Kommerz essen Literatur auf

  • ... zumindest, wenn man diesem Artikel in der FAZ folgt. Der Schluss:


    Zitat

    Man sollte inzwischen vorsichtig sein, von seinen „Emotionen“ und „Leidenschaften“ zu sprechen, von „Geschichten“, die einen „berühren“ und „bewegen“. Lauter kontaminierte Vokabeln, nur noch dazu da, um Konzernumsätze in die Höhe zu treiben.


    Es geht um Red Bull und die von ihm übernommenen Verlage Ecowin und Benevento. Mitten im Artikel eine Neuigkeit, die den Informationen widerspricht, die ich selbst hier schon eingestellt habe:


    Zitat

    In diesem Sinne sind auch die Ausführungen zu verstehen, die Hannes Steiner zum geplanten Programm des von ihm geleiteten Benevento-Verlags gibt. Am Telefon schränkt er die häufig vermeldete Nachricht ein, dass dort ab 2016 neben Sachbüchern auch Romane und Erzählungen erscheinen sollen: „Es wird vielleicht einzelne Belletristik-Titel geben“, sagt er, „aber nur, wenn die Fiktion reale Hintergründe hat. Für uns ist immer wichtig, dass eine wirkliche Begebenheit am Anfang der Erzählung steht.“


    Es geht im Artikel um das Content-Marketing, und was der Benevento-Verlag Red Bull eigentlich bringt.


    Zitat

    Literarisches Erzählen, sportliche Leistung und Produktwirkung erfüllen im Red-Bull-Kosmos also deckungsgleiche Aufgaben: Dreimal geht es um die Erweiterung von Grenzen, um das „Über-sich-Hinauswachsen“, das eine rührende Fabel, ein gestählter Körper oder ein taurinhaltiger Energydrink gleichermaßen bewerkstelligen sollen. „Bücher, die den Geist beflügeln“, lautet in Abwandlung des klassischen Red-Bull-Slogans das Motto von Benevento Books– und am bemerkenswertesten an dieser Verschmelzung ist vielleicht die Rigorosität, mit der hier der alte Widerstreit von künstlerischer Arbeit und kommerziellem Interesse verabschiedet wird.


    Allerdings erwähnt der Artikel auch, dass die Benevento-Leute betonen, Red Bull rede ihnen in nichts rein.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Nun, Red Bull hat keineswegs die deutschsprachige Verlagslandschaft aufgekauft, sondern zwei Verlage. Die Frage lautet, ob die Rechnung, die es da anscheinend gibt, aufgehen wird, und zwar in beiden Hinsichten: Wird es Autoren geben, die das Material entsprechend liefern, und wird es Leser geben, die das dann auch konsumieren wollen? Und selbst wenn beide Fragen mit "ja" beantwortet werden können, ist der Untergang des taurinfreien Abendlandes noch fern, weil es mehrere tausend andere Verlage gibt, die nicht so arbeiten. Aber darunter wahrscheinlich mehrere hundert, die sich auf andere Arten an der Kultur vergehen, ohne dass es der FAZ eine Kolumne wert wäre.
    Aber originell ist der Ansatz schon. Und ich bewundere die Red Bull-Strategen schon seit einer ganzen Weile dafür, wie sie es schaffen, das Produkt im Gespräch zu halten, ohne es zu erwähnen oder überhaupt zu zeigen.

  • Allerdings erwähnt der Artikel auch, dass die Benevento-Leute betonen, Red Bull rede ihnen in nichts rein.

    Wen wunderts?
    "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."

    Arno Grohs: Juliane


    [buch]B012O8E5GK[/buch]
    Genre: Belletristik (Entwicklungs-, Gesellschafts-, Frauenroman mit Spannungselementen)

