So realistisch ist der "Tatort"

  • "Den Tatort" gibt's gar nicht. Die Unterschiede zwischen dem Münster-Tatort und dem Ludwigshafener Tatort sind etwa so groß wie der zwischen "Kottan ermittelt" und "Columbo". Es geht um Unterhaltung, "beim Tatort" oft vorrangig auch um Probleme der Gesellschaft. Welcher Krimi bildet denn die Wirklichkeit bei der Polizei 1:1 ab? Meines Erachtens ist der Artikel in der "Zeit" eine - sorry - Wichsvorlage für das Möchtegern-Bildungsbürgertum.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich springe jetzt mal in die Bresche gegen zu viel Realismus - ebenfalls als bekennender Tatort-Gucker. Wobei das moment etwas nachlässt, was einerseits an den manchmal wirklich nicht guten Fällen liegt, andererseits an der mir nach ich weiß nicht wieviel Folgen viel zu oft gehörten Realitätsnähe in dem Sinne, dass die Kommissare die Verdächtigen über ihre Rechte aufklären oder die - natürlich realistischerweise zu erwartenden - typischen Fragen stellen, die in fast jedem Tatort (und anderen Krimis) vorkommen: Wo waren Sie gestern abend? Vorzugsweise bei fünf Verdächtigen pro Folge. Gähn! Kann man auch anders rüberbringen.


    Was ist deshalb so schlimm daran, wenn Frau Odenthal z.B. mal nicht dabei gefilmt wird, wie sie der Verdächtigen ihre Rechte klarmacht? Lässt man es weg, hat man gleich eine Minute gewonnen, in der Handlung gebracht werden kann.


    Realistisch ist es sowieso von vornherein nicht, dass all diese Kommissare regelmäßig derartig schwierige und komplexe Fälle auf den Tisch bekommen, dabei ihre Eltern/Geschwister/Kinder oder gar Geliebte in Mitleidenschaft gezogen werden, sie selbst mehrfach entführt oder an- oder erschossen, aber das alles im nächsten Tatort (fast immer, wenn nicht, geht mir als Zuschauer das spätestens nach einer weiteren Folge auf die Nerven) schon längst seelisch verkraftet haben ...


    Und ehrlich gesagt, wenn ich wissen will, wie es bei der Polizei zugeht, dann gucke ich mir eine Doku an.

    Fiction has to be realistic, unlike real life.
    Ian Rankin

  • Erneut zu "Kottan" - zwei Zitate aus wiki :


    Zitat

    Im selben Jahr wurde vom ORF auch ein Fernsehspiel produziert (Hartlgasse 16a), das allerdings Kontroversen über die Art der Darstellung der Polizeiarbeit hervorrief, vor allem seitens der Polizeigewerkschaft.


    Zitat

    Die durch Buchrieser und Resetarits gespielten Kottans sehen in mehreren Folgen Ausschnitte von älteren Kottanfolgen im Fernsehen und regen sich über die unmögliche Art, wie Polizeiarbeit im Fernsehen dargestellt werde, auf oder rufen beim Sender an und beschweren sich über die Ausstrahlung „dieser absoluten Schweinerei“. Tatsächlich hatten die Sender bei Erstausstrahlung sehr ähnliche Zuschauerreaktionen erhalten, insbesondere bei den ersten Folgen, als der satirische Charakter der Serie noch nicht so deutlich war.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • ich verfolge den fall seit anfang an und hab mich die ganze zeit gefragt: der junge hat die tat nicht gestanden. so abgefrüht kann er gar nicht sein, also muss seine aussage stimmen.


    Fernurteilen fehlt immer die Grundlage.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • mag sein. dennoch, die polizei muss auch die tatverdächtigen schützen, ganz besonders, wenn sie noch jugendliche sind! aus meiner sicht hätten die ermittler die presse frühzeitig in die schranken weisen müssen. so entstand der eindruck, es ginge nur noch darum, dass er gesteht.

  • aus meiner sicht hätten die ermittler die presse frühzeitig in die schranken weisen müssen.


    - BILD-Zeitung.
    - Hallo, Müllerzwo, sind sie das? Hier Wagner vom Polizeipräsidium.
    - Was kann ich für Sie tun, Herr Wagner?
    - Spitzen Sie die Ohren und schreiben Sie mit: Es geht uns nicht nur noch darum, dass der Verdächtige gesteht. Drucken Sie das gefälligst so. Irgendjemand muss Sie ja mal in die Schranken weisen.
    - Wissen Sie, was ich gerade verstanden habe? Hey, Jungs, kommt mal schnell her, ich hab den Wagner am Rohr, und ihr glaubt nicht, was der ...

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • ich verzichte auf die links, ihr habt es sicher mitbekommen, wie der aktuelle stand in emden ist. was für ein drama.

  • Hallo 42er,


    ich weiß nicht, ob es schon in einem anderen Fred erwähnt wurde:
    Der MDR plant einen "in Thüringen spielenden Tatort entwickeln zu lassen". Er wendet sich an Produzenten, die "mindestens drei Vorschläge zu möglichen Autoren und Regisseuren sowie Vorschläge für die Besetzung des/der Protagonisten unterbreiten".
    :bruell
    Näheres hier: http://www.mdr.de/unternehmen/ausschreibungen/tatort408.html


    Grüße aus Niederösterreich,


    Michael


  • Thüringen wollte mit Erfurt auch schon mal auf die ZDF-Wetterkarte der heute-nachrichten. :D Aber andererseits gibt es noch keinen Thüringer Tatort, der es jemals in den Tatort geschafft hat, meines Wissens. Also wären die jetzt mal dran. Danke für den Tipp.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Das ZDF hat mit der aufwendigen, hervorragend besetzten und einhellig als realistisch, gar "authentisch" etikettierten Serie "Kriminaldauerdienst" genau das versucht. Ich habe diese Serie geliebt und bedaure immer noch, dass nach der (von den Stammzuschauern hart erkämpften) dritten Staffel Schluss war. Es gab den Grimme- und den Deutschen Fernsehpreis. Nur keine Quoten. Denn "die Zuschauer" wollen keine "glaubhaften Fälle" und "überragenden Schauspieler", sondern genau das Gegenteil. Sie lieben Liefers und Prahl, obwohl die Fälle unrealistisch und wunderbarerweise immer mit irgendeinem persönlichen Bezug ausgestattet sind. Gib ihnen Realismus, und sie schalten ab. Leider. Ganz egal, wie gut die Schauspieler sind.

    ich stimme Tom da ebenfalls zu. Und für den Roman gilt imho: Ob einen Figur/Plot vom Leser als authentisch empfunden wird, liegt am Geschick und Können des Autors. Mehr als diese "gefühlte" Authentizität will die breite Leserschaft nicht, auf die es sowohl Autor als auch Verlag nun einmal wirtschaftlich abgesehen hat.
    Solange sich diese Aspekte auf reine Unterhaltung beziehen, geht das imho auch in Ordnung.


    Bei dieser Gelegenheit: Was haltet Ihr von "Anwalt der Toten". Ich habe das vor wenigen Tagen das erste Mal gesehen. Täuscht die dokumentarische Aufmachung (Interviews mit den wohl tatsächlich führenden Ermittlern)? Oder darf man den gezeigten technischen Details der heutigen Ermittlungsarbeit trauen? Wenn ja, ist die Sendung ja wie ein Lehrbuch für jeden Krimiautoren, was heute technisch, chemisch und physikalisch möglich ist.