Richard David Precht: Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?

  • Philo für Dummies



    Tut mir sehr leid, lieber Herr Precht, aber das titelgebende Zitat haben Sie zwar möglicherweise bei einem Freund gehört, aber es entsprang nicht dieser Quelle. Schon in den Siebzigern, während meiner Schulzeit, galt dieser Satz in verschiedenen Variationen als Bonmot. Dies vorweg.


    Wer den Anspruch erhebt, auf einer knapp vierhundertseitigen "philosophischen Reise" die Fragen des Seins wenigstens anzureißen, muss fraglos reduzieren, eine Richtung vorgeben und fallweise zwischen der Vermittlung von Grundlagenwissen und aktuellen Standpunkten abwägen, zu Ungunsten des einen oder anderen. Anfangs, bei der Einführung in die Geschichte der Philosophie, geschieht dies mit einem guten Blick für das vermeintlich Wesentliche; hier kann noch von einem lehrreichen Buch gesprochen werden, wenn man als Zielgruppe Leser voraussetzt, für die Nietzsche, Wittgenstein und Descartes bestenfalls Namensgeber von Straßenzügen sind. Danach aber verliert sich der Autor in einem nachlässigen Diskurs zu Einzelfragen, die nur in sehr lockerem Zusammenhang stehen. Moral und Ethik werden anhand von Themen wie Abtreibung, Vegetarismus, Genforschung und einigen anderen zwar diskutiert, aber die Auslassung nimmt überhand, und der jeweilige Folgeschritt wird bestenfalls oberflächlich, aber so gut wie nie schlüssig begründet. Kernrätsel wie Gottesfragen bzw. -beweise geht der Autor ohne jeden geschichtlichen oder kulturellen Bezug an; solche Abschnitte lesen sich wie Auszüge aus älteren Essays, die zu Buchkapiteln eingedampft worden sind. Statt sich hier dafür zu entscheiden, eine konsequente Linie zu formulieren bzw. zu diskutieren, bedarfsweise auch gerne auf einer etwas abstrakteren Ebene, enden diese Elemente immer ähnlich, nämlich als eine auf Antworten verzichtende Auflistung von zuvor aufgeworfenen Fragen - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.


    Diesem Buch zugutehalten muss man seinen ansprechenden Duktus und den sehr gelungenen Spagat zwischen Wissenschafts- und Populärlektüre. Die negativen Aspekte jedoch überwiegen, vor allem das Nichterreichen des selbstgesetzten Ziels. Hier liegt nach meinem Ermessen ein konzeptioneller Fehler vor. Das Buch versucht etwas zu leisten, das auf diesem Raum nicht geleistet werden kann, und statt den Versuch aufzugeben, wird ein fades, populistisches Zwischenergebnis geliefert, das vielen Vorgängern sehr ähnelt. Wirklich zufrieden dürfte Precht bestenfalls mit dem Verkaufserfolg sein.


    Die oben genannte Zielgruppe wird möglicherweise dennoch ihren Nutzen ziehen können. Wenn dieses Buch hilft, dem Werteverlust und dem zum Volkssport mutierten, galoppierenden Tabubruch ein kleines bisschen entgegenzusteuern, indem Menschen, die sich zuvor solchen Gedanken nicht hingegeben haben, nunmehr Entscheidungen hinterfragen, wenigstens aber über sie nachzudenken, ist, der lächerlichen Ausstattung (Titelei und Umschlag) des Werkes zum Trotz, etwas erreicht worden. Alleine, diese Spekulation wird vermutlich nicht eintreffen. Denn eigentlich kann "Wer bin ich" nur entweder über- oder unterfordern. Laien sollten bei Richard Tarnas' "Idee und Leidenschaft" beginnen und sich anschließend Lektüre zu Einzelfragen zusammensuchen. Jene, die über philosophische (Grund-)Kenntnisse verfügen, greifen ohnehin zu anderen Büchern - und nur zu Precht, um zu erfahren, was der medienbeeinflusste Buchkäufer gerade liest.


    ASIN/ISBN: 3442311438

  • In Bad Mergentheim gibt es einen Philosphenweg. Ob es eine Nietzschestrasse gibt oder sonstige Philosophen sich in Straßennamen wieder finden, keine Ahnung.
    Ich habe das Buch von Precht so gelesen wie es im Untertitel angekündigt wird, als eine philosophische Reise.
    Die einzelnen Kapitel kann ich auch jetzt, nachdem ich das Buch ganz gelesen habe, immer mal wieder lesen.
    Wie auf einer Reise suche ich mir neugierig Stellen heraus. Lese sie und das reicht dann für heute.
    Der letzte Satz auf dem Umschlag innen:
    Eine aufregende Entdeckungsreise zu uns selbst: klug, humorvoll und unterhaltsam, das kann ich für mich bestätigen.


    Für alle die sich tiefer in die philosophische Materie einlesen wollen, hat Precht einen umfangreichen Anhang mit vielen Literaturhinweisen in diesem Buch zu.
    Mir hat es gefallen.

  • dieses buch habe ich nur angeblättert und dann weggelegt, weil ich wesentlich besseres, inzwischen schon etwas älteres, zum thema gelesen habe:



    kontra freier wille:

    ASIN/ISBN: 3608930388


    hält den ball wesentlich flacher:

    ASIN/ISBN: 0198515693



    pro freier wille:
    der englische originaltitel des folgenden lautet "the emperor's new mind", der deutsche titel ist eine frechheit, weil argumentiert wird, dass computer eben nicht denken, die KI in der gödel-falle hängen würde:

    ASIN/ISBN: 382741332X


    in der fortsetzung wird das gödel-argument deutlich ausgebaut, ebenso die hirnspekulation

    ASIN/ISBN: 0195106466

  • Zitat

    Original von Michael Höfler
    … weil argumentiert wird, dass computer eben nicht denken, …


    zu diesem Thema - eben das Computer nicht denken können - gibt es ein hervorragendes Buch, das schon etwas älter ist, aber antiquarisch (über booklooker oder amazon) immer noch zu bekommen:


    Theodore Roszak
    Der Verlust des Denkens
    Über die Mythen des Computer-Zeitalters


    ASIN/ISBN: 342603915X


    Plato und Descartes kommen in diesem Buch genau so zu Wort wie Minsky und Papert.


    Lesenswert in diesem Zusammenhang auch immer noch die Debatte zwischen Weizenbaum und Haefner


    Weizenbaum contra Haefner
    Sind Computer die besseren Menschen?
    herausgegeben von Michael Haller


    ASIN/ISBN: 3858422525


    und natürlich auch andere Sachen von Weizenbaum (obwohl es auch einiges flaches und nichtssagendes gibt). Im Buchhandel ist in einer Neuauflage erhältlich von:


    ASIN/ISBN: 3518278746


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann