Mut zum Adjektiv

  • mal ganz locker gesehen:


    Kann man machen, Dorit, aber so ganz stimmig ist das nicht. Haare haben keine Eigenbewegung. Die hängen herab vom Kopf, oder fallen gar auf die Schulter oder sogar weiter herunter … das ist sicher kein Stilbruch, so zu formulieren. Bei Armen ist das etwas anders. Die hängen nicht einfach nur am Körper sondern können bewusst eingesetzt werden. Wenn man nur so da steht und sich nicht bewegt, dann hängen die Arme tatsächlich herunter. Ohne körperliche Fehlstellung stehen die nicht einfach nur ab oder weisen nach oben. Sie fallen aber eben auch nicht herab. Es sei denn, vorher hat man die Arme erhoben (zum Beispiel für eine heroische oder einfach nur verzweifelte Geste) und lässt sie dann plötzlich "herabfallen". Das kann ich mir dann vorstellen. Dann muss man die auch nicht wieder aufheben. Solch eine Situation haben wir im eingangs zitierten Textauszug aber nicht.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Also, ich weiß nicht...
    locker sehen kann jedenfalls nicht schaden! Ich meine nämlich, dass es beinahe unmöglich ist, bei Beschreibungen nicht auch Wortkonstellation zu benutzen die, auseinandergepfriemelt, zu einer Bedeutung kommen, die offensichtlich falsch bis lächerlich ist.
    Ich erinnere mich z.B. an einen Textauaschnitt (von mir) den ich hier mal eingestellt habe, in dem es darum ging, dass ein Behinderter im Rollstuhl sitzt und seinen Kopf von einer Schulter zur anderen wirft. Klar, das KANN man superwitzig finden! Ist es ja auch, wenn man das will! Ich will damit sagen, dass ich durchaus einsehe, dass die vielbelachten- Frontscheiben - weniger glücklich gewählt sind als einfach nur Scheiben, aber grundsätzlich wehre ich mich schon ein wenig dagegen, dass jedes Bild niet und nagelfest und unter wirklich jedem Aspekt eindeutig formuliert sein muss.


    Gruß Barbara

  • Ich kann nur wiederholen: Entweder es funktioniert oder nicht. Und es gibt definitiv schiefe und unfreiwillig komische Bilder, die eben nicht wie gewünscht funktionieren. Das hat nichts damit zu tun, ob man das auseinandernehmen könnte und dann würde es womöglich irgendwie doch - oder doch nicht - funktionieren. Wenn es schief gehäkelt ist, wird es nicht dadurch grade, dass andere Bilder AUCH schief gehäkelt sind.

  • Im Folgenden wird eine neue Person in die Handlung eingeführt. Wie gefällt euch das?
    - "es stimmte schon, dass nur wenige Menschen derart zerstreut wirkten wie B.N. Sie hatte gertenschlanke, sommersprossige Arme, die zur Taille herabfielen wie Auswüchse ihrer dunkelblonden Haare. Ihre Augen waren wie Frontscheiben an einem hellen Tag." -
    Ist nicht von mir.
    Leider!
    Denn ich finde das trotz - nein wegen - der doch eigentlich verboten vielen Adjektive extrem schön. Und bildhaft.


    Gruß Barbara

    Ich finde das furchtbar. An dem Bild passt nichts zusammen, schiefer geht es schon gar nicht mehr. Ich seh da nicht mal einen Menschen, eher so ein Meeresungeheuer-Cyborg-Hybridwesendings. Gruselig.
    Das Wort Auswüchse an sich ruft bei mir schon eine negative Empfindung hervor, aber im Zusammenhang mit Haaren ... Das geht gar nicht. Dunkelblonde Haare und sommersprossige gertenschlanke Arme. Hm. Entweder ist gertenschlank hier ein gewagtes Synonym für Spaghetti oder die hat Haare wie Feuerwehrschläuche.
    Augen wie Frontscheiben. Würden die Augen wie Frontscheiben an einem hellen Tag strahlen, wäre das immer noch ein doofes Bild, aber zumindest nicht ganz so schräg. Aber Augen wie Frontscheiben? Da bin ich gleich wieder bei dem Maschinenwesen auf einem Planeten einer weit, weit entfernten Galaxie.
    Dass das alles so schief ist, hat aber überhaupt nichts mit der Verwendung von Adjektiven zu tun, das passt einfach alles nicht. Ich mag Adjektive, die existieren um benutzt zu werden, aber ich hasse schlechte Bilder und Vergleiche.

