Arthur Schnitzler, 1862-1931, assimilierter Jude, Arzt, Erzähler, Romancier und Dramatiker, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Sehr gut ist die rororo-Monographie von Hartmut Scheible:
ASIN/ISBN: 3499502356 |
Dass er nie den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, zeigt vor allem eines: die flagrante Unfähigkeit der Schweden, zwischen guter und einfach nur angesagter Literatur zu unterscheiden.
Schnitzler hat einige sehr gute Dramen und einige der besten Novellen der Weltliteratur geschrieben. In der Novellle "Leutnant Gustl" (später auch nochmal in Fräulein Else) hat er den inneren Molonog, also eine wirklich neue Erzählperspektive, praktisch erfunden.
Seine Traumnovelle (1925) war die literatische Vorlage für Kubricks letzten Film Eyes Wide Shut mit N. Kidman und T. Cruise. Die Traumnovelle ist eine der erotischten und geheimnisvollsten Erzählungen der Weltliteratur überhaupt.
Inhalt: Wien kurz vor dem ersten Weltkrieg. Fridolin, 35, praktischer Arzt, aufopfernde Gattin, fünfjährige Tochter, Dienstmädchen, lebt in behaglichen bürgerlichen Umständen. Wie brüchig diese Umstände sind, zeigt diese Novelle - denn in nur einer Nacht gerät sein ganzes Leben aus den Fugen. Als diese Nacht zu Ende ist, ist seine Ehe vorbei und er selber für den Rest des Lebens ein andere Mensch. Was ist in dieser Nacht also passiert?
An einem Abend im Februar, der Faschung hat seinen Höhepunkt erreicht, erzählen Fridolin und seine Frau Albertine einander, dass sie sich in Gedanken lebhaft betrügen. Sie geht geistig mit einem bloden Dänen aus dem Urlaub fremd, während ihm eine fünfzehnjährige halbnackte Erscheinung aus dem selben Urlaub ebenfalls nicht aus dem Kopf geht. Es ist zwar nichts passiert, aber die erzählerischen Weichen, die die Geleise voneinander trennen, sind nun gestellt.
Noch am selben Abend muss Fridolin zu einem Kranken, den er nur noch tot in seiner Wohnung findet. Dessen Tochter erklärt ihm am Totenbett ihre Liebe und kündigt an, für immer in Fridolins Nähe wohnen zu wollen.
Auf dem Weg nach Hause wird er von Verbindungsstudenten angerempelt und überlegt, ob er einen von ihnen zum Duell fordern soll. Wie im Traum geht Fridolin dann an seinem Haus vorbei und landet schließlich in einer Vorstadtgasse, wo Prostituierte auf Kundschaft warten. Ohne es recht zu wollen, geht er mit einer Siebzehnjährigen auf das Zimmer, sieht zu, wie sie sich auszieht, rührt sie jedoch nicht an.
Wieder auf der Straße, will er noch immer nicht nach Hause, sondern setzt sich in ein Caféhaus. Da trifft er den ehemaligen Medizinstudenten Nachtigall, der nun als Barpianist sein Leben fristet. Nachtigall erzählt Fridolin, dass er in geheimen Kreisen Klavier spiele, noch heute Abend. Fridolin ist interessiert: Geheim? Noch heute? Er will mit. Nachtigall will ihn abhalten, verweist auf die absolute Geheimhaltung, ja Todesgefahr.
Aber es gibt kein Halten mehr für Fridolin. Er läutet einen Kostümverleiher aus dem Schlaf, leiht sich eine Mönchskutte mit Pilgerhut, sieht nebenbei, wie zwei schwarze Gestalten die minderhährige Tochter des Kostümverleihers bedrängen, dann aber wirft er sich in einen Fiaker und fährt hinter Nachtigalls Kutsche her bis zu einem kleinen Palais am Stadtrand von Wien.
Mit der von Nachtigall erfahrenen Parole gelangt Fridolin in einen geräumigen Saal, in dem 30, 40 Frauen und Männer, alle in Maske, versammelt sind. Bald warnt ihn eine Maskierte: er gehöre nicht hierher, er solle gehen, bevor es zu spät sei.
Da beginnt dre Tanz. Die Damen lassen alle Hüllen fallen und tanzen nackt in ihren Masken. Fridolin fordert seine schöne Warnerin auf, wird jedoch von zwei schwarzen Herren davon abgehalten. Er wird nach der Parole des Hauses gefragt, er kennt sie nicht. Die Musik bricht ab, die nackten Frauen stehen, die schwarzen Männer rücken näher. Da erbietet sich die Warnerin, Fridolin auszulösen. Du weißt, was das bedeutet, fragt einer der Männer. Sie weiß es.
Fridolin versucht tapfer, den Helden zu spielen und die Dame, zu der er sich mittlerweile in wilder Geilheit hingezogen fühlt, zu retten, aber er wird ganz einfach hinausgeworfen. Eine Leichenkutsche mit geschlossenen Fenstern bringt ihn nach Wien zurück.
Am nächsten Tag sucht er das Palais, findet es, aber ein Diener kommt heraus und gibt ihm einem Brief: entweder er verschwinde oder Schlimmeres werde passieren. Zurück in der Stadt bringt Fridolin der Prostituierten von gestern Obst und Kuchen, erfährt jedoch, dass diese mit Syphillis im Krankenhaus liegt. Dann liest er in der Zeitung, dass die Baronin von D. tot in ihrem Hotelzimmer aufgefunden wurde: vergiftet. Fridolin geht in das Krankenhaus, wo die Onduktionen vorgenommen werden, und da liegt sie tot vor ihm: die nackte Unbekannte vom vorigen Abend.
Ich empfehle diese Novelle jedem, der sich Gedanken macht über die Funktion und Darstellung von Erotik in der Literatur. Ohne jede Indezenz, ohne klinische Beschreibung von irgendwelchen Vögeleien, gelingt es Schnitzler, eine mit Erotik gesättigte Stimmung aufzubauen. Die angedeutete Massenorgie ist in ihrer erotischen Wirkung ohne Beispiel. Kubrick hat das gewußt.
ASIN/ISBN: 359629410X |