Kind? Ich will kein Kind, ich will Spaß!

  • Schön, schön, aber das Zitat habe ich nicht gepostet.

    Sagt ja niemand. Das war Camenzind. Ist technisch bei Geralds Posting etwas verunglückt, so dass es aussah, als gehöre es zu deinem Beitrag.


    Zitate von Degenhardt jedenfalls sind fast immer gut, auch wenn sie anderen zugeschrieben werden. :D

  • Ich kenne Väter, die ihre Söhne "kleines Arschloch" nennen. Und das auch tatsächlich so meinen. Weder unter Alkoholgenuss noch aus den niederen Schichten. Sondern mit abgeschlossenem Studium. Die einfach der Meinung sind, weil sie der Vater sind, können sie ihr Kind wie ein Stück Dreck behandeln - einfach weil sie mehr Altersstreifen am virtuellen Revers haben.


    Da fängt es doch schon an. Kinder haben keine Lobby. Kind stören, wenn sie zu laut sind beim Spielen. Kinder müssen performen, damit sie ihren Eltern keinen unnötigen Stress bereiten. Kinder müssen an die acht Stunden am Tag in der Schule oder für die Schule schwitzen und leiden deswegen teils schon in jungen Jahren an Burnout. Es ist nicht nur um die Spaßgesellschaft, die an dieser Misere schuld ist. Es ist auch die Leistungsgesellschaft, die daran schuld trägt, dass Mitgefühl selbst in Familien ein Fremdwort geworden ist.

  • In deine Klage, TWJ, kann ich einstimmen, diese Fälle zerreißen mir manchmal das Herz, es ist unerträglich.
    Aber mit der Anklage komme ich nicht mit. Wer muss da nicht alles dran glauben? In diesem Fred geht es ja irgendwie auch um die Frage: wer oder was ist schuld? Ich denke, erst einmal sind die Täter und Täterinnen schuld, sie laden Schuld auf sich und sind verantwortlich. Leider reagiert die Justiz allgemein auf Verbrechen innerhalb der Familie milder, was ich Null verstehen kann. Das betrifft auch Gewalt, Mord und Totschlag in Partnerschaften, sogenannte Ehrenmorde usw.
    Aber zum Beispiel diese schweren Misshandlungen und Vernachlässigungen in Zusammenhang zu Abtreibungen zu bringen, das ist ganz sicher wissenschaftlich nicht korrekt und entwürdigt außerdem Frauen, die eine Schwangerschaft frühzeitig beenden, evtl. aus einer verantwortungsvollen Entscheidung heraus, einem Kind und der Rolle als Mutter zu dem Zeitpunkt nicht gerecht werden zu können. Oder die These mit der Spaßgesellschaft. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, denen es gelingt, für eigene Zufriedenheit und eigenes Glück und für Spaß im Leben zu sorgen, keine Kinder misshandeln. Sie kriegen vielleicht keine, das ist deren gutes Recht. Hedonistische Lebensformen sind mir wesentlich weniger verdächtig als zum Beispiel die Erziehung zum guten Soldatentum, zur preußischen Disziplin oder zur selbstausbeutenden Leistungsbereitschaft (sehr modern). Man darf nicht vergessen, dass der Hedonismus einer Generation auch der Versuch einer Verweigerung gegenüber dem Wahnsinn der ökonomischen Verwertung des Menschen ist. Glaubt hier wirklich irgendwer, dass es früher besser war??? Da gab es institutionalisierte Gewalt an Kindern, in Waisenhäusern, Internaten, in den Schulen und sowieso auch in den Familien. Ich persönlich bin nicht am Honigtopf aufgewachsen, meine Eltern nicht, meine Kinder auch nicht. Und ich beneide sie überhaupt nicht um ihre Zukunft.
    Ich glaube auch nicht an einen Konsens, dass diese Fälle nicht so schlimm sind. Das wird geächtet wie sonst kaum etwas. Das wissen die Täter auch, deswegen verstecken sie die Spuren der Misshandlung ja so konsequent.
    Was also tun? Die Frage ist doch, wie der Staat präventiv tätig werden kann, ohne die gläserne Familie zu schaffen, die der Willkür des Staates ausgeliefert ist. Das hatten wir nämlich auch schon. Und deshalb ist es so wichtig, den Einzelfall genau anzuschauen mit aller Sorgfalt und Ernsthaftigkeit, mit gut bezahltem, gut ausgebildetem Personal, das jede Unterstützung braucht, sich diese Mühe zu machen. Und da gibt es eben keine einfachen Antworten.
    Tatsache ist, dass die Gelder für Kinder- und Jugendhilfe dramatisch gekürzt wurden. Wenn früher noch bis 20 Stunden in der Familie pro Woche möglich waren, sind es jetzt 3. Kinder sollen nicht aus den Familien herausgenommen werden, weil das zu teuer ist. Und das waren politische und gesellschaftliche Entscheidungen, weil eine Mehrheit immer gegen diese hohen Sozialausgaben wettert.
    Ich arbeite mit den Opfern und habe wirklich keine Sympathien für solche Eltern. Aber die Taten und auch Drogen- oder Alkoholsucht haben nur sehr vordergründig mit Spaß zu tun und sehr viel mehr mit der Unfähigkeit zu Bindung und Einfühlung, mit geringer Frustrationstoleranz und fehlender Impulskontrolle und mit der Projektion eigener böser Anteile auf das Kind. Da geht es nicht darum, die Täter zu verstehen, sondern die Voraussetzungen für die Taten, um ihnen möglichst rechtzeitig begegnen zu können.
    Und danke, Robyn, für deinen Beitrag!!!

