ASIN/ISBN: 9783492701167 |
Da sind sie also wieder, die Wesen, die Tolkien am eindrucksvollsten aus den alten nordischen und mitteleuropäischen Mythen herausgearbeitet hat: die Elben. Anders als die Zwerge hatten sie beim literarischen Schöpfer kaum Naturgeisterhaftes mehr und anders als die Orks fehlte ihnen jedes degenerative Moment. Nachdem es bereits einige Bände mit Abenteuern von Zwergen, Orks, Kobolden und Drachen gibt, konnte ein Buch über die Elben nicht mehr länger hinausgezögert werden. Und wer anders als Susanne Gerdom konnte das schreiben? Der Verlag wusste es nicht und ich hätte es auch nicht gewusst
Während die Elben bei Tolkien noch in diverse Stämme gegliedert sind, die alle ihre eigene Geschichte haben, gibt es in diesem Roman nur noch zwei Gruppierungen: die Goldnen (sozusagen die Offiziellen) und die Dunklen (die verbannten, verleugneten, unerwünschten). Gleich zu Beginn wird man damit konfrontiert, dass einer der „Goldnen“ mit den „Dunklen“ eine Verschwörung plant. Und dann passiert auch gleich ein Mord. Wer der Verschwörer ist, bleibt unklar (und es kann schon mal gesagt werden: das bleibt lange so). Im zweiten Kapitel werden die beiden Hauptpersonen, die Schwestern Iviidis (Goldene) und Rutaaura (Dunkle) eingeführt. Letztere ist auf der Suche nach Ihresgleichen (den anderen Dunklen, die es ja offiziell nicht geben darf) und die erstere möchte eigentlich nur in Ruhe mit ihrem Mann leben, ohne etwas mit der Elbenpolitik zu tun zu haben. Es stellt sich wenig später heraus, dass das nicht so einfach ist, denn ihr Vater ist Glautas, der „oberste Tentaii der Bewahrer“, so was wie ein Bundeskanzler der Elben. Ich hoffe, Susanne verzeiht mir den Vergleich, aber der Versuch, so eine Art Notstandssituation zu schaffen, hat mir dieses Bild gebracht. Immerhin wird ja auch eine gewisse Demokratie unter den Elben beschrieben, die beseitigt werden soll, damit die Monarchie wieder eingeführt werden kann.
Rutaaura bittet ihre Schwester, wieder in den Elbenpalast zurückzukehren und in den Archiven nach Hinweisen zu forschen, die Auskunft über die Herkunft und das Schicksal der Dunklen geben können. Und dann teilt sich auch schon die Handlung. Im Wechsel wird die Reise von Rutaaura mit ihren Freunden, einem Menschen (!) und einem Zwerg beschrieben und das, was in der Elbenmetropole passiert. Der Zwerg sorgt dann nochmals für eine Handlungsteilung. Dieser Wechsel zu verschiedenen Schauplätzen war schon immer ein gutes Mittel, Spannung aufzubauen und zu halten. Susanne gelingt das in ihrem Buch auch ausgesprochen gut, genau so, wie den Drahtzieher der Verschwörung lange im Dunklen zu halten und manches kleine Geheimnis nicht zu früh zu entdecken, etwa das einer der Begleiter von Rutaaura nicht nur ein Mensch ist und was es mit dem Zwerg Trurre Silberzunge auf sich hat, der auf den ersten hundert Seiten seine Axt nicht zeigt. Es gibt überhaupt wenig, was nicht irgendwie in der Handlung begründet liegt. Selbst das Ausbleiben der eingeschobenen Aufzeichnungen von Andronee Mondauge, die auf Seite 323 zum letzten Mal auftauchen (das Buch hat 479 Seiten), was ich zunächst für eine Nachlässigkeit der Autorin oder des Verlages auszumachen glaubte, ergibt sich schlüssig aus der weiteren Geschichte – ebenfalls wieder nicht zu früh.
Ohne mehr verraten zu wollen: Es hat Spaß gemacht, das Buch zu lesen und ich wüßte keinen Grund, anderen von der Lektüre abzuraten. Die Autorin hat die Elben von Tolkien korrekt übernommen, sie zugegeben etwas vereinfacht, aber eigenständig behandelt und herausgearbeitet. Sie klebt nicht am Vorbild und das macht die Lektüre einfach. Man weiß, was Elben sind, muss aber nicht ständig mit dem Vorbild vergleichen und das fällt schon im ersten Viertel des Buches angenehm auf. Auch die obligatorische Karte lässt sich nicht in die bekannte Tolkien-Geografie einordnen und das ist allemal ein Vorteil.
Lediglich die Reise von Trurre Silberzunge nach Kronberg, der Zwergenhauptstadt ist irgendwie unbefriedigend. Hier wird ein Handlungstrang aufgemacht, der nicht geschlossen wird. Mag sein, dass da ein Buch nachkommt (von Susanne oder einem anderen Autoren), aber innerhalb dieses Buches fehlt da eine schlüssige Auflösung. Auch das Rutaauras Begleiter Lluigolf auf der Reise im Sandigen Ozean einfach so aus der Handlung entfernt wird und gegen Ende nur noch einmal kurz Erwähnung findet, ist nicht ganz befriedigend. Da ist etwas nicht zu Ende gebracht, auch wenn es nur eine Nebenhandlung ist.
Elbenzorn ist ein Buch, in dem Frauen die Guten und Starken sind und Männer die Bösen. Zwar gibt es da auch die Bewahrerin Zinaavijas, die sich auf die Seite der Bösen geschlagen hat, aber so richtig Profil gewinnt sie in der Geschichte nicht. Zu einem starken Mann entwickelt sich Olkodan, der Gatte von Iviidis, das aber auch erst im letzten Drittel des Buches und immer noch deutlich unter dem Level, das die starken Frauen an den Tag legen. Lange wird suggeriert, dass er doch eher ein etwas einfacher Elbe ist, dem wichtige Fähigkeiten (scheinbar) fehlen. Die arbeitet erst Alvydas heraus, eine Art Gandalf unter den Elben, der von Anfang an geheimnisvoll daher kommt. Die Beziehung zu den Bäumen finde ich sehr gelungen, insbesondere die Fähigkeiten der Baumsinger, die aus Holz durch speziellen Gesang Gegenstände herausarbeiten können.
Alles was ich sonst noch an Kritik anzubringen hätte, hat mit dem Genre selbst zu tun und ist sehr persönlich gemünzt, gehört deshalb nicht hierher in die Rezension zu einem einzelnen Buch.
Ach ja: Das was der Verlag auf der U4 als Klappentext verfasst hat, entzieht sich jeder wohlwollenden Kritik und fällt in die Kategorie: Leser für Dumm verkaufen