Kill your darling!?

  • Liebe 42er,


    ich möchte euch um Rat fragen in Sachen: Überarbeitung eigener Texte ohne die Hilfe anderer.


    In einem anderen Fred hat man meine Nase auf einen Satz Hemingways gestupst: "Bei der Überarbeitung streiche ich zuerst sämtliche meiner Lieblingssätze." Streichen müsse ein Opfer sein, und Opfer müssten weh tun, sonst entstehe nicht wirklich Gutes.


    Ist das allein ein Grund, aus dem ich Sätze oder Passagen oder ganze Szenen streichen sollte: dass sie mir besonders gut gefallen?


    Kann ja sein. Hemingway strahlt für einen Fan wie mich schon Autorität aus - aber trotzdem hätte ich gern einen Grund fürs Streichen, wenn es ihn gibt.


    Wenn ich meinem eigenen Urteil so sehr misstraue, dass ich das sofort wegwerfe, was ich für Sahnestücke halte, wie sehr kann ich denn dann dem Rest trauen?


    Ich kann dieses "Kill your darling!" schon anhand von eigenen Beispielen nachvollziehen - in meinem ersten Romanprojekt gab es da diese Tanzszene mit wechselnden Perspektiven von zwei Frauen und zwei Männern ... Gott, was habe ich diese Szene geliebt! Gute und grausame Freunde haben mich dann davon überzeugt: Wenn irgendwas ersatzlos gestrichen gehört, dann diese Szene!


    Ist man beim Schreiben von Lieblingsszenen vielleicht besonders selbstverliebt? Möchte man da den "Literaten" raushängen lassen? Fehlt einem gerade an diesen Stellen der letzte Rest an gesundem Abstand gegenüber dem eigenen Text? Werden solche Stellen dadurch zum Fremdkörper?


    Ich versuche nur, einige mögliche vernünftige Erklärungen für dieses "Kill your darling!" zu finden. Vielleicht könnt ihr mir ja weiter helfen. Ich hoffe es sehr und würde mich sehr freuen!


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Nein! Die etwas flapsig gemeinte Behauptung "Opfer müssen wehtun" und der Verweis auf Hemingways angebliche Lieblingstechnik sind viel zu allgemein, als dass man sie ohne nähere Überlegung umsetzen sollte.


    Was aber dahinter steht ist, dass die "eigene Verliebtheit immer auch eine gewisse Blindheit" als Partner hat. Wenn mir ein Satz, ein Absatz, eine Geschichte besonders gut gefällt, dann schaue ich nicht mehr wirklich kritisch hin. Bevor ich aber wegwerfe und streiche ist es gut, jemand anderen draufschauen zu lassen. Oder besser gleich mehrere. Möglichst solche, die in ihrem Urteil nicht befangen sind. Dann trennt sich nämlich schnell die Spreu vom Weizen. Manches, was man selbst gut fand, wird erhalten bleiben können, aber an anderen Stellen ist es, als würde ein Schleier von den Augen gezogen. So geht es mir jedenfalls nicht selten. DANN ist der Weg zur Überabeitung (oder Streichung) dieser Stellen frei.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Bei "kill your darlings" musste ich zuerst daran denken, dass meine Lieblingsfiguren immer äußerst dicht am Rand des Ablebens tanzen ... geliebte Nebenfiguren werden bei mir grundsätzlich getötet X(


    Was die Lieblingssätze und -Szenen betrifft: Bloß nicht!
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das, was ich besonders mag, oft auch bei den Lesern gut ankommt. Ich wäre ein Trottel, wenn ich das rausschmeißen würde!


    By the way: Hemingway soll ja kein besonders glücklicher Mann gewesen sein ... es wäre anzuzweifeln, ob es grundsätzlich gut tut, sich unter Schmerz Dinge zu nehmen, die man mag.


    Aber was Horst Dieter sagt, ist schon wahr. Lieblinge neigen dazu,
    1) unantastbar zu werden - und dann laufen sie Gefahr schlecht zu werden
    2) sich oft zu wiederholen. Und ja, wenn ich dann merke, dass sie Lieblingsmetapher leider im Roman zuvor schon vorkam, dann muss sie gehen, egal wie schön sie ist. Lieblinge dürfen keinen Sonderstatus bekommen, wenn man sie dabei erwischt, gibt es was auf die Finger!


