"Ferien mit Faschisten" von Tom Liehr

  • Ich habe eine sehr einfache persönliche Definition für Nazis, in die ich mir auch nicht hineinreden lasse. Nazis sind Leute*, die ihre oder die von ihnen favorisierte Ethnie für eine halten, die alle anderen dominieren sollte, und zwar mit allen Mitteln und unter Missachtung sämtlicher zivilsatorischer Regeln und Regularien. Diese Idee darf auch mit Krieg und Genozid durchgesetzt werden.

    Außerdem sind alle Leute Nazis, die in Parteien sind, die von Nazis dominiert werden. Und Nazis sind Leute, die solche Parteien wählen, und zwar ganz egal, aus welchen Gründen sie das tun, und sei es "nur" aus Protest.

    Der zweite Absatz klingt wie Antifa-Sprech, fehlt nur noch der Halbsatz - "Mit Nazis reden wir nicht!" Das Problem solcher Verallgemeinerungen ist, dass niemand den letzten Stimmzettel auf der Stirn hat und ich somit erkennen kann, welche Partei der Kopf hinter der Stirn gewählt hat. So plakativ, wie in deiner Geschichte, ich habe sie im BT- Bereich gefunden und gelesen, treten Wähler von nazidominierten Parteien selten auf. Ich habe ein Problem mit deiner allgemeinen Definition, denn dann ergibt sich die Frage, wenn man Dinge, wie eine nazidominierte Partei sieht, sie aber nicht wählt, ist man dann Nazi? Ein sehr einfaches Beispiel, aujßer der AfD hat keine Partei die weitere Nutzung der Kernenergie im Programm stehen. Ich bin für die Nutzung der Kernenergie (bitte hier keine Diskussion über dieses Thema!). Ist man auch Nazi, wenn man Überzeugungen hat, die nur im Parteiprogramm einer nazidominierten Partei stehen?


    Gilt deine Definition auch für andere Diktaturformen?

  • Hallo, Dietmar.


    Ich schrieb: Das ist meine ganz persönliche Definition. Dazu gehört, dass, wer sich bewusst zum Handlanger von Nazis macht, und das gelte für alle Parteigänger und Wähler z.B. der AfD, meiner Meinung nach selbst einer ist. Dazu gehört meiner ganz persönlichen Auffassung nach auch, wenn man eine Partei wie die AfD aus, wie soll ich sagen?, nachvollziehbaren Gründen wählt, etwa, weil einer der Programmpunkte im weitesten Sinn vernünftig scheint, ohne einen direkten ideologischen Kontext zu haben, wie etwa das Eintreten für die Kernenergie, wenn man selbst dafür ist. Ich halte das übrigens für eine ebenso absurde und schwache Begründung wie das so genannte "Protestwählen". Wer Nazis wählt, ganz gleich, aus welchen Gründen, ist einer, und es ist technisch völlig unmöglich, nur einen Teilaspekt zu wählen - Du wählst immer alles. Aber, Achtung. Ich bin nicht der Überzeugung, dass man auf dem falschen Dampfer ist, wenn man für Dinge (etwa die Kernenergie) ist, für die diese Leute - aus welchen Gründen auch immer - auch sind. Nur weil jemand in eine Furche gepullert hat, muss nicht der ganze Acker als kontaminiert gelten. Die Strategie, bestimmte Themen für sich in Anspruch zu nehmen, um auch in der so genannten (aber tatsächlich inexistenten) "Mitte der Gesellschaft" zu fischen, soll ja Leute dazu bringen, sich mangels Alternativen in dieser Richtung zu orientieren. Das falsifiziert nicht die Haltung zu solchen Themen (es gibt in der Geschichte einen kurzen Abschnitt zum Thema "Gendern", der das zu verdeutlichen versucht), aber es rechtfertigt es nicht, diese Leute in die Nähe der Macht zu bringen. Was ich sagen will: Man landet nicht automatisch in der braunen Tüte, wenn man z.B. das Gendern ablehnt oder für Kernenergie ist (obwohl viele Linke versuchen, einen da zu verorten, wenn man eine entsprechende Meinung äußert). Aber man landet dort, wenn man die AfD oder die NPD wählt, weil das Nazis sind. Oder sowieso, wenn man halt einer ist, also sich der Ideologie zugehörig fühlt.


    Wie gesagt, das ist keine "allgemeine Definition", sondern meine. Ich bin in dieser Frage eher intolerant, aber gesprächsbereit. Tatsächlich rede ich mir den Mund fusselig.

  • Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass Schubladen und Verortungen eher rhetorische Mittel denn zutreffend sind. Wer weggepackt wird, der argumentiert aus einem engeren Raum heraus, dessen Freiheit ist eingeschränkt. Und erfahrungsgemäß meistens zu unrecht.

    Siehe das genannte Meta-Argument, dass jedes Argument pauschalisiert; gleiches für rhetorische Stilmittel wie Polemik. Sowas ist okay, wenn man recht hat, aber recht zu haben, muss immer wieder aufs Neue und in jedem Fall neu verhandelt werden. Ebenso die Frage, was Polemik auslöst, Reaktanz versus Bekräftigung der Ecke, in die sich jemand vielleicht selbst gestellt hat.


    Ansonsten finde ich, dass der Thread ganz gut herausgearbeitet hat, wo eindeutig die Nazi-Grenze überschritten ist. Toms Geschichte, um das nochmal zu sagen, konzentriert sich auf einen Fall, wo diese Eindeutigkeit gegeben ist (wo ich wohne, in Dresden, weisen sich leider viele sehr eindeutig mittels Tattoos, Kleidung, Autokennzeichen als Nazis aus.)

  • Sowas ist okay, wenn man recht hat, aber recht zu haben, muss immer wieder aufs Neue und in jedem Fall neu verhandelt werden.

    Insofern diese Position überhaupt zu ermitteln ist.


    Und, ja, selbst dezidierte Argumentation vereinfacht und pauschalisiert. Es ist allerdings auch nicht hilfreich, im Diskurs den Versuch unterzubringen, alles zu bedenken und es allen recht zu machen. Diese einfache Erkenntnis wird allerdings durch die extrem hohe Priorisierung von Partikularinteressen, die einige Gruppen derzeit favorisieren und einseitig zum Konsens zu erklären versuchen, stark erschwert. Wenn Gruppen von der "Fadenscheinigkeit des Universalismus" sprechen und grundsätzlich Universelles verneinen, hat kein Diskurs (mit ihnen) eine Basis. Wovon übrigens nach meinen Dafürhalten dann wieder die Nazis profitieren.