Problem beim Plotten

  • Liebe 42er!


    Ich arbeite gerade an einem alten Romanprojekt, manche kennen den Anfang dieser Geschichte vielleicht noch aus einem vorjährigen BT. Da ich die gesamte Handlung neu durchplotte, bin ich beim Checken von Ablauffehlern auf ein Problem gestoßen. Eventuell muss ich deswegen den ganzen Plot umzustellen.
    Mein Ich-Erzähler verliert seine Lebensgefährtin durch einen tödlichen Unfall, der sich in Indien ereignet hat. Seinem sozialen Umfeld erzählt er nach der Rückkehr, sie hätten sich im Streit getrennt, die Freundin hätte einen Inder kennengelernt und würde mit ihm ein Restaurant in Goa betreiben. Kurze Zeit später wird der Prot in Österreich wegen eines Strafdelikts verhaftet und kommt ins Gefängnis. So weit, so gut.
    Mein Problem ist, dass die Geschichte in zwei zeitverschobenen Handlungssträngen verläuft. Während der Prot zwei Jahre im Gefängnis sitzt, erzählt er in Rückblicken aus dem gemeinsamen früheren Leben, wie sie einander kennenlernten, gemeinsam durch die Welt reisten, etc. Erst gegen Ende des Romans, kurz bevor sich die beiden Zeitstränge treffen, wird der Leser über den Tod der Freundin informiert.
    Meine Frage lautet: Ist es möglich, vielmehr glaubwürdig, diese Tatsache trotz aller emotionalen Innensichten des eingekerkerten Erzählers vor dem Leser geheimzuhalten? Den Prot nie darüber grübeln zu lassen? Schließlich weiß er es ja die ganze Zeit. Oder soll ich das gleich von Anfang an klarstellen, was einiges an Pepp kosten würde. Was meint ihr dazu?


    Lieben Gruß,
    Manuela :)

  • Zitat

    Original von Manuela K.

    Meine Frage lautet: Ist es möglich, vielmehr glaubwürdig, diese Tatsache trotz aller emotionalen Innensichten des eingekerkerten Erzählers vor dem Leser geheimzuhalten? Den Prot nie darüber grübeln zu lassen? Schließlich weiß er es ja die ganze Zeit. Oder soll ich das gleich von Anfang an klarstellen, was einiges an Pepp kosten würde. Was meint ihr dazu?


    Lieben Gruß,
    Manuela :)


    Ja, das ist m.E.möglich, den Tod der Freundin an das Ende der Geschichte zu legen. Ich finde das sogar ausgesprochen gut. Ob es glaubwürdig ist, hängt allerdings davon ab, wie du die ganze Geschichte entwickelst. Und es hängt natürlich auch von deinem Protagonisten ab. Ist es jemand, dem man das abkauft?


    Tatsächlich ist das "Verdrängen" von Erlebnissen, insbesondere solchen, in denen man einen Schuldanteil bei sich finden kann, eine von den Eigenschaften, die alle Menschen haben - die einen mehr und ausgeprägter, die anderen weniger und eher phasenweise.


    Ein gefangener Protagonist, der nicht ausweichen kann, wird in der Enge des Gefängnisses - trotz aller Kontakte mit anderen Gefangenen - immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen und kann irgendwann (bei dir am Ende des Romans) nicht mehr wegsehen.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Horst Dieter!


    Vielen Dank für deine rasche Stellungnahme, die mich einigermaßen erleichtert. Tatsächlich möchte ich versuchen, diesen inneren Blockierungseindruck darzustellen, den du ansprichst. Der gefühlskalt wirkende Prot wimmelt unangenehme Fragen der Mitgefangenen nach einer Freundin mit der oben erwähnten Beziehungslüge ab und lässt bei sich selbst keine gedankliche Aufarbeitung zu. Und natürlich trägt er, wenn auch indirekt, Mitschuld an ihrem Ableben. Mal sehen, ob mir das gelingt.


    Merci, nochmals,
    Manuela :)

  • Liebe Manuela,


    Da der Prot. in seiner Gefühls- und Gedankenwelt ähnlich über den Verlust der Freundin formulieren wird, kann es meines Erachtens gelingen, den Leser die ganze Zeit glauben zu lassen, dass mit diesem Verlust derjenige an den Indischen Rivalen, mit seiner Schuld diejenige innerhalb der Beziehung, gemeint ist, während der Prot. (damit auch völlig glaubwürdig) den Verlust durch den Tod und seine (Mit-)Schuld an ihrem Tod meint. Und dass er es nicht konkret ausspricht, wäre ja nicht ungewöhnlich. Wie Du und Horst-Dieter ja bereits in Richtung Blockierung argumentiert habt.