  • In einem anderen Autorenforum - ja, das soll es geben - findet derzeit eine Diskussion über E-Book-Preise beim Selfpublishing statt. Diese Diskussion(en) gibt und gab es vielfach; die - niedrigen - Preise sind wichtig, um vermeintlich viele Leser zu erreichen, aber man verdient natürlich je Exemplar weniger. Mal davon abgesehen, dass ich im Traum nicht auf die Idee käme, einen Roman - und sei es auch nur ein Kurzroman - für 99 Cent zu verscherbeln, sind solche Diskussionen im Hinblick auf das Threadthema aus meiner Sicht sehr viel irritierender als Verlagseinkäufe durch die Rotgesöfftruppe aus Österreich. Wer den Preis als relevantesten Hebel für die Vermarktung betrachtet, also über die Billigkeit Leser einzukaufen versucht, der tut weit Schlimmeres mit sich und "der Literatur", als das die roten Bullen mit ihrem originellen Verlagskonzept veranstalten. Allerdings geht es in beiden Fällen tatsächlich nicht um "die Literatur", sondern nur um einen kleinen Teilbereich. Was da also vermeintlich aufgegessen wird, schmeckt vermutlich sowieso nicht.

  • (...) Mal davon abgesehen, dass ich im Traum nicht auf die Idee käme, einen Roman - und sei es auch nur ein Kurzroman - für 99 Cent zu verscherbeln (...) Wer den Preis als relevantesten Hebel für die Vermarktung betrachtet, also über die Billigkeit Leser einzukaufen versucht, der tut weit Schlimmeres mit sich und "der Literatur", als das die roten Bullen mit ihrem originellen Verlagskonzept veranstalten. (...)

    JA! :anbet

  • In einem anderen Autorenforum - ja, das soll es geben - findet derzeit eine Diskussion über E-Book-Preise beim Selfpublishing statt.


    Meinst Du den "sicheren Berg"? Sicher eine interessante Diskussion. Allerdings ein anderes Thema, finde ich.

    Wer den Preis als relevantesten Hebel für die Vermarktung betrachtet, also über die Billigkeit Leser einzukaufen versucht, der tut weit Schlimmeres mit sich und "der Literatur", als das die roten Bullen mit ihrem originellen Verlagskonzept veranstalten.

    Ich sehe die "Gefahr für die Literatur" nicht so wie der Verfasser des FAZ-Artikels. Allerdings geht es darin doch um die Vereinnahmung "der Kunst" durch die Wirtschaft, durch dieses Content-Marketing. Es geht ja nicht darum, dass Red Bull Verlage betreibt. Warner Brothers etwa gehört Nonesuch Records, ein Unternehmen mit hohem Prestige, aber wenig Gewinn. Warner nimmt Nonesuch mit nach dem Motto: "Wenn Ihr Gewinn macht - gut, wenn nicht - auch gut." Das erinnert ein wenig an die alten Mäzene. Dazu sieht der FAZ-Artikel einen Unterschied:


    Zitat

    Dietrich Mateschitz lässt in seinen Aussagen ja keinen Zweifel daran, dass das kostspielige Engagement zumindest langfristig auf Profiterwägungen basiert, nicht auf schöngeistigem Mäzenatentum.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Äh. Ich würde schätzen, dass > 90 Prozent des deutschen Verlagswesen nicht auf schöngeistigem Mäzenatentum basiert, sondern auf Profiterwägungen. Auch honorige Häuser veröffentlichen schlimme Titel, um das Geld zu verdienen, das sie mit anderen Titeln verlieren. Verlage sind fast immer und immer in erster Linie Wirtschaftsunternehmen. Wenn sie kein Geld verdienen, gehen sie pleite. Und das passiert sogar, wenn sie zu einer Gruppe gehören. Die Bonniers und Holtzbrincks dieser Welt schauen sich ihre neu eingekauften Imprints vielleicht zwei, drei Jahre lang an, aber wenn die Zahlen dann nicht schwarz sind, sehen die Mitarbeiter diese Farbe.


    Klar, es geht im konkreten Fall noch um einen anderen Aspekt, nämlich den Inhalt als (mittelbaren) Werbeträger. Wird zumindest gemutmaßt. Thomas Baumgartner musste jedenfalls keine Dose Plörre saufen, bevor er in 39 Kilometern Höhe der Erdoberfläche entgegengesprungen ist. Gut möglich, dass er den Sprung in diesem Fall auch nicht überlebt hätte. Aber ohne Red Bull hätte es den Sprung wahrscheinlich überhaupt nicht gegeben. Ob man das gut oder schlecht findet, muss - und darf zum Glück - jeder selbst entscheiden. Ich habe nichts dagegen, wenn Unternehmen etwas finanzieren, um damit andere Produkte indirekt ins Gespräch zu bringen. Das ist mir lieber als die Tatsache, dass fast alle öffentlich-rechtlich finanzierten Tatort-Kommissare teure deutsche Autos fahren.


