John Katzenbach: "Die Anstalt"

  • Weil Francis Xavier Petrel Stimmen in seinem Kopf hört, die ihn zuweilen in lautstarke Diskussionen verstricken, leider aber auch eine gewaltsame Attacke gegen seine Familie auslösen, kommt er in „die Anstalt“, eine psychiatrische Klinik in Neuengland. Die Haupthandlung spielt in den Siebzigern, zu einem Zeitpunkt also, als man „Irre“ noch wegschloß, unter Dauermedikation setzte und nur halbherzige Therapieversuche unternahm. Doch erstens ist Franics sehr intelligent, zweitens findet er rasch Freunde in der Anstalt, und drittens gibt es da diesen Mord, offenbar Tat eines Serienmörders. Als eine junge, hübsche Staatsanwältin in die Klinik einzieht, um vor Ort nach dem Täter zu suchen, werden Francis und sein Kumpel Peter, ein ehemaliger Feuerwehrmann, der eine Kirche abgefackelt hat, zu ihren Rekruten. Das Trio sieht sich allerdings nicht nur mit dem vermeintlichen Mörder konfrontiert, sondern auch mit den Anstaltsärzten, die die Untersuchung mit allen Mitteln boykottieren.


    Petrel, genannt „C-Bird“, erzählt die Geschichte in der Jetztzeit, mehr als zwanzig Jahre später. Er wohnt in einem Ein-Zimmer-Appartment, ist immer noch unter Medikamenten. Beim Aufschreiben der Ereignisse von damals, per Bleistift an die Wände seines Appartments, verwischen Realität und Vergangenheit mehr und mehr, zumal Francis vergißt, seine Medikamente zu nehmen.


    Dieses Buch ist mir von Freunden empfohlen worden, deren Urteil in Bezug auf Literatur ich sehr schätze, aber hier lagen sie daneben. Die Handlung ist wirklich hanebüchen, die Figuren sind stereotyp, die Abläufe sind klischeehaft, vieles ist unglaublich unlogisch oder einfach nur unglaublich. Ein Karo-einfach-Thriller mit vorhersehbarem Showdown, der vermeintlich einfühlsam in die Welt der Geisteskranken eintaucht, sich aber an keiner Stelle wirklich von der Oberfläche entfernt. Prädikat leichte Strandlektüre.


    ASIN/ISBN: 3426629836

  • Zitat

    Original von Tom
    ... Die Haupthandlung spielt in den Siebzigern, zu einem Zeitpunkt also, als man „Irre“ noch wegschloß, unter Dauermedikation setzte und nur halbherzige Therapieversuche unternahm. D...


    Macht man das heute nicht mehr? Sind die Therapieversuche alle ganzherzig?


    Ich bitte um ein paar Informationen.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Hors-Dieter


    Nee, so "ganzherzig" werden wohl nicht alle Therapieversuche sein. Aber sie sind anders. Oft versucht man heute, die zu Therapierenden, wenn sie nicht gerade in einer absolut akuten Phase sind, "ambulant" zu therapieren, d.h. ihr "normales" Leben zu begleiten und weiteren Ausbrüchen vorzubeugen. Dafür gibt es viele Einrichtungen. Im Prinzip geht man davon aus, dass die meisten, auch oft akut therapiebedürftigen zwischen den "Phasen" eine Zeit haben, in der sie halbwegs normal leben können. Und das stimmt auch. Das Problem ist wohl die, die weniger normal leben können, von denen, die es mehr könen, zu trennen.


    Grüße,
    Karen

    Fiction has to be realistic, unlike real life.
    Ian Rankin

  • Hallo, Horst Dieter.


    Alles, was mit der Behandlung (von "Heilung" sprechen nur wenige) von psychischen Erkrankungen zu tun hat, befindet sich genaugenommen noch in den Kinderschuhen. Der Erkenntnispegel ist überaus gering. Aber in den letzten zwanzig Jahren hat sich das Bild vom (psychisch, aber nicht nur) kranken Menschen geändert. Vor einem Vierteljahrhundert war ein Irrer ein Irrer, im Sinne des Wortes, heute ist er ein Mensch mit einem dezidierten (tatsächlich aber in Veränderung befindlichen) Krankheitsbild. Es geht nicht mehr darum, die Gesellschaft vor dem Kranken zu schützen, sondern ggf. sogar um das Gegenteil davon.