    Nur im Nachhinein muss für den Leser diejenigen Stellen, an denen er sich "geirrt" hat, noch immer schlüssig sein. Da solltest Du besondere Obacht geben.


    LG
    Cordula

  • Liebe Cordula!


    Vielen Dank auch für deine Hilfestellung. :)


    Zitat

    ... kann es meines Erachtens gelingen, den Leser die ganze Zeit glauben zu lassen, dass mit diesem Verlust derjenige an den Indischen Rivalen, mit seiner Schuld diejenige innerhalb der Beziehung, gemeint ist, während der Prot. (damit auch völlig glaubwürdig) den Verlust durch den Tod und seine (Mit-)Schuld an ihrem Tod meint.


    Genauso muss es ablaufen. Wie du richtig sagst, gilt es halt sehr aufzupassen, was ich ihn denken lasse, um den Leser nichts ahnen, oder im Nachhinein als unschlüsig empfinden zu lassen. Wird wohl ein sprachlicher Eiertanz werden, quasi eine Gratwanderung. Hoffentlich sind mir diese Schuhe nicht zu groß. 8o


    Lieben Gruß an Dich,
    Manuela :)

  • Zitat

    Original von Manuela K.
    Wie du richtig sagst, gilt es halt sehr aufzupassen, was ich ihn denken lasse, um den Leser nichts ahnen, oder im Nachhinein als unschlüsig empfinden zu lassen. Wird wohl ein sprachlicher Eiertanz werden, quasi eine Gratwanderung. Hoffentlich sind mir diese Schuhe nicht zu groß. 8o


    Hallo Manuela,


    ich schließe mich Horst-Dieters Einschätzung an. Kauft man es *diesem* Protagonisten ab? Und: Durch das Einsitzen im Gefängnis wird er immer wieder auf sich zurückgeworfen - weswegen es mir zusätzlich schwierig erscheint, deinen Plan durchzuziehen.


    Meiner Meinung nach ist es nicht nur schwierig, es so zu schreiben, dass der Leser keinerlei Verdacht schöpft. Als weiteren Punkt könnte ich mir vorstellen, dass mancher Leser am Ende vielleicht etwas verschnupft reagiert, wenn "die Wahrheit ans Licht kommt"? Stichwort "Unzuverlässiger Erzähler".


    Gruß,
    Petra

  • Hallo Petra!


    Merci, auch an Dich. :)
    Du hast Recht, wenn es gelingen sollte, wird mir das viel abverlangen. Trotz der aufbauenden Worte von HD und Cordula hab ich immer noch so meine Bedenken ob ich es zuwege bringe. Wär halt schön, wenn es gelänge. ;)
    Den Plot linear ablaufen zu lassen, erschiene mir zu fade. Zuerst Lovestory mit Drogenuntermalung, bis zum tödlichem Ende, hinterher zwei Jahre Gefängnis, das interessiert doch niemanden. 1000 Mal gelesen.
    Nur Lovestory, ohne Gefängnis? Ich glaube, das können andere besser.
    Auch gäbe es dann nur eine Entwicklungsrichtung der Figuren, in meinem Entwurf gibt es eine geistige Umkehr der überlebenden Figur. Nein, das gegenläufige Zopfmuster, die (doppelte) Entwicklungsgeschichte muss schon bleiben.


    Zitat

    Durch das Einsitzen im Gefängnis wird er immer wieder auf sich zurückgeworfen - weswegen es mir zusätzlich schwierig erscheint, deinen Plan durchzuziehen.


    Die gedankliche Blockade, das Ableben des Mädchens betreffend, muss von Anfang an klar sein. Der Leser muss zwar wissen, dass die Trennungsgeschichte nicht ganz stimmt, darf aber nicht vermuten,dass das Mädchen in Wahrheit gestorben ist. Sonst bin ich literarisch gescheitert.


    Lieben Gruß an Dich,
    Manuela :)

  • Zitat

    Original von Manuela K.


    Die gedankliche Blockade, das Ableben des Mädchens betreffend, muss von Anfang an klar sein. Der Leser muss zwar wissen, dass die Trennungsgeschichte nicht ganz stimmt, darf aber nicht vermuten,dass das Mädchen in Wahrheit gestorben ist. Sonst bin ich literarisch gescheitert.