    Warten wir's doch einfach ab. Die Welt geht jedenfalls anderswo unter.

  • Hallo Tom,


    (fast) jeder will Geld verdienen. Ich auch. Ich sehe das als ebenso normal an wie Du. Ich schätze auch die "Gefahr" durch Marketing à la Red Bull anders ein als der FAZ-Autor. Der FAZ-Artikel behauptet aber, dass mit dem Content-Marketing etwas Neues im Werden begriffen sei, im Sinne des zitierten Ausspruchs „Content marketing is all the marketing that’s left“. Der Kommentar dazu: "keinen Zweifel: Im Jahr 2015 gibt es kein Jenseits des Werblichen mehr."


    Zitat

    Im Jahr 2002, nach ihrem gefeierten Album „Neon Golden“, lehnte die Weilheimer Band The Notwist die Offerte der Firma Vodafone ab, für ein Honorar von 750000 Euro einen Songausschnitt für einen Werbespot zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung wird all den Musikern, die seither die Studios, Plattenlabels und Festivalbühnen von Red Bull, Jägermeister oder anderen Firmen nutzen, irritierend bis geistesverwirrt vorkommen.


    Dieses "Werbliche" stellt der Artikel dem althergebrachten Verständnis von Kunst gegenüber:


    Zitat

    Im Mittelpunkt der wortmächtigsten ästhetischen Theorien, von Kant und Hegel bis zu Adorno, stand immer die Autonomie der Kunst, das Refugium der literarischen oder musikalischen Produktion, die sich, wie Adorno unermüdlich schrieb, schon alleine wegen der Versenkung in die Form von den Regeln der „totalen Tauschgesellschaft“ distanziere. „Nichts Reines, nach seinem immanenten Gesetz Durchgebildetes, das nicht wortlos Kritik übte“, heißt es in seinem letzten Manuskript.


    Beispiel Uwe Johnson:


    Zitat

    Vor allem die Literatur hat in ihrer Geschichte ja immer ein problematisches Verhältnis zur Welt der Markenprodukte gehabt. Denn poetisches Schreiben und Markennamen treten seit mehr als hundert Jahren in Konkurrenz zueinander, als zwei rivalisierende Imaginations- und Darstellungsweisen der Welt. In Uwe Johnsons Roman „Das dritte Buch über Achim“ von 1961 gibt es einen Abschnitt, in dem der Erzähler sich windet, um die Nennung einer Waschmittelmarke zu vermeiden.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Hallo, Alexander.


    Ich habe keine Ahnung, welcher ästhetischen Theorie mein Gesamtwerk folgt oder genügt, aber ich muss auch ganz ehrlich sein: Es ist mir völlig egal. Absolut völlig total egal.


    Zitat

    Vor allem die Literatur hat in ihrer Geschichte ja immer ein problematisches Verhältnis zur Welt der Markenprodukte gehabt.


    Das ist eine Diagnose, die sich vielleicht mit Auszügen aus Uwe Johnsons Werk im Einzelfall belegen lässt, aber deshalb längst noch nicht den Status des Allgemeingültigen erreicht. Nach meinem Dafürhalten sind sich die neueren - auch anspruchsvolleren - Literaten keineswegs dafür zu schade, eine Konsumverortung ihrer Werke vorzunehmen. Da arbeiten Hauptfiguren bei Lidl, trinken Beck's, schniefen in Tempos und fahren Smart. Dieses "problematische Verhältnis", dessen Existenz ich für vergangene und vergehende Generationen durchaus bestätigen würde, hatte möglicherweise etwas mit der Sorge zu tun, als komprommitiert zu gelten, hätte man Markenprodukte erwähnt, und dann ist da vor allem aber auch die Frage nach der Unsterblichkeit. Wer Vergängliches nennt und zur Dekoration des Schauspiels macht, entzieht dem Schauspiel zukünftige Substanz. Wer also heute eine Figur bei Lidl arbeiten lässt, verringert die Lesbarkeit für Generationen, die Lidl nicht mehr kennen. Ein plakativeres Beispiel wäre die Firma Schlecker, die bis vor ein paar Jahren noch den Markt der Drogeriediscounter beherrscht und inzwischen von eben jenem verschwunden ist. Selbst den äußerst merkwürdigen Begriff "Schleckerfrau" (gerne auch mit Bindestrich) versteht heutzutage kaum jemand mehr. Je spezifischer ich in dieser Hinsicht in Texten werde, umso vorübergehender mag ihre Verstehbarkeit ausfallen. Ich halte das tatsächlich für den wesentlicheren Faktor, umso schwerwiegender bei international gelesenen Autoren. Aus meiner persönlichen Sicht gehören Marken zur Gegenwartskultur, sind konnotiert, mit Ereignissen, Lebensabschnitten (Kinderschokolade!) und Verhaltensweisen verbunden, wie Popsongs, Filme, Fernsehserien und zeitgeschichtliche Ereignisse. Sie zu verwenden, erleichtert die Skizzierung von Situationen und Figuren enorm; ein einziges Wort ersetzt dann einen ganzen Abschnitt, eine halbe Seite Text. Andererseits ist es so, als würde man den Roman mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen. Die Frage ist also nach meinem Dafürhalten eher eine sehr pragmatische denn eine ästhetische.
    Und dann ist da noch die (weitgehend unbegründete) Sorge einiger Autoren, sich Ärger einzuhandeln, wenn man Markennamen erwähnt.

  • Tom schrieb: "darunter wahrscheinlich mehrere hundert [Verlage], die sich auf andere Arten an der Kultur vergehen, ohne dass es der FAZ eine Kolumne wert wäre."


    Du siehst das VÖLLIG falsch. Unsere Kultur besteht leyder nunmehro includent genau auch darin, dass sich an "der" Kultur vergangen wird - je schlimmer, desto spectaculaerer und verkaufsfördernder.


    MfG
    Walter Hilton



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  • Um jetzt hier nicht immer nur kulturelle Bewertungen gegeneinanderzustellen, mal etwas rein Mathematisches. Und ich war ja mal Spitzen-Mathematiker mit Themen wie Kosmologie und Kosmogonie und demzufolge auch einer Affinität zur 42.


    Tom schrieb: "Mal davon abgesehen, dass ich im Traum nicht auf die Idee käme, einen
    Roman - und sei es auch nur ein Kurzroman - für 99 Cent zu verscherbeln".


    Von diesen 99 Cent gehen dann aber nur irgendwas zwischen 30 und 70 Cent an die Verlags-Mafia, da wäre ich aber noch gut bedient im Verhältnis. Hanni Münzer äußerte sich im Interview mit dem Tagesspiegel vom 11. Juli v. J. wie folgt: „Die wollen natürlich am liebsten ein fertiges und schon erprobt erfolgreiches Buch mit allen Rechten kaufen: Buchrechte, E-Book-, Film- und Hörbuchrechte. Nach Abzug aller Provisionen und Steuern bleiben dem Autor bei einem Taschenbuchpreis von 9,90 Euro am Ende keine 45 Cent brutto übrig.“


    http://www.tagesspiegel.de/med…o-im-monat-/10188470.html


    Also 945 Cent an die Buchhandels-Mafia bei 45 Cent für mich. Tolle Wurst! Steht denn auf meiner Stirn irgendwo Idiot dran? Also bis heute morgen habe ich da noch nichts im Spiegel gesehen. Und immer mehr Autoren merken diesen vorsätzlich organisierten Beschiss zum Glück auch: "Dafür sinkt die Zahl derjenigen, die sich schon mal bei einem oder mehreren Verlagen beworben haben. Waren es 2013 noch über 67 Prozent, hatten sich 2014 nur noch 60 Prozent die Mühe gemacht. Die Zahl derer, die sich noch nie bei einem Verlag beworben haben, stieg von 25 auf 34 Prozent." (ebd.)


