Die Fernsehserie 24

  • Schwierig wird Kritik dann, wann etwas spannend, unterhaltsam und gut gemacht ist, und TROTZDEM nicht gut geheißen werden kann. Die Fernsehserie 24 ist so ein Fall! Inzwischen sechs Staffeln zeugen unleugbar von Erfolg.


    Diese Serie erreicht ihr Publikum keineswegs nur auf konventionellem Wege über die Fernsehausstrahlung. In den Regalen der Supermärkte warten die kompletten sechs Staffeln auf ihre Käufer. Wer so eine DVD-Box mit nach Hause trägt, kann sich in aller Ruhe anschauen, wie Jack Bauer in Echtzeit innerhalb von 24 Stunden die Welt vor einem Terrorangriff rettet - ohne Werbeunterbrechungen und unabhängig von allen Sendezeiten.


    Das ist leicht zu konsumierende Serienware aus den USA, wie es sie zu Dutzenden zu kaufen und zu sehen gibt. Vielleicht schaut deshalb keiner mehr so genau hin, was da eigentlich über den Bildschirm flimmert. Aber ein zweiter Blick lohnt sich auf diese Serie, denn sie ist ein Skandal.


    Wie meistens bei Serien, ist die erste Staffel noch die Beste. Dort werden Thema und Machart festgelegt, um in den folgenden Staffeln nur noch variiert zu werden. Das ist nichts Schlimmes, es ist das Prinzip jeder Serie. Schlimm ist, wie im Verlauf der weiteren Staffeln eine schwierige Frage auf erschreckend einfache Weise beantwortet. Die Frage lautet: "Welche Maßnahmen des Staats sind gerechtfertig, um eine terroristische Bedrohung abzuwehren." Wenn die Antwort auf diese Frage differenziert ausfallen würde, dann wäre "24" eine gute Serie. Tatsächlich, da wo die Serienfiguren unter ihrem Dilemma leiden, hat die Serie ihre stärksten Momente.


    Der Protagonist Jack Bauer aber, und mit ihm die gesamte US-Fernsehnation, gibt die einfachste aller Antworten: "JEDE Maßnahme wird gerechtfertig." In der Folge befiehlt der Präsident, der als hochintegrierer und moralischer Mann dargestellt wird, Mord und Totschlag. In der Folge foltert Jack Bauer jeden, der ihm in die Hände fällt. Der muss noch nicht einmal ein böser Charakter sein: Solange er schweigt, wo Jack Bauer Reden für unbedingt nötig hält, wird gefoltert.


    Es heisst ganz einfach: "Wenn wir jetzt nicht diesen oder jenen Menschen opfern, wenn wir nicht den einen Foltern, um an die nötigen Informationen zu kommen, dann sterben in der Folge 10 000 unschuldige Menschen. Das Leid eines einzigen wird durch die Rettung vieler gerechtfertigt."


    Jack Bauer steht für dieses Prinzip, und er zieht es durch bis zur allerletzten Konsequenz. Aber nicht nur er, auch alle anderen Mitarbeiter in der Anti-Terror-Einheit CTU sehen das so, und sie überbieten sich gegenseitig in heldenhafter Pflichterfüllung. Pflichterfüllung ist hier, was in der Realität blanker Mord wäre. Auf das Gemetzel der Terroristen hin, wird einfach zurückgemetzelt.


    Es gibt Szenen, wo der Präsident der USA dabei gezeigt wird, wie er auf einem Monitor eine Folterung beobachtet. In einer anderen Szene geht es um Hotelgäste, die nachts ihr Hotel nicht mehr verlassen dürfen, weil ein tödlicher Virus in das Belüftungssystem gelangt ist. Eine Flüchtender wird ohne Zögern von einer CTU-Agentin in den Rücken geschossen. Er stirbt, verschwindet aus der Handlung und kein Hahn kräht mehr nach ihm. Als die Schützin mit angedeuteter Betroffenheit einem Kollegen erzählt, was sie getan hat, antwortet der natürlich: "Du hattest keine andere Wahl." In dieser Serie hat niemand eine andere Wahl. Als klar wird, dass das Virus unbedingt tödlich wirkt, werden an die Infizierten Selbstmordpillen verteilt. Wenn sie schon sterben müssen, dann sollen sie wenigstens dafür sorgen, dass es schnell und sauber vonstatten geht. Zynischer geht es kaum.