    Lieblingskinder sollten also vielleicht aus besonders kritischen Augen betrachtet werden, aber sie gleich zu vermeiden oder zu eliminieren führt mMn nicht mehr dazu, dass man besser schreibt, sondern dazu, dass man sich seine Lieblinge nicht mehr eingesteht, um sie nicht "opfern zu müssen".

  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    Bevor ich aber wegwerfe und streiche ist es gut, jemand anderen draufschauen zu lassen. Oder besser gleich mehrere. Möglichst solche, die in ihrem Urteil nicht befangen sind.
    ...
    DANN ist der Weg zur Überabeitung (oder Streichung) dieser Stellen frei.


    Lieber Horst-Dieter,


    danke für deine schnelle Antwort. Mir geht es in diesem Fred allerdings gerade um das selbständige Überarbeiten, ohne dass andere einem helfen.


    Und das kann einem doch keiner abnehmen, oder?


    Natürlich ist es optimal, wenn andere lesen, was man fabriziert hat, und wenn die sich auch hilfreich äußern. Allerdings: Ab einer gewissen Länge kann ich keinem Freund und keiner Autorengruppe mehr zumuten, den ganzen Text sorgfältig zu lesen. Und Autorenforen haben ja auch aus gutem Grund eine Seitenbegrenzung.


    Mein letztes Romanprojekt umfasste rund dreihundertdreißig Normseiten. Das ist ja noch relativ kurz Aber auch da kann ich anderen nur Ausschnitte präsentieren, aber keinesfalls das gesamte Projekt.


    Ich könnte natürlich auch Leute dafür bezahlen, dass sie den Text durchgehen, aber dazu habe ich kein Geld.


    Also muss ich zusehen, dass ich irgendwie meine eigene Überarbeitung verbessere. Und ein Element davon sind diese seltsamen Lieblingsstellen.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Hugo, das ist jetzt oT, aber: Hast du gar keinen Testleser?
    Natürlich kannst du jemandem zumuten, den ganzen Text zu lesen und Anmerkungen zu setzen, wo etwas nicht stimmig ist.
    Die Leser sollen das Buch hinterher ja auch lesen!


    Das muss nicht in der Ausführlichkeit der BTs sein, aber ganz ohne Beta- oder Testleser kommt man mMn kaum aus solange man nicht eine gewisse Erfahrung und einen Blick auf die Fehler hat, die man am liebsten macht.


    Da würde ich ansetzen. In Leser- oder Bücherforen findet sich sicher jemand, der auch einen ganzen Text Beta liest; da kann man sich unter Autoren ja auch gegenseitig aushelfen.
    Meine Beta-Leserinnen (ich habe kleine Horden solcher - immer mindestens zwei) bekommen immer die Aussicht auf eine Erwähnung in den Danksagungen, ein signiertes Freibuch und das Wissen, dass ich ohne sie hilflos und aufgeschmissen wäre und machen das dafür sehr gerne.

  • Zitat

    Original von Mulle
    Bei "kill your darlings" musste ich zuerst daran denken, dass meine Lieblingsfiguren immer äußerst dicht am Rand des Ablebens tanzen ... geliebte Nebenfiguren werden bei mir grundsätzlich getötet X(


    Liebe Mulle,


    auf die Gefahr hin, dass ich das Thema nachträglich erweitere: Warum tötest du denn gerade die Nebenfiguren, die du liebst? Ist das nicht so ähnlich, als ob man eine geliebte Stelle streicht? Das würde mich sehr, sehr interessieren!


    Zitat

    Was die Lieblingssätze und -Szenen betrifft: Bloß nicht! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das, was ich besonders mag, oft auch bei den Lesern gut ankommt. Ich wäre ein Trottel, wenn ich das rausschmeißen würde!


    Hm. Na ja, das Dumme ist ja, dass ich das Urteil der Leser beim selbständigen Überarbeiten gerade noch nicht kenne.


    Zitat

    By the way: Hemingway soll ja kein besonders glücklicher Mann gewesen sein ... es wäre anzuzweifeln, ob es grundsätzlich gut tut, sich unter Schmerz Dinge zu nehmen, die man mag.


    Klar. Schließlich hat er sich erschossen. Und man mag über den Menschen Hemingway auch viel Kritisches sagen - aber als Schriftsteller war er nicht gerade eine Lusche, oder?


    Zitat

    Aber was Horst Dieter sagt, ist schon wahr. Lieblinge neigen dazu,
    1) unantastbar zu werden - und dann laufen sie Gefahr schlecht zu werden
    2) sich oft zu wiederholen. Und ja, wenn ich dann merke, dass sie Lieblingsmetapher leider im Roman zuvor schon vorkam, dann muss sie gehen, egal wie schön sie ist. Lieblinge dürfen keinen Sonderstatus bekommen, wenn man sie dabei erwischt, gibt es was auf die Finger!


    Das schreibst du so schön distanziert, Mulle. Da möchte ich auch gern hinkommen. Highsmith schreibt in "Suspense", jeder Autor müsse lernen, eigene Texte wie fremde zu lesen. Aber: Wie mache ich das nur?


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)


  • Gerade habe ich mit einer Co-Autorin ein Romanmanuskript fertig (260 Normseiten). Dafür suchen wir derzeit "TestleserInnen". Vorläufig Zusagen liegen sogar schon vor. Ein weiteres fertiges Romanmanuskript (alleine geschrieben, 250 Normseiten) liegt ebenfalls bereit und wird nach Abgabe des o.g. Manuskriptes weiterbearbeitet. Dafür liegt mir sogar schon eine Zusage einer Testleserin vor. Ich selbst habe schon als Testleser auch für mehr als 400seitige Manuskripte fungiert. Innerhalb der 42er Autoren e.V. ist es üblich, sich diesbezüglich gegenseitig zu helfen. Und das ist äußerst effektiv.


    Manchmal ist es auch schon hilfreich, nur die ersten 100 Seiten testzulesen. Das, was als Feedback zurückkommt, hilft nicht unwesentlich bei der eigenen Überarbeitung des Gesamtmanuskripts.


    Allerdings gebe ich (von Ausnahmen abgesehen) Manuskripte zum Testlesen erst aus der Hand, nachdem ich selbst einen Korrekturdurchlauf gemacht habe.


    Horst-Dieter

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    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Original von Hugo
    …Highsmith schreibt in "Suspense", jeder Autor müsse lernen, eigene Texte wie fremde zu lesen. Aber: Wie mache ich das nur?


    Herzliche Grüße,


    Hugo


    Es hilft auf jeden Fall immer ein bisschen, einen Text vor der Überarbeitung etwas abhängen zu lassen. Mindestens 14 Tage, besser 4 Wochen.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Original von Hugo
    Das schreibst du so schön distanziert, Mulle. Da möchte ich auch gern hinkommen. Highsmith schreibt in "Suspense", jeder Autor müsse lernen, eigene Texte wie fremde zu lesen. Aber: Wie mache ich das nur?


    Hi Hugo,


    das Buch von Highsmith habe ich vor zwei Wochen gelesen. Es enthält einige interessante Ansätze. Der von Dir genannte ist einer der Wichtigsten. Man muss imo möglichst viel lesen... um ein Auge für gute Texte (im Sinne des Genres, in dem Du schreibst) zu bekommen... wenn man es dann schafft, den eigenen Text wie einen fremden zu lesen, kann man mit Übung den Murks relativ schnell von den guten Stellen unterscheiden. Einzige Bedingung - und das ist Deine Ausgangsfrage - ist, dass Du das 6-8 Wochen liegen lässt. Es ist bisweilen faszinierend wie glasklar man nach dieser Zeit die eigenen Texte lesen kann.


    Herzliche Grüße
    Jochen.

  • ich hege und pflege meine darlings, hugo, und verteidige sie, wenn es sein muss vehement :colts;) allerdings, ich habe festgestellt, dass texte ruhen lassen manchmal den eigenen blick verändert. wenn mir die darlings dann immer noch ans herz gewachsen sind, dann ist alles gut :)


    ich überarbeite meine texte eher so: streiche jedes wort, das du streichen kannst. ist auch ein vip-schriftstelerInnen-satz ;) . vergessen, von wem. der rat ist echt genial, finde ich. kann ich 100 pro unterschreiben.

