Stell Dir vor: Du bist Journalist und hast einfach keine Ahnung

  • Liebe Freunde,


    1. Der Spiegel - Die BUNTE für den Sozialkundelehrer mit Gesamtschulabitur


    der Spiegel verliert seit Jahrzehnten an Qualität. Der Wirtschaftsteil kann sich mit den Wirtschaftsseiten seriöser Magazine (allen voran der Economist) nicht im entfernstesten messen.


    Das Feuilleton war immer eine Quatschbude wechselnder Schreiber, die witzig und beschwingt sein wollten, dieses Ziel nie erreichten und stattdessen ihre Artikel dem Zeitgeist (oder was sie dafür hielten) anbiederten. Gute Literatur haben sie selten erkannt.


    Die progonistoschen Fähigkeiten, die der Redaktion im Wirtschaftsteil abgehen, fehlen in der Außenpolitik genauso. Bleibt also die Innenpolitik. Das war viele Jahre die Domäne des Spiegel. Der Spiegel hat Barschel zu Fall gebracht. Er hat aufgedeckt, dass Weizsäcker als Justiziar von Boehringer sich weniger weise und staatsmännisch gegeben hat, denn als Bundespräsident. Das sind echte Leistungen, und und dafür muß man dem Spiegel dankbar sein.


    Sonst aber bleibt kaum was. Peinlich, dass der Promi- und Klatschteil und der Sportteil immer länger werden. Den Economist gibt es seit 160 Jahren - und er hat weder einen Sport- noch einen Klatschteil. So sollte es sein. Das, was der Spiegel einmal sein wollte, ein Nachrichtenmagazin nach angelsächsischem Vorbild, ist er nie geworden. Nun ist er auf dem Weg zur Bunten; und genau da gehört er auch hin.


    2. Heine hätte auch ohne den Spiegel seinen 150. Todestag überlebt


    Zitat

    Ohne den Meister der Ironie gäbe es kein Feuilleton, keine Harald-Schmidt-Show. Eine literarische Safari durch Heines Welt.


    Ja, Heini ist ironisch, aber nicht immer. Die HS-Show gäb's natürlich auch ohne Heine. Und die versprochene Safari ist nichts anderes als ein Besuch bei der traurigen Tierschau eines kleinen Wanderzirkus in Geldnöten. Eigentlich ist es nicht einmal Tiersshow, sondern eine kleine Geisterbahn, die Malzahn hier für den Leser veranstaltet.


    Zitat

    Eine schwere Büste wacht über dem weißen Marmorgrab.


    Nein, sie wacht nicht über dem, sondern über das Grab. Dativ mit Akkusativ verwechselt; grundsätzlich eine Todsünde; aber gut, der Malzahn ist ja Journalist.


    Zitat

    Vor der Gruft stehen, in intellektueller Habachtstellung, deutsche Besucher, meist ältere Herren mit Suhrkamp-Bändchen in der Anzugtasche.


    Nein, sie stehen da mit Insel-Taschenbüchern, da Suhrkamp Heine nie verlegt hat. Aber gut, Insel ist ja Teil des Suhrkampverlages. Noch befriedigend!


    Zitat

    Von weitem glänzt mancher Vers wie Schmalz in der Sonne.


    Die schlechteste Metapther des Jahres; aber das Jahr ist noch jung und Malzahn wird noch mehr schreiben, denn er lebt ja davon. Also freuen wir uns auf die nächsten Meptaphern.


    Zitat

    Denn das Wichtigste ist seit Jahren gesagt, es steht alles in Marcel Reich-Ranickis schmalem Bändchen "Der Fall Heine".


    So ist es! MRR hat das Wichtigste zu allen Dichtern aller Sprachen und Zeiten gesagt. Und es steht alles immer in schmalen Bändchen, denn die Wahrheit ist nicht lang.


    Zitat

    Theodor Adorno hat 1956, elf Jahre nach Auschwitz, von der "Wunde Heine" gesprochen.


    Wenn einer selber nicht denken kann, dann läßt er eben andere für sich denken. Und wenn einer die anderen nicht einschätzen kann, dann holt er sich die besten Namen, die es gibt. Name Dropping eben. Und Adorno hatte ja zu allem was zu sagen. Genauso wie Adorno macht sich auch Auschwitz in jedem Artikel gut; das verleiht dem Inhalt Tiefe, Ernst und Würde.


    Zitat

    Aber ist Heine deshalb jetzt auch in Deutschland zu Hause?


    Das ist die falsche Frage. Die richtige wäre: War er je in Deutschland zu Hause? Aber das stand nicht bei Adorno und MRR.


    Zitat

    Aber wird Heine heute noch aufrichtig geliebt?


    Doch, doch, beim Spiegel. Und die Nölsusen vom LitQuat haben ihm ja auch eine telegene Stunde gewidmet. Doch, doch, er wird noch geliebt!

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    1. Der Spiegel - Die BUNTE für den Sozialkundelehrer mit Gesamtschulabitur


    Mag sein, aber auch die BILD für den Juristen. Und ich sehe auch viele Diplom-Kaufleute mit diesem Blatt herumlaufen. ;)

  • ... igittigitt, sozialkundelehrer und juristen *schüttel* - na hauptsache dass keiner von uns hier dieses schundblattl liest!


    *pfui & weg mit den fingern*andrea

  • Zitat

    Original von Iris


    Mag sein, aber auch die BILD für den Juristen. Und ich sehe auch viele Diplom-Kaufleute mit diesem Blatt herumlaufen. ;)


    Völlig richtig! Auch ich habe ihn Jahre, ach was: Jahrzehnte gelesen. Man muss erst lieben, um später zu hassen.


    In Beijing gab es ihn immer nur im Freundschaftshotel oder im Freundschaftsladen, nicht weit vom Botschaftsviertel und auch nur 15 km von meiner Universität. Es ist schön, im Januar 15 km hin und 15 km wieder zurück durch Beijing zu radeln.


    Man trifft viele Chinesen, ebenfalls auf Rädern, man kommt an drei oder vier großen Tempeln vorbei, jeder davon sehenswert; und man kann durch kleine Gassen rund um die Verbotene Stadt fahren, dann anhalten und im Stehen dampfende Jiaozi (eine Art chin. Ravioli mit Gemüsehackfüllung) mit ganz viel Sojasosse essen, mit dem Chinesen neben sich reden (Ni hao ma? Wo hen hao. Ni shuode Zhong Wen zamma hao) und dann irgendwann durch den staubenden Schnee weiterfahren.


    Und zur Belohnung gibt es dann den Spiegel. Oder leider nicht: Zensiert, ausverkauft, diese Woche nicht gekommen. Also wieder auf Rad, Handschuhe an und an dem riesigen alten Haus vorbei, in dem die Witwe von Sun Yatsen lebte, und sich dabei gedacht: Hier hättest du leben mögen, 1912, Botschaftsattaché und ein "von" vor dem Namen ("Thomas Ritter von Niedermayer", bayerischer Generalkonsul). Jedoch 1987, kein von, auch keines in Sicht, kein Attaché, zurück ins Studentenheim, ach: heute kein heißes Wasser, nochmal Jiaozi, heißer Tee, um neun ins Bett, von der kleinen Huije geträumt. Nächstes Wochenende gibt' s ja wieder einen Spiegel. Vielleicht.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Ni hao ma? Wo hen hao. Ni shuode Zhong Wen zamma hao


    Was bedeutet das? :wow So was wie: "Gibt 's hier keine Zeitung?" "Nein, hier gibt 's keine Brötchen. Keine Zeitungen gibt 's da vorn."

  • Chinesen sprechen gerne in festen Formeln. Das hier bedeutet:


    Guten Tag! Guten Tag! Du sprichst ja so gut Chinesisch.


    Wenn eine Langnase (das sind wir) oder ein Laowai (etwas abfällige Bezeichnung für Nicht-Chinesen) auch nur ein bißchen Chinesisch spricht, dann dann sagen die meisten Chinesen sofort: Du sprichst aber sehr gut Chinesisch.


    Das sagen sie natürlich nur, weil sie im Grund ihres Herzens gar nicht glauben, dass ein Ausländer überhaupt Chinesisch lernen kann.


    Den besten Witz dazu habe ich von einem Amerikaner gehört; Jahre später habe ich ihn dann auch in einem Buch über China gelesen:


    Der amerikanische Botschafter in China und sein (amerikanischer) Dolmetscher fahren zu den Ming-Gräbern. Irgendwo hinter dem Sommerpalast verfahren sie sich. Beide steigen aus. Der Dolmetscher fragt zwei Chinesen am Feldrain nach dem Weg. Die Chinesen sagen nichts. Der Dolmetscher fragt nochmal, und wieder sagen die Chinesen nichts.


    Da drehen Botschafter und Dolmetscher sich um und gehen zum Auto zurück. Genau in dem Moment, als der Dolmetscher ins Auto einsteigen will, hört er, wie der eine Chinese zum anderen sagt: Also, wenn ich nicht genau wüßte, dass die Fremden uns nicht verstehen, dann hätte geschworen, dass die eine Langnase zu uns gesagt hat: Ist das der Weg zu den Ming-Gräbern?

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Chinesen sprechen gerne in festen Formeln.
    <...>
    Das sagen sie natürlich nur, weil sie im Grund ihres Herzens gar nicht glauben, dass ein Ausländer überhaupt Chinesisch lernen kann.


    Die Chinesen müßten sich hervorragend mit den Bayern verstehen, speziell den Altmünchnern, die ähnliche Überzeugungen hegen. Dazu folgende, in vielen Varianten überlieferte Geschichte:


    Ein Nordlicht hat sich auf der Suche nach dem Augustinerbräu in der Münchner Innenstadt verlaufen. Irgendwo in der Sendlinger Straße spricht er zwei Männer an, die er aufgrund ihrer stadtmünchnerischen Tracht für Einheimische hält, und fragt höflich nach dem Weg -- auf Hochdeutsch, versteht sich. Als sich die beiden begamsbarteten Trachtträger nur verstänsnislos anschauen, wiederholt er seine Frage auf Englisch. Auf Französisch. Auf Italienisch. Auf Japanisch. Aber er erntet nur Achselzucken.
    Als er schließlich resigniert davon geht, sagt der eine Gamsbartträger zum anderesn: "Meiii, host des g'heert, wia vui Fremdsprachn wo der kenna hat?"
    Darauf der andere, wiederum achselzuckend: "Jo mei, un wos hot 's eam g'huifa?"

  • Nun ist also Heines 150. Todestag auch schon wieder vorbei. Das ist das Schöne an Jubiläen: dass sie auch wieder vorüber gehen.


    In Wirklichkeit interessiert sich keine alte Sau mehr für Heine - auch der Spiegel nicht, und das Fernsehen schon gar nicht. Aber sich gar nicht um Heine kümmern, das können sie auch nicht, denn das würde ein Loch in die Fassade der immer noch mühsam aufrecht erhaltenen Bildungsbürgerlichkeit reißen. Also müssen die postmenopausalen Kultur-Mösen, die in Punkto Bildung schon lange staubtrocken liegen, nochmal kurz anmenstruieren und so tun, als würden sie den geistigen Eisprung nur einmal noch versuchen wollen.


    Was bei so einem widernatürlichen Akt herauskommt, das steht in dieser Perle des deutschen Journalismus; diesmal nicht von Raffzahn, sondern dem Kollegen Penner:


    [URL=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,399005,00.html]Never mind, just do it again![/URL]


    Wenn man den Spiegel über das lit. Quartett liest, dann ist das so, als würde eine alte Hure einer jungen etwas von der wahren Liebe erzählen wollen, und ihr doch nichts anderes sagen, als dass das Hurenleben daraus besteht, sich jedem Mann hinzugeben, ganz egal was er denkt, wie er riecht oder aussieht, Hauptsache er zahlt. Und das ist exakt die Definition der Welt des Spiegel und des lit. Quartetts. Aber da das die älteste Philosophie der Welt ist, ist man in bester Gesellschaft - und das ist viel wert.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Also müssen die postmenopausalen Kultur-Mösen, die in Punkto Bildung schon lange staubtrocken liegen, nochmal kurz anmenstruieren und so tun, als würden sie den geistigen Eisprung nur einmal noch versuchen wollen.


    So rum liest sich's doch noch netter:
    Also müssen die postpotenten Kultur-Schwänze, die in Punkto Bildung schon lange keinen mehr hoch kriegen, erst Viagra schlucken, dann kurz anwichsen und so tun, als würden sie den geistigen Samenerguss nur einmal noch versuchen wollen.

  • Zitat

    Original von Ingrid
    So rum liest's sichs doch noch netter, nicht?:
    Also müssen die postpotenten Kultur-Schwänze, die in Punkto Bildung schon lange keinen mehr hoch kriegen, erst Viagra schlucken, dann kurz anwichsen und so tun, als würden sie den geistigen Samenerguss nur einmal noch versuchen wollen.


    Liebe Ingrid,


    Das ist ganz sicher die politisch korrekte Variante. Respekt! Ich freue mich, dass Du dich durch meinen - allzu unpoetischen Vorwurf, ich gestehe es - zu so einem Höhenflug inspirieren liessest. Die Mäeutik scheint mir im Blut zu liegen, und da bin ich wirklich in bester Gesellschaft - denken wir nur an Sokrates.


    Nur finde ich die Metaphorik des Eisprungs viel schöner (und, wir reden ja von einem kreativen Vorgang, auch viel passender) als den Vergleich mit dem doch eher banalen Samenerguss.


    Ich freue mich wie immer über Deine netten und kurzweiligen Kommentare zu meinen - seien wir ehrlich: eher drittklassigen Beiträgen -, die durch Dich eine Veredelung erfahren, die ihnen eigentlich gar nicht zusteht.


    Ich danke, wie schon in der Vergangenheit, und lege Dir wieder einmal - zumindest virtuell - mein Herz zu Füssen! :blume


    Did you ever dance with the devil
    in the pale moonlight.
    And if you did, how did it feel?
    Was it allright?


    And if it was,
    did you waltz across that ballroom
    with flickering candles
    and all the eyes filled with gloom?

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    zu so einem Höhenflug inspirieren liessest.

    Nun, was dem einen Adlersschwingen, sind der anderen mindere Sphären.


    Zitat

    Die Mäeutik scheint mir im Blut zu liegen,

    Und die Hybris scheint dir auch nicht fremd, aber auch da findest du dich natürlich in bester Gesellschaft.


    Zitat

    Nur finde ich die Metaphorik des Eisprungs viel schöner (und, wir reden ja von einem kreativen Vorgang, auch viel passender) als den Vergleich mit dem doch eher banalen Samenerguss.

    Dass es sich bei deinem Beitrag um höhere Metaphorik handelte, konntest du gut verbergen, Kompliment.


    Zitat

    Ich freue mich wie immer über Deine netten und kurzweiligen Kommentare

    Die Freude ist ganz meinerseits - es ist doch immer wieder erbaulich, sich an den uralten Themen der Menschheit, die wir Halbgebildeten eigentlich ausgerottet dachten, aufreiben zu können.

  • Zitat

    Original von Ingrid



    Also müssen die postpotenten Kultur-Schwänze, die in Punkto Bildung schon lange keinen mehr hoch kriegen, erst Viagra schlucken, dann kurz anwichsen und so tun, als würden sie den geistigen Samenerguss nur einmal noch versuchen wollen.



    :dumm Ähh...Hallo? 8o
    Hier lesen Menschen unter 30 mit... :baby

  • Zitat

    Original von Sarah
    :dumm Ähh...Hallo? 8o
    Hier lesen Menschen unter 30 mit... :baby


    Sarah... was können andere dafür, dass du so jung bist und als Frau allgemeinen Untersuchungen zufolge unter 30 gar nicht richtig mitreden kannst....? :achsel :D

  • Zitat

    Original von Ansgar


    Sarah... was können andere dafür, dass du so jung bist und als Frau allgemeinen Untersuchungen zufolge unter 30 gar nicht richtig mitreden kannst....? :achsel :D


    Allgemeinen Untersuchungen zufolge bin ich, als Angehörige der weiblichen Mitstreiter hier, geistig weiter entwickelt als...nun ja, so mancher Mann...


    Und selbst wenn ich nicht mitreden könnte, ich mache es trotzdem :sulk


    :P

  • Hallo Sarah

    Zitat

    Original von Sarah
    :dumm Ähh...Hallo? 8o
    Hier lesen Menschen unter 30 mit... :baby


    Etwas spät eine Antwort:
    Hier lesen v.a. auch Frauen und sonstige Menschenfreunde mit, und wenn ein gewisses Maß an Misogynie überschritten ist, muss ich einfach ein paar Dinge klar stellen. Und meine Erfahrung ist: am besten gibt man mit gleicher Münze zurück, grade wenn's um frauenfeindliche Äußerungen geht.
    Ansonsten neige ich nicht zu diesem Vokabular :)

  • Hallo Ingrid,


    die Äußerung war auch weniger auf Dich bezogen...
    Ich habe diesen Thread ja verfolgt und da war klar, dass der Anstoß zu einer derartigen Wortwahl nicht unbedingt von Dir ausging ;)


    LG Sarah

  • Zitat

    Original von Ingrid
    Hier lesen v.a. auch Frauen und sonstige Menschenfreunde mit, und wenn ein gewisses Maß an Misogynie überschritten ist, muss ich einfach ein paar Dinge klar stellen. Und meine Erfahrung ist: am besten gibt man mit gleicher Münze zurück, grade wenn's um frauenfeindliche Äußerungen geht.
    Ansonsten neige ich nicht zu diesem Vokabular :)


    Der eigene Heiligenschein leuchtet heute wieder besonders hell - gell? Das ist ja eines der ältesten Prinzipien der Kirchen, aber auch vieler anderer Religionen: Heilig sind nicht die, die Gutes tun, sondern die, die sich gut fühlen. Ich sehe, Du fühlst Dich gut! Das ist ja auch schon was! :blume