    Von einer pervertierten Moral zu reden, wäre eine Untertreibung. Die Handlung ist so konstruiert, dass der einzige Ausweg immer die Gewalt ist. Indem dem Zuschauer auf diese Weise ständig suggeriert wird, dass das Töten unvermeidlich ist, weicht die natürliche Abscheu irgendwann der Faszination, der Faszination des Abschlachtens.


    Am Ende willigen die Opfer selbst noch ein, und lassen sich wie Schafe auf die Schlachtbank geleiten. In einer besonders grausamen Sequenz in Staffel drei passiert das: Da soll Jack Bauer seinen eigenen Vorgesetzen erschiessen, weil es ihm vom Präsidenten befohlen wird. Der wiederum wird von einem Terroristen dazu erpresst, eben diesen Chef der CTU ermorden zu lassen. Also folgen alle der absurden Logik eines absurden Handlungskonstrukts: Jack Bauer erschiesst seinen eigenen Chef, dessen Angst deutlich gezeigt wird, nur weil der Terrorist damit gedroht hat, noch mehr Viren in die Atmosphäre zu blasen.


    Der Zuschauer darf die Grausamkeit, dank eines beruhigten Gewissens (Notstand!) bis zum letzten Auskosten. Erst fragt Jack Bauer den vor Angst schlotternden Vorgesetzten, ob er denn noch jemanden anrufen möchte, um sich zu verabschieden. Darauf gesteht der, er habe eigentlich von seinen Kollegen abgesehen, keine echten Freunde im Leben gehabt. Mit anderen Worten, er erklärt sein Leben selbst für unwert. Dann versucht er, sich selbst zu erschiessen, hat aber nicht den Mut, abzudrücken. Das alles macht Jack Bauer, der das Töten gewohnt ist, wenig aus. Er nimmt dem Häufchen Elend die Pistole ab, befiehlt ihm, niederzuknien, und erschiesst ihn von hinten. Bei der CTU geht das Tagesgeschäft anschließend weiter, als sei nichts geschehen. Man hat ja keine Zeit. Man muss ja Terroristen fangen.


    Das alles ist im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit zu bestaunen und in jedem Videogeschäft zu kaufen.


    Wer sich einmal auf "24" eingelassen hat, der hat mit Guantanamo kein Problem mehr. Mit vielem anderen auch nicht. Am Ende geht schließlich wieder mal alles gut aus, und die Terroristen sind alle tot. Viele andere auch. Jack Bauer jedenfalls jedes Mal nach genau 24 Stunden Terroristenhatz auf einem Leichenberg und ist doch ein Held. Das Gesicht des Schauspielers Kiefer Sutherland wirkt nicht grausam, eher sensibel. Umso schlimmer: Wenn "24" ein Symptom für den Zustand der amerikanischen Seele ist, dann wehe uns allen.


  • Danke ... ich schau öfters hier rein, alte Gewohnheit, nur zum Schreiben "langts" oft nicht mehr, wie der Schwabe sagt.

  • Zitat

    Original von lyrx

    Danke ... ich schau öfters hier rein, alte Gewohnheit, nur zum Schreiben "langts" oft nicht mehr, wie der Schwabe sagt.


    So lange du gelegentlich so schöne Rezis wie zu Fontanes Stechlin hier ablieferst, reichts zum Schreiben allemal noch ;-)


    Grüße aus Lauda


    Horst-Dieter

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    Emanuel von Bodmann


  • Ich habe das anfangs für Ironie gehalten, aber als dann deutlich wurde, dass die Botschaft tatsächlich (wie die Süddeutsche schrieb) "Nur ein Held, der sich selbst über das Gesetz stelle, könne die Gesetzlosen besiegen" lautet, habe ich abgeschaltet - trotz der durchaus bemerkenswerten Machart und der nicht eben geringen Spannung, die aufkommt. Und gerade deshalb wundere ich mich, dass Du, lieber lyrx, trotz Deiner offenbaren Aversion ganz augenscheinlich durchgehalten hast. ;)


    24 ist Propaganda übelster und zugleich edelster Art.