  • Und vieles von dem, was als "Verbesserung" der Lebensbedingungen dieser Kranken deklariert wurde, bekam dieses Mäntelchen umgehängt, damit nicht so auffiel, dass schlicht monetäre Gründe dahinter standen:


    Eine Betreuung in einer Wohngemeinschaft ist erst einmal billiger als in einer Anstalt. Dass diese Art des Lebens für viele - gerade auch langjährig bereits in diesen Anstalten untergebrachte - knapp am Rande der Überforderung entlangschrammt, ist dabei einkalkuliert.

  • Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Horst Dieter.


    Alles, was mit der Behandlung (von "Heilung" sprechen nur wenige) von psychischen Erkrankungen zu tun hat, befindet sich genaugenommen noch in den Kinderschuhen. Der Erkenntnispegel ist überaus gering. Aber in den letzten zwanzig Jahren hat sich das Bild vom (psychisch, aber nicht nur) kranken Menschen geändert. Vor einem Vierteljahrhundert war ein Irrer ein Irrer, im Sinne des Wortes, heute ist er ein Mensch mit einem dezidierten (tatsächlich aber in Veränderung befindlichen) Krankheitsbild. Es geht nicht mehr darum, die Gesellschaft vor dem Kranken zu schützen, sondern ggf. sogar um das Gegenteil davon.


    Hallo Tom,


    schön, dass du das so siehst. Ich will auch gerne glauben, dass dieser "Sinneswandel" offiziell so gelehrt wird und auch versucht wird zu leben. Persönliche Erfahrungen haben mir ein anderes Bild gezeigt. Etwa der Besuch in einer süddeutschen Klinik, um mit dem Arzt zu besprechen, ob eine zwangsweise eingelieferte Person aus dem engeren Verwandtenkreis dort bleiben soll oder nicht (Originalton des Arztes: Wir geben ihr halt Medikamente. Wir wissen nicht, wie die funktionieren, aber manchmal klappt es). Andere Beobachtungen und Gespräche mit Fachleuten kommen hinzu. Das hat bei mir zu einem negativen Realismus geführt.


    Aber es stimmt schon - ich habe auch andere Wahrnehmungen und sicherlich haben wir eine bessere Situation als, wie du sagst, vor einem Vierteljahrhundert.


    Wieder etwas optimistischere Grüße


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo, Horst Dieter.


    Wie gesagt, die Psychiatrie fischt noch immer weitgehend im Trüben, aber es ging mir bei der Besprechung dieses Buches, das, wie ich schrub, auch weitgehend an der Oberfläche bleibt, nicht darum, eine Diskussion über die neuere Geschichte der Psychiatrie anzuzetteln (tatsächlich habe ich versucht, die Sicht des Buches wiederzugeben). Dazu ist mein Kenntnisstand zu gering, obwohl ich einige Bücher gelesen habe, die damit zu tun haben, und meine Frau in diesem Bereich tätig ist.


    Im Rahmen der Lektüre des wunderbaren "Ich und die anderen" (Set this house in order) von Matt Ruff (zwischen diesem Buch und dem hier besprochenen liegen Welten) habe ich mich ein wenig mit der sog. dissoziativen Persönlichkeitsstörung, gemeinhin als "multiple Persönlichkeit" bekannt, auseinandergesetzt. Das Krankheitsbild wurde in den Neunzigern sehr häufig, fast inflationär diagnostiziert, was eine Welle von Klagen ausgelöst hat. Inzwischen ist man in der Fachwelt unsicher, ob es das Krankheitsbild überhaupt gibt, was übrigens - tata! - auch für die Schizophrenie gilt. Aber das ist ein weites Feld, und ich bin nicht einmal Laienbauer.