Philippe DJian: Ein heißes Jahr

  • Im Alter auch nicht besser


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    Im Jahr 2030 – so lautete auch der Originaltitel des Romans, also „2030“ – hat der Klimawandel voll zugeschlagen. Die Sommer sind trocken und unfassbar heiß, und wenn es regnet, dann monsunartig, weshalb die Böden kaum noch dazu in der Lage sind, die gewaltigen Wassermassen aufzunehmen. Autos mit Verbrennungsmotor und überhaupt Privatfahrzeuge sind zur absoluten Ausnahme geworden. Dafür gibt es autonom fahrende und fliegende öffentliche Verkehrsmittel, und für zu Hause VR mit so perfekter Immersion, dass man die Realität tatsächlich manchmal vergisst. Ansonsten aber läuft das Leben wie vorher, also im Jahr 2018, als dieser Roman erschien, und als, wie sie im Roman genannt wird, „das Mädchen mit den Zöpfen“ die Bewegung „Fridays for Future“ initiierte. Die Bewegung gibt es in Djians Zukunftsentwurf immer noch, aber das Mädchen ist natürlich älter geworden und hat soeben ein anklagendes Sachbuch veröffentlicht, und in der Buchhandlung von Véra findet eine stark besuchte Lesung statt. Véra verkauft weiterhin Papierbücher und gehört der Bewegung ebenfalls an. Eine andere Jüngerin ist die Nichte von Greg, und Greg ist die Hauptfigur dieses Romans. Der steht, wenn man so will, auf der gegenüberliegenden Seite. Er fährt einen fossilbetriebenen Porsche und betreibt mit seinem Schwager ein Labor, das Gutachten für die Industrie anfertigt. Einer der Klienten dieses Labors ist ein Pharmaunternehmen, das ein umstrittenes Pestizid herstellt, für das Gregs Labor immer wieder positive Bescheide ausstellt, die aber überwiegend falsch sind. Man ist dem Labor auf der Schliche, und während Gregs Schwager Anton mit der Situation skrupellos umgeht, drängt Gregs Gewissen immer stärker darauf, sich zu positionieren. Denn er ist eigentlich ein Guter, was immer deutlicher wird, vor allem, als er Véra kennenlernt und sich in sie verliebt.


    Ich bin mit Djian eigentlich längst durch. Seit „Rückgrat“ (1988) hat mich keiner seiner Romane mehr wirklich überzeugt, und spätestens nach dem extrem ärgerlichen „Reibereien“ (2007) wollte nie wieder einen anfassen, geschweige denn lesen, habe aber für „Oh ...“ (2012) eine Ausnahme gemacht, nur, um festzustellen, dass es nicht besser geworden ist, sondern eher grausiger. Das betrifft nicht nur die Figuren und Plots und die wiederkehrenden, sehr maskulin konnotierten Erotikfantasien, sondern mehr und mehr Djians Sprache und Erzählweise, die immer flacher und wirrer zu werden scheinen, was durch seine bevorzugte Un-Struktur – Dialoge werden nicht hervorgehoben, es gibt kaum Absätze und keine Kapitel, die Perspektive wechselt sprungartig von einer Figur zur anderen – auch noch verstärkt wird. Und trotzdem hat mich das Urteil einer befreundeten Person nach diesem Roman greifen lassen, in der Hoffnung, dass Djian vielleicht im Alter – er wird in diesem Jahr 75 – seine spezielle Form, seine Wildheit und seine Themen wieder auf das Niveau der Achtziger und frühen Neunziger bringt. Oder in die Gegenwart transformiert.

    Macht er aber leider nicht.


    Immerhin lässt sich „Ein heißes Jahr“ schnell lesen, denn es ist (wie die meisten seiner neueren Werke) kurz (220 Seiten) und großzügig gesetzt, weshalb auch das Erraten der Dialoganteile und der dazugehörigen Sprecher kaum nennenswert Zeit kosten. Es ist aber außerdem und in der Hauptsache lapidar, und es ist von einer erschütternden Naivität und Unkenntnis beherrscht; „Ein heißes Jahr“ ist ein Reissbrettroman ohne Fundament. Das Handeln der Hauptfiguren folgt bloßer Willkür, ist oft überhaupt nicht nachvollziehbar oder wenigstens schwach begründet, jedenfalls sind die Twists unsauber vorbereitet und wenig glaubhaft. Eigenartigerweise unterhält die Geschichte trotzdem während der ersten zwei Drittel einigermaßen, aber in Richtung Ende setzt das komplett aus.


    Was in „Ein heißes Jahr“ gelingt, das ist die Atmo. Djian bringt das Extremwetter und die Reaktion seiner Figuren auf dieses Wetter gut rüber, lässt einen die Hitze nachgerade spüren. Mehr Gutes fällt mir zum Buch allerdings nicht ein. Die Geschichte ist schlecht angelegt und schlecht erzählt, und das Personal muss sich grober erzählerischer Willkür unterwerfen. Das letzte Drittel des Romans ist reine Quälerei, und das saublöde Ende ist schlicht aus der Hölle.


    ASIN/ISBN: 325707249X