    Durch diese Tendenz getrieben, muß die Verlags-Mafia nun doch mal reagieren. Ruprecht Frieling stellte hierzu fest: „Durch die Möglichkeit, für umsonst oder wenig Geld seine eigenen Werke online zu veröffentlichen, ist eine neue Branche entstanden... Man braucht kein Geld und nicht das Wohlgefallen von Verlagen. Jeder kann was raushauen, hunderttausende stellen ihre eigenen Bücher online. Das hat eine große Dynamik ausgelöst....Verlage befinden sich gezwungenermaßen in einem
    Umdenkungsprozess: raus aus dem Wolkenkuckucksheim und hinaus auf die Straße. Sie sind nicht mehr die alleinigen Torwächter und Entscheider darüber, wer schreiben kann und wer nicht. Das entscheidet jetzt die Leserschaft.“ (ebd.)


    Ich kann mich nicht wirklich in die Lage von Autoren versetzen, welche diese Schreibsklaverei als Verlagsautoren als Existenz führen. Irgendwie bin ich da viel zu viel Mathematiker. Und ein 42-Autor sollte das eigentlich auch sein... (zumindestens hatte ich mal diese Vorstellung).


    MfG Walter Hilton




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  • Lieber Walter,


    mein Vater regte sich früher (in den 1950er/frühen 1960er Jahren) immer darüber auf, dass der Budenbesitzer draußen im Park für eine Flasche Bier eine Mark verlangte. Der kauft die für vierzig Pfennig ein und sechzig Pfennig hat der für sich. So ein Halsabschneider. Der Hinweis, das er Pacht und Steuer zu zahlen hätte, wurde mit einer Handbewegung von meinem Vater weggewischt und gar nicht erst zur Diskussion zugelassen. Letzte Woche schrieb in der Süddeutschen Zeitung eine Journalistin zum Thema E-Books, dass die Herstellkosten eines gedruckten Buches viel zu teuer wären. Deshalb wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das E-Book sich endgültig durchgesetzt hätte. Derartige piratige Parolen hatte ich bislang noch nicht in der SZ wahrgenommen. All diesen Behauptungen und vermeintlichen Berechnungen (auch deinen) ist gemein, das sie praxisfremd sind und einzig vom Gefühl geleitet, nämlich dem Gefühl, der Betrogene zu sein.


    Die Herstellkosten eines Buches kennt die Journalistin wahrscheinlich nicht. Vermutlich hat sie nur die Druckkosten im Auge und die sind, gemessen am Gesamtpreis, überraschend gering. Allerdings nur dann, wenn die Auflage sehr hoch ist. Je kleiner die Auflage, desto höher ist der Anteil der Druckkosten an den Gesamtkosten der »Buchherstellung«. Damit ein Buch hergestellt werden kann, muss es geschrieben werden. Dazu braucht es heute immer noch einen Autor. Oder eine Autorin. Oder beide. ;) Die Kosten für diese »Zuarbeiter« müssen mitgerechnet werden, sie lassen sich dem Produkt Buch sogar direkt zurechnen und sind damit keine Gemeinkosten. Die fallen aber auch noch an, nämlich für die ganze Abwicklung bis dahin, dass das Buch im Laden liegt - off- oder online. Und das will ich jetzt gar nicht genauer aufdröselen, um hier keinen Rattenschwanz an Tätigkeiten aufzulisten, die im Zusammenhang mit der Buchherstellung stehen. Drucker, Lektoren, Vertriebsmitarbeiter im Verlag, Versandmitarbeiter drinnen und draußen (Post- und Paketdienstboten z.B.) bis hin zum Buchhändler, der das Buch ins Regal stellt oder auf die Auslagetische legt. Die Verlagsmafia - wie du das nennst - kann also auf ein weit verzweigtes Mitgliedersystem zurückgreifen. Finanzierungskosten für volle Buchläger sind auch nicht zu unterschätzen.


    Nun also E-Books und Selbstveröffentlichung. Man muss nur schreiben und hochladen - zack sind die Bücher da, billiger und alle freuen sich. Die Leser schwenken um und die Verlage geraten ins Nachdenken. Sagt Frieling. Selbst ehemaliger Mafioso, nämlich der DKZV-Mafia. Ein Blick in die Buchhandelszahlen belegt, dass das E-Book tatsächlich im Kommen ist, allerdings erst ganz weit hinten. Die Selfpubliserh fallen aus diesen Zahlen noch raus, aber da der große Einbruch im Buchmarkt nicht feststellbar ist, kann es da auch noch nicht die immer wieder behauptete Entwicklung geben, die dem traditionellen Buchhandel binnen kurzem dem Garaus macht.


    Was bei der Rechnung: 70 % an den Autor und nur den Rest von 30 % an den Distributor (Amazon & Co) nicht berücksichtigt wird ist, das den Autoren diese 70 % nicht voll zur Verfügung stehen. Sie müssen aus diesen Einnahmen all das finanzieren, was die Verlage auch finanzieren (Layout, Lektorat etc.). Und da es die Einnahmen erst für die fertigen Bücher gibt, müssen sie das vorfinanzieren. Machen viele nicht, ich weiß, aber wieviele von diesen hingeschluderten E-Books werden verkauft?


    Autoren verdienen zu wenig. Da gebe ich Dir recht. Das will ich keinesfalls bestreiten. Nicht nur ich meine, dass da umgedacht werden muss. Aber mit deiner Milchmädchenmathematik, lieber Walter, beschreibst du die reale Situation nicht.


    Herzliche Grüße aus dem staubtrocken-heißen Taubertal


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo HD, vielen lieben Dank für Deinen prompten Edit (und die Ergänzungen hinzu, die ich allesamt mehr oder weniger unterschreiben kann, war ich ja in meinen langen Wanderjahrzehntchen auch mal Buchhändler - und stamme sogar aus einer bibliophilen [Verlags-, Antiquariats-] Buchhändlerfamile). Dein Fazit war u. a.: "Autoren verdienen zu wenig. Da gebe ich Dir recht." Und nach meinem Empfinden hat sich die Situation da in den letzten Jahrzehnten deutlich verschlechtert. Hauptberuflich habe ich mich unter diesen Umständen nie für den Autor entscheiden können. Und langsam verliert man sogar die Lust daran, unter solchen Umständen selbst als Hobby-Privatier zu publizieren. Das hatte ich noch vor wenigen Jahren ganz anders eingeschätzt.


    MfG Walter Hilton



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  • Die Abrechnungsmodelle vor allem für gedruckte Bücher und daraus abgeleitete Gerechtigkeitsbetrachtungen vergleichen Äpfel mit Glühbirnen.


    Natürlich ist es irgendwie ungerecht, wenn die eine Person, ohne die es das konkrete Buch überhaupt nicht gäbe, gerade mal 60 bis 80 Cent von den 9,99 € bekommt, die der Buchhändler kassiert, während dieser im Schnitt um die 3,50 € behält und der Rest in diversen Kanälen zu versanden scheint. Tatsächlich aber muss der Buchhändler jedes einzelne Buch verkaufen, und es versuchen auch noch mehrere tausend Buchhändler gleichzeitig, dieses eine, konkrete Buch an den Leser zu bringen. Demgegenüber muss der Autor überhaupt nichts mehr dafür tun. Er kann in einer Woche 10.000 Exemplare und mehr verkaufen, ohne einen Finger zu krümmen, aber ein durchschnittlicher Buch-Einzelhändler dürfte schon gehörige Mühe damit haben, 10.000 unterschiedliche Bücher pro Woche rauszutun, geschweige denn 10.000 Exemplare eines bestimmten Romans. Und er muss noch seine Miete bezahlen, sein Personal, seine Lagerflächen, Pipapo. Er hat auch nichts davon, wenn andere Buchhändler dieses Buch verkaufen, denn er verdient nur an jenen, die er selbst vertickt, während der Autor von allen Buchhändlern etwas (ab)bekommt. Die Buchhändler befinden sich an der Basis des Verteilungsbaums. Über ihnen sind es immer weniger einzelne Stellen, die partizipieren. Die einzige Einzelperson, die von allem etwas bekommt, ist meistens der Autor. Ja, natürlich haben Buchhändler zum Ausgleich große Sortimente, sind also nicht darauf angewiesen, nur ein bestimmtes Buch erfolgreich rauszutun, aber diese ganzen Rechnungen enthalten so viele Variablen, dass man unmöglich die eine Marge direkt mit der anderen Vergleichen kann. Klar, Autoren verdienen immer zu wenig, vor allem jene, die keine Bestseller landen, aber ihre Chancen, [i]sehr viel[/i] zu verdienen, sind deutlich höher als die z.B. der Buchhändler.


    Bei großen Auflagen kostet das einzelne Exemplar in der Herstellung (bis hin zur Lieferung an die Buchhändler) zuweilen deutlich weniger als einen Euro, je nach Ausstattung - Taschenbücher sogar bei nicht ganz so hohen Auflagen.


    Gegen Standardtantiemen, die bei 10 Prozent mindestens anfangen, hätte ich auch nichts. Ich kann aber auch bis zu 20 Prozent abkriegen, vorausgesetzt, ich schreibe Bücher, die sich so gut verkaufen, dass ich in die ganz hohen Tantiemenstaffeln komme. Meine Sache also. ;)

  • Um die Zahlen aus 2014 zu aktualisieren:


    "Über sechzig Prozent haben noch nie bei einem Verlag veröffentlicht.
    Aber nur jeder Vierte gibt als Grund für das eigenständige Publizieren
    an, keinen Verlag gefunden zu haben. Wichtiger ist es ihnen, alle
    Freiheiten zu haben und selbst die Kontrolle zu behalten." aus:



    E-Books und Selfpublishing Wie man seine literarischen Träume verwirklicht
    Berliner Zeitung vom 6. d. M.


    http://www.berliner-zeitung.de…ht,10809150,31395034.html


    MfG Walter Hilton





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  • Um die Zahlen aus 2014 zu aktualisieren:


    "Über sechzig Prozent haben noch nie bei einem Verlag veröffentlicht.
    Aber nur jeder Vierte gibt als Grund für das eigenständige Publizieren
    an, keinen Verlag gefunden zu haben. Wichtiger ist es ihnen, alle
    Freiheiten zu haben und selbst die Kontrolle zu behalten." aus:



    Das sagt sich so schön. Und vor allem schnell. Selbstrechtfertigung ist immer voller Inbrunst. Das mit der Kontrolle nehme ich aber den allerwenigsten ab, weil das "raushauen" eines Textes keineswegs etwas mit Kontrolle zu tun hat.

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  • Interessant wäre im Vergleich eine Umfrage unter Puffgängern. Kaum vorstellbar, dass achtzig Prozent ehrlicherweise antworten, dass sie ins Bordell gehen, weil sie sonst nie Sex hätten. Sie würden vermutlich erklären, diese Form zu wählen, weil sie auf diese Weise die Kontrolle und alle Freiheiten haben.


    Nichts für ungut. Es gibt fraglos viele Selfpublisher, die erfolgreich aus genau diesen Gründen auf diese Weise tätig sind. Aber 75 Prozent - nee. Da lügen sich viele selbst oder den Befragern in die Tasche. ;)

  • Tom schrieb: "Die Buchhändler befinden sich an der Basis des Verteilungsbaums." Genau das mußte ich bereits in meiner Umschulung zum Buchhändler feststellen (die war sowieso nur aus der Not geboren, weil ich erstens nach meiner Ausbürgerung aus der DDR dann in der BRD urplötzlich zu alt für mein eigentliches Arbeitsfeld war und weil zweitens das Arbeitsamt nichts Dümmeres als dies sich einfallen ließ - mit der Sanktionsdrohung im Hintergrund - eine Arbeitsförderung innert des Hochschulbereiches gab es nicht). Ich war sehr schnell wieder weg aus dem Buchhandel. Mein Schwager - einst renommierter bibliophiler Verlags - und Antiquariatsbuchhändler, ist dem Beruf treu geblieben und verdient heute nicht mehr "das Salz aufs Brot", meine Schwester verdient den Lebensunterhalt der Familie inzwischen fast allein. Diese Entwicklung habe ich vor dreißig Jahren schon antizipiert, da wollte das noch keiner wahrhaben, weil man ja ach SO ELITÄR war. Und jetzt: Ende Allende.


    MfG Walter Hilton




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  • Diese Entwicklung habe ich vor dreißig Jahren schon antizipiert, da wollte das noch keiner wahrhaben, weil man ja ach SO ELITÄR war.

    Es kommt mir so vor, als habe sich nicht viel geändert.
    Grüße Arno

    Arno Grohs: Juliane


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