  • Heike spricht mir aus der Seele. Das, was ich zuvor genannt hatte, fügt sich nachtlos in Heikes Argumentation ein. Auch ich sehe die Ursache nicht in einer sogenannten Spaßgesellschaft, sondern in einer Gesellschaft, für den Menschen eine Sache geworden sind. Wo es wichtiger ist, dass ein Mensch produktiv ist als mitfühlend. Wer nicht funktioniert oder ins Schema passt, ist menschlicher Abfall. Bindungsunfähigkeit, geringe Frustrationstoleranz und fehlende Impulskontrolle sind die Symptome. Sozialausgaben erscheinen unnötig, denn die Steigerung und Erhaltung der Produktivität der leistungsfähigen Induviduen ist das höchste Gut.


    Ich habe keine Ahnung, wo das hinführen soll und noch weniger, wie man daran etwas ändern kann. Und ich will beileibe die Täter dieser furchtbaren Taten entschuldigen, denn letztendlich ist jeder für seine Taten verantwortlich. Egal aus welchen Motiven sie getätigt wurden, vor welchen Hintergründen oder unter welchen Zwängen. Aus meiner Sicht sollte es keinen Unterschied in der Strafe geben, wenn ein Vater sein Kind schlägt oder den Nachbarn. Leider ist dem nicht so. Erst recht nicht wenn es um Beleidigung und Herabsetzung geht. Da "darf" man dem Kind gegenüber ziemlich viel, was einem anderen Erwachsenen gegenüber zu Geldstrafen führen würde.


    Verantwortung. Respekt. Mitgefühl. Das sollten die prägenden Werte sein.

  • Danke dir, Heike für deine differenzierte Stellungnahme dazu und ich nehme meine Polemik hier zurück.
    Was ich sagen wollte war keinesfalls, dass es früher besser war, sondern dass Kinder früher aus anderen Gründen misshandelt wurden.
    Neil Postmann schrieb damals in den achtziger Jahren darüber, dass das "Phänomen" Kindheit, als geschützter Raum, ein recht junges ist in unserer westlichen Zivilisation und er warnte davor, wie wackelig das steht durch unreflektierten Konsum. Darauf wollte ich eigentlich hinaus und ließ mich dann einfach von der Wut weiter schreiben.

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Und da gibt es eben keine einfachen Antworten.

    Zu viel Lob wird vielleicht langweilig für Heike und ihren Beitrag, aber das ist mein Lieblingssatz aus ihrem Posting, und ich finde es auch im Übrigen super. Ein so schlimmes und komplexes Thema wie Vernachlässigung, Misshandlung oder Tötung von Kindern auf ein paar Schlagwörter zu reduzieren wie Peter Singer, "Spaßgesellschaft", Abtreibungen o. ä. - mit Verlaub, da sind die meisten Leserkommentare bei SPON auch nicht besser.