  • Auch Jonathan Franzen setzt m.E. die Adjektive sinnvoll ein (wenn es sich vielleicht auch etwas hakelig liest ("die Augen geschlossen haltend"):


    Zitat

    Eileen war ein getreues und hübsches Ebenbild ihrer Mutter, mit staunenden dunklen Augen und bleistiftdünnen Brauen, einer hohen Stirn und vollen Wangen und glattem, dunklem Haar. Ihre Gliedmaßen hatten etwas von Gerten einer Weide, und manchmal, die Augen geschlossen haltend, wiegte sie sich auch wie eine - wenn sie so glücklich war, im Kreis ihrer Freunde zu sein, dass sie deren Anwesenheit vergaß.


    ("Schweres Beben" (1992 / 2005 (dt.))

  • Da ist gar keins drin.


    Das was wir hier sehen ist eine Variante von vielen, wie man
    etwas formulieren kann. Die Formulierungsarten, zumindest die literarisch
    zulässigen Varianten, lassen sich alle noch in so genannte Geschmacksmuster einsortieren.
    Und die schiefklingenden schreiberisch Geschmacksmuster die hier allesamt mit
    Adjektive zu verpönen der Adjektive vorgestellt wurden, klingen auch ohne
    Adjektive besch*. Schlechte Adjektive können einen schlechten Text nur noch
    schlechter machen. Gut gesetzte Adjektive in einem guten Text, erzeugen beim
    Leser eine Bildergewalt.






    Adjektive ist nur eine von vielen Zutaten des Schreibens.
    Wir sie verwenden möchte, soll sie verwenden. Wer sie nicht mag, braucht sie nicht
    einsetzen. Sie von vornherein zu verpönen, wäre so, als wolle ich anderen von
    meinem Glauben zu überzeugen. In der mannigfaltigen Literatur haben sicherlich beide
    Varianten ihre Daseinsberechtigung. Entscheidend für mich dabei ist, dass junge
    Autoren von vorneherein nicht von einem festen Meinungsbild, das in der
    Literatur vorherrscht, erschreckt werden, und aus diesem Grund von Beginn an konsequent
    jegliche Umgang mit den Adjektiven meiden.



    Auch ein Küchenlehrling muss erst noch den richtigen Umgang
    mit den Zutaten lernen, da kann es auch schon mal vorkommen, dass eine Suppe
    versalzen schmeckt. Normal.

  • Auch Jonathan Franzen setzt m.E. die Adjektive sinnvoll ein (wenn es sich vielleicht auch etwas hakelig liest ("die Augen geschlossen haltend"):



    ("Schweres Beben" (1992 / 2005 (dt.))


    Nur an wenigen Stellen im Roman ballen sich die Adjektive wie in diesem Zitat. Im Hinblick auf das Erzählen hat die Adjektiv- (besser: Attribut-) Ballung hat m.E. u.a. folgende Aufgaben:
    - Das Zitat steht am Ende der ersten Seite des Romans. Am Anfang wird Eileen anhand ihres Verhaltens dargestellt. Nachdem der Leser so die ersten Vorstellungen über sie gebildet hat, wirken die Attribute wie Verstärker, die das Vorstellungsbild kräftiger aufleuchten lassen.
    - Die Attribute verlängern die Lesezeit, so dass der Leser mehr Zeit erhält, sein Vorstellungsbild auszugestalten.
    - Mithilfe der Attribute kann der Erzähler Eileen von außen beschreiben (das funktioniert in diesem Moment, da sie unter Schock und somit gewissermaßen neben sich selbst steht.) Im zweiten Teil des folgenden ("hakeligen") Satzes wird schon wieder aus personaler Sicht aus ihrem Inneren erzählt. Der Leser wird von der Beschreibung ihres Äußeren auf ihr Inneres schließen.
    - Genau betrachtet beschreiben die Attribute nicht nur sie, sondern auch ihre Mutter und ihr Verhältnis zur Mutter.
    - Die Ballung vor allem "unspektakulärer" Attribute deutet indirekt darauf hin, dass Eileen eine spannungsgeladene, problematische Person ist.


    Schon an diesem Beispiel kann man sehen, mit welch großer Kunst Jonathan Franzen erzählt.