    Manuela :)


    Das wohl kaum :)


    Du hast es dann nur nicht geschafft, ein bestimmtes Projekt so umzusetzen, wie du es dir vorstellst.


    Zu einem literarischen Scheitern gehört schon mehr.


    Freundliche Grüße


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • hallo manuela,


    ich bin ähnlicher meinung: es kommt darauf an, dass du sein verdrängen gut thematisierst. sowas kann sich sogar richtig gut lesen, spannung erzeugen, wenn es dir gelingt, anzudeuten, dass da was passiert ist, was er nicht preisgeben will. ist eine ziemliche gratwanderung, denn die überraschung sollte am ende dennoch da sein.


    viele grüße,
    michael

  • Schönbergs «Erwartung», auf den Text von Marie Pappenheim, vor knapp 100 Jahren uraufgeführt, ist auch ein Beispiel, das "so etwas" ganz wunderbar funktionieren kann. Dort irrt eine Frau durch den nächtlichen Wald, auf der Suche nach ihrem Liebhaber. Und während sie so herumirrt, stellt sich heraus, dass nicht nur im Staate Dänemark einiges faul ist, sondern auch in dieser Beziehung. Tja. Und dann findet die Frau den Lover - aber der ist tot. Und sie ist höchstwahrscheinlich die Täterin ... Davon hat sie uns am Anfang aber nun grad gar nix erzählt.


    Kurzfassung: Das kann hervorragend funktionieren. Nur zu!

  • Hallo Manuela,


    Ich habe seit gestern hin und her überlegt, ob ich dir schreiben bzw. einen Ratschlag geben soll. Einfach, weil ich nicht daran glaube, dass sich ein anderer Autor zu sehr in die Belange des anderen einmischen sollte. Ich kann schließlich überhaupt nicht beurteilen, wie fähig du im Schreiben von Romanen bist. Nun gut. Im Moment sehe ich zwei Probleme. Du schreibst in der "Ich Form" deine Hauptfigur ist ein Mann, du bist eine Frau. Ich habe neulich eine Kurzgeschichte von dir gelesen, die in dieser Konstellation funktioniert hat. Ich denke du schaffst das, hoffentlich findest du einen Verlag, der dir das ebenfalls abnimmt.


    Die zweite Frage, jene die du gestellt hast, ist die nach der Glaubwürdigkeit. Mich persönlich würde es reizen einmal so etwas zu lesen. Es ist ein Wagnis. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du nach vierzig fünfzig Seiten Schreiben ein Gespür dafür bekommen wirst, ob du die Figur optimal hinbekommen kannst. Mein schlichter Vorschlag: Schreib dich einfach warm, Freunde dich mit dem Protagonisten und der Geschichte an. Wenn du dir dann immer noch unsicher bist, lasse die ersten fünfzig Seiten gegenlesen.


    Liebe Grüsse


    Andreas

  • Hallo ihr Lieben!


    Vielen Dank für euer aller Mithilfe, ihr habt mir sehr geholfen. Ich war unsicher, ob sowas überhaupt funktionieren kann, ganz unabhängig davon, ob ich in der Lage sein werde, es auch zu erschreiben.
    Durch eure Stellungnahmen fühle ich mich in diesem Vorhaben bestärkt und werde es einfach mal versuchen; die ersten Kapitel stehen schon. ;)


    Michael

    Zitat

    sowas kann sich sogar richtig gut lesen, spannung erzeugen, wenn es dir gelingt, anzudeuten, dass da was passiert ist, was er nicht preisgeben will.


    Wenn nur das kann nicht wäre ... aber schön, dass du mein Vorhaben positiv siehst. Das macht Mut.


    Andreas

    Zitat

    Ich denke du schaffst das, hoffentlich findest du einen Verlag, der dir das ebenfalls abnimmt.


    Bevor der Roman nicht fertiggeschrieben und gegengelesen ist, würde ich mich an keinen Verlag wenden, doch muss ich Meilen gehen, bevor ich solches kann.
    Ich denke, im Falle eines Falles könnte das nur unter einem männlichen Pseudonym erscheinen. Das kauft (mir) doch sonst keiner. (ab). =)


    @blaustrumpf

    Zitat

    Kurzfassung: Das kann hervorragend funktionieren. Nur zu!


    Na dann, auf los geht's los.