    Anja hat mich davon abgehalten, zur in diesem Thread manchmal anklingenden Beurteilung der Jurisdiktion bei Gewalt gegenüber Kindern und dem wiederholten "Die Gerichte schützen die Täter, nicht die Opfer" einen gewissen Smiley zu benutzen. Daher zitiere ich Wittgenstein: "Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Neil Postmann schrieb damals in den achtziger Jahren darüber, dass das "Phänomen" Kindheit, als geschützter Raum, ein recht junges ist in unserer westlichen Zivilisation und er warnte davor, wie wackelig das steht durch unreflektierten Konsum. Darauf wollte ich eigentlich hinaus und ließ mich dann einfach von der Wut weiter schreiben.


    Ok! :) So verstehe ich das und auch die Wut, die einen packt bei dem Thema.


    Und danke für eure Auseinandersetzung mit meinem Posting!

  • ANDERERSEITS kenne ich (erstaunlich) viele Paare, die bewusst und mit Begeisterung mehrere Kinder bekommen, meist drei. Gut, das sind beruflich gut situierte, aber auch die könnten ein leichteres Leben haben, zumal, wenn beide Partner arbeiten. Es ist Stress, sich um Babysitter, Kita, Elternsprechstunden zu kümmern und Zeit zum Spielen und Sprechen und Kuscheln zu haben. Aber sie lieben ihre Kinder.


    Und viele Frauen, nicht nur lesbische, nehmen strapaziöse Hormonkuren und Ops auf sich, um überhaupt ein Kind zu bekommen.


    Ich hatte noch als Studentin nicht den geringsten Drang zum Kind, aber zack! war er plötzlich da. Und habe bald auf ein sehr schönes Gehalt verzichtet, um Zeit für sie zu haben. Wenn ich die jetzt im Alter nicht hätte.... kurz, Kinder sind was Wundervolles.

  • nehmen strapaziöse Hormonkuren und Ops auf sich

    Ich habe eben zunächst "Opas" gelesen ...


    =)


    Zitat

    Kinder sind was Wundervolles.


    Hm ... ab und zu erlebe ich auch mal ein sympathisches Kind ... indes eher selten ... ansonsten jede Menge nonstop hysterisch herumschreiende unsympathische Egomonster ...


  • Hm ... ab und zu erlebe ich auch mal ein sympathisches Kind ... indes eher selten ... ansonsten jede Menge nonstop hysterisch herumschreiende unsympathische Egomonster ...


    Ich hoffe, du hast keine eigenen Kinder.

  • Pearl
    Du hast vollkommen recht.


    Und Kinder sind wundervolle hysterisch herumschreiende Egomonster. :D
    Aber Eltern haben im Zweifelsfall mehr Macht, und darum geht es ja hier in dem Fred.


  • Hm ... ab und zu erlebe ich auch mal ein sympathisches Kind ... indes eher selten ... ansonsten jede Menge nonstop hysterisch herumschreiende unsympathische Egomonster ...

    Lehrer?

  • Lehrer?

    Um Himmels Willen, Nein ...


    :)


    (die meinerseits geschilderten sind auch schätzungsweise eher im Vorschulalter ... die etwas älteren begegnen mir gelegentlich in größeren Mengen auf Treppen und rennen mich dabei fast über den Haufen ... Klasse Erziehung heute halt. Friedefreudeeierkuchen.)

  • Ich hoffe, du hast keine eigenen Kinder.

    Da kannst Du ganz beruhigt sein ... und das ist auch gut so und das Beste für alle Beteilgten.


    :)

  • Voller Interesse habe ich eben diese Diskussion gelesen.


    Ein Aspekt fehlt mir dabei noch: Ich selbst habe zwei Söhne - 19 und 16 Jahre alt. Komme aus einer sog. heilen, gutsituierten Familie. Und habe dennoch auch in diesem Umfeld erlebt, dass es schwierig ist, nicht die Fehler der eigenen Eltern zu wiederholen. Jeder kann nur so gut Kinder erziehen, wie er es selbst erfahren durfte bzw. wie er es später von Vorbildern im engeren Bekannten-, Freundes- oder Verwandtenkreis "abschauen" kann. Ich selbst habe zum Glück dafür wunderbare Vorbilder außerhalb meiner Familie gefunden. Und in meinem Fall ging es nicht um Misshandlung, sondern um "ganz normale" Erziehungsfehler, wie sie eben von Eltern der Kriegsgeneration gemacht wurden.


