Einige von Euch haben ja
bereits Fragen zu Lesungen in virtuellen Welten gestellt. Da ich heute etwas
aus der Puste und zusätzlich in Zeitdruck bin, habe ich mich für ein
Selbstzitat entschieden. Im Mai hatte ich für das Literatur Blog „Alles fliesst“
über die Projekte der Brennenden Buchstaben in SecondLife geschrieben.
Wenn ich über unsere
Arbeit berichte, dann habe ich dabei oft das ungute Gefühl, jemand könnte das
dahingehend interpretieren, dass ich fröhlich die Werbetrommel für ein
amerikanisches Unternehmen rühre. Das liegt mir allerdings völlig fern. Dazu
müsste ich viel zu viele Kritikpunkte auflisten, die mir selbst gegen den
Strich gehen. Die Kosten beispielsweise
(nein, für Vortragende oder Zuschauer fallen keine an, nur für den, der eine
Location bauen möchte.)
Du beschäftigst dich womit? Lesungen in SecondLife? Aber SecondLife ist
doch tot!“
Die Reaktion oben ist uns, der Literaturgruppe Brennende Buchstaben, unseren
Gästen und Lesern unserer Blogs wohlbekannt. Deswegen wollen wir heute auch
nicht noch einmal auf die alte Diskussion eingehen, ob die Geschichte des wohl
bekanntesten Metaversums die eines Scheiterns oder eines dauerhaften Erfolges
ist. Wir behaupten Letzteres, Argumente dafür haben wir bereits an anderer
Stelle aufgeführt.
Die „klassische“ SecondLife Lesung
Der Vortragende benötigt dazu lediglich einen durchschnittlichen Computer
ohne außergewöhnliche Leistungsmerkmale, ein Headset, und den SecondLife-Client
auf seinem Rechner. (Ein ausführliches Tutorial findet man hier.)
Der Zeitaufwand liegt bei insgesamt etwa zweieinhalb Stunden. Eine Stunde
davon, um den Client zu installieren und eventuelle Probleme in den
Einstellungen zu beheben, bis wir seine Stimme per Voice oder Skype deutlich
verstehen können. Weitere eineinhalb Stunden für die Lesung mit Interview und
anschließende offene Fragerunde für das Publikum. Der Autor kann sich per
Headset direkt mit den Anwesenden unterhalten, die selbst ebenfalls ein
Mikrofon benutzen, oder sich im Textchat melden.
Gelegentlich beunruhigt Gäste ohne Vorerfahrung die Vorstellung, sie müssten
gegen ein fröhlich durcheinander schnatterndes Publikum anlesen. Kein wirklicher
Grund zur Sorge, denn vom Publikum werden dieselben Gesprächsregeln
eingehalten, wie bei einer „echten“ Lesung. Wobei wir nicht vergessen
sollten, dass auch diese Art der Lesung authentisch ist. Es wird keine
Konserve abgespielt, sowohl Autor als auch Publikum sind tatsächlich
anwesend. Der Textchat wird dabei zur eigenen “Metaebene”. Hier
können die Zuhörer auf die Lesung eingehen, ohne dabei den Vortragenden zu
stören.
Absichtliche Negativkommentare, um den eventuell mitlesenden Autor aus
dem Konzept zu bringen, haben wir dabei in mehr als hundert Lesungen übrigens
noch nicht erlebt. Wohl aber Kritik, die nach der Lesung geäußert wurde. Aber
das muss natürlich auch erlaubt sein.
Bisher teilten die meisten Autoren unsere persönliche Erfahrung: Virtuelle
Lesungen entwickeln fast dieselbe Dynamik wie reale Vorträge. Man kann anhand
der Reaktionen im Chat sehr genau verfolgen, wie aufmerksam die Zuhörer sind
und ob der Vortrag Gefallen findet.
Der Berliner Schriftsteller Frank Sorge löiest humorvolle Texte aus seiner dönerbudenlastigen Nachbarschaft.
Großer Vorteil einer virtuellen Lesung: Das Bühnenbild kann an jedes
beliebige Thema angepasst werden. Ob viktorianischer Lesesalon,
mittelalterliche Festung, Fernsehstudio oder Raumstation, alles ist machbar.
Und baubegeisterte Designer lassen sich gern durch den Besuch eines Autors zu
regelrechten Meisterwerken inspirieren. So stellte uns unser Nachbar Barlok
Barbosa (SecondLife-Name) für mehrere Lesungen eine eigens dafür entworfene
Orbitalstation und einen Steampunk-Keller zur Verfügung. Direkt auf der
Bühne platzierbar: Ein Link zur Verlagswebsite des vorgestellten Buches – oder
zu einer beliebigen Bestellplattform.
Ein Science-Fiction-Themenabend lässt sich mit einer Kunstausstellung über
Cover Art kombinieren (siehe diesen Artikel
zu den Orbitalen Visionen im Fandom Observer), eine Steampunk-Lesung mit
einem ganzen Steampunk-Flohmarkt auf dem Bastler ihre Luftschiffe und
Kunstwerke präsentieren.
Bisher haben wir rund 60 Autoren zu Lesungen bei den Brennenden Buchstaben
begrüßen dürfen. Darunter Namen wie Karl Olsberg (er berichtete mehrfach
darüber in seinem Blog),
Arno Strobel, Siegfried Langer, Marcus Hammerschmitt, Karsten Kruschel, Michael
Marrak, Michael Iwoleit, Lea Korte, E.M. Jungmann, Oliver Buslau, Ingrid
Schmitz oder Michael
Meisheit.
Michael Meisheit liest im Kafé KrümelKram. In seinem Buch geht es um die Fernsehbranche. Eine pssenden Kulisse ist schnell hergestellt.
Fast alle sind mehr als einmal aufgetreten, für uns ein Beweis dafür, dass
sie Spaß an ihrem Gastspiel im Cyberspace hatten. Auf diesem Wege haben
sich die Brennenden Buchstaben auch zu einer Art Schriftsteller-Community
entwickelt, über die einige Autoren, Klein-Verleger und Blogger miteinander
kommunizieren.
Theater in SecondLife
Wo wir gerade über Bühnenbilder gesprochen haben. Statt einer Lesung kann
man einzelne Szenen oder ganze Geschichten auch als Bühnenstück aufführen.
Seine Science-Fiction-Story „Debugging You“, ursprünglich im Computermagazin
c`t erschienen, hat Thorsten Küper im letzten Jahr als
Ein-Personen-Stück inszeniert.
Theatervorstellung "Debugging You" im virtuellen Bühnenbild.
Bis zum Live-Hörspiel oder einer kompletten Theateraufführung ist es nur ein
kleiner Schritt. Die “Kulturschaukel” im virtuellen Köln hat Frederic Brakes
humorvolle Story „Drachenblues“ mit einem ganzen Ensemble von
Avatarschauspielern auf die Bühne gebracht. So erfolgreich, dass man sofort
eine Tourneedurch SecondLife veranstaltet hat. Natürlich jedes Mal live performt. Die
Proben zum Nachfolgestück „Die Traumkugel“ laufen schon.
Comedy, Kabarett und
Poetry Slams in SecondLife:
Die vernachlässigten Genres. Im deutschsprachigen SecondLife hat es bisher
so gut wie keine Experimente in dieser Richtung gegeben. Thorsten Küper ist
momentan mit seinem Programm „Nerdy but lovin it…“ in Secondlife und OpenSims
(Die Open-Source-Variante von SecondLife) unterwegs. Interessant wird es
sein, im Lauf des Jahres einen Poetry Slam zu veranstalten.
Spezialevents
Die 3D-Umgebung von SecondLife oder OpenSims macht es leicht,
Veranstaltungen miteinander zu kombinieren. Zum Beispiel Ausstellungen mit
Konzerten, Lesungen oder Theaterstücken.
Autor Thomas Thiemeyer liest in unserem Cafe.
Und es passiert eine ganze Menge: Am 21.Dezember lasen die Science Fiction
Autoren Thomas Thiemeyer, Marcus Hammerschmitt, Frederic Brake und Michael
Marrak vier Stunden lang, um das Publikum auf einen Weltuntergang einzustimmen,
der erfreulicherweise ausblieb.
Das BB E-Book Event. Präsentationsshow für Autoren und ihre E-Books.
Im März haben wir das BB
E-Book-Event 2013 veranstaltet. Rund 30 Autoren haben dort ihre Bücher an
Ständen präsentiert, es fanden Diskussionsrunden, Vorträge und Lesungen statt. Die
ausgestellten Bücher waren natürlich nicht wirklich lesbare Exemplare in
SecondLife, sondern Links zu Websites und Verlagen. Aus den Gesprächen
unter Autoren und Besuchern haben sich schnell weitere Veranstaltungen ergeben,
darunter zum Beispiel ein Event zum Thema “Zombies” im virtuellen Köln.
Und die Reichweite?
Eine Region in SecondLife erlaubt maximal 100 Avatare am selben Ort.
Gelegentlich ist diese Zahl aber auch auf 50 reduziert, um die Performance
stabil zu halten. Denn viele Besucher bedeuten auch eine erhöhte Belastung, die
den Crash einer Location auslösen kann. Ein Problem, das heute nur noch
selten auftritt.
Die Reichweite lässt sich deutlich erhöhen, wenn die Lesung nicht nur über
den SecondLife internen Voice-Chat, sondern als Stream übertragen wird. Je nach
Kapazität kann der auch 250 Zuhörer oder mehr bedienen und außerhalb von
SecondLife ganz ohne Client wie ein gewöhnliches Internet-Radio gehört werden.
Diesen Zuhörern entgeht natürlich die Gelegenheit, direkt mit den Autoren oder
Performern ins Gespräch zu kommen. Eine Lesung mit 50 Zuhörern bezeichnen
wir als sehr gutes Ergebnis, eine mit 25 immer noch als ein gutes.