  • Zitat

    Original von Tom
    Und gerade deshalb wundere ich mich, dass Du, lieber lyrx, trotz Deiner offenbaren Aversion ganz augenscheinlich durchgehalten hast. ;)


    Durchgehalten hab ich nicht: In der dritten Staffel, wo Bauer seinen zitternden Chef hinrichtet, hab ich aufgehört. Da war für mich eine Grenze überschritten. Grausamkeit ist ja nicht nur da vorhanden, wo viel Blut fließt. Das kann auch subtiler sein, und trotzdem genau so widerlich.

  • Och, naja ... so rein offiziell hält sich die Heldenverehrung von Jack Bauer doch in deutlich überschaubaren Grenzen. Sicher, seine Arbeitskollegen hamm ein fast unanständiges Loyalitätsproblem ihrem Jacko gegenüber, is aber nich schlimm, sind mittlerweile fast alle kaputt.
    Das amerikanische Justizsystem jedenfalls verurteilt die Taten des Superagenten: zu Beginn der aktuellen Staffel musser sogar vor Gericht, der Jack. "Welt retten" tut er indeß äußerst selten und wenn, dann auch nur als sekundär bedeutsame Nebenwirkung seines Schaffens ... Amerika retten, das ist sein Ding.
    Also, die Vereinigten Staaten von Amerika retten. Die Amis hamm sich selber und dem Rest der Welt erfolgreich eingeredet, sie alleine seien Amerika am sein. Stimmt natürlich nich, auch der Kanadier ist Amerikaner, der Mexikaner, der Brasilianer, sogar der Grönländer. Jack Bauer hat NICHTS, aber auch GAR NICHTS für Grönland getan. "24" ist komplett Grönland-freies Territorium!
    Für mich einer der wirklich erschütternden Aspekte an der Serie.


    Es gibt Dinge auffer Welt, die sind einfach nich dazu gemacht, differenziert über Probleme zu philosophiern. Kein Mensch guckt sich beispielsweise "Transformers" an, um eine Film gewordene, hintergründige Abhandlung zum Thema Rassismus und intergalaktische Diplomatie zu erleben.
    Da gehts um PUFF! KRAWUMMS! PSÜPSÜ!


    Muß man nich mögen, aber auch nich überbewerten.
    "24" ist einfach eine Fernsehserie ... und zwar eine, bei der es am Ende einer jeden Folge einen Cliffhanger geben muß, um das Publikum bei Laune zu halten ... eine, bei der in "Echtzeit" erzählt wird und die gerade deshalb besonders reißerisch gehalten werden muß, da es sonst sehr schnell langweilig würde ... und eine, die in etwa so realistisch ist, wie jede andere Agenten-Freakshow auch.
    Oder will hier jemand ernsthaft behaupten, James Bond und Konsorten seien auch nur einen Hauch moralisch, dramaturgisch oder sonstwie hochwertiger am Rumballern dranne?

    3 Mal editiert, zuletzt von Alfredo Pussolini ()

  • Hallo Lyrx!


    Danke für die Vorstellung von "24". Ich kannte dieses Machwerk gar nicht, hab vermutlich auch nichts versäumt. Es ist die ekelhafte Propaganda, die mich an amerikanischen Serien, aber auch vielen US-Spielfilmen, am meisten abstößt. Kann mir diesen nationalistischen Schmarrn nicht mehr ankucken. Das permanente Hineinhämmern us-amerikanischer Wertvorstellungen in die Gehirne der Zuseher, Todesstrafe, Überwachungsstaat, Folter, Gottesfurcht, (eher Bigotterie) sind nur einige der Botschaften, die da vermittelt werden und mich einfach nur noch ankotzen. Sorry für die Deutlichkeit, aber ich mach aus meiner Seele keine Mördergrube.


    Lieben Gruß,
    Manuela :)

  • Hallo Manuela,


    deine Ansicht kann ich zwar teilweise nachvollziehen, muss dir aber auch widersprechen. Klar, 24 ist eine Serie, die eine zweifelhafte Propaganda unterstützt, aber es gibt auch genügend Serien, die fernab vom Helden-Pathos angesiedelt sind (mal davon abgesehen, dass ich zu den "24"-Guckern gehöre (allerdings erst ab Staffel 5), die Spannung und die Inszenierung ist kaum zu überbieten).
    Es gibt genügend amerikanische Serien, die von der Machart aber auch vom Inhalt edel sind. Kennst du "Six feet under", "Die Sopranos", "Damages", "Deadwood" oder "Lost"? Die Liste könnte man noch ins schier Endlose fortsetzen, denn es mangelt wirklich nicht an richtig guten US-Serien, die so einige deiner "Vorurteile" ausbügeln könnten.
    Da könnte sich das deutsche Fernsehen eine Scheibe von abschneiden ... ;)


    Viele Grüße,
    Damian

  • Also ich schaue "24" seit der ersten Folge und finde die Serie immer noch großartig. Zugegen die Qualität der Staffeln schwankt bisweilen, dennoch ist es immer eine gute und spannende Unterhaltung. Ich kenne keine andere Serie, bei der man so viel mitfiebern kann, wie bei "24".
    Natürlich wird gelegentlich ein bisschen Propaganda verbreitet, aber meiner Meinung nach bleibt es im überschaubaren Rahmen. Und viele Dinge in der Serie sind eindeutig politisch inkorrekt. Extreme Dinge fordern eben extreme Mittel.
    Ob "24" einem gefällt oder nicht, ist Geschmackssache, aber meiner Meinung nach sollte man über eine solche Serie nicht urteilen, ohne zumindest mehrere zusammenhängende Folgen gesehen zu haben.

  • Danke Fictionmaster,
    ich hab mich mit meinem Laptop schon in die Ecke gestellt und mich ganz klein gemacht, aber nun kann ich mich doch outen:
    mein Name ist Majka und ich gucke 24.


    Ich habe zwar nicht alle 7 Staffeln gesehen, muss aber gestehen schon mal Abends länger aufgeblieben zu sein, nur um Jack Bauer zu beobachten, wie er böse Machenschaften aufdeckte und manchmal recht grundlos um sich ballerte. :attn
    Hier zeigt sich der Amerikaner doch in seiner Lieblingsrolle: der Held, der mit der Waffe in der Hand gegen alle Widerstände ankämpft.
    Solche Nebensächlichkeiten wie reale Umstände oder ein realistisches Weltbild sind doch völlig sekundär. Darum geht es auch nicht, sondern einfach um eine etwas andere Art des Geschichtenerzählens
    Ich fand all die Folter und Erschiessungsszenen auch krass und überflüssig und habe dann regelmässig ausgeschaltet.
    Trotzdem hat mich die Machart der Serie fasziniert. Also werde ich weiter Dienstags vor dem TV sitzen und mich hinterher wundern, wer sich sowas ausgedacht hat.


    Übrigens, gab es dort zum ersten Mal in einer amerikanischen Serien einen schwarzen Präsidenten.

  • Hallo Majka,


    freut mich, dass du ebenfalls ein "24"-Jünger bist. Die Serie hat durchaus seinen Reiz. Auch wenn manches übertrieben ist, so werden doch interessante Geschichten - Katastrophenszenarien - erzählt. Gelangweilt habe ich mich bei Jack und seinen Ermittlungsmethoden bisher noch nie.


    Stimmt genau, in der Serie gab es zum ersten Mal einen schwarzen Präsidenten. Inzwischen ist aber selbst das ein alter Hut und bei "24" regiert eine Frau. Mal schauen, ob auch das zukunftsweisend sein wird... ;)