mal von Prädikat-Subjekt beherrscht, jeder Gedanke, den wir denken, und jeder Plan, den wir schmieden, ist subjektzentriert. Das kann die Folge haben, dass unsere Pläne zu optimistisch, zu kurzsichtig etc. geraten. Kann, nicht muss. Finnen, Kaukasier und Chinesen machen auch fehlerhafte Pläne, weil es eben noch weitere Determinanten des Handelns und Scheiterns gibt.

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  • Es gibt unendliche viele Determinanten des Handelns. Hier wird eine hervorgehoben, die sich ergibt, wenn man voraussetzt, dass Sprache ein System ist. Diese Voraussetzung muss man nicht teilen, aber es ist nun mal eine Voraussetzung, auf die sich die sprachwissenschaftliche Community seit einigen Jahrzehnten geeinigt hat. Wer dies nicht denken will, bestätigt damit vielleicht das Wirken seines freien Willens durch die Sprache hindurch. Aber nicht unbedingt seine Klugheit. ;-)

    Ist es denn Klug sich auf eine "Determinante" zu versteifen und die anderen unberücksichtigt zu lassen?


    Dabei bin ich noch nicht einmal davon überzeugt, dass sich die von Dir genannte "Determinante" zwangsweise ergibt, nur weil Sprache "ein System" ist, ganz egal welche Community sich darauf geeinigt hat.


    Und um deine Angst vor der Beherrschung unserer Sätze durch Prädikat-Subjekt noch ein bisschen zu forcieren: Welche Alternative haben wir?

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  • Ich versuche gerade, mir einen Satz vorzustellen, der mit der Subjekt-Objekt-Beziehung bricht

    bzw.: … der eine Interaktion zwischen zwei Beteiligten (Dingen oder Personen) beschreibt und trotzdem mit der SO-Struktur bricht - und das will mir nicht gelingen. Aber nicht, weil ich es nicht für möglich halte, sondern, weil mir schlicht die Vorstellungskraft fehlt. Was nun wirklich nicht dasselbe ist.


    Und:

    "Geantwortet darf werden, aber nicht gefragt! Darüber darf nicht diskutiert werden! Damit ist nicht zu spaßen! Gestraft muss werden! Ihr wurde schon zu lange vertraut! Ihr ist nicht zu trauen!"

    Ist da nicht eigentlich ein "Es" das Subjekt? Es darf darüber nicht diskutiert werden - Es ist damit nicht zu spaßen - Es muss gestraft werden etc.

    Und ist dann nicht dieses schwurbelige "Es" als übergeordnete Instanz sogar eine Überspitzung legislativ-moralischer Bevormundung?

    "Aim high, expect nothing."

    (Uschi Obermaier?)

  • Hallo Kristin!



    Ist da nicht eigentlich ein "Es" das Subjekt?

    Ich glaube nicht, bin aber nicht vom Fach. Auf die Schnelle habe ich nur eine ältere Magisterarbeit aus der Linguistik zum Thema gefunden: "Subjektlose Sätze im Deutschen unter besonderer Berücksichtigung des unpersönlichen Passivs" von Stefan Langer, 1992. Langer betrachtet das "Es" in Sätzen, die ähnlich wie deine Beispiele konstruiert sind, nicht als Subjekt (vgl. S.9). Mit Begründung. Er nennt aber auch Argumente für eine andere Sichtweise. :prost


    Und ist dann nicht dieses schwurbelige "Es" als übergeordnete Instanz sogar eine Überspitzung legislativ-moralischer Bevormundung?

    Ja, ich empfinde es so. Auch wenn man meine Beispielsätze als subjektlos ansieht, spricht diese übergeordnete Instanz aus ihnen. Ich finde das auch unheimlich.



    Viele Grüße

    Flaschengeist