gehört eigentlich in einen extra fred, daher hier nochmal:
Pauschaltourismus ist eines jener Dinge, über die sich jeder, den man kennt, selbstverständlich mokiert, aber die Millionen Leute - oft genug dieselben - genauso selbstverständlich praktizieren. Und zwar in dem vollen Bewusstsein, dass das, was sie an Sonne, Meer und geschmackfreien Essen vorfinden, völlig austauschbar ist und nichts, aber auch gar nichts mit dem Land zu tun hat, in das sie geflogen sind.
Das wissen insbesondere die Reiseredakteure Nikolas und Nina, die Tom Liehr in seinem neuen Roman "Pauschaltourist" auf Reisen schickt, denn die Zeitschrift, für die sie arbeiten, ist eigentlich für Luxustrips zuständig. Doch der Chefredakteur möchte mit einer Serie über Last-minute-Trips neue Käuferschichten erschließen. Nikolas und Nina nehmen zwar wenig Gepäck mit auf ihre Tour des Grauens nach Gran Canaria, Ägypten, Mallorca, Portugal und Marokko, dafür aber einiges an Problemen. Nikolas, eigentlich für die Rätselseite des Magazins zuständig, wird von seiner langjährigen Freundin verlassen, während Nina Flugangst hat und in einer problematischen Halbbeziehung steckt. Erschwerend kommt hinzu, dass Nicolas Nina - für ihn eine überdrehte Arroganztussi - hasst. Vom Arbeitgeber mit All-inclusive-Tickets ausgestattet, werden sie schnell Teil der Welt des Teutonengrills mit rotgebrannten Riesenbäuchen, Großkantinenfraß und unkompliziertem Sex. Die in ihrer ersten Reportage kolportierte subversive Aktion zum Thema Liegenreservieren (in einem grandiosen und überraschend vielschichtigen Dialog verpackt) beschert dem Magazin eine Auflagensteigerung und den beiden ein üppiges Spesenbudget für die nächsten Orte von Nepp und willigem Fleisch. Und nach einigen Cocktails entpuppt sich sogar Nina für Nicolas als Mensch, mit dem sich zwischen zwei One-night-stands gut reden lässt.
Tom Liehr lässt Nina und Nikolas zwischen überstopften Flughäfen, ranzigen Hotelzimmern und zweistöckig belegten Stränden alles erleben, was man sich vorstellen kann. Und noch einiges mehr - wie einen Mann, der immer an denselben, ihm bereits bekannten Ort fährt, weil sein Langzeitgedächtnis nach einem Schlaganfall nichts Neues mehr aufnimmt. "Pauschaltourist" ist weit szenischer als die Vorgänger - man hat praktisch schon die rasanten Schnittfolgen der Verfilmung vor Augen. Was ein Film allerdings nur wenig (und in Dialogen) enthalten könnte, ist Liehrs brisante, treffende und unglaublich originelle Wortwahl, angesichts derer man bei anderen Autoren schon froh wäre, wenn sie nur 10% davon hätten. Ganz nebenbei nutzt er die Scheinwelt, um für etwas Ideelles, Dauerhaftes zu werben, das aber hier nicht verraten werden soll.
Nicht nur, aber insbesondere wer nur einmal im Jahr - beim Strandurlaub - ein Buch liest, sollte zu "Pauschaltourist" greifen - um in Anbetracht seines sonnenbeschränkten Horizonts danach hoffentlich auch andere Bücher zu lesen.
ASIN/ISBN: 3746625335 |