• Angeregt durch den kürzlichen Thread von H.D. hier ein Hinweis auf ein Buch, das ich mir erst noch besorgen werde.
    G.D. Borasio
    Auszug aus einer Ankündigung:
    "...Der Mediziner Borasio tritt zudem einigen wei tverbreiteten Legenden entschieden und mit großer Sachkunde entgegen - etwa dem Märchen, dass ein Sterbender, der nicht künstlich mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt wird, qualvoll verhungern und verdursten müsse: Im Gegenteil, es ist oft genug gerade dieser Drang zur therapeutischen Intervention selbst noch in den letzten Stunden, der den Sterbevorgang unnötig belastet...Borasio verschweigt nicht, dass er von der aktiven Sterbehilfe, wie sie in den NL und neuerdings auch in Belgien praktiziert werden darf.... nichts hält. Im Gegensatz zur Bundesärztekammer befürwortet er aber mit guten Argumenten den "assistierten Selbstmord" - der mit "Tötung auf Verlangen" keineswegs gleichgesetzt werden kann. Und immer wieder schreibt er gegen die Ignoranz vieler Ärzte an, die in Sachen Sterben schlecht ausgebildet sind, unheilbar Kranke meiden, weil es bei ihnen nichts mehr zu "heilen" gibt, und die Sterbenden oft genug mit einem Arsenal nutzloser Übertherapie das Lebensende zur Hölle machen. Alls das ist überlegt und fundiert dargestellt...."


    Mich macht das Buch und die Auseinandersetzung mit dem Thema neugierig. Euch vielleicht auch?

  • Aus meiner aktuellen Erfahrung kann ich sagen, dass die künstliche Zufuhr von Flüssigkeit das Sterben nicht verhindert, sondern erleichtert hat. Alles geschah in der vertrauten Wohnung. Auf diese Zufuhr zu verzichten, hätte bei den verschleimten Bronchien dazu geführt, dass die Patientin qualvoll erstickt wäre, weil sich der Schleim festgesetzt hätte. Flüssigkeitszufuhr - und nichts anderes, also keine Zwangsernährung - hat dazu geführt, dass sie friedlich eingeschlafen ist, ohne Erstickungsgefühle und Atemnot.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Mich stört schon der Ausdruck "Ärzte heilen"...
    Jeder Arzt weiß, dass er nicht heilt, sondern behandelt.


    Ansonsten kann ich nur die Erfahrung von H.D. bestätigen. Die Palliativmedizin ist hauptsächlich darauf ausgelegt, es dem Patienten einfacher zu machen. Nicht den zukünftigen Hinterbliebenen.

  • Ein sehr lehrreiches, allgemeinverständliches Buch über den biologischen Vorgang des Sterbens an sich von Sherwin B. Nuland:

    ASIN/ISBN: 342677237X


    Der gute Mann war oder ist Arzt und bescheibt die (waren's sechs?) häufigsten Wege aus dem Leben.


    Kein bisschen reißerisch, aber immer dicht an den persönlichen Erfahrungen des Arztes.


    Mich hat's beim Lesen ziemlich durchgeschüttelt.


    Die Frage nach der Würde des Sterbenden ist nach der Lektüre mehr oder weniger beantwortet.
    Nach Nuland hat Sterben nämlich einfach nichts würdevolles. Ein menschlicher Körper kollabiert und das ist für den betreffenden in der Regel eine ziemliche Quälerei, die man eher nicht mit Würde in Verbindung bringen würde.


    Kristov


  • Die Frage nach der Würde des Sterbenden ist nach der Lektüre mehr oder weniger beantwortet.
    Nach Nuland hat Sterben nämlich einfach nichts würdevolles. Ein menschlicher Körper kollabiert und das ist für den betreffenden in der Regel eine ziemliche Quälerei, die man eher nicht mit Würde in Verbindung bringen würde.


    Kristov


    Für Nuland vielleicht. Und für dich. Mag sein auch noch für manchen anderen. Für mich nicht!