  • Zitat

    Original von Mulle
    Hugo, das ist jetzt oT, aber: Hast du gar keinen Testleser?


    Liebe Mulle,


    ich bin dir dankbar für die Frage. Ich gehe davon aus, dass du den Hintergrund meines Themas damit besser verstehen willst.


    Ich bin regelmäßig in zwei Autorengruppen in Potsdam und Berlin. Bei den Treffen kann man natürlich nur kürzere Texte lesen. Meine Freunde sind sehr nett und lieb, aber so sehr sie mir auch manchmal Anstöße geben, die ich umsetze - ihre Kritik hat nicht das Kaliber von Leuten, die selbst schreiben.


    Bleiben noch Beta-Leser. Nö. Hab' ich nicht. Vielleicht finde ich ja mit der Zeit hier welche. Ich stelle mir vor, dass man sich dazu ein bisschen kennen, schätzen und vertrauen muss. Mal schauen.


    Da eine Aussicht auf Freiexemplare bei mir ... gewagt wäre, kann ich nur anbieten, selbst auch für andere als Beta-Leser zu fungieren.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    Original von Horst Dieter


    Gerade habe ich mit einer Co-Autorin ein Romanmanuskript fertig (260 Normseiten). Dafür suchen wir derzeit "TestleserInnen". Vorläufig Zusagen liegen sogar schon vor. Ein weiteres fertiges Romanmanuskript (alleine geschrieben, 250 Normseiten) liegt ebenfalls bereit und wird nach Abgabe des o.g. Manuskriptes weiterbearbeitet. Dafür liegt mir sogar schon eine Zusage einer Testleserin vor. Ich selbst habe schon als Testleser auch für mehr als 400seitige Manuskripte fungiert. Innerhalb der 42er Autoren e.V. ist es üblich, sich diesbezüglich gegenseitig zu helfen. Und das ist äußerst effektiv.


    Lieber Horst-Dieter,


    so etwas schwebt mir auch vor. Freut mich zu hören, dass es im Verein der 42er grundsätzlich solche Möglichkeiten gibt.


    Wie ich an Mulle schrieb, glaube ich, dass unter Testlesern ein gewisses Vertrauen bestehen sollte. Von meiner Seite aus arbeite ich daran, mit meinen Kommentaren zu den BTs für andere die Grundlage zu schaffen zu beurteilen, ob sie mit meinen Anmerkungen etwas anfangen können. Etwas anderes kann ich nämlich als Gegenleistung für das Beta-Lesen anderer nicht bieten.


    Trotzdem ist mein Ausgangspunkt: Wie überarbeite ich meine Texte selbst möglichst gut? (Kill your darling!)


    Ich kann ja auch nicht irgendetwas hinrotzen und das dann Testlesern hinwerfen.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

    Einmal editiert, zuletzt von Hugo ()

  • Zitat

    Original von Horst Dieter


    Es hilft auf jeden Fall immer ein bisschen, einen Text vor der Überarbeitung etwas abhängen zu lassen. Mindestens 14 Tage, besser 4 Wochen.


    Lieber Horst-Dieter,


    die Erfahrung habe ich auch gemacht. Allerdings braucht es für mich bei Romanen Monate, bis ich etwas mehr Distanz habe.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    Original von JochenAlexander
    das Buch von Highsmith habe ich vor zwei Wochen gelesen. Es enthält einige interessante Ansätze. Der von Dir genannte ist einer der Wichtigsten. Man muss imo möglichst viel lesen... um ein Auge für gute Texte (im Sinne des Genres, in dem Du schreibst) zu bekommen... wenn man es dann schafft, den eigenen Text wie einen fremden zu lesen, kann man mit Übung den Murks relativ schnell von den guten Stellen unterscheiden. Einzige Bedingung - und das ist Deine Ausgangsfrage - ist, dass Du das 6-8 Wochen liegen lässt. Es ist bisweilen faszinierend wie glasklar man nach dieser Zeit die eigenen Texte lesen kann.


    Lieber JochenAlexander,


    danke auch dir für den Tipp. Mir schwirren Projekte nur immer so im Kopf rum, dass 6 - 8 Wochen noch viel zu wenig sind. Bei mir dauert so etwas etwa ein halbes Jahr ...