    Lieben Gruß und vielen Dank,
    Manuela :)

  • Zitat

    Original von Manuela K.
    Meine Frage lautet: Ist es möglich, vielmehr glaubwürdig, diese Tatsache trotz aller emotionalen Innensichten des eingekerkerten Erzählers vor dem Leser geheimzuhalten? Den Prot nie darüber grübeln zu lassen? Schließlich weiß er es ja die ganze Zeit. Oder soll ich das gleich von Anfang an klarstellen, was einiges an Pepp kosten würde. Was meint ihr dazu?


    Warum schreibst Du es nicht in der personellen Form? Das würde Dir mehr Freiheiten im Schreiben geben, weil Du da auch andere Perspektiven reinnehmen kannst.
    Aber ich schließe mich den anderen an, natürlich kann das funktionieren. Nur zu also, viel Glück.


    Liebe Grüße
    Maren

  • Hi Maren!


    Ich hab tatsächlich schon mal probeweise die ersten beiden Kapitel in die 3.Person umgeschrieben. Aber ich möchte versuchen, maximale Authentizität rüberzubringen (Verkaufsargument?) und da ist die Ich-Perspektive wohl unschlagbar.


    Manuela :)

  • Liebe Manuela,


    ich würde bei einem vielschichtigen Plot die Karten von Anfang an offen hinlegen, einfach, um Verwirrung auf Seiten des Lesers zu vermeiden. Hast du allerdings einen klaren Plot (und davon gehe ich bei dir aus) würde ich allerdings auch Variante "Stochern im Nebel" auszuprobieren, einfach um zu sehen, wie das Ganze funktioniert.


    Warum probierst du nicht beides aus und stellst es Probelesern zur Verfügung?


    Ich sitze gerade in einer med. Reha und bin nicht besonders arbeitsfreudig, ansonsten wäre ich zu einer differenzierteren Aussage in der Lage (es handelt sich um eine schwierigere Krankheit namens Psychose, aber welcher nahmhafte Autor hatte noch nie eine psychotische Lebensphase gehabt...?)

  • Hallo Saskia!


    Vielen Dank für deine Stellungnahme. :)
    Ich habe jetzt die ersten Kapitel nach der Methode "Stochern im Nebel" fertiggeschrieben, sie befinden sich gerade in Gegenlesung. Mal sehen.
    Ich glaube, ich werde bei der ursprünglich geplanten Methode bleiben und meine Karten erst gegen Ende der Geschichte aufdecken. Ich hoffe, es klappt, viel Erfahrung im Romanschreiben habe ich nicht aufzuweisen, es soll mein Erstling werden.


    Zitat

    Ich sitze gerade in einer med. Reha und bin nicht besonders arbeitsfreudig, ansonsten wäre ich zu einer differenzierteren Aussage in der Lage (es handelt sich um eine schwierigere Krankheit namens Psychose, aber welcher nahmhafte Autor hatte noch nie eine psychotische Lebensphase gehabt...?)


    Dann drücke ich dir ganz fest die Daumen, dass du bald wieder Lust und Freude an der Schreibarbeit empfindest. Wird schon wieder!


    Alles Gute und ganz liebe Grüße,
    Manuela :)

  • Liebe Manuela,


    Zitat

    Dann drücke ich dir ganz fest die Daumen, dass du bald wieder Lust und Freude an der Schreibarbeit empfindest. Wird schon wieder!


    Danke für deine lieben Grüße. Ich hoffe auch, dass es bald wieder bergauf geht. Tja, im Moment ist eben Disziplin wichtig, dann kommt der Rest bald von selbst ins Reine. So einen "Aufprall" wie ich ihn erlebt habe verdaut man nicht nach einem, eineinhalb Jahren.


    Zitat

    viel Erfahrung im Romanschreiben habe ich nicht aufzuweisen


    Na, wenn du dennoch hier im Verein akzeptiert bist, ohne viel geübt zu haben, spricht das für dich und deine Texte. :D


    Schönen Tach noch,
    Saskia

  • Zitat

    Original von Saskia


    Na, wenn du dennoch hier im Verein akzeptiert bist, ohne viel geübt zu haben, spricht das für dich und deine Texte. :D


    Schönen Tach noch,
    Saskia


    Manuela ist (leider) nur hier im Forum aktiv und ja, sie ist sowohl akzeptiert für ihre Texte, die sie schon einige Male als BT zur Diskussion gestellt hat als auch für die konstruktive Kritik, die sie immer zu geben bereit ist


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


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    Emanuel von Bodmann