Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

  • Als der 84-jährige Vater zwei Jahre nach dem Tod der Mutter eine knapp 50 Jahre jüngere Frau zu ehelichen gedenkt, begraben die Töchter Vera und Nadeshda ihren Streit um das schmale Muttererbe. Die vollbusige, aufgetakelte Valentina, in der Ukraine soeben geschieden, hat nach deren Meinung nicht das Liebes- und Lebensglück des Vaters zum Ziel, sondern eine bequeme Immigration, und außerdem umgehenden Wohlstand. Als sie kurz nacheinander einen schrottigen Rover, einen grünen Lada, einen ölenden Rolls Royce und schließlich einen braunen Gasherd kauft, scheinen sich die Befürchtungen zu bewahrheiten. Ein Kleinkrieg beginnt, bei dem Fotokopierer, in der Toshiba-Mikrowelle zubereitete Äpfel, dubiose Liebhaber, schlechte Anwälte, Detektive und nicht zuletzt ein vom Vater, der früher Ingenieur war, verfaßtes Buch über Traktoren ihre Rollen spielen.


    Marina Lewycka hat sich viel vorgenommen. Sie erzählt über ukrainische Migranten in England, solche, die zur Stalinzeit gekommen sind, und solche, die es jetzt versuchen. Sie erzählt die Geschichte eines Landes und einer Familie, thematisiert die fragwürdigen Versprechungen des Kapitalismus', den Gulag, vermeintliches Heldentum und jene fragile Bindung, die gemeinhin 'Familienbande' genannt wird. Leider verhebt sie sich bei all dem ziemlich, euphemistisch gesagt.


    Das Buch ist grausig geschrieben und nur selten witzig oder wirklich originell. Und auch die tragischen Momente gehen in selbstgerechten, aufgesetzten Dialogen unter. Der alte Vater ist in der Hauptsache ein seniler, hormongesteuerter Suppenkasper, dessen Zweitexistenz als Chronist der Traktorengeschichte unglaubwürdig wirkt. Die beiden Schwestern, eine davon Ich-Erzählerin, nerven. Und insgesamt gibt es in diesem Buch eigentlich keine Figur, die Nähe entwickelt oder gar Sympathien; das vorhersehbare Ende ist zwar konsequent, aber unbefriedigend. Der Roman wirkt wie eine bemühte, redlich mißlungene Mixtur aus 'Alles ist erleuchtet' und 'Sex and the City', bietet wenig Identifikation und eine Besetzung aus stereotypen Knallchargen. Warum es für den Booker Price nominiert wurde, ist mir ein Rätsel.


    ASIN/ISBN: 3423245573

  • Danke für deinen Verriss, Tom! Ich meine mich an positive Besprechungen erinnern zu können - wo war das nur? im Alzheimer Tagblatt vermutlich ... - und hatte schon vor, mal reinzuschauen und mir das Buch evtl zuzulegen!


    Alexander


    [Habe Tippfehler korrigiert.)

    Non quia difficilia sunt, multa non audemus, sed quia non audemus, multa difficilia sunt. Seneca
    [Nicht weil es schwierig ist, wagen wir vieles nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist vieles schwierig.]

    Einmal editiert, zuletzt von alexander ()

  • Peinlich
    Ein in Deutschland lebender Russe möchte im Alter von gut 80 eine 36jährige Ukraine ehelichen. Seine beiden Töchter versuchen dies vergeblich zu verhindern. Als die Beziehung nicht funktioniert, haben sie alle Hände voll zu tun, ihren Vater aus der Nummer wieder herauszubringen. Dies ist ein gutes Setting, das vor dem Hintergrund von 60 Jahren Familien- und Gesellschaftsgeschichte viel Stoff für Komik bietet würde.


    Was macht Marine Lewycka daraus? Die Charaktere leblose Schablonen: Die brotdumme Braut Valentina, der tittengeile Lustgreis und seine Töchter -- die naive Ich-Erzählerin Nadia und die zickige Klugscheißerin Vera. Die Geschichte dümpelt spannungsfrei von einem vorhersehbaren Klischee zum Nächsten. Dazwischen erfährt man Dinge wie, dass der Russe dem Ukrainer das Getreide vom Acker gegessen habe. Die Sprache ist nicht nur schlecht, sie ist auch wechselhaft wie die Launen eines echten russischen Machos. Die Dialoge könnten die von Einzellern sein und dazwischen gibt es haarsträubende logische und perspektivische Fehler. Bereits auf der ersten Seite befindet sich die schlimmste Metaphern, an die ich mich in gedruckter Form erinnern kann: "Wie eine flauschige rosa Granate schoss sie in unser Leben".


    Der ukrainische Traktor liest sich wie völlig laienhaft herunter geschrieben und mit einem Lektorats-Kraftakt in eine Form gebracht, die halbwegs druckbar erschien. Aber im Ernst: So etwas Unfertiges kann man nicht publizieren. Ich habe das Werk jedenfalls ins Altpapier gegeben.

  • Zitat

    Original von Michael Höfler
    … Aber im Ernst: So etwas Unfertiges kann man nicht publizieren. Ich habe das Werk jedenfalls ins Altpapier gegeben.


    Kann man nicht?


    Hat man doch - sonst hättest du es ja nicht dem Altpapier geben können


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • hallo horst-dieter,

    Zitat

    Original von Horst Dieter
    Kann man nicht?


    Hat man doch - sonst hättest du es ja nicht dem Altpapier geben können


    dieses "kann" ist ein stilmittel mir nicht bekannten namens. man kann auch ein auto essen. einer hat's getan und es ist ihm nicht bekommen.


    kulinarische grüße,
    michael

  • Zitat

    Original von Michael Höfler

    dieses "kann" ist ein stilmittel mir nicht bekannten namens. man kann auch ein auto essen. einer hat's getan und es ist ihm nicht bekommen.


    kulinarische grüße,
    michael


    Ich hatte vergessen, dass du noch ein Manuskript über kulinarische Angewohnheiten in der Schublade hast :P


    appetitliche Grüße


    Horst-Dieter

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    ASIN/ISBN: 3831335559


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