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    Original von siempre
    ich hege und pflege meine darlings, hugo, und verteidige sie, wenn es sein muss vehement :colts;)


    Liebe siempre,


    ich weiß, siempre, ich weiß. ;) =) (Ich sage nur: Müll-Baby-Rap!) "Und das ist auch gut so!" :D


    Zitat

    ich überarbeite meine texte eher so: streiche jedes wort, das du streichen kannst. ist auch ein vip-schriftstelerInnen-satz Augenzwinkern . vergessen, von wem. der rat ist echt genial, finde ich. kann ich 100 pro unterschreiben.


    Ich glaube, Wolf Schneider schreibt in - ich glaube wieder - "Deutsch für Profis" - man solle sich vorstellen, dass man für jedes Wort Geld bezahlen müsse, so wie bei einem Telegramm.


    Hm. Dahinter steht die Philosophie einer knappen, einfachen Sprache, von der ich mich gerade verabschiede, obwohl ich ihr anhing, solange ich denken kann. Ist aber sicher ein Konzept, das sich bewähren kann.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Das ist ein Klassiker bei Schreibworkshops, und zwar völlig unabhängig, ob sie an der VHS oder von der Literaturuni Leipzig veranstaltet werden: Rohfassung nehmen und dann alle Adjektive und Adverbien streichen. In vielen Fällen entstehen dadurch tatsächlich lesbarere und damit - vermeintlich - bessere Texte. Es zeigt sich, dass viele dieser Wörter offenbar überflüssig sind, gar den Lesefluss bremsen, und dass ihre Beseitigung eben den Text verbessert. Aber. Das gilt für schlechte Texte. Ein guter Text ist möglicherweise gerade durch die Verwendung solcher Wörter gut. Auf jeden Fall unterscheidet sich die eine von der anderen Fassung, und zwar auch im Hinblick auf Inhalt und Wirkung. Und an dieser Stelle muss sich der Autor eben fragen lassen oder gefragt haben, warum er getan hat, was er getan hat. Wer seine Texte mit Adjektiven und Adverbien flutet, um schlicht längere Texte zu schreiben, macht etwas falsch. Das erkennt man durch die genannte Vorgehensweise. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.


    Ein anderes Problem sind tatsächlich diese Sätze, denen man anmerkt, dass der Autor besonders viel Schmackes, Herzblut, Wasauchimmer in sie getan hat, echte Lieblingssätze eben - aus Sicht des Autors. Oft grätscht derlei auch ziemlich übel aus dem Resttext heraus. Gerade noch knappe, präzise Sprache, und dann plötzlich so ein Ungetüm, so ein Alles-in-einem-Satz, eine brachiale, wortmächtige Zusammenfassung des Weltgeschehens, zutiefst philosophisch, kongenial, einfach ... hach. Aber trotzdem Scheiße. Weil unpassend, schlecht vorbereitet, dramaturgisch völlig neben der Spur und so weiter. Raus damit.

  • Zitat

    Original von Hugo


    Liebe Mulle,


    auf die Gefahr hin, dass ich das Thema nachträglich erweitere: Warum tötest du denn gerade die Nebenfiguren, die du liebst? Ist das nicht so ähnlich, als ob man eine geliebte Stelle streicht? Das würde mich sehr, sehr interessieren!


    Nein, ich streiche sie ja nicht. Streichen wäre nicht-geschehen-machen. Man könnte sagen, dass ich meinen Lieblingen etwas ganz besonderes gönne: Die in aller Regel dramatischste & schlimmste Szene im Buch. Die, die der Leser so schnell nicht vergisst (wenn's glatt läuft). Die Figur wird in aller Regel mit ganz besonderer Sorgfalt aufgebaut - und schreit meist nach einer eigenen Geschichte (Fortsetzung), es ist also auch ein wenig Bequemlichkeit im Spiel. Wenn sie nicht nach einer eigenen, erzähl-würdigen Geschichte schreit, ist sie nicht gut genug für eine Sterbeszene :D
    (Am liebsten töte ich eine meiner Hauptfiguren, aber da machen die Verlage selten mit.)


