Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme

  • Heute schon gefiekt?


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    Eigentlich wollte ich keine umfangreiche Rezension schreiben. Das, was Walter Moers da (schon wieder) tut, lässt sich ohnehin nicht mit normalen Maßstäben messen oder mit anderen Büchern vergleichen. Also in aller gebotenen Kürze:


    Wenn man die zweiundvierzig Euro Kaufpreis verdaut hat, kann man damit anfangen, sich über ein großes, prächtig wirkendes Buch zu freuen, allerdings hätte die stolze Investition auch ein paar Tupfer Farbe verdient gehabt. Um nicht missverstanden zu werden - die mächtige Schwarte ist hinreißend ausgestattet und gestaltet, und es lohnt sich allein für die mehr als hundert fantastischen Zeichnungen darin, aber wenn man schon eine so magische Summe abdrückt, darf man erwarten, dass auch die Leistung in der Kür stimmt. Andererseits kommt der zamonische Charme in Schwarzweiß möglicherweise sehr viel besser rüber als in tausenden (oder wenigstens: hundertzwölf) von Farbtönen.


    Das Buch ist ein Briefroman - es enthält in der Hauptsache neunzehn Briefe, die der legendäre zamonische Schriftsteller Hildegunst von Mythenmetz an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer geschrieben, aber nie abgeschickt hat. Sie erzählen vom, äh, Aufenthalt auf der legendären Insel Eydernorn (ein nicht sehr schwer zu lösendes Anagramm), die Mythenmetz besucht hatte, um seine eingebildeten Atemwegserkrankungen therapieren zu lassen. Aus diesem von Anfang an abenteuerlichen Trip in eine mehr als originelle Teilwelt Zamoniens wird nach und nach eine handfeste und ausgewachsene, spektakulär endende Heldenreise. Der Weg dorthin ist gespickt, nein, überflutet mit unglaublichen Einfällen, in denen es um die eydernornische Kultur geht, um Flora und Fauna, um die Kunst, um Mythen und Geschichte, um das Essen und die merkwürdigen Bewohner der eigenartigen Großinsel. Vor allem aber geht es um die plusminus einhundertelf sensationellen Leuchttürme, die mit ihren schratigen und geheimnisvollen Wärtern den Kern des Geheimnisses der Insel bilden, das sich von Mythenmetz nach und nach offenbart.


    Es ist im besten Sinn komplett irre, was sich Moers da alles ausgedacht hat, dessen beeindruckende Fantasie hier wieder einmal alles in den Schatten stellt, was es an vergleichbarem gäbe, gäbe es Vergleichbares. Gibt es eher nicht. Aber all das Ausgedachte ist außerdem jederzeit Satire und Anspielung und Liebeserklärung und alles zugleich, was man auch getrost ignorieren kann, und dann liest man halt "einfach" ein unfassbares All-Ager-Märchenbuch mit einem Helden, der keiner sein will, es aber eigentlich jederzeit total schick findet, einer zu sein.


    Allerdings. Die hohe Schlagzahl an atemberaubenden Einfällen kann nicht ganz wettmachen, dass der Spannungsbogen der Geschichte eher ein recht willkürlicher Polygonzug ist, vor allem aber, dass es so richtig spannend eigentlich nie wirklich wird. Das ist eigenartig, weil echt eine Menge passiert, doch irgendwie bleibt eine gewisse Distanz, fehlt es an Mitreißendem. "Die Insel der Tausend Leuchttürme" ist, um einen nichtliterarischen Vergleich zu wählen, ein Mammutbauwerk wie die "Sagrada Familia", aber genau wie diese scheint das Buch hauptsächlich aus einer (aus Mythenmetschen Abschweifungen mühselig gebauten) riesigen Fassade zu bestehen. Das ist ganz seltsam, aber so ist mein Eindruck. Die Geschichte zündet irgendwie nicht, und das ist leider sehr schade. Die Lektüre ist trotzdem meistens ein großer Spaß.


    ASIN/ISBN: 332860006X

  • Deine Rezension ist toll, Tom, aber einen Stern Abzug gibt es für den Vergleich mit der Sagrada Familia. Ich meine, man vergisst diese "Fassade" wenn man drin steht und vom "Licht" überwältigt wird. Es gibt also auch ein "innen". Vielleicht ist das auch bei Moers Leseschinken so. Ich werde es jedenfalls prüfen.

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    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Danke, HD, auch für den Stern Abzug, den ich gerne kassiere. Ich halte die Sagrada für Blendwerk, und ich war auch schon drinnen. Masse und Effekte. Architektonisch sicher in einer Paralleldimension zu seiner Zeit, aber unterm Strich ist das Ding reiner Zuckerguss.