    Kindesmisshandlung, Kindstötung sind unverzeihlich. Dafür gibt es keine Entschuldigungen. Wohl aber laufen Eltern, die selbst in der Kindheit misshandelt wurden, Gefahr, dasselbe ihren eigenen Kindern anzutun.


    Ja, es stimmt. Die Gesellschaft ist zum Teil tierfreundlicher als kinderfreundlich. Wir leben in einer Spaßgesellschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich jeder zunehmend nur noch um das eigene Wohl kümmert. Aber in meiner Kindheit gab es auch schon eine Spielkameradin, die zu Hause misshandelt wurde. Wovon wir Kinder wussten, was wir unseren Eltern mitteilten - mehrfach. Und damals wie heute kam das Argument, dass man sich ja schließlich nicht in das Leben anderer Leute einmischt.


    Ich glaube, das Thema Kindsmisshandlung geht jeden an - nicht nur die staatlichen Stellen, nicht nur Sozialarbeiter, Psychologen, Pädagogen. Jeder, ausnahmslos jeder, sollte die Zivilcourage aufbringen, nachzuhaken, der Sache auf den Grund zu gehen, wenn in irgendeiner Form der Verdacht auf Kindsmisshandlung aufkommt. Und es sind beileibe nicht nur die Familien Drogensüchtiger, Alkoholsüchtiger, sozial Schwacher .... , in denen Kinder misshandelt werden. Es sind auch genügend nach außen hin heile, wunderbar funktionierende Familien davon betroffen.

  • Wer jetzt glaubt, daß diese Aussagen widersprüchlich und unlogisch sind, der hat Singer nicht richtig verstanden. Singer will nicht logisch argumentieren oder gar in der jahrtausendealten Tradition der abendländischen Philosophie schreiben, nein, Singer will die Gedanken einer spaßorientierten Industriegesellschaft, Gedanken, die jede Friseuse und jeder Automechaniker hat, einfach nur rechtfertigen. Er will einfach nur sagen: Hallo, ich bin Professor in Princeton und Philosoph, und das, was ihr sowieso schon denkt, ist ganz okay. Babys und Kinder dürft ihr umbringen, aber Veganer müßt ihr sein.


    Als unlogisch würde ich Singers Argumentation nicht bezeichnen. Die ist in sich durchaus schlüssig. Ob sie dir dadurch "sympathischer" wird, bezweifle ich allerdings. Singer ist der wahrscheinlich prominenteste und konsequenteste Vertreter des gegenwärtigen Utilitarismus. Für viele ist er der Philosoph des Tierschutzes. Singer weist Begriffe wie Menschenwürde als metaphysisch zurück, was dazu führt, dass die Grenze zwischen Tier und Mensch aufgehoben wird. Menschenaffen sind in seiner Sicht Personen, Föten und Säuglinge nicht, weil sie kein Selbstbewusstsein haben. Deshalb ist es für ihn kein nennenswertes Problem, Neugeborene zu töten. Tatsächlich schlägt er das aber nur bei schwersten Behinderungen vor, z.B. bei offener Wirbelsäubel. Ein generelles moralisches Verbot, Säuglinge zu töten, lässt sich bei ihm allerdings nicht begründen. Was hauptsächlich dagegen spricht, ist die Tatsache, dass die Eltern eine Bindung entwickeln und sie deshalb Leid empfinden würden, wenn das Baby getötet wird. Das kam man skandalös nennen, für Singer ist es aber logisch. Eine eindeutige Grenze, ab wann ein Kind Selbstbewusstsein hat, definiert er nicht. Man kann wohl davon ausgehen, dass das ungefähr bei 2 Jahren liegt.


    Gerade weil Singer sehr schlüssig argumentiert, kann man zu der Ansicht kommen, dass er den Utilitarismus insgesamt ad absurdum führt. Das ist viel weitreichender, als wenn jemand eine absurde Privatmeinung äußern würde. Es gibt auch Philosophen, die genau das behaupten, dass nämlich die moderne Ethik wie der Utilitarismus oder jede Form von Kontraktualismus gar keine Moral begründen kann, sondern in Beliebigkeit verschwindet. Alasdair MacIntyre wäre da zu nennen, mit seinem Hauptwerk "After Virtue" (deutsch: Der Verlust der Tugend). Ihn konservativ zu nennen, ist eine Untertreibung, aber im guten Sinne. Er schreibt sehr flüssig und mit einer Portion Sarkasmus. Der könnte dir gefallen.