    Natürlich tut's weh. Es ist schon ein Opfer. Aber eines mit Gegenwert: Leser-Emotionen (hoffentlich).
    Irgendwer muss bei mir halt meist sterben :rolleyes und Tode, die allen am Allerwertesten vorbei gehen, kann ich nicht ausstehen. Wenn einer sterben muss, dann der, um den die meisten weinen :evil
    (Im letzte Roman wollte ich den zauberhaft süßen Hund der Prota töten - das *das* hab ich dann doch nicht über mich gebracht ... :braue)



    @ Testleser:
    Wie gesagt, such dir übers Netz jemanden, das ist nicht so schwer. Meine TL wissen nie, ob sie für ihre Arbeit hinterher ein Buch bekommen; soweit, dass ich über Exposé verkaufe bin ich ja noch nicht, es steht daher immer offen, ob ein MS verlegt wird oder nicht.
    Ich habe meistens einen Leser aus der Zielgruppe und einen, der mit dem Genre nichts anfangen kann (einen Sci-Fi oder Thriller-Leser z.B.), weil ich finde, dass ein Genre-Buch, genrefremden Lesern zwar nicht gefallen muss, sie aber trotzdem handwerklich überzeugen sollte.


    @ Distanz zum Text:
    Tja. Das fällt mir auch schwer und erfordert, auch wenn der Text ein Jahr oder länger lag, meine volle Konzentration. Ich kann nichts machen - ich mag meine Schreibe :achsel und erwische mich immer dabei, den Text einfach zu lesen, meist genüsslich zu lesen und mich darüber zu freuen, wobei mir der Kritiker-Blick immer wieder entgleitet.
    Man kann das aber üben. Durch Konzentration und durch häufiges Kritisieren und Analysieren anderer Bücher.


    Aktuell merke ich auch, dass es leichter wird, wenn man den Text in mehreren Durchgängen überarbeitet: Ein Durchgang nur für Logik, Glaubwürdigkeit & Figurenpsychologie; ein Durchgang für Dialoge und Eigenstimme der einzelnen Figuren; ein Durchgang für Formulierungen, Verbschärfen, ein Durchgang für unnötige Füllworte und Adjektive.
    Bisher habe ich das alles durcheinandergematscht und so überarbeitet, aber dadurch entstehen kleine, aber ärgerlich Patzer (ärgerlich, weil vermeidbar).


    Letztlich ist der eigene Blick auf den Text nie von ausreichender Distanz. Ansonsten wären Lektoren auch für die Katz. Man muss sich halt damit begnügen, alles zu tun, was man kann und es damit dann gut sein zu lassen.
    Und damit leben, dass man ein Jahr später all die Fehler sieht und sich darüber ärgert ... aber das ist eben ein Zeichen von Entwicklung.

  • Zitat

    Original von Hugo



    Hm. Dahinter steht die Philosophie einer knappen, einfachen Sprache, von der ich mich gerade verabschiede, obwohl ich ihr anhing, solange ich denken kann. I


    und wieso nicht mehr? ich finde, es ist die hohe kunst der schriftstellerInnen, komplizierte sachverhalte, möglichst einfach und klar ausdrücken zu können :)


    hast du mal ein besispiel von dir - einfach&klar vs neu?

  • tom, das sind nicht nur die üblichen verdächtigen adjektive. es gibt viele böse =) füllwörter, ganze sätze gar -> sinngemäß doppelt, nicht auf den punkt kommend, etc. pp.


    aus meine sicht steckt in den texten, die sich einfach so weglesen lassen, die meiste arbeit. und weils so gut flutscht, denken viele leserInnen - och, das war ja einfach, das kann ich auch. ja, macht mal :P ;)

  • Ich schreibe und überarbeite so, dass es sich für mich richtig anfühlt. Sowohl von den Formulierungen als auch Dialogen her. Dann weiß ich, der Text braucht zwar sicherlich noch einiges an Lektorat, aber ich kann ihn mit einem ruhigen Gefühl abgeben.


    Aber das meist nicht, ohne vorher eine Textleserin drüber zu lassen. denn ich bin bei vielen Sachen textblind, weil die Geschichte wie ein Film in meinem Kopf gespeichert und jederzeit abrufbar ist. ICH weiß, wie ich was darstellen will, aber nicht immer kommt es so auch rüber. Eine Testleserin kann mir dann sehr genau sagen, wo eine Szene unlogisch, unverständlich, zu schnell oder zu langatmig ist.