    Letztendlich ist es aber immer auch eine Sache des Standpunkts und der Sichtweise. Selbst darüber, was "Würde" ist, kann man lange diskutieren. Es steht zwar in §1 Abs. 1 in unserem Grundgesetz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, ohne dort aber näher erklärt zu werden, was Würde ist.


    Den Vorgang des Sterbens rein materiell als kollabierenden menschlichen Körper zu betrachten ist die eine Seite. Es ist da aber noch einiges mehr zu beachten, denn solch ein Körper existiert ja nicht für sich und ohne alles andere. Es steckt in diesem Körper ja noch jemand drin, der Empfindungen hat. Der Sterbende selbst. Und der ist nicht außer acht zu lassen. Jemand, der die 90 weit überschritten hat und sterben will, den zum Beispiel aus seiner vertrauten Umgebung zu nehmen, in ein Krankenhaus zu schleppen, an alle möglichen Geräte anzuschließen und das Sterben so weit als möglich herauszuzögern, das halte ich für genau so verkehrt wie das Leben gewaltsam zu beenden. Beides würde das, was ich mir unter Würde vorstelle, nicht unerheblich beeinflussen.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo,


    das mit der Flüssigkeitszufuhr ist nicht immer richtig. Wenn ein Mensch die Flüssigkeit, die ihm zugeführt wird, nicht mehr verstoffwechseln kann, belastet sie ihn eher und kann sogar zu verstärkter Schleimbildung führen.


    Man muss das auf den einzelnen Patienten abstimmen, und genau das ist die Aufgabe der Palliativmedizin.


    Und ich denke auch, dass Sterben ein würdevoller Vorgang sein kann, wenn das Umfeld dem Sterbenden diese Würde gibt. Ein Körper kollabiert nicht immer, Menschen können auch einfach "einschlafen", zu atmen aufhören. Für Angehörige, die so etwas unmittelbar miterleben, ist es eine Grenzerfahrung, die mit keiner anderen zu vergleichen ist. Aber würdelos ist dieser Moment nicht.


    Liebe Grüße


    Anja

  • Ich denke an die Einsamkeit des Sterbens. An Verlassenheit.
    An jenem Morgen, an dem meine Mutter starb, hätte ich vielleicht bei ihr sein können. In ihrer Hand hielt sie ihren Zettel mit den Telefonnummern ihrer Kinder. Der Hörer baumelte vom Bett.
    Am Abend davor war ihr eigentlich nur übel und ich sagte, dass ich morgens kommen und vorher noch anrufen würde.
    Acht Wochen vorher gab sie mir ihren Ersatzschlüssel. Und da wusste ich, dass sie ahnte, sie würde bald sterben.
    Das war einfach so.
    An jenem Morgen rief ich sie an. es war immer besetzt. Ich raste wie irr mit meinem Wagen zur Wohnung und wusste, als ich die Tür aufschloss, dass sie tot war.
    Und ein wenig später hatte ich das Gefühl, ich müsse das Fenster öffnen, um sie frei zu lassen.


    Ein Sterbender ist nicht nur ein kollabierter Körper. Und ein gerade Verstorbener hat etwas um sich, bei sich oder im Raum ...
    Also, so habe ich es einige Male empfunden.

  • darüber stolperte ich eben in der ZEIT:


    Sterben lernen: Notierungen zu Krebs und Not und Tod im Kösel Verlag
    Wolfgang Bergmann


    Unheilbarer Knochenkrebs – diese Diagnose erhielt der große Pädagoge und Bestsellerautor Wolfgang Bergmann mit 66 Jahren. Kurz nach dem niederschmetternden Befund beginnt er auf einer Palliativstation, seine Gedanken und Ängste zu notieren. Dabei konfrontiert er sich und den Leser mit dem, was meist ausgeklammert wird. Was ist der Tod? Was ist das Ich im Angesicht des drohenden Endes? Radikal ehrlich und ohne religiösen Trost zeigt sich Wolfgang Bergmann in seinen Ängsten und Zweifeln – und auch in den Momenten, in denen er überraschend Frieden findet. Wolfgang Bergmann starb kurz nach Vollendung dieses Textes.