Ansprüche an einen Grammatik-Roman

  • "Mich hatte die Angst" ist zum einen eine Inversion der üblichen Satzstellung "Die Angst hatte mich". Zum anderen wird inhaltlich vertauscht, wer hier wen hat. Dieser inhaltliche Rollentausch von Subjekt und Objekt ist der grammatikalischen Korrektheit aber schnurz. Formal ist bei "Die Angst hat mich" alles in Ordnung.


    Die Grammatik würde auch nicht beanstanden: "Die Hose zieht sich mich an." Inhaltlich eine seltsame Vorstellung, aber formal völlig okay.


    "Grammatikalische Korrektheit" hört sich wirklich vornehm und korrekt an, besser wird das Argument dadurch aber nicht.
    "Ich habe Angst" und "Mich hatte die Angst" bedeuten, grammatisch (!) gesehen, dasselbe. Fachsprachlich: es gibt in Sätzen mit "haben" (als Vollverb) kein "Agensgefälle" zwischen "ich" und "Angst", also beide sind gleichermaßen die Ausführenden der Handlung.
    In Christian Geisslers Roman jedoch wird diese Gleichberechtigung, die grammatisch herrscht, aufgebrochen: einmal wird dem "ich" und dann der "Angst" ein höherer Grad an "Agenshaftigkeit" zugewiesen. Dass in "Mich hatte die Angst" die Angst (in grammatisch durchaus "inkorrekter" Weise) die Handlungsdominanz einnimmt, hat doch wohl jeder Leser verstanden - wenn auch nicht jedem die grammatische Dimension klar vor Augen stand (und ja auch nicht stehen muss).

  • Neom Chomsky steh uns bei! Was für eine spannende Diskussion. Hab erst jetzt die Zeit gefunden mir das alles durchzulesen.
    Zu deiner so interessanten Frage, liebe Andrea hätte ich gleich zu Anfang die Antwort gehabt, dass ich Titel (insbesondere für Liebesromane) niemals ernst bzw. wörtlich nehme und dass auch Sprachlehrer nur Menschen sind und als Autor vom Lektorat abhängig.


    Die Diskussion, zu der du eingeladen hast, kann sich noch nicht entscheiden, ob sie vertiefend eine über Semantik oder oberflächlich über das grammatikalische Regelwerk ist.
    Alexander versucht hier den Wegweiser und ich bin gespannt auf mehr, weil ich viel zu wenig darüber weiß.

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Dass in "Mich hatte die Angst" die Angst (in grammatisch durchaus "inkorrekter" Weise) die Handlungsdominanz einnimmt, hat doch wohl jeder Leser verstanden


    Ja, schon, aber das klingt so kompliziert! Und warum inkorrekt? Mich=Objekt, hatte=Prädikat, die Angst=Subjekt. Mehr ist doch grammatikalisch gar nicht dran an dem Satz (auch wenn er inhaltlich wirklich wunderschön ist).

  • Aber ein anderes Beispiel, was mir gerade einfällt: Was ist eigentlich in dem Satz "Früher gab es Dinosaurier" das Subjekt? "Es" oder "Dinosaurier"? Hab ich mich als Kind mal mit meinem Vater (Deuschlehrer